Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 4446/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2084/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der BK 4101 ist die Bochumer Empfehlung maßgebend. Danach ist nicht der radiologische nachweisbare Befund, sondern die mit den Veränderungen verbundenen Einschränkungen entscheidend.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. März 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen einer von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung [Silikose] - im folgenden BK 4101) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.
Der 1962 geborene Kläger ist seit 1978 mit Unterbrechungen (Bundeswehr vom 1. Januar bis 31. August 1983; Gleisbau 1985 bis 1987) als Steinmetz tätig (Bl. 8 V-Akte).
Am 18. November 2005 wurde der Kläger wegen einer beidseitigen Pneumonie mit Pleuraerguss links in der Klinik L. aufgenommen und stationär bis zum 23. November 2005 behandelt. Dabei wurde die Verdachtsdiagnose einer Silikose gestellt und der Beklagten am 28. November 2005 angezeigt (Bl. 2 V-Akte).
Die Beklagte holte zunächst eine Auskunft bei dem aktuellen Arbeitgeber des Klägers, der Steinsanierung und Denkmalpflege C., wo der Kläger seit 25. November 1985 als Werkstattleiter tätig ist, ein. Diese teilte mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 mit, der Kläger sei mit Steinmetz- und Steinbildhauerarbeiten beschäftigt gewesen, habe alle G-20-Untersuchungen regelmäßig eingehalten, zuletzt am 6. Februar 2004, und sei Raucher (Bl. 13 f. V-Akte).
Der Präventionsdienst der Beklagten (PD) ermittelte auf der Basis der von den Firmen Sch. und H. sowie Steinsanierung und Denkmalpflege C. mitgeteilten Arbeiten mit quarzhaltigen Materialien wie den klägerischen Angaben, dass der Kläger nach seiner Lehre von 1981 bis 1985 bei der Firma Sch. und H. zu 90 % seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien und seit 1987 bei der Firma Steinsanierung und Denkmalpflege C. zu 100 % seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien verarbeitet habe und dabei der Arbeitsplatzgrenzwert (zur Zeit 0,15 mg/m3) überschritten worden sei. Der Kläger sei von 1981 bis 2005 Raucher gewesen und habe 20 Zigaretten pro Tag konsumiert (Bl. 18 ff. V-Akte).
Ferner zog die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der AOK (Bl. 26 ff. V-Akte) sowie den Entlassungsbericht der Klinik L. vom 25. November 2005 (kleinfleckige Infiltrationen des subpleuralen Lungenparenchyms) bei.
Schließlich veranlasste die Beklagte eine lungenärztliche Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung. Dr. B. beschrieb eine leichtgradige zentral- und leicht bis mittelgradige peripher-bronchiale Obstruktion sowie eine bronchiale Hyperreagibilität von annähernd asthmatypischem Grade. Er diagnostizierte eine Silikose I (bis II), COPD (Schweregrad II nach GOLD), bronchiale Hyperreagibilität/Asthmaneigung, langjährigen Nikotinkonsum, Zustand nach Pneumonie beidseits 11/2005 mit Pleuraerguss, diffuse Hepatopathie (z. B. äthyltoxisch) sowie Hyperurikämie. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der BK 4101 seien gegeben, wobei es sich um eine gering gestreute Silikose handele. Auch der geschilderte Nikotinkonsum von 20 bis 30 Zigaretten seit dem 16. Lebensjahr könne zu der obstruktiven Atemwegserkrankung mit Emphysembildung führen. Im speziellen Fall sei die BK auf die leichtere Gasaustauschstörung unter Belastung/Tendenz zur Belastungshypoxämie zurückzuführen. Die anderen Erkrankungen seien nicht beruflich verursacht. Die MdE werde auf 10 vom Hundert (v. H.) seit eindeutiger Diagnosestellung 11/2005 eingeschätzt. Dabei sei berücksichtigt, dass die obstruktive Atemwegserkrankung bislang unbehandelt und einer medikamentösen Behandlung/therapeutischen Maßnahmen zugänglich sei (Bl. 63 ff. V-Akte).
Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dres. R. und St., Klinik für Berufskrankheiten Bad R., ein. Diese führten aus, die geringgradige Silikose erfülle die Voraussetzung der BK 4101, wobei der beobachtete Abfall des Sauerstoffpartialdruckes unter körperlicher Belastung Folge der emphysematösen Lungenveränderung sei. Die Silikose sei auch nicht ursächlich für die bronchiale Hyperreagibilität, zumal die Quarzstaub-Exposition über Tage stattgefunden habe. Eine BK-bedingte Lungenfunktionsbeeinträchtigung liege nicht vor und eine MdE aufgrund der BK 4101 bestehe derzeit nicht (Bl. 92 ff. V-Akte).
Gestützt hierauf anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2006 eine Silikose als Folge der BK 4101 an und lehnte einen Anspruch auf Verletztenrente ab, da die geringgradige Silikose keine Einschränkung der Lungenfunktion bedinge. Nicht als Folgen der Berufskrankheit wurden die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, die bronchiale Hyperreagibilität, der Zustand nach Pneumonie, der Nikotinkonsum, die diffuse Hepatopathie und die Hyperurikämie anerkannt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger erstmalig vom 7. Februar bis 7. März 2007 eine stationäre Heilbehandlung in der Klinik für Berufskrankheiten Bad R ... Unter Therapie zeigte sich ein regelrechter Atemwegswiderstand, die Lungenüberblähung bildete sich bis auf eine mäßige Ausprägung zurück, Husten und Auswurf bestanden am Ende des Heilverfahrens nicht mehr. Unter Nikotinersatztherapie sowie psychologischer Unterstützung konnte der Kläger das inhalative Zigarettenrauchen vollständig einstellen (Bl. 117 f. V-Akte).
Danach gewährte die Beklagte dem Kläger erneut ein stationäres Heilverfahren vom 12. Januar bis 9. Februar 2010 in der Klinik für Berufskrankheiten Bad R ... Hierbei zeigte sich eine mäßige, gut reversible zentrale und schwere periphere obstruktive Ventilationsstörung. Der Atemwegswiderstand konnte unter Therapie im Normbereich gemessen werden. Die Lungenüberblähung war auf eine mäßige Ausprägung zurückzubilden. Die respiratorische Insuffizienz in Ruhe und unter Belastung war am Ende der Behandlung nicht mehr zu zeigen. Unter Nikotinersatztherapie und verhaltenstherapeutischer Betreuung konnte der Kläger das Tabakrauchen deutlich reduzieren, so dass auch der Hustenreiz gelindert war. Insgesamt wurden die Anwendungen gut vertragen und es kam zu einer guten Allgemeinerholung (Bl. 139 f. V-Akte).
In ihrem im Rahmen des letzten Heilverfahrens erstellten Gutachten kamen Dres. R. und St. zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (AWMS-Leitlinie) die vorliegende obstruktive Ventilationsstörung als rechtlich wesentlich durch die bestehende Silikose verursacht anzusehen sei. Die hierdurch verursachte BK-bedingte MdE sei mit 20 v. H. ab 5. Juli 2006 zu berücksichtigen, da diese anlässlich der gutachtlichen Untersuchung beschrieben worden sei. Hingegen sei die mitgeteilte Lungenfunktionsanalyse vom 25. November 2005 angesichts der beiderseitigen Pneumonie nicht aussagefähig.
Gestützt hierauf nahm die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 5. August 2010 den Bescheid vom 24. August 2006 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und bewilligte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. ab 6. Juli 2006. Hierbei berücksichtigte sie eine radiologisch nachgewiesene Quarzstaublungenerkrankung mit mäßiger zentraler und deutlicher peripherer obstruktiver Ventilationsstörung (Bl. 170 ff. V-Akte).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, die Beklagte habe eine zwischenzeitlich festgestellte Asbestose ebenso wenig wie ein Karpaltunnelsyndrom berücksichtigt, so dass die MdE mindestens 50 v. H. betragen müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei der Einschätzung der berufskrankheitsbedingten MdE könnten nur die Folgen der BK, nicht jedoch davon unabhängige Erkrankungen berücksichtigt werden. Das Gutachten Dres. R. und St. habe bestätigt, dass die durch die BK begründete MdE lediglich 20 v. H. betrage.
