L 20 R 779/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 445/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 779/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine hinreichende Erfolgsaussicht iSv § 73a SGG, § 114 ZPO ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch lnanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen. lnsbesondere sind die Erfolgsaussichten grundsätzlich als hinreichend anzusehen, wenn nach summarischer Prüfung eine weitere Sachverhaltsaufklärung mittels Beweisaufnahme ernstlich in Betracht kommt.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 26.07.2012 aufgehoben.

II. Dem Kläger wird mit Wirkung ab 24.06.2010 für das Verfahren S 6 R 445/10 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt J. E. B., A-Stadt, beigeordnet.

Gründe:

I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg.

Der 1939 geborene Kläger und Beschwerdeführer (Bf) bezieht von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Bg) ab 01.08.1999 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufs- oder Erwerbsunfähige (Bescheid vom 03.06.1999).

Der Bf war bei verschiedenen Eisenflechterfirmen als geringfügig Beschäftigter gemeldet. Dies waren u.a. die Fa. S. Stahlverlegebetrieb, Geschäftsführer I. P. T. (Geschäftstätigkeit vom 30.01.2001 bis 13.03.2003). Der Bf war vom 02.05.2001 bis 28.02.2003 bei dieser Firma als geringfügig entlohnter Beschäftigter gemeldet. Des Weiteren war er vom 03.03.2003 bis 15.07.2003 bei der Firma I.-Bau (Geschäftsführer I. M.) als geringfügig entlohnter Beschäftigter gemeldet.

Nach Ermittlungen des Hauptzollamtes gegen den Bf wegen Verdachts des Beitragsbetruges, Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt sowie Steuerhinterziehung wurde der Bf vom Amtsgericht A-Stadt mit Urteil vom 02.06.2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Bf sei schuldig vier in Tatmehrheit stehender Vergehen der Beihilfe zum Vergehen des Betrugs. Im Tatbestand des Urteils ist ausgeführt, dass der Bf von den Geschäftsführern der Fa. S. Stahlverlegebetrieb und I.-Bau für seine (Beihilfe-) Tätigkeit monatliche Zahlungen iHv 1.500 EUR bis 2.000 EUR erhalten habe.

Beim Finanzamt (Steuerfahndungsstelle) hatte I. A. T. (Geschäftsführer der Fa. S., dort Tätigkeit des Bf ab 01.06.1999) am 08.05.2002 und 15.07.2002 erklärt, dass er dem Bf für eine Beratertätigkeit monatlich 4.000 DM bezahlt habe. Ein Vorarbeiter der Fa. S. (S. A.) erklärte gegenüber dem Hauptzollamt am 07.11.2005, es sei ihm bekannt geworden, dass der Bf neben seinem monatlichen Lohn in Höhe von 1.500 bis 2.000 Euro für seine Auftragsvermittlung 10% der jeweiligen Auftragssumme verlangt und erhalten habe. Auch habe er mitbekommen, wie die Ehefrau des Bf den Inhaber der Fa. S. angesprochen habe, wann der Lohn des Bf ausbezahlt werde. Daraufhin habe dieser geantwortet, dass der Lohn in Höhe von 1.500 Euro bereits ausbezahlt worden sei. In der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichtes A-Stadt am 21.09.2006 erklärte der als Zeuge vernommene Vorarbeiter S. A., Herr T. habe zu ihm gesagt, der Bf bekomme von ihm 1.000 bis 1.500 EUR. Einmal habe sich die Ehefrau des Bf gegenüber Herrn T. beschwert, dass dieser kein Geld bekäme. Herr T. habe dem Bf schnell 1.500 EUR bringen müssen. In der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichtes am 05.08.2008 gab der Vorarbeiter S. A. an: Als auf der Baustelle etwas schief ging, sagte T. einmal, dass er den Bf noch auszahlen muss, dass er noch 1.000 bis 1.500 EUR bekommt, weil er die Aufträge reinholt.

