L 1 KR 378/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 KR 7/09
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 378/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Krankengeld für die Zeit vom 22. August 2008 bis 26. April 2009.

Der 1952 geborene Kläger wurde zunächst zum Koch/Kellner ausgebildet und war dann in der NVA Berufssoldat. Er wurde als Feldscher (militärischer Arzthelfer) eingesetzt und erwarb die Hochschulreife. Nach einem Ausreiseantrag mit einem gescheiterten Fluchtversuch wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt und 1980 in die Bundesrepublik abgeschoben. Dort durchlief er eine Ausbildung zum Versicherungsfachmann und war er von 1985 bis 2000 selbstständiger Versicherungsvertreter. Von 2001 bis 2003 war er als Versicherungsvertreter angestellt.

Er ist seit 01. Oktober 2001 Mitglied der Beklagten. Ab 23. August 2003 war er abwechselnd arbeitsunfähig oder bezog Arbeitslosengeld.

Am 26. Oktober 2007 stellte der Facharzt für Orthopädie Dr. G dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer Lumbalgie bei Bandscheibenprotrusionen aus.

Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 10. Januar 2008 Krankengeld.

Dieser befand sich wegen einer depressiven Episode vom 06. März 2008 bis 17. April 2008 in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik S in T. Er wurde als arbeitsunfähig entlassen, um begonnene orthopädische Behandlungsmaßnahmen fortsetzen zu können. Der Kläger sei (dennoch) in vier Wochen für den allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitsfähig.

Am 10. Juli 2008 fand eine Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) statt. Der Gutachter Dr. H hielt aus orthopädischer Sicht Arbeitsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt für nicht Wirbelsäulen belastende Tätigkeiten und Arbeiten ohne längeres Gehen für gegeben (Diagnosen: lumbale Bandscheibenerkrankung M51.2, degenerative HWS-Veränderungen M47.9 sowie Großzehengrundgelenkarthrose M19.9).

Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme beschied die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 30. Juli 2008, Krankengeld (nur) noch bis zum 03. August 2008 zu zahlen.

Der Kläger legte Widerspruch ein unter Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 01. August 2008 bis 14. August 2008 (Diagnosen M51.2 G, M51.2 G, M47.89 G, M42.99 G). Er reichte ferner Stellungnahmen seines Hausarztes H vom 04. August 2008 sowie der behandelnden Orthopäden vom selben Tag ein.

Ungeachtet des Bescheides leistete die Beklagte Krankengeld noch bis einschließlich 21. August 2008. Sie teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 2008 mit, danach sei der Krankengeldanspruch erschöpft, weil der Kläger 78 Wochen Krankengeld wegen derselben Krankheit erhalten habe. Der Kläger erhob auch hiergegen Widerspruch (vom 27. August 2008). Der MDK gab eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 wies die Beklagte diesen Widerspruch zurück. Am 14. Oktober 2005 sei erstmals Arbeitsunfähigkeit wegen einer essentiellen Hypertonie festgestellt worden. Die maßgebende Blockfrist für diese Erkrankung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V. Buch (SGB V) verlaufe somit vom 14. Oktober 2005 bis 13. Oktober 2008.

Hiergegen hat der Kläger am 05. Januar 2009 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben: Die Beklagte nutze eine Medikamentenunverträglichkeit zwischen Mai und September 2009 um trotz völlig anderer Erkrankung die Aussteuerung zu erreichen. Durch die Erkrankung seit 26. Oktober 2007 sei vielmehr ein zusätzlicher neuer Krankengeldanspruch von 240 Tagen entstanden.

Seiner Rechtseinschätzung hat sich die Beklagte im Schriftsatz vom 15. April 2009 nach Auswertung eines Befundberichtes angeschlossen. Die Diagnose Hypertonie habe wohl nicht für sich selbst zur Arbeitsunfähigkeit geführt. Eine Zahlung von Krankengeld könne jedoch über den 21. August 2008 nur erfolgen, sofern Arbeitsunfähigkeit vorliege. Bei ihr ruhe ein Widerspruchsverfahren des Klägers hinsichtlich der Dauer der seit 26. Oktober 2007 bestehenden Arbeitsunfähigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2009 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 04. August 2008 gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2008 über die Ablehnung der Zahlung von Krankengeld nach dem 21. August 2008 zurückgewiesen. Die Begutachtung durch den MDK am 11. Juli 2008 habe ergeben, dass der Kläger eine leichte körperliche Tätigkeit in Vollzeit ausüben könne. Er sei deshalb nicht arbeitsunfähig. Die weiteren Untersuchungen seien ausweislich des Zweitgutachtens des MDK vom 29. September 2008 zu keinem anderen Ergebnis gelangt.

