S 22 R 3889/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 3889/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Eine den Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträger ausschließende Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers i.S.v. § 104 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist erst dann gegeben, wenn der Anspruch des Hilfebedürftigen erfüllt wurde (Anschluss an BSG, Urt. v. 28.08.1997 - 14/10 RKg 11/96 -, zit. in Juris). Ein Geldleistungsanspruch ist mithin erst dann erfüllt, wenn eine Auszahlung des Geldes erfolgte und nicht schon, wenn die Leistung bewilligt wurde. 2. Für den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist auch unerheblich, ob der vorrangig verpflichtete Leistungsträger die verzögerte Leistung zu vertreten hat. Eine "Verschuldenshaftung" des vorrangig Leistungsverpflichteten sieht § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vor. 3. Nach Auffassung des Gerichts ist es für den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X auch unerheblich, dass der nachrangig Leistungsverpflichtete Kenntnis davon hatte, dass der vorrangig Leistungsverpflichteten dem Grunde nach zur Leistung bereit war. Einen Verwirkungstatbestand dahingehend, dass ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn Kenntnis von der grundsätzlichen Leistungsverpflichtung besteht, kennt § 104 SGB X nicht.
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die in der Zeit vom 23.6.2009 bis 18.8.2009 an Frau K. erbrachten Leistungen der Haushaltshilfe in Höhe von 3.648,00 EUR zu erstatten.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Betreuung und Versorgung von D.W. (geb. am ...1993), L.W. (geb. am ...1995), S.W. (geb. am ...1996), C.W. (geb. am ...1997), N.W. (geb. am ...2001), L.K. (geb. am ...2003) und S.K. (geb. am ...2004) während eines stationären Reha-Aufenthalt der Mutter K. vom 23.06.2009 bis 18.08.2009 i.H.v. 3.648,00 EUR.

Die Beklagte gewährte Frau K. mit Bescheid vom 13.03.2009 stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der psychosomatischen Fachklinik F., die Frau K. auch durchführte. Ihre o.g. Kinder waren zum Zeitpunkt der Reha-Maßnahme noch minderjährig. Die Betreuung und Versorgung der Kinder erfolgte in dieser Zeit durch eine Bekannte von Frau K. die Tochter L. war ab 18.07.2009 bei ihrer volljährigen Schwester untergebracht. Mit Bescheid vom 24.03.2009 gewährte die Beklagte Frau K. zudem Leistungen zur Teilhabe durch Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe während des Reha-Aufenthaltes i.H.v. 64,00 EUR täglich.

Am 08.06.2009 beantragte Frau K. auch beim Kläger die Übernahme der Kosten der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder während ihres Reha-Aufenthaltes. Mit Bescheiden vom 29.07.2009 und 06.08.2009 gewährte der Kläger Frau K. Jugendhilfeleistungen nach § 20 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) durch Übernahme der Kosten der Betreuung und Versorgung der Kinder i.H.v. insgesamt 6.231,82 EUR. Der Betrag wurde der Pflegeperson überwiesen.

Mit Schreiben vom 29.07.2009 meldete der Kläger bei der Beklagten die Erstattung der aufgewendeten Kosten an und bat um Kostenerstattung. Mit Schreiben vom 21.08.2009 bezifferte der Kläger den Kostenerstattungsanspruch und mahnte mit Schreiben vom 02.10.2009 die Zahlung an. Mit Fax vom 06.11.2009 bat die Beklagte die Klägerin um Unterlagen zur Zahlungsanweisung für die Haushaltshilfe. Am 25.11.2009 zahlte die Beklagte an Frau K. die mit Bescheid vom 24.03.2009 bewilligte Kosten der Haushaltshilfe i.H.v. 3.712,00 EUR aus. Zugleich wurde mit Fax gegenüber dem Kläger die Kostenerstattung abgelehnt, da der "zur Verfügung stehende Betrag an die Versicherte angewiesen wurde". Mit Schreiben vom 14.12.2009 lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch förmlich ab.

Mit Schriftsatz vom 27.07.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Leistungen an Frau K. und ihre Kinder als Betreuung und Versorgung in Notsituationen erfolgte. Anlass der Hilfegewährung sei die Reha-Maßnahme gewesen. Zuständiger Leistungsträger sei die Beklagte gewesen, die auch Leistungen zur Haushaltshilfe bewilligt habe. Gem. § 10 SGB VIII gingen Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger den Leistungen der Jugendhilfe vor. Der Erstattungsanspruch sei auch rechtzeitig angemeldet worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm die in der Zeit vom 23.06.2009 bis 18.08.2009 er brachten Leistungen für eine Haushaltshilfe i.H.v. 3.648,00 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Kostenübernahmeentscheidung zugunsten von Frau K. ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers nicht bestanden habe. Der klägerische Erstattungsanspruch sei zeitgleich mit dem Abrechnungsersuchen der Versicherten bekannt geworden. Eine Berücksichtigung des Erstattungsanspruches sei nicht möglich gewesen, da die mit Telefax vom 06.11.2009 angeforderte Zahlungsanweisung mit Angabe der Versicherten sowie für wen und welcher Betrag für welchen Zeitraum geleistet worden sei nicht übersandt worden sei.

Am 12.01.2012 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden.

