L 13 R 24/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 161/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 24/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Dezember 2011 wird aufgehoben.

II. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2010 wird abgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1960 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, hat in der Türkei von Juli 1974 bis Juni 1976 eine Ausbildung zum Schreiner absolviert. Im Anschluss daran war er als Maschinenführer in einer Kunststofffabrik tätig. Nach seinem Zuzug in das Bundesgebiet war er von Juni 1977 bis Mai 1978 als Hilfsarbeiter in einer Weberei, von Mai 1978 bis September 1980 als Kernmacher in einer Eisengießerei, von September 1980 bis Oktober 1989 als Arbeiter in einem Käsewerk, von Oktober 1989 bis September 1991 als Baufacharbeiter in einem Fertigteilwerk, von September 1991 bis Juli 1994 als Fahrzeugreiniger und Vorarbeiter und ab Juni 1996 als Gebäudereiniger beschäftigt. In den Jahren 1990 bis 1991 wurde er vom Arbeitsamt zum Industriemechaniker umgeschult.

Der Kläger begehrte mit Antrag vom 19. Februar 2009 unter Hinweis auf die Folgen eines im August 2005 erlittenen Arbeitsunfalls Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Die Beklagte zog diverse Befundberichte, ein für das Sozialgericht Augsburg (SG) in dem Rechtsstreit S 5 U 260/08 erstelltes unfallärztliches Gutachten des Nervenarztes Dr. A. vom 27. März 2009, in dem dieser die Anerkennung einer MdE von 30 % empfiehlt, und ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern vom 3. Juni 2009 bei. Sie holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. D. vom 10. August 2009 ein. Dieser diagnostizierte beim Kläger eine geringgradige Funktionsminderung rechtes Schultergelenk bei Impingement-Symptomatik rechte Schulter, eine Belastungsminderung rechtes Sprunggelenk bei Chondromalazie der medialen Talusschulter sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Der Kläger sei noch in der Lage, in seiner letzten Tätigkeit sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 9. September 2009 abgelehnt.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs wurde darauf verwiesen, der Kläger leide unter einem anhaltenden Schmerzsyndrom mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk bei Zustand nach Schulteroperation im März 2009 bei AC-Gelenksarthrose und Tendinitis der langen Bizepssehne. Auch bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich des rechten Sprunggelenks mit Bewegungseinschränkungen. Hierbei handele es sich um die Folgen des Arbeitsunfalles vom 20. August 2005. Hier sei der Kläger von einer Leiter aus ca. 4 bis 5 m Höhe zu Boden gefallen. Es bestehe ein komplexes regionales Schmerzsyndrom des rechten Fußes. In Zusammenwirken mit den ebenfalls bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden sei von einem quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen auszugehen. Auch der MDK Bayern gehe von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus. Der Widerspruch wurde daraufhin ohne weitere Ermittlungen mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger unter Wiederholung seines Vortrags aus dem Widerspruchsverfahren Klage zum SG erhoben. Das SG hat diverse Befundberichte, die Unfallakten S 5 U2 160/08 mit dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. A. vom 27. März 2009 und einem orthopädischen Gutachten von Dr. F. vom 12. Juni 2010 sowie die Akten der BG Bau mit einem nervenärztlichen Gutachten von Dr. K. vom 1. Juli 2009 beigezogen. Es hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ein orthopädisches Gutachten von Dr. H. vom 2. Dezember 2010 eingeholt.

Dr. H. hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Chronisch neuropathischer Fußschmerz und OSG-Schmerz rechts bei Zustand nach Sturz
2. Chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom mit sensibler rechtsseitiger, pseudoradikulärer Symptomatik ohne Wurzelkompressionen bei M 54. 5
3. Chronisches Schmerzsyndrom Grad 3 nach Gerbershagen.

Es sollte noch eine auf ein Jahr zeitlich begrenzte Erwerbsunfähigkeit akzeptiert werden. Danach könnte höchstwahrscheinlich die stufenweise Wiederaufnahme auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit 6 Stunden und mehr arbeitstäglicher Belastung für nicht dauer-

haft stehende und gehende Tätigkeiten erfolgen. Der Kläger könne glaubhaft derzeit nur 100 m Wegstrecke zurücklegen.

Nachdem die Beklagte sich dem Gutachten von Dr. H. nicht angeschlossen hatte, holte das SG eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H. ein, in der der Sachverständige an seiner Einschätzung festhält.