Hiergegen hat der Kläger am 1. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2010 hat die Beklagte eine BK 4103 - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura - anerkannt, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente indessen abgelehnt, da dadurch keine MdE begründet werde. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011) wie das angestrengte Klageverfahren beim SG (S 5 U 729/11), nachdem der Kläger im Erörterungstermin vom 14. März 2012 die Klage zurückgenommen hat.
In dem parallel geführten Rechtsstreit um Anerkennung einer Drucklähmung der Nerven als BK 2106 hat sich die Beklagte im Erörterungstermin vom 14. März 2012 verpflichtet, den bestandskräftigen Bescheid vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2008 nach § 44 SGB X zu überprüfen (S 5 U 1772/11).
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG ein weiteres lungenärztliches Gutachten bei Dr. G., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Innere Medizin, Allergologie und Umweltmedizin, eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Befund seit November 2005 kaum verändert habe. Lediglich die 2006 initial vorhandene Lungenentzündung habe sich vollständig zurückgebildet. Eine Zunahme der Obstruktion sei nicht zu registrieren. Eine wesentliche Störung des pulmonalen Gaswechsels liege nicht vor, auch keine Zeichen einer vermehrten Rechtsherzbelastung. Der Kläger leide nach Aufgabe des Rauchens nur noch an einer ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung, wobei sich bei der klinischen Untersuchung kein obstruktionstypisches Atemgeräusch habe provozieren lassen. Die Obstruktion sei nicht reversibel, d.h. durch Medikamente nicht rückführbar. Unter Zugrundelegung der sogenannten Bochumer Empfehlung, wonach nicht der radiologisch nachweisbare Befund, sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion) maßgebend für die Beurteilung der Leistungseinschränkungen seien, entspreche die bestehende Leistungsminderung einer MdE von 20 v. H. Lediglich bei der Erstdiagnose sei die Lungenfunktionsuntersuchung noch etwas schlechter ausgefallen als die aktuelle, was jedoch auf die gleichzeitige Lungenentzündung zurückzuführen sei. Die leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung habe sich seit 2006 nicht wesentlich geändert. Eine restriktive Ventilationsstörung bestehe dagegen nicht.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 14. März 2012 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten Dres. R. und St. wie auch Dr. G. mit Urteil vom 26. März 2012 zurückgewiesen. Unter Zugrundelegung der anamnestischen Angaben des Klägers, der klinischen Befunde, der Ergebnisse der Lungenfunktionsprüfungen, der Blutgasanalysen, der Spiroergometrie und der Therapie sei die übereinstimmende Bewertung der MdE mit 20 v. H. plausibel. Es seien weder Gründe ersichtlich noch vorgetragen, die ein Abweichen von dem übereinstimmenden Vorschlag der erfahrenen Sachverständigen rechtfertigen würden.
Gegen das am 17. April 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Mai 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, unter Anwendung der "Bochumer Empfehlung" und der dort abgebildeten Tabelle mit Richtwerten zur MdE-Einschätzung ergebe sich eine MdE von 30 v. H. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die anerkannte Asbestose mit einer MdE von 20 v. H. bewertet werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. März 2012 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2010 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass das Sachverständigengutachten von Dr. G. die bisherige Beurteilung bestätigt habe, wonach die anerkannte Silikose nicht zu einer Störung des pulmonalen Gaswechsels geführt habe, die so signifikant sei, dass sie eine MdE von mehr als 20 v. H. rechtfertigen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie das Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten S 5 U 4446/10, S 5 U 729/11 und S 5 U 1772/11 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger erstrebte Leistung ist § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind dabei nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
In Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigen die von der Beklagten anerkannte BK 4101 und die dadurch verursachten Funktionsbeeinträchtigungen auch zur Überzeugung des Senats keine MdE von mehr als 20 v. H. Dabei kommt es auf die dadurch begründeten Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Feststellung der MdE, nicht hingegen die Leistungseinschränkungen durch die BK 4103 oder BK 2106 an, denn diese sind, was die Beklagte zu Recht mit ihrer Berufungserwiderung vorgetragen hat, nicht streitbefangen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang klarstellend darauf hin, dass der Kläger die Klage wegen der BK 4103 zurückgenommen hat, so dass somit bestandskräftig feststeht, dass die anerkannte Asbestose keine MdE begründet. Hinsichtlich der BK 2106 ist sogar deren Anerkennung streitig.