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Da sich Sozialleistungsträger in Erstattungsstreitigkeiten gleichrangig und nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüber stehen, ergehen in diesem Bereich Entscheidungen nicht durch Verwaltungsakt. Die Beklagte hat daher rechtmäßig über das Kostenerstattungsverlangen des Klägers durch einfaches Schreiben entschieden und der Kläger konnte seinen Erstattungsanspruch direkt beim Sozialgericht im Wege der Leistungsklage geltend machen.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der gegenüber Frau K. geleisteten Haushaltshilfe i.H.v. 3. 648,00 EUR. Der Kläger kann als nachrangig verpflichteter Leistungsträger nach § 104 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Erstattung seiner Aufwendungen verlangen.

Vorliegend war die Beklagte gem. § 54 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) verpflichtet, die Kosten der Betreuung und Versorgung der minderjährigen Kinder durch eine Bekannte von Frau K. während ihres Reha-Aufenthaltes zu übernehmen. Zwar hatte Frau K. auch gegenüber dem Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Betreuungskosten in Form der Notfallhilfe nach § 20 SGB VIII. Da die vom Kläger und von der Beklagten zu gewährenden Leistungen wegen des Betreuungsbedarfs aufgrund der Abwesenheit von Frau K. kongruent sind, sie die Leistungen aber nur einmal erhalten kann, bedarf es einer gesetzlichen Regelung des Verhältnisses der beiden Sozialleistungen. Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII gehen Leistungen anderer Sozialleistungsträger Leistungen des Jugendhilfeträgers vor.

Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist nicht ausgeschlossen. Insbesondere hat die Beklagte nicht bereits selbst geleistet, bevor sie von der Leistung des Klägers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Gericht schließt sich dabei der Auffassung an, wonach eine Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers erst dann gegeben ist, wenn der Anspruch des Hilfebedürftigen erfüllt wurde (BSG, Urt. v. 28.08.1997 - 14/10 RKg 11/96 -, zit. in Juris; Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 104 Rn. 7; einschr. BSG, Urt. v. 19.03.1992, SozR 3-1200 § 53 Nr. 4 und Urt. v. 25.01.1994 - 7 RAr 42/93 -, zit. in Juris), so dass für eine Leistungsgewährung des subsidiären Leistungsverpflichteten kein Raum mehr wäre. Ein Geldleistungsanspruch ist mithin nicht bereits dann erfüllt, wenn die Leistung bewilligt wurde, aber noch keine Auszahlung des Geldes erfolgte. Vorliegend kommt es daher nicht darauf an, dass die Beklagte bereits mit Bescheid vom 24.03.2009 die Haushaltshilfe bewilligte. Maßgeblich ist vielmehr, dass zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung durch den Kläger (hier Juli und August 2009) keine Zahlungen seitens der Beklagten an Frau K. erfolgt waren. Zum Zeitpunkt der Auszahlung des Geldes am 25.11.2009 hatte die Beklagte umfassende Kenntnis von der Leistung des Klägers. Bereits mit Schreiben vom 29.07.2009 meldete der Kläger bei der Beklagten seinen Kostenerstattungsanspruch an und bezifferte diesen mit Schreiben vom 21.08.2009. Soweit die Beklagte vorträgt, zum Zeitpunkt der Zahlungsanweisung an Frau K. nicht über ausreichende Informationen über das Erstattungsbegehren des Klägers verfügt zu haben, kann dies nach den vorliegenden Verwaltungsakten nicht angenommen werden. Die Beklagte hat vielmehr in voller Kenntnis des Erstattungsbegehrens des Klägers das Geld an Frau K. ausbezahlt.

Für den Erstattungsanspruch des Klägers nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist auch unerheblich, ob die Beklagte die verzögerte Auszahlung zu vertreten hat, insbesondere hier wohl keine Kenntnis davon hatte, dass Frau K. das Geld benötigte. Eine "Verschuldenshaftung" des vorrangig Leistungsverpflichteten sieht § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vor.

Nach Auffassung des Gerichts ist es für den Erstattungsanspruch des Klägers nach § 104 Abs. 1 SGB X auch unerheblich, dass der Kläger Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte dem Grunde nach zur Leistung bereit war. Zwar mag es im Einzelfall möglich und sachgerecht sein, dass der nachrangig verpflichtete Träger auf die Erfüllung der Leistungspflicht des hinwirkt, wenn diesem die Leistungsbereitschaft des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers bekannt ist. So dürfte es vorliegend wohl möglich gewesen sein, dass der Kläger darauf hinwirkt, dass Frau K. bei der Beklagten die Auszahlung der Haushaltshilfe fordert. Einen Verwirkungstatbestand dahingehend, dass ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn Kenntnis von der grundsätzlichen Leistungsverpflichtung besteht, kennt das Gesetz allerdings nicht. Ein solcher Verwirkungstatbestand ist auch nicht begründbar. Im Übrigen ist der vorrangig verpflichtete Leistungsträger in einem solchen Fall auch nicht schlechter gestellt. Denn nach § 104 Abs. 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs stets nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, so dass dieser nicht mehr Kosten erstatten muss, als hätte er rechtzeitig geleistet.

Die übrigen Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruches liegen vor. Insbesondere hat der Kläger die Erstattungsanspruch rechtzeitig nach § 111 SGB X geltend gemacht und ist der Anspruch auch nicht verjährt (§ 115 SGB X). Zinsen nach § 108 SGB X hat der Kläger ausdrücklich nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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