Das SG hat daraufhin weitere Befundberichte sowie einen Entlassungsbericht der G. vom 19. September 2011 über einen stationären Krankenhausaufenthalt des Klägers vom 3. bis 31. August 2011, aus der der Kläger als arbeitsunfähig entlassen wurde, beigezogen.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2011 hat das SG den Bescheid vom 9. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2010 mit Wirkung ab 1. Juli 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juli 2011 bis 30. Juni 2012 zu gewähren. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der Kläger sei seit dem 2. Dezember 2010 (Begutachtungstermin Dr. H.) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich einsatzfähig. Dies ergebe sich aus dem schlüssigen Gutachten des Orthopäden Dr. H ... Der Sachverständige könne zwar objektiv fassbare Gründe für die Beschwerdesymptomatik nicht eruieren, gehe aber von einem Schmerzsyndrom aus. Er stelle auf eine psychische bis psychosomatische Komponente ab. Dies werde durch den Entlassungsbericht der G. unterstützt. Auch hier werde keine vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers mehr gesehen.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, die von Dr. H. angenommene Einschränkung der Wegefähigkeit ergebe sich nicht aus dem medizinischen Befund. Eine im Falle einer schmerzbedingten Schonung gegebene Muskelminderung des rechten Beines liege nicht vor. Ob sich aus nervenärztlicher Sicht eine Einschränkung des Leistungsvermögens ergebe, sei noch nicht hinreichend geklärt.

Der Senat hat diverse Befundberichte sowie eine Arbeitgeberauskunft der Firma H. eingeholt und gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. I. vom 29. Juni 2012 und eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. J. vom 24. Oktober 2012.

Dr. I. hat in seinem Gutachten beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:
1. Degeneratives Lumbalsyndrom mit präsakralen Bandscheibenschäden L 4 bis S 1
ohne fassbare neurologische Ausfälle mit geringgradigen Funktionseinschränkungen; pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung rechtes Bein
2. Initiale Knorpelschäden Hüftgelenke beidseits mit leichten Bewegungsschmerzen rechtes Hüftgelenk
3. Initiale Großzehengrundgelenksarthrose rechts mit beginnendem Knorpelschaden oberes Sprunggelenk rechts. Zustand nach Sprunggelenksdistorsion mit unklarem chronischem Schmerzbild.

Der Kläger sei seit Februar 2009 noch in der Lage, leichte sowie fallweise mittelschwere Arbeiten unter Vermeidung schwerer körperlicher Arbeit vollschichtig überwiegend sitzend, nur gelegentlich gehend und stehend im Freien und in geschlossenen Räumen mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen von schweren Lasten, Arbeiten aus ungünstigen Wirbelsäulenpositionen heraus mit starker Belastung des lumbalen Wirbelsäulenabschnitts sowie Arbeiten auf Leitern, Treppen und Gerüsten mit Absturzgefahr. Eine klar orthopädisch objektivierbare Einschränkung der Wegefähigkeit sei nicht zu finden. Der Kläger könne ein öffentliches Verkehrsmittel sowie ein Kfz führen.

Dr. J. hat beim Kläger ein chronifiziertes nociceptives Schmerzsyndrom, einen Verdacht auf Schädigung des Nervus suralis rechts und eine verfahrensbezogene dysthyme Störung festgestellt. Der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen, überwiegend allerdings in sitzender Position in geschlossenen Räumen sowie bei Ausschluss von Kälte und Nässe auch im Freien vollschichtig mit den üblichen Arbeitspausen verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken bzw. Tätigkeiten in gebückter Position oder in der Hocke, Zeitdruck-Arbeiten (Fließband-/Akkordarbeit) sowie Schichtdiensttätigkeiten, insbesondere Nachtschicht. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Umstellungsfähigkeit auf andere Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.

Der Kläger hat daraufhin einen Arztbericht der W. Kliniken über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 6. bis 17. November 2012 sowie einen Befundbericht des behandelnden Neurologen und Pychiaters P. übersandt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Dezember 2011 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 9. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2010 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 1. Juli 2011 bis 30. Juni 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Der angefochtene Bescheid vom 9. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI zu.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem LSG steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt nicht vor. Der Kläger kann noch 6 Stunden täglich und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten verrichten.

Beim Kläger stehen die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet im Vordergrund.

Bei der Untersuchung des Klägers durch den erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. I. war der Kläger in einem regelrechten Allgemein- und normalen Ernährungszustand. Es zeigten sich kein Ikterus, keine Gewebswassereinlagerungen und keine Zyanose. Die Pulse waren allseits gut tastbar, der Tonus der peripheren Muskulatur normal.