Nach Anhörung hob die Bg mit Bescheid vom 12.11.2009 und Widerspruchsbescheid vom 27.05.2010 den Bescheid vom 03.06.1999 nach § 48 Abs 1 S 2 Nrn 2 bis 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der Rentenhöhe mW ab Februar 2001 auf und stellte eine Überzahlung für die Zeit vom 01.02.2001 bis 31.07.2003 iHv von 24.799,63 Euro fest, die der Bf zu erstatten habe. Der Bf habe in der Zeit vom 01.02.2001 bis 31.07.2003 Arbeitseinkommen iHv mindestens 4.000 DM monatlich bezogen, so dass eine Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze gem. § 34 Abs 2 und 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorliege und die Altersrente nicht zu zahlen gewesen sei. Zwar habe der Bf im Widerspruchsverfahren vorgetragen, dass er nicht wegen angeblich erhaltener Provision verurteilt worden sei und daher feststehe, dass das Arbeitseinkommen die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten habe. Allerdings könne aus der Urteilsbegründung der Beschäftigungszeitraum entnommen werden. Die erzielten Hinzuverdienste ergäben sich aus den Ermittlungen des Hauptzollamtes,

Hiergegen hat der Bf am 10.06.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben. Er sei lediglich geringfügig beschäftigt gewesen und habe die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten. Hierbei handele es sich um Behauptungen, die im Rahmen der Ermittlungen des Hauptzollamtes aufgestellt worden seien, sich aber im späteren Strafverfahren nicht bestätigt hätten. Die Feststellungen der Bg beruhten allein auf der Aussage des Zeugen A., die sich aber durch andere Aussagen im Verfahren eindeutig nicht bestätigt hätten. Der Zeuge habe die Zahlungen nicht aus eigener Kenntnis bestätigt, sondern sich darauf berufen, dass Herr T. ihm dies gesagt habe. Zum Beweis der Tatsache, dass er solche Zahlungen nicht erhalten habe, werde I. T. als Zeuge benannt.

Ebenfalls am 10.06.2010 hat der Bf für das Klageverfahren die Bewilligung von PKH und die Beiordnung seines bevollmächtigten Rechtsanwaltes beantragt und am 24.06.2010 die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übermittelt.

Mit Beschluss vom 26.07.2012 hat das SG die Bewilligung von PKH und die Beiordnung abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zu Recht habe die BG mit Bescheid vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2010 nach § 48 SGB X den Bescheid vom 03.06.1999 mW ab 01.02.2001 der Höhe nach für die Zeit von Februar 2001 bis Juli 2003 aufgehoben, weil der Bf die Hinzuverdienstgrenze überschritten habe, § 34 Abs. 2 SGB VI. Der Bf habe über seine geringfügigen Beschäftigungen hinaus Einkommen erzielt. Aus der Vernehmung des I. A. T. vor dem Finanzamt A-Stadt gehe hervor, dass dieser dem Bf von Juni 1999 bis August 2000 monatlich 4.000 DM entrichtet habe. Es spreche nichts dafür, dass der Bf die lukrative Beschäftigung bis August 2000 bei dem einen Unternehmer beendet und bei dem anderen eine Beschäftigung lediglich mit geringfügiger Entlohnung aufgenommen habe. Dies stehe im Einklang mit den Aussagen des Vorarbeiters der Fa. S. gegenüber dem Hauptzollamt und Amtsgericht, dass der Bf 1.500 bis 2.000 Euro und 10% der jeweiligen Auftragssumme erhalten habe. Dies zu Grunde gelegt sei davon auszugehen, dass der Bf die Hinzuverdienstgrenze überschritten habe. Angesichts dessen komme eine Beweisaufnahme nicht ernsthaft in Betracht. Sonstige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2010 bestünden nicht.

Gegen den Beschluss vom 26.07.2012 hat der Bf am 31.08.2012 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. In der streitigen Zeit 01.02.2001 bis 15.07.2003 habe er die Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten. Die Aussagen des Zeugen A. könnten hierzu nicht herangezogen werden, da sie lediglich vom Hörensagen stammten. Die Aussage des I. A. T. (Geschäftsführer der Fa. S.) betreffe einen anderen Zeitraum. Hinsichtlich des streitigen Zeitraums lägen keine Aussagen des I. P. T. (Geschäftsführer der Fa. S. Stahlverlegebetrieb) vor.

Der Bf beantragt,
den Beschluss des SG Würzburg vom 26.07.2012 aufzuheben und ihm für das Klageverfahren PKH zu bewilligen sowie Rechtsanwalt J.E. B. beizuordnen.

Die Bg beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Würzburg vom 26.07.2012 zurück-
zuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses. Aus dem Urteil des Amtsgerichtes A-Stadt gehe auch zweifelsfrei hervor, dass der Bf im streitigen Zeitraum aufgrund seiner Tätigkeiten bei der Fa. S. und der Fa. I.-Bau 1.500 bis 2.000 EUR sowie 10 % der jeweiligen Auftragssumme erhalten habe.

Auf den gesamten Inhalt der beigezogenen Akte der Bg und der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz wird Bezug genommen.