Mit Beweisanordnung vom 03. November 2009 hat das SG ein orthopädisches Fachgutachten beim Sachverständigen Dr. T in Auftrag gegeben. Dieser hat den Kläger am 16. Februar 2010 untersucht und gelangt in seinem Gutachten vom 01. März 2010 zu den (gegenwärtigen) Diagnosen eines chronischen lokalen LWS-Syndroms bei muskulären Dysbalancen, leichten degenerativen Veränderungen und leichten bis mäßigen Funktionsstörungen, eines chronischen lokalen HWS-Syndroms mit intermittierenden Cephalgien, leichten degenerativen Veränderungen und leichten Funktionsstörungen, einer beginnenden medialen Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits mit leichten Funktionsstörungen, Knick-Senk-Spreizfuß beidseitig, einer Schmerzchronifizierung Stadium III nach Gerbershagen und Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung, einer Anpassungsstörung mit somatoformen Schmerzen (übernommen aus dem Reha-Bericht von April 2008), sowie eines arteriellen Hypertonus, Tinnitus beidseits, Nierenzyste, Nikotinabusus, rezidivierende Hämorrhoidalbeschwerden und Adipositas. Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger aus orthopädischer Sicht nicht über den 21. August 2008 wegen einer Erkrankung unfähig gewesen sei, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Vielmehr sei er durchaus in der Lage gewesen, eine leichte Tätigkeit mit qualitativen Leistungseinschränkungen auszuüben. Es könne geschlussfolgert werden, dass der Kläger (derzeit) über ein ausreichendes Steh-, Geh- und Sitzvermögen verfüge. Die Benutzung eines Gehstockes sei aus orthopädischer Sicht nicht nachvollziehbar, motorische Ausfälle fehlten. Aus orthopädischer Sicht fehlten harte objektive Befunde, welche die Unfähigkeit untermauern könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer leidensgerechten Tätigkeit nachgehen zu können. Die Wirbelsäulenbeschwerden mit entsprechenden degenerativen Veränderungen bestünden seit Jahren in unveränderter Form und führten zu leichten Funktionsstörungen. Das aktenkundige chronische Schmerzsyndrom sei zu relativieren. Der Hauptanteil der vom Kläger empfunden Schmerzen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit psycho-sozial bedingt. Der Gutachter halte den Kläger auch für psychisch ausreichend stabil, da ihm aber (durch die Reha-Klinik) ein Restleistungsvermögen unterhalb sechs Stunden bescheinigt worden sei, halte er die Einholung eines Zusatzgutachtens für erforderlich.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. April 2010 gegen das Gutachten eingewendet, die Untersuchung habe nur zum geringen Teil aus eigentlichen Untersuchungen bestanden. Ihm seien mehrere Tassen Kaffee gereicht worden, obwohl bekannt sei, dass er extremen Bluthochdruck habe. Die Anamnese sei durcheinander gewürfelt. Aus dem vom Versorgungsamt festgestellten Gesundheitsschaden "psychosomatische Erkrankung" sei eine schwere Depression geworden. Der Gutachten selbst habe ihm zu während der Untersuchung zu Positionswechseln aufgefordert, auf den Fahrstuhl hingewiesen und die Fahrt per Taxi genehmigt. Am interessantesten habe der Gutachter seinen missglückten Fluchtversuch 19 und die anschließende Inhaftierung gefunden.

