L 11 KR 1972/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 1736/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1972/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 02.04.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für eine stationäre privatärztliche Behandlung in Höhe von 14.817,26 EUR in der Zeit vom 12. bis 24.01.2010.

Die 1946 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Nachdem die Klägerin an Brustkrebs erkrankt war, wurde sie 2009 in der Klinik Dr G. in M. operiert, die Kosten hierfür trug die Beklagte. Die Klägerin schloss mit Prof Dr. F. und Prof Dr H., Belegärzte an der Klinik Dr G., eine Honorarvereinbarung über den Eingriff einer prophylaktischen Mastektomie rechts plus Rekonstruktion an der Brustwand beidseits mit freiem mikrovaskulärem Transplantat vom Unterbauch (DIEP-flap), die von Prof Dr H. am 25.11.2009 unterzeichnet wurde. Die Vereinbarung enthielt den Hinweis, dass eine Erstattung der Vergütung durch die Krankenversicherung bzw sonstige Erstattungsstellen nicht gewährleistet sei. Am 13.01.2010 ließ die Klägerin die Operation durchführen, die stationäre Behandlung dauerte vom 12. bis 24.01.2010. Hierfür zahlte die Klägerin vereinbarungsgemäß 14.817,26 EUR.

Mit Schreiben vom 12.10.2010, bei der Beklagten eingegangen am 15.10.2010, beantragte die Klägerin die Erstattung der Kosten in Höhe von 14.817,26 EUR. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 22.10.2010 mit der Begründung ab, dass eine Kostenerstattung nur möglich sei, wenn diese vorher für mindestens ein Jahr gewählt worden sei. Außerdem sei eine Kostenerstattung bei Behandlung durch Privatärzte ausgeschlossen. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2011 zurück, da die Privatklinik Prof Dr F./Prof Dr H. kein zugelassenes Krankenhaus sei. Die Krankenkassen dürften die Kosten nur für Krankenhausbehandlungen in zugelassenen Krankenhäusern übernehmen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits mehrfach entschieden, dass Versicherte vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des vertragsärztlichen Systems grundsätzlich gehalten seien, die Krankenkasse zu befragen, soweit eine Kostenerstattung begehrt werde. Die Klägerin habe erst nach Abschluss der Behandlung einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt. Eine Erstattung bereits entstandener Kosten sei ausnahmsweise nur dann möglich, wenn die Brustoperation unaufschiebbar gewesen wäre oder die Beklagte diese Maßnahme zu Unrecht abgelehnt habe und der Klägerin dadurch Kosten entstanden seien. Eine Notfallsituation und damit unaufschiebbare Behandlung habe nicht vorgelegen. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass die Kasse in der Vergangenheit entsprechende Kosten übernommen habe, könne dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Ansprüche auf Leistungen könnten aus einem früheren - möglicherweise - fehlerhaften Verwaltungshandeln nicht hergeleitet werden.

Hiergegen richtet sich die am 08.06.2011 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.04.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Erbringung von Sach- und Dienstleistungen durch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte und Einrichtungen sehe das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht vor, auch für die Erstattung von Kosten für eine solche privatärztliche Behandlung gebe es keine Rechtsgrundlage. Nach § 13 Abs 2 SGB V könnten Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen, worüber sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen hätten. Eine solche Wahl habe die Klägerin nicht getroffen. Im Übrigen sei eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse nur möglich, wenn diese eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien (§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V). Eine unaufschiebbare Behandlung habe offenbar nicht vorgelegen, nachdem bereits am 25.11.2009 die Honorarvereinbarung unterschrieben und die Klägerin am 12.01.2010 stationär aufgenommen worden sei. Vor der stationären Aufnahme wäre ausreichend Zeit zur Klärung der Frage der Kostenerstattung mit der Beklagten gewesen. Die Beklagte habe die Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt, denn sie sei im Rahmen des SGB V nicht verpflichtet, die Kosten für privatärztliche Behandlungen - stationärer oder ambulanter Art - zu erstatten.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 10.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 10.05.2012 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie führt aus, dass die Professoren Dr F. und Dr H. in der Klinik Dr g. Belegbetten hätten. Sie verwendeten beim Brustaufbau nach Krebsoperationen nicht Silikon, sondern eigenes Fett- und Eigenhautgewebe. Für die Klägerin sei dies die überzeugende Behandlungsmethode gewesen, weshalb sie den Brustaufbau durch Prof Dr F. habe vornehmen lassen. Den Hinweis in der Honorarvereinbarung, dass die Übernahme der entstehenden Kosten durch eine gesetzliche Krankenkasse nicht gewährleistet sei, habe die Klägerin so verstanden, dass für die Behandlungskosten die Übernahme nicht generell ausgeschlossen sei, sondern lediglich die Mehrkosten für die von ihr gewählte Behandlungsmethode. Es müssten daher zumindest die Kosten, die bei Durchführung der Operation unter Verwendung von Silikonmaterial angefallen wären, von der Beklagten übernommen werden. Die Beklagte habe die Klägerin auch nie darauf hingewiesen, dass sie vor Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen einen entsprechenden Antrag stellen müsse. Aus Sicht der Klägerin wäre ein entsprechender Hinweis schon deshalb erforderlich gewesen, weil nach Brustkrebsoperationen in aller Regel weitere Operationen bezüglich des Wiederaufbaus der Brust erforderlich seien. Zudem hätte die Beklagte die Kostenübernahme ohnehin abgelehnt, selbst wenn die Klägerin vor Inanspruchnahme der Leistungen um Kostenübernahme gebeten hätte. Für die Klägerin sei nicht nachvollziehbar, dass Leistungen, die die Beklagte zumindest teilweise hätte erstatten müssen, nur deshalb nicht gewährt würden, weil die Antragstellung nicht vor Durchführung der Operation erfolgt sei. Die Verletzung der Hinweispflicht durch die Beklagte führe dazu, dass sie sich nicht darauf berufen könne, dass der Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung vor Durchführung der Operation hätte erfolgen müssen.

