L 2 SF 1/13 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 156/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SF 1/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags wegen Besorgnis der Befangenheit als teilweise verspätet, teilweise unbegründet.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 29. November 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Streitig ist, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Sachverständigen Dr. H. L. besteht. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut begehrt der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) die Anerkennung des Ereignisses vom 16. März 2009 als Arbeitsunfall. Der Bf. hatte an diesem Tag mit seinem Vorgesetzten einen 40 bis 60 kg schweren Schaltschrank angehoben.
Mit Beweisanordnung vom 14. Februar 2012 hat das Sozialgericht die Internistin Dr. L. mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 3. Mai 2012 festgestellt, dass zwar am 18. März 2009 eine diskrete Subarachnoidalblutung Grad I nach Hunt & Hess bei Nachweis eines Aneurysmas der Arteria choroidea anterior links nachgewiesen wurde, in deren Folge noch eine belastungsabhängige Kopfschmerzsymptomatik sowie eine Okkulomotoriusparese links mit Auftreten von Doppelbildern verblieben sind, dass das Aneurysma jedoch bereits als Vorschaden vorhanden gewesen sei. Die körperliche Belastung am Unfalltag stelle nur eine Gelegenheitsursache für die Ruptur des vorbestehenden Aneurysmas dar. Es habe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit bestanden. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei nicht anzuerkennen.
Zu den klägerischen Einwendungen vom 4. Juli 2012 hat die Gutachterin am 3. September 2012 ergänzend Stellung genommen. Die Stellungnahme ist dem Bf. mit gerichtlichem Schreiben vom 6. September 2012 zur Stellungnahme bis 4. Oktober 2012 bzw. verlängert bis 31. Oktober 2012 übersandt worden.
Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2012 hat der Bf. die Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Insbesondere belegten bereits deren weit überhöhte Bemerkungen zu angeblich naturwissenschaftlich bestätigten Tatsachen, dass die Gutachterin ihm nicht unvoreingenommen gegenüberstehe. Sie vermöge ferner nicht zwischen Tatsachenfeststellungen und Wertungen zu unterscheiden. Bei der Einschätzung einer "Gelegenheitsursache" handele es sich um eine rechtliche Bewertung; Rechtsansichten stünden einem Sachverständigen nicht zu. Entsprechendes gelte für das Beweismaß und für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität. Außerdem fehle es der Sachverständigen als Internistin ohne chirurgisches, kardiologisches oder arbeitsmedizinisches Sonderwissen an der fachlichen Eignung. Sie könne - anders als ein Arbeitsmediziner - nicht das Aufgabengebiet des Bf. im Beruf zutreffend einschätzen. Ihre Behauptung, eine biomechanische Rekonstruktion des Vorgangs zur Feststellung des Belastungsgewichts im Moment des Anhebens des Schaltschranks sei weder möglich noch erforderlich, schließe eine Beweisantizipation ein, welche die Befangenheit der Sachverständigen erneut verdeutliche. Ferner seien ihre Ausführungen zur Statistik bei Rupturen von Aneurysmen widersprüchlich und besagten nichts über den Einzelfall. Offen lasse die Sachverständige beispielsweise die Frage der tatsächlichen biomechanischen Kraftentfaltung.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit mit Beschluss vom 29. November 2012 abgelehnt. Die Sachverständige habe sich entsprechend dem Gutachtensauftrag unter gründlicher Auswertung des Akteninhalts mit der medizinischen Fragestellung auseinandergesetzt. Das Ablehnungsgesuch könne nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die Sachverständige nicht ausreichend qualifiziert und demzufolge das Gutachten fehlerhaft gewesen sei.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Bf. ausgeführt, das Sozialgericht sei nicht ernsthaft auf den Inhalt des Ablehnungsvorbringens eingegangen. Es habe damit das Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Außerdem sei es ihm nicht um die fehlende Sachkunde und sachliche Unrichtigkeit des Gutachtens gegangen, vielmehr habe er beanstandet, dass die Sachverständige abstrakt Aussagen ohne brauchbare Anknüpfungstatsachen gemacht und sich danach im Ergebnis der Endaussage eine rechtliche Wertung angemaßt habe, die ihr nicht zustehe. Sie habe Bewertungen vorgenommen, die allein dem Gericht zustünden. Sie habe ihre Kernaufgabe nicht wahrgenommen, sondern sich auf ein fremdes Kompetenzgebiet - so auch hinsichtlich der biomechanischen Vorgänge - begeben. Schließlich sei die Sachverständige auf seine Einwendungen substanziell nicht eingegangen. Aufgrund ihrer Voreingenommenheit sei sie nicht in der Lage gewesen, nach Erläuterung der Fehlerquellen ihren Standpunkt zu überprüfen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass sich die Gutachterin mit den entscheidungserheblichen Tatsachen auseinandergesetzt habe und das gefundene Ergebnis überzeugend begründe. Eine Befangenheit sei für sie nicht erkennbar.