Das SG hat mit Beweisanordnung vom 20. Mai 2010 den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie – Psychotherapie – Dr. A mit einem psychiatrischen Gutachten beauftragt. Der Gutachter hat nach Untersuchung des Klägers am 06. Juli 2010 und am 08. Juli 2010 unter dem 15. Juli 2010 seine Stellungnahme verfasst. Er ist zu der zusammenfassenden Beurteilung gelangt, beim Kläger bestünde eine Neigung zu Somatisierung und leichtgradigen Anpassungsstörungen, welche jedoch nicht den Schweregrad erreichten, dass dadurch eine Arbeitsunfähigkeit begründet wäre. Zum Zeitpunkt der Exploration sei der Kläger in psychopathologischem Befund völlig unauffällig gewesen. Der Kläger sei aus psychiatrischer Sicht über den 21. August 2008 hinaus fähig gewesen, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Es spreche zwar mehr für als gegen die Annahme, dass der Kläger seinerzeit zwar erkrankt gewesen sei, jedoch nicht arbeitsunfähig erkrankt sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. Oktober 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 22. August 2008 bis zum 26. April 2009. Die Bescheide vom 30. Juli 2008 und vom 11. August 2009 seien in entsprechender Anwendung des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand dieses Verfahrens geworden, da sie, ebenso wie die Bescheide vom 15. August 2008 und vom 10. Dezember 2008 eine Krankengeldzahlung über den 21. August 2008 hinaus abgelehnt hätten. An der Begründung letzterer Bescheide sei jedoch mit Schriftsatz der Beklagten vom 15. April 2009 ausdrücklich nicht festgehalten worden, sodass insoweit von einer Ersetzung auszugehen sei. Daher sei vorliegend ausschließlich über die Bescheide vom 30. Juli 2009 und 11. August 2009 zu entscheiden gewesen. Die Kammer sei aufgrund der vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten überzeugt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum in der Lage gewesen sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

Gegen das ihm am 10. November 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er zusätzlich ausgeführt, seine Arbeitsunfähigkeit habe erst im November 2010 geendet. Das Landesversorgungsamt habe Beschädigungen festgestellt. Er müsse noch heute Heil- und Hilfsmittel verwenden. Neben den ihn behandelnden Ärzte -Orthopäde, Internist und Allgemeinmediziner- hätten ihm auch die beiden Kurträger Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Beweisanordnung der ersten Instanz sei in die falsche Richtung gegangen, weil ausschließlich danach gefragt worden sei, welche Erkrankungen bei dem Kläger aktuell bestünden und nicht in dem streitgegenständlichen Zeitraum bestanden hätten. Es hätten zeitnahe Beurteilungen, Behandlungsunterlagen oder ähnliches der behandelnden Ärzte ausgewertet werden müssen. Damit hätten sich die Sachverständigen nur ansatzweise und völlig ungenügend beschäftigt. Die Begründung für abweichende Beurteilungen erschöpfe sich darin, diese nicht für nachvollziehbar zu halten bzw. harte Beweise nicht zu erkennen. Auch hätte der Sachverständige Dr. Albrecht die Untersuchung nicht teilweise von einem anderen Arzt vornehmen lassen dürfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2010 sowie den Bescheid vom 30. Juli 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 22. August 2008 bis zum 26. April 2009 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat Befundberichte des den Kläger behandelnden Allgemeinarztes Dr. K vom 27. März 2012 sowie des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. Wvom 26. März 2012 eingeholt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung muss Erfolgversagt bleiben. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die nach § 153 Abs. 2 SGG zunächst verwiesen wird, hat das SG einen Anspruch auf Krankengeld im streitgegenständlichen Zeitraum verneint.

Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse in einem Krankenhaus oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Der Kläger befand sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Krankenhaus. Er befand sich auch nicht in einer Einrichtung zur stationären Durchführung medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen nach § 44 Abs. 1, 40 Abs. 2 SGB V auf Kosten der Klägerin.

Der Senat ist auch ebenso wie das SG überzeugt, dass hier nicht sicher genug von Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgegangen werden kann.

Arbeitsunfähig ist, wer seine zuletzt ausgeübte Erwerbsfähigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr verrichten kann, seinen Zustand zu verschlimmern bzw. bei Arbeitslosen die Beschäftigungen, für die er sich der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt hat und die ihm arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 22/04 RSozR 4-2500 § 44 Nr. 6).

Die ärztlichen Sachverständigen des MDK haben den Kläger jeweils zeitnah untersucht und sind trotz bestehenden Krankheiten von Arbeitsfähigkeit im vorgenannten Sinne Ihre Einschätzung ist von den beiden gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigt worden. Diese haben die entscheidende Frage der Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum (und nicht zum späteren Zeitpunkt der Begutachtungen) explizit beantwortet. Sie haben sich dabei mit den vorhandenen ärztlichen Unterlagen auseinandergesetzt, insbesondere mit den zeitnäher verfassten Reha-Entlassungsberichten und den im Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie in der Gerichtsakte vorhandenen ärztlichen Attesten.

Durchgreifende methodische Mängel der Gutachten liegen nicht vor. Insbesondere hat auch Dr. Albrecht den Kläger selbst untersucht und nimmt selbst Stellung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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