Der Kläger leidet danach an einer nur leichtgradigen Silikose, die zu einer leichten obstruktiven Ventilationsstörung führt und der deswegen mit einer MdE von 20 v. H. ausreichend Rechnung getragen wird. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten von Dr. G ... Seine Einschätzung beruht auf der Auswertung der Voruntersuchungsbefunde von Dres. R. und St ... Alle drei Ärzte gehen davon aus, dass die Silikose allenfalls als leichtgradig zu bewerten ist. Dafür spricht, dass der Kläger nur noch an einer ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung leidet, wobei sich bei der klinischen Untersuchung kein obstruktionstypisches Atemgeräusch hat provozieren lassen. Nach der sogenannten Bochumer Empfehlung ist nicht der radiologisch nachweisbare Befund, sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion) maßgebend und begründet eine gesicherte Silikose mit geringgradiger Belastungsdysnope mit normalem oder vermindertem Sauerstoffpartialdruck bei sehr hoher Belastung (100 % des Sollwerts) eine MdE von 20 v. H. (Mertens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4101 S. 21; Sch.berger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, 17.2.9. Nr. S. 1017).
Nach den Untersuchungsbefunden des Sachverständigen Dr. G. ist dies beim Kläger der Fall, der bei der Anamnese keine Ruhedyspnoe oder Zyanose zeigte. Auch die Spiroergometrie/Bodyplethysmographie ergab eine maximal erzielte Sauerstoffaufnahme von 1621 ml/min (65 % des Zielwertes) bei hoher Atemreserve (50 %) und mäßiger Herzfrequenzreserve zu Belastungsende, so dass die anerobe Schwelle auf der 90-Wattstufe erreicht wurde und damit im Normbereich liegt. Somit ist der Sachverständige zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass im Bereich mittlerer körperlicher Anstrengung eine ventilatorische Leistungslimitation nicht erkennbar ist, so dass ein Funktionsdefizit bis im mittleren Bereich nicht nachweisbar ist. Eine Rechtsherzbelastung bestand ebenfalls nicht. Das wurde auch durch die Analyse der Volumenzeitkurven, Flussvolumenkurven und Flussdruckkurven wie den Bronchospasmolysetest bestätigt, die jeweils nur eine leichtgradig fixierte bronchiale Obstruktion und Verschiebung der Atemmittellage (Überblähung) ergaben. Der pulmonale Gaswechsel schließlich war bis auf eine grenzwertige Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid nicht eingeschränkt. Eine Hypoxämie in Ruhe und unter Belastung bestand nicht, so dass insgesamt die gutachterliche Schlussfolgerung, dass eine klinisch signifikante Störung des pulmonalen Gaswechsels nicht vorliegt, auch für den Senat gut begründet und nachvollziehbar ist.
Dass bei der Erstdiagnose 2005 die Lungenfunktionsuntersuchung schlechter ausgefallen ist, ist nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen allein darauf zurückzuführen, dass der Kläger damals noch an einer akuten Lungenentzündung litt. Das wird aus Sicht des Senats dadurch bestätigt, dass bereits die erste gutachterliche Untersuchung von Dr. B. vom 5. Juli 2006, mithin mit ausreichendem Abstand zur durchgemachten Lungenentzündung, eine nur leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung zeigte, die sich seitdem nicht wesentlich geändert hat.
Insoweit ist eine Quantifizierung des zigarettenrauchbedingten Anteils der Funktionsminderung nicht möglich, der Sachverständige geht deswegen zu Recht davon aus, dass der Einwirkung des silikogenen Staubs ein rechtlich wesentlicher Anteil für die Entstehung des Krankheitsbildes und die Lungenfunktionsminderung zukommt.