II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes unzutreffend abgelehnt.

Nach § 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg erfolgt nur eine vorläufige Prüfung.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch lnanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen. lnsbesondere sind die Erfolgsaussichten grundsätzlich als hinreichend anzusehen, wenn nach summarischer Prüfung eine weitere Sachverhaltsaufklärung mittels Beweisaufnahme ernstlich in Betracht kommt.

Entgegen der Auffassung des SG sind weitere Ermittlungen oder eine Beweisaufnahme erforderlich (§ 103 SGG). Denn es ist weiter aufzuklären, ob der Bf in der streitigen Zeit 01.02.2001 bis 31.07.2003 einen Hinzuverdienst über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt hat. Die Gerichte haben den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, wobei das Ausmaß der Aufklärung und die Wahl der Beweismittel in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt sind und weitgehend vom Einzelfall abhängen (vgl. Beschluss des BSG Großer Senat vom 11.12.1969 - GS 2/68 - SozR Nr 20 zu § 1247 RVO).

Danach kann sich das SG nicht allein auf die Verwertung der Niederschriften über die Aussagen des vom Hauptzollamt und Amtsgericht gehörten Zeugen S. A. im Wege des Urkundsbeweises stützen. Zwar hat der Zeuge beim Hauptzollamt angegeben, ihm sei bekannt geworden, der Bf habe einen monatlichen Lohn in Höhe von 1.500 bis 2.000 Euro und für seine Auftragsvermittlung 10% der jeweiligen Auftragssumme erhalten. Er habe auch gehört, dass der Inhaber der Fa. S. gegenüber der Ehefrau des Bf geäußert habe, es sei ein Lohn in Höhe von 1.500 Euro ausbezahlt worden. Beim Amtsgericht hat er erklärt, Herr T. habe zu ihm gesagt, der Bf bekomme von ihm 1.000 bis 1.500 EUR. Die Ehefrau des Bf habe sich gegenüber Herrn T. beschwert, dass dieser kein Geld bekäme. Daraufhin habe Herr T. dem Bf schnell 1.500 EUR bringen müssen. Herr T. habe einmal gesagt, dass er den Bf noch auszahlen muss, dass er noch 1.000 bis 1.500 EUR bekommt, weil dieser die Aufträge reinhole.

Allerdings kommt diesem Urkundsbeweis ein geringer Beweiswert zu, da der Zeuge S. A. im Wesentlichen als Zeuge vom Hörensagen aus eigener Kenntnis nur Äußerungen Dritter über den hier entscheidungserheblichen Verdienst des Bf wiedergeben konnte. In der Regel genügen die Angaben eines Zeugen vom Hörensagen nicht, wenn sie nicht durch andere, nach der Überzeugung des Gerichts wichtige Gesichtspunkte bestätigt werden. In diesem Zusammenhang kann es aber nicht genügen, dass das SG die Vermutung aufstellt, es spreche nichts dafür, dass der Bf die lukrative Beschäftigung bis August 2000 bei dem einen Unternehmer beendet und bei dem anderen eine Beschäftigung lediglich mit geringfügiger Entlohnung aufgenommen habe. Es erscheint daher notwendig, mittels Beweisaufnahme, beispielsweise nach Möglichkeit durch Beiziehung der Strafakten in den Strafverfahren gegen I. P. T. und I. M., durch unmittelbare Einvernahme des S. A., durch Einvernahme der Ehefrau des Bf und des I. M. oder - wie vom Bf beantragt - des I. P. T., den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Ebenfalls nicht ausreichend ist es, allein die Ausführungen des Amtsgerichts A-Stadt im Tatbestand des Urteils vom 02.06.2009 zu Grunde zu legen, nach dem der Bf von den Geschäftsführern der Fa. S. Stahlverlegebetrieb und I.-Bau für seine (Beihilfe-) Tätigkeit monatliche Zahlungen iHv 1.500 EUR bis 2.000 EUR erhalten habe. Diese Feststellungen beruhen erkennbar nur auf den Aussagen des Zeugen S. A ... Die Feststellungen könnten auch nur dann vom SG übernommen werden, wenn der Sachverhalt nach den gleichen rechtlichen Kriterien wie im strafgerichtlichen Verfahren zu würdigen wäre.

Dies zu Grunde gelegt ist nach der gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Klage nicht nur eine entfernte Erfolgsaussicht zukommt.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist erforderlich (§ 121 Abs 2 ZPO). Die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Nach § 127 Abs 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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