Die Klägerin beantragt,

1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 02.04.2012 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 22.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2011 Behandlungskosten in Höhe von 14.816,26 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass die Klägerin vor Durchführung der Operation die Honorarvereinbarung unterzeichnet habe. Die Vereinbarung enthalte den Hinweis, dass die Übernahme der entstehenden Kosten durch eine gesetzliche Krankenkasse nicht gewährleistet sei. Eine Verletzung der Hinweispflicht liege somit nicht vor.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die privatärztliche Behandlung in der Zeit vom 12. bis 24.01.2010.

Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen.

Die Klägerin kann die Erstattung der Kosten nicht nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V beanspruchen. Voraussetzung ist, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Unaufschiebbarkeit liegt vor, wenn ein Zuwarten dem Versicherten aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder aus anderen medizinischen Gründen - zB wegen der Intensität der Schmerzen - ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar ist (BSG 06.03.2012, B 1 KR 17/11 R, juris - RdNr 18 mwN). Die hier durchgeführte Operation zum Brustaufbau nach einer Krebsoperation war nach den dargelegten Kriterien offensichtlich nicht unaufschiebbar. Dies wird auch dadurch belegt, dass Prof Dr H. die Honorarvereinbarung bereits am 25.11.2009 unterschrieben hatte und die stationäre Aufnahme der Klägerin erst am 12.01.2010 erfolgte. Im Übrigen macht die Klägerin auch selbst nicht geltend, dass ein Fall der Unaufschiebbarkeit vorgelegen habe. Erst recht liegt kein Notfall im Sinne von § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V vor. Eine Notfallbehandlung hätte im Übrigen als Sachleistung erbracht werden müssen, so dass sich der Vergütungsanspruch nicht gegen die Klägerin, sondern allein gegen die Krankenkasse gerichtet hätte (BSG 19.10.2001, B 1 KR 6/01 R, SozR 3-2500 § 13 Nr 25). Damit scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V aus.

Schon wegen der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V. Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ist der notwendige Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung der Krankenkasse und der Selbstbeschaffung (BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.06.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 ständige Rechtsprechung). Hieran fehlt es vorliegend, denn die Krankenkasse war vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren überhaupt nicht befasst, da die Klägerin den Kostenerstattungsantrag erst rund 10 Monate nach Durchführung der Behandlung eingereicht hat. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse im Rahmen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht (BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.06.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 ständige Rechtsprechung). Dies gilt auch, wenn es um Leistungen geht, die kraft Gesetzes oder durch untergesetzliche Regelwerke (vermeintlich) ausgeschlossen sind (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Auch nach Sinn und Zweck der Regelung kann in Fällen, in denen mit der Ablehnung zu rechnen ist, nicht auf die vorherige Entscheidung der Beklagten verzichtet werden (Senatsurteil vom 15.05.2012, L 11 KR 5586/10). § 13 Abs 3 SGB V will den Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Die Krankenkasse hat den nötigen Überblick über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und kann beurteilen, ob und wie Leistungen im bestehenden Versorgungssystem realisiert werden können. Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten ggfs selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (BSG 14.12.2006, aaO).

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, die fehlende vorherige Antragstellung dürfe ihr schon wegen einer Verletzung von Beratungspflichten durch die Beklagte nicht entgegengehalten werden, trifft dies nicht zu. Zunächst erschließt sich schon nicht, wieso die Beklagte allein aufgrund des Erfordernisses ggfs weiterer Operationen zum Brustaufbau verpflichtet gewesen sein sollte, die Klägerin auf die im Rahmen der Kostenerstattung zu beachtenden formalen Gesichtspunkte aufmerksam zu machen. Denn derartige Operationen können ohne weiteres über zugelassene Leistungserbringer im Rahmen des Sachleistungsprinzips erbracht werden und es ist nicht nachvollziehbar, wieso sich der Beklagten hätte aufdrängen müssen, dass die Klägerin eine davon abweichende privatärztliche Versorgung wünschen würde. Abgesehen davon ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (02.11.2007, B 1 KR 14/07, BSGE 99, 180) geklärt, dass der in § 13 Abs 3 SGB V geregelte Anspruch auf Kostenerstattung eine abschließende gesetzliche Regelung der auf dem Herstellungsgedanken beruhenden Kostenerstattungsansprüche im Krankenversicherungsrecht darstellt. Daneben ist für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kein Raum.

Auch soweit die Klägerin geltend macht, es müssten zumindest Kosten in der Höhe erstattet werden, die bei Durchführung des Brustaufbaus nach der "herkömmlichen Methode" in einem zugelassenen Krankenhaus angefallen wären, kann dem der Senat nicht folgen. Für eine derartige fiktive Betrachtung gibt es keine Rechtsgrundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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