Anhaltspunkte dafür, warum die MdE in Anbetracht der Funktionsprüfungen im Falle des Klägers nicht ausreichend bemessen sein soll, wurden nicht konkret vorgetragen und sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
Der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen einer von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung [Silikose] - im folgenden BK 4101) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.
Der 1962 geborene Kläger ist seit 1978 mit Unterbrechungen (Bundeswehr vom 1. Januar bis 31. August 1983; Gleisbau 1985 bis 1987) als Steinmetz tätig (Bl. 8 V-Akte).
Am 18. November 2005 wurde der Kläger wegen einer beidseitigen Pneumonie mit Pleuraerguss links in der Klinik L. aufgenommen und stationär bis zum 23. November 2005 behandelt. Dabei wurde die Verdachtsdiagnose einer Silikose gestellt und der Beklagten am 28. November 2005 angezeigt (Bl. 2 V-Akte).
Die Beklagte holte zunächst eine Auskunft bei dem aktuellen Arbeitgeber des Klägers, der Steinsanierung und Denkmalpflege C., wo der Kläger seit 25. November 1985 als Werkstattleiter tätig ist, ein. Diese teilte mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 mit, der Kläger sei mit Steinmetz- und Steinbildhauerarbeiten beschäftigt gewesen, habe alle G-20-Untersuchungen regelmäßig eingehalten, zuletzt am 6. Februar 2004, und sei Raucher (Bl. 13 f. V-Akte).
Der Präventionsdienst der Beklagten (PD) ermittelte auf der Basis der von den Firmen Sch. und H. sowie Steinsanierung und Denkmalpflege C. mitgeteilten Arbeiten mit quarzhaltigen Materialien wie den klägerischen Angaben, dass der Kläger nach seiner Lehre von 1981 bis 1985 bei der Firma Sch. und H. zu 90 % seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien und seit 1987 bei der Firma Steinsanierung und Denkmalpflege C. zu 100 % seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien verarbeitet habe und dabei der Arbeitsplatzgrenzwert (zur Zeit 0,15 mg/m3) überschritten worden sei. Der Kläger sei von 1981 bis 2005 Raucher gewesen und habe 20 Zigaretten pro Tag konsumiert (Bl. 18 ff. V-Akte).
Ferner zog die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der AOK (Bl. 26 ff. V-Akte) sowie den Entlassungsbericht der Klinik L. vom 25. November 2005 (kleinfleckige Infiltrationen des subpleuralen Lungenparenchyms) bei.
Schließlich veranlasste die Beklagte eine lungenärztliche Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung. Dr. B. beschrieb eine leichtgradige zentral- und leicht bis mittelgradige peripher-bronchiale Obstruktion sowie eine bronchiale Hyperreagibilität von annähernd asthmatypischem Grade. Er diagnostizierte eine Silikose I (bis II), COPD (Schweregrad II nach GOLD), bronchiale Hyperreagibilität/Asthmaneigung, langjährigen Nikotinkonsum, Zustand nach Pneumonie beidseits 11/2005 mit Pleuraerguss, diffuse Hepatopathie (z. B. äthyltoxisch) sowie Hyperurikämie. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der BK 4101 seien gegeben, wobei es sich um eine gering gestreute Silikose handele. Auch der geschilderte Nikotinkonsum von 20 bis 30 Zigaretten seit dem 16. Lebensjahr könne zu der obstruktiven Atemwegserkrankung mit Emphysembildung führen. Im speziellen Fall sei die BK auf die leichtere Gasaustauschstörung unter Belastung/Tendenz zur Belastungshypoxämie zurückzuführen. Die anderen Erkrankungen seien nicht beruflich verursacht. Die MdE werde auf 10 vom Hundert (v. H.) seit eindeutiger Diagnosestellung 11/2005 eingeschätzt. Dabei sei berücksichtigt, dass die obstruktive Atemwegserkrankung bislang unbehandelt und einer medikamentösen Behandlung/therapeutischen Maßnahmen zugänglich sei (Bl. 63 ff. V-Akte).
Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dres. R. und St., Klinik für Berufskrankheiten Bad R., ein. Diese führten aus, die geringgradige Silikose erfülle die Voraussetzung der BK 4101, wobei der beobachtete Abfall des Sauerstoffpartialdruckes unter körperlicher Belastung Folge der emphysematösen Lungenveränderung sei. Die Silikose sei auch nicht ursächlich für die bronchiale Hyperreagibilität, zumal die Quarzstaub-Exposition über Tage stattgefunden habe. Eine BK-bedingte Lungenfunktionsbeeinträchtigung liege nicht vor und eine MdE aufgrund der BK 4101 bestehe derzeit nicht (Bl. 92 ff. V-Akte).
Gestützt hierauf anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2006 eine Silikose als Folge der BK 4101 an und lehnte einen Anspruch auf Verletztenrente ab, da die geringgradige Silikose keine Einschränkung der Lungenfunktion bedinge. Nicht als Folgen der Berufskrankheit wurden die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, die bronchiale Hyperreagibilität, der Zustand nach Pneumonie, der Nikotinkonsum, die diffuse Hepatopathie und die Hyperurikämie anerkannt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger erstmalig vom 7. Februar bis 7. März 2007 eine stationäre Heilbehandlung in der Klinik für Berufskrankheiten Bad R ... Unter Therapie zeigte sich ein regelrechter Atemwegswiderstand, die Lungenüberblähung bildete sich bis auf eine mäßige Ausprägung zurück, Husten und Auswurf bestanden am Ende des Heilverfahrens nicht mehr. Unter Nikotinersatztherapie sowie psychologischer Unterstützung konnte der Kläger das inhalative Zigarettenrauchen vollständig einstellen (Bl. 117 f. V-Akte).
Danach gewährte die Beklagte dem Kläger erneut ein stationäres Heilverfahren vom 12. Januar bis 9. Februar 2010 in der Klinik für Berufskrankheiten Bad R ... Hierbei zeigte sich eine mäßige, gut reversible zentrale und schwere periphere obstruktive Ventilationsstörung. Der Atemwegswiderstand konnte unter Therapie im Normbereich gemessen werden. Die Lungenüberblähung war auf eine mäßige Ausprägung zurückzubilden. Die respiratorische Insuffizienz in Ruhe und unter Belastung war am Ende der Behandlung nicht mehr zu zeigen. Unter Nikotinersatztherapie und verhaltenstherapeutischer Betreuung konnte der Kläger das Tabakrauchen deutlich reduzieren, so dass auch der Hustenreiz gelindert war. Insgesamt wurden die Anwendungen gut vertragen und es kam zu einer guten Allgemeinerholung (Bl. 139 f. V-Akte).
In ihrem im Rahmen des letzten Heilverfahrens erstellten Gutachten kamen Dres. R. und St. zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (AWMS-Leitlinie) die vorliegende obstruktive Ventilationsstörung als rechtlich wesentlich durch die bestehende Silikose verursacht anzusehen sei. Die hierdurch verursachte BK-bedingte MdE sei mit 20 v. H. ab 5. Juli 2006 zu berücksichtigen, da diese anlässlich der gutachtlichen Untersuchung beschrieben worden sei. Hingegen sei die mitgeteilte Lungenfunktionsanalyse vom 25. November 2005 angesichts der beiderseitigen Pneumonie nicht aussagefähig.
Gestützt hierauf nahm die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 5. August 2010 den Bescheid vom 24. August 2006 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und bewilligte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. ab 6. Juli 2006. Hierbei berücksichtigte sie eine radiologisch nachgewiesene Quarzstaublungenerkrankung mit mäßiger zentraler und deutlicher peripherer obstruktiver Ventilationsstörung (Bl. 170 ff. V-Akte).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, die Beklagte habe eine zwischenzeitlich festgestellte Asbestose ebenso wenig wie ein Karpaltunnelsyndrom berücksichtigt, so dass die MdE mindestens 50 v. H. betragen müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei der Einschätzung der berufskrankheitsbedingten MdE könnten nur die Folgen der BK, nicht jedoch davon unabhängige Erkrankungen berücksichtigt werden. Das Gutachten Dres. R. und St. habe bestätigt, dass die durch die BK begründete MdE lediglich 20 v. H. betrage.