Der Bf. beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 29. November 2012 aufzuheben und die Ablehnung der Sachverständigen Dr. L. wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet zu erklären, hilfsweise die Sache zu neuer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch an das Sozialgerichts Landshut zurück zu verweisen.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist unbegründet.
Nach § 118 Abs. 1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden. Nach § 406 Abs. 2 S. 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen konnte. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat. Zweck dieser Regelung ist die Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens.

Im Wesentlichen stützt der Bf. seine Beschwerde auf eine angenommene Kompetenzüberschreitung der Sachverständigen, insbesondere durch rechtliche Würdigung und Berücksichtigung fachfremder Gesichtspunkte wie aus dem Gebiet der Biomechanik oder Arbeitsmedizin. Die Einwendungen betreffen hierbei bereits das Gutachten vom 3. Mai 2012 selbst. Eine Stellungnahme hierzu war vom Sozialgericht mit einer Frist zuletzt bis 11. Juli 2012 versehen worden. Innerhalb dieser Frist erhob der Bf. mit Schriftsatz vom 4. Juli 2012 Einwendungen inhaltlicher Art, die zur Einholung einer ergänzenden Stellungnahme durch die Sachverständige führte. Ein Antrag auf Ablehnung der Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wurde jedoch nicht gestellt. Beantragt wurde vielmehr die Einholung eines biomechanischen, eines kardiologischen sowie eines arbeitsmedizinischen Gutachtens.

Das erst mit Schriftsätzen vom 24. Oktober 2012, eingegangen am 26. Oktober 2012 eingereichte Ablehnungsgesuch ist somit insoweit verspätet eingegangen. Zweck dieser Fristenregelung ist, bei begründeten Zweifeln die Erstellung eines Gutachtens bzw. wie hier einer eventuellen ergänzenden Stellungnahme zu vermeiden, das nicht in die Urteilsfindung einfließen kann und das damit unnütze Kosten und Zeit verursachen würde. Der Kläger kann deshalb nicht abwarten, ob sich seine Zweifel im weiteren Verfahrensverlauf "verdichten".

Entsprechendes gilt für die Rüge der fachlichen Kompetenz der Gutachterin als Internistin ohne chirurgisches, kardiologisches oder arbeitsmedizinisches Sonderwissen. Dies war dem Bf. ebenfalls spätestens mit Zusendung des Gutachtens bekannt, so dass er auch mit diesem Vorbringen ausgeschlossen ist.

Nur soweit sich die geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit aus der ergänzenden Stellungnahme vom 3. September 2012 ergibt, war das am 26. Oktober 2012 eingegangene Ablehnungsgesuch fristgemäß. Hierzu rügt der Bf., die Sachverständige sei auf die klägerischen Einwendungen substanziell nicht eingegangen. Aufgrund ihrer Voreingenommenheit sei sie nicht in der Lage gewesen, nach Erläuterung der Fehlerquellen ihren Standpunkt zu überprüfen.
Nach §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Antragsteller scheiden aus (Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 42 Rdnr. 9).

Einen derartigen Grund vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr setzt sich die Sachverständige mit dem klägerischen Vorbringen auseinander und erläutert ihre gutachterliche Ansicht, gestützt auf Fachliteratur und statistische Erhebungen. Ob diese Stellungnahme hinsichtlich der klägerischen Einwendungen ausreichend und überzeugend ist, kann nicht im Rahmen des Verfahrens wegen Besorgnis der Befangenheit überprüft werden. Wie bei eventuellen sachlichen Mängel eines Gutachtens, wie sie vom Bf. - vor allem gegen das Gutachten - vorgebracht werden, träfen derartige Unzulänglichkeiten beide Parteien. Dies könnte lediglich dazu führen, die Rechte des Prozessrechts in Anspruch zu nehmen, insbesondere ein neues Gutachten einzuholen (vgl. § 412 ZPO). Derartige Mängel eines Gutachtens können allenfalls ein Gutachten entwerten. Die inhaltliche Bewertung des Gutachtens obliegt aber dem entscheidenden Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) und kann nicht in ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden.

Dabei ist für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ergänzend anzumerken, dass die Beurteilung von Kausalitätsfragen durch den medizinischen Sachverständigen einen wesentlichen Teil des Gutachtens darstellt. Hierzu zählt auch, ob die Aneurysmaruptur wesentlich durch das Unfallereignis zumindest mitverursacht wurde oder eine Konkurrenzursache wie ein Vorschaden oder eine endogene Veranlagung - auch im Sinne einer sog. Gelegenheitsursache - als wesentlich anzusehen ist

Das Sozialgericht hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. L. zurückgewiesen. Auch eine hilfsweise beantragte Zurückverweisung an das Sozialgericht kommt nicht in Betracht, da Gründe für eine Zurückverweisung (zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 159 Abs. 1 SGG im Beschwerdeverfahren: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 159 Rdnr. 1 m.w.N.) nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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