An der lotrecht aufgebauten Wirbelsäule fanden sich bei Beckengeradstand und physiologischer Rückenform normale Schwingungsverhältnisse bei kräftig ausgebildeter paravertebraler Muskulatur in allen Etagen. Die Halswirbelsäule war in allen Freiheitsgraden frei beweglich bei Fehlen von Myogelosen. Bei der Prüfung der Brust- und Lendenwirbelsäule zeigten sich eine freie Links- und Rechtsrotation. Die Lateralflexion gelang ausreichend, das Vornüberneigen der Wirbelsäule erfolgte zügig und das Wiederaufrichten aus der Vorneige ohne Zuhilfenahme der Arme. Neurologische Auffälligkeiten konnte Dr. I. nicht feststellen. Das Zeichen nach Laségue war negativ, der Langsitz konnte vom Kläger eingenommen werden und die Prüfung der Zehenheber- und Fußheberfunktion erbrachte einen Normalbefund. Unter Berücksichtigung der röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen lässt sich aus diesem Befund nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. I. nur eine Einschränkung des Leistungsvermögen des Klägers für schwere wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ableiten.

Die oberen Extremitäten des Klägers waren symmetrisch normal ausgebildet. Die Schulterfunktionsgriffe waren für den Kläger beidseits frei durchführbar, die grobe Kraft war nicht gemindert. Der Bewegungsablauf in den Schultergelenken war harmonisch, die Impingementzeichen über beiden Schultern negativ. Eine kraftvolle Abduktion war dem Kläger auch gegen Widerstand beidseits möglich. Auch an den anderen Gelenken der oberen Extremitäten ergaben sich keinerlei Auffälligkeiten. Die Hände wiesen eine seitengleiche normale Beschwielung auf. Eine Kraftminderung war beidseits nicht objektivierbar. Sämtliche Funktionsgriffe waren dem Kläger vollständig beidseits möglich.

An den unteren Extremitäten stehen die Folgen der Sprunggelenksverletzung vom August 2005 im Vordergrund. Dr. I. stellte beim Kläger ein reguläres Muskelrelief der unteren Extremität beidseits ohne Muskelmasseminderung als Ausdruck einer Gebrauchsminderung des rechten Beins fest. Er wies darauf hin, dass die Fußsohlenbeschwielung beim Kläger beidseits regulär ist. Auffällig sei lediglich ein teilkontrakter Spitzfuß mit Verlust der Streckfähigkeit im Sprunggelenk rechts und deutlicher konzentrischer Bewegungseinschränkung des unteren Sprunggelenks. Die vom Kläger demonstrierte starke Schmerzhaftigkeit lasse sich orthopädischerseits nicht ganz nachvollziehen. Jedenfalls lässt sich nach den den Senat überzeugenden Ausführungen von Dr. I., denen er sich anschließt, aus den leichten Verschleißveränderungen am oberen Sprunggelenk und am Großzehengrundgelenk eine wesentliche Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit nicht ableiten. Die vom Kläger dargebotene Entlastung des Sprunggelenks sei aus orthopädischer Sicht nicht erforderlich und werde angesichts einer fehlenden Arthropie des Knochens und bei regulärer Muskelummantelung und Fußsohlenbeschwielung nicht konsequent durchgeführt.

Im Übrigen konnte Dr. I. an den unteren Extremitäten keine gravierenden Einschränkungen feststellen. An den Hüftgelenken zeigte sich ein diskreter Außenrotationsschmerz rechts bei ansonsten freier Beweglichkeit. Radiologisch besteht beim Kläger ein im Wesentlichen altersentsprechender Hüftbefund.

Hieraus hat Dr. I. überzeugend gefolgert, dass eine quantitative Leistungseinschränkung beim Kläger nicht zu begründen ist. Auch eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit liege beim Kläger nicht vor.

Die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. H. konnte den Senat nicht überzeugen. Sie beruht auch nicht auf einer abweichenden Beurteilung des orthopädischen Befundes. Wesentlich andere Befunde hat Dr. H. nicht erhoben. Er hat sogar ausdrücklich ausgeführt, bei seiner Untersuchung hätten sich keine objektiv fassbaren Gründe für die angegebene Beschwerdesymptomatik feststellen lassen. Auch hat er die angegebenen Beschwerden nur als bedingt glaubhaft und nachvollziehbar eingestuft. Eine nachvollziehbare orthopädische Begründung für seinen Vorschlag der Gewährung einer auf ein Jahr zeitlich befristeten Rente wegen Erwerbsminderung ist der Sachverständige schuldig geblieben. Dr. H. hat vielmehr - fachfremd - aufgrund des ungewöhnlich lang anhaltenden Verlaufs auf eine psychische bis psychosomatische Komponente des Schmerzsyndroms abgestellt. Im Wesentlichen hat er sich dabei allein auf die Angaben des Klägers gestützt, diese jedoch nicht kritisch hinterfragt. So hat bereits Dr. F. in seinem Gutachten vom 12. Juni 2010 festgestellt, dass der Kläger auf die Benutzung einer Krücke nicht angewiesen ist.