Hiergegen hat der Kläger am 1. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2010 hat die Beklagte eine BK 4103 - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura - anerkannt, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente indessen abgelehnt, da dadurch keine MdE begründet werde. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011) wie das angestrengte Klageverfahren beim SG (S 5 U 729/11), nachdem der Kläger im Erörterungstermin vom 14. März 2012 die Klage zurückgenommen hat.
In dem parallel geführten Rechtsstreit um Anerkennung einer Drucklähmung der Nerven als BK 2106 hat sich die Beklagte im Erörterungstermin vom 14. März 2012 verpflichtet, den bestandskräftigen Bescheid vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2008 nach § 44 SGB X zu überprüfen (S 5 U 1772/11).
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG ein weiteres lungenärztliches Gutachten bei Dr. G., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Innere Medizin, Allergologie und Umweltmedizin, eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Befund seit November 2005 kaum verändert habe. Lediglich die 2006 initial vorhandene Lungenentzündung habe sich vollständig zurückgebildet. Eine Zunahme der Obstruktion sei nicht zu registrieren. Eine wesentliche Störung des pulmonalen Gaswechsels liege nicht vor, auch keine Zeichen einer vermehrten Rechtsherzbelastung. Der Kläger leide nach Aufgabe des Rauchens nur noch an einer ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung, wobei sich bei der klinischen Untersuchung kein obstruktionstypisches Atemgeräusch habe provozieren lassen. Die Obstruktion sei nicht reversibel, d.h. durch Medikamente nicht rückführbar. Unter Zugrundelegung der sogenannten Bochumer Empfehlung, wonach nicht der radiologisch nachweisbare Befund, sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion) maßgebend für die Beurteilung der Leistungseinschränkungen seien, entspreche die bestehende Leistungsminderung einer MdE von 20 v. H. Lediglich bei der Erstdiagnose sei die Lungenfunktionsuntersuchung noch etwas schlechter ausgefallen als die aktuelle, was jedoch auf die gleichzeitige Lungenentzündung zurückzuführen sei. Die leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung habe sich seit 2006 nicht wesentlich geändert. Eine restriktive Ventilationsstörung bestehe dagegen nicht.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 14. März 2012 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten Dres. R. und St. wie auch Dr. G. mit Urteil vom 26. März 2012 zurückgewiesen. Unter Zugrundelegung der anamnestischen Angaben des Klägers, der klinischen Befunde, der Ergebnisse der Lungenfunktionsprüfungen, der Blutgasanalysen, der Spiroergometrie und der Therapie sei die übereinstimmende Bewertung der MdE mit 20 v. H. plausibel. Es seien weder Gründe ersichtlich noch vorgetragen, die ein Abweichen von dem übereinstimmenden Vorschlag der erfahrenen Sachverständigen rechtfertigen würden.
Gegen das am 17. April 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Mai 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, unter Anwendung der "Bochumer Empfehlung" und der dort abgebildeten Tabelle mit Richtwerten zur MdE-Einschätzung ergebe sich eine MdE von 30 v. H. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die anerkannte Asbestose mit einer MdE von 20 v. H. bewertet werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. März 2012 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2010 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass das Sachverständigengutachten von Dr. G. die bisherige Beurteilung bestätigt habe, wonach die anerkannte Silikose nicht zu einer Störung des pulmonalen Gaswechsels geführt habe, die so signifikant sei, dass sie eine MdE von mehr als 20 v. H. rechtfertigen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie das Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten S 5 U 4446/10, S 5 U 729/11 und S 5 U 1772/11 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger erstrebte Leistung ist § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind dabei nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
In Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigen die von der Beklagten anerkannte BK 4101 und die dadurch verursachten Funktionsbeeinträchtigungen auch zur Überzeugung des Senats keine MdE von mehr als 20 v. H. Dabei kommt es auf die dadurch begründeten Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Feststellung der MdE, nicht hingegen die Leistungseinschränkungen durch die BK 4103 oder BK 2106 an, denn diese sind, was die Beklagte zu Recht mit ihrer Berufungserwiderung vorgetragen hat, nicht streitbefangen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang klarstellend darauf hin, dass der Kläger die Klage wegen der BK 4103 zurückgenommen hat, so dass somit bestandskräftig feststeht, dass die anerkannte Asbestose keine MdE begründet. Hinsichtlich der BK 2106 ist sogar deren Anerkennung streitig.