Auch aus den psychischen Komponenten des Schmerzsyndroms lässt sich nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. J. eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers nicht herleiten. Bei der Untersuchung durch Dr. J. zeigte sich am Bewegungsapparat des Klägers kein eindeutiger pathologischer Befund. Bei der Motorikprüfung ergab sich ein mittleres Reflexniveau ohne wesentliche Seitendifferenzen. Auch die Kraftprüfung erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Angesichts der fehlenden Muskelarthropie am rechten Fuß und Unterschenkel kann davon ausgegangen werden, dass eine nennenswerte Schonung des rechten Beins nicht besteht. Am Sprunggelenk des rechten Fußes ließen sich auch keine nennenswerten Weichteilschwellungen erkennen. Im Rahmen der psychopathologischen Untersuchung zeigten sich keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine depressive Verstimmung. Auffallend war vielmehr eine druckvolle Klagsamkeit. Die affektive Schwingungsfähigkeit war hingegen ausreichend erhalten, höhergradige kognitive Defizite waren - abgesehen von einer relativ deutlich ausgeprägten Dyskalkulie - nicht feststellbar. Auffallend waren allerdings relativ deutliche aggravatorische Verhaltensweisen des Klägers, die auch bereits von Dr. K. in seiner am 18. Oktober 2007 durchgeführten Untersuchung festgestellt worden waren. Dr. J. hat darauf hingewiesen, dass der Kläger auch freiwillig auf eine regelmäßige Medikamenteneinnahme verzichtet und sich keiner angemessenen Therapie des Schmerzsyndroms und der wiederholt bescheinigten Affektstörung unterzogen hat.

Aus alledem hat Dr. J. unter Mitberücksichtigung der orthopädischen Gesundheitsstörungen überzeugend abgeleitet, dass sich eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers nicht begründen lässt.

Der nachgereichte Arztbericht der W. Kliniken über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 6. bis 17. November 2012 führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierin wird nicht über neue Gesundheitsstörungen bzw. Funktonseinschränkungen des Klägers berichtet. Eine Leistungsbeurteilung des Klägers ist in diesen Berichten nicht enthalten. Das Gutachten von Dr. J. lag den W. Kliniken vor, da es dem Kläger von den behandelnden Ärzten in dieser Einrichtung erläutert worden ist. Einwendungen gegen die Ausführungen und insbesondere die Leistungsbeurteilung von Dr. J. werden von Seiten der W. Kliniken nicht erhoben. Dasselbe gilt auch für den nachgereichten Befundbericht des behandelnden Nervenarztes P ...

Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats damit noch in der Lage, mindestens 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte und sogar zeitweise mittelschwere Arbeiten zu verrichten.

Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögen des Klägers von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorläge und dem Kläger keine Tätigkeit benannt werden könnte, die er trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Angesichts eines Leistungsvermögens für zeitweise mittelschwere Arbeiten, die im Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig verrichtet werden können und nur einer geringen Anzahl von gewöhnlichen qualitativen Leistungseinschränkungen, scheidet die Annahme einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sicher aus. Sowohl Dr. I. als auch Dr. J. haben darüber hinaus dem Kläger bescheinigt, dass er noch in der Lage ist, Tätigkeiten zu verrichten, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen. Schließlich wurde von den Gerichtsachverständigen übereinstimmend keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit des Klägers angenommen. Gegen eine Einschränkung der Wegefähigkeit spricht vor allem die bereits von Dr. K. festgestellte fehlende Arthropie des rechten Beines sowie die normale Fußsohlenbeschwielung. Dr. H. hat sich auch insoweit - den Senat nicht überzeugend - allein auf die diesbezüglichen Angaben des Klägers verlassen und eine am objektiven Befund orientierte Überprüfung dieser Angaben unterlassen.

Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1, 2 SGB VI scheidet gleichermaßen aus. Der letzte Arbeitgeber hat erklärt, dass die vom Kläger dort verrichtete Tätigkeit als Reinigungskraft eine ungelernte Tätigkeit war. Der Kläger ist damit nach dem sog. Stufenschema des BSG als ungelernter Arbeiter einzustufen mit der Folge, dass er uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann. Die Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Da der Kläger - wie oben dargestellt - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr aufweist, kommt damit auch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht.

Das diesem Ergebnis entgegenstehende Urteil des SG war damit aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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