Der Kläger leidet danach an einer nur leichtgradigen Silikose, die zu einer leichten obstruktiven Ventilationsstörung führt und der deswegen mit einer MdE von 20 v. H. ausreichend Rechnung getragen wird. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten von Dr. G ... Seine Einschätzung beruht auf der Auswertung der Voruntersuchungsbefunde von Dres. R. und St ... Alle drei Ärzte gehen davon aus, dass die Silikose allenfalls als leichtgradig zu bewerten ist. Dafür spricht, dass der Kläger nur noch an einer ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung leidet, wobei sich bei der klinischen Untersuchung kein obstruktionstypisches Atemgeräusch hat provozieren lassen. Nach der sogenannten Bochumer Empfehlung ist nicht der radiologisch nachweisbare Befund, sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion) maßgebend und begründet eine gesicherte Silikose mit geringgradiger Belastungsdysnope mit normalem oder vermindertem Sauerstoffpartialdruck bei sehr hoher Belastung (100 % des Sollwerts) eine MdE von 20 v. H. (Mertens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4101 S. 21; Sch.berger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, 17.2.9. Nr. S. 1017).
Nach den Untersuchungsbefunden des Sachverständigen Dr. G. ist dies beim Kläger der Fall, der bei der Anamnese keine Ruhedyspnoe oder Zyanose zeigte. Auch die Spiroergometrie/Bodyplethysmographie ergab eine maximal erzielte Sauerstoffaufnahme von 1621 ml/min (65 % des Zielwertes) bei hoher Atemreserve (50 %) und mäßiger Herzfrequenzreserve zu Belastungsende, so dass die anerobe Schwelle auf der 90-Wattstufe erreicht wurde und damit im Normbereich liegt. Somit ist der Sachverständige zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass im Bereich mittlerer körperlicher Anstrengung eine ventilatorische Leistungslimitation nicht erkennbar ist, so dass ein Funktionsdefizit bis im mittleren Bereich nicht nachweisbar ist. Eine Rechtsherzbelastung bestand ebenfalls nicht. Das wurde auch durch die Analyse der Volumenzeitkurven, Flussvolumenkurven und Flussdruckkurven wie den Bronchospasmolysetest bestätigt, die jeweils nur eine leichtgradig fixierte bronchiale Obstruktion und Verschiebung der Atemmittellage (Überblähung) ergaben. Der pulmonale Gaswechsel schließlich war bis auf eine grenzwertige Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid nicht eingeschränkt. Eine Hypoxämie in Ruhe und unter Belastung bestand nicht, so dass insgesamt die gutachterliche Schlussfolgerung, dass eine klinisch signifikante Störung des pulmonalen Gaswechsels nicht vorliegt, auch für den Senat gut begründet und nachvollziehbar ist.
Dass bei der Erstdiagnose 2005 die Lungenfunktionsuntersuchung schlechter ausgefallen ist, ist nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen allein darauf zurückzuführen, dass der Kläger damals noch an einer akuten Lungenentzündung litt. Das wird aus Sicht des Senats dadurch bestätigt, dass bereits die erste gutachterliche Untersuchung von Dr. B. vom 5. Juli 2006, mithin mit ausreichendem Abstand zur durchgemachten Lungenentzündung, eine nur leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung zeigte, die sich seitdem nicht wesentlich geändert hat.
Insoweit ist eine Quantifizierung des zigarettenrauchbedingten Anteils der Funktionsminderung nicht möglich, der Sachverständige geht deswegen zu Recht davon aus, dass der Einwirkung des silikogenen Staubs ein rechtlich wesentlicher Anteil für die Entstehung des Krankheitsbildes und die Lungenfunktionsminderung zukommt.
Anhaltspunkte dafür, warum die MdE in Anbetracht der Funktionsprüfungen im Falle des Klägers nicht ausreichend bemessen sein soll, wurden nicht konkret vorgetragen und sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
Der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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