L 9 R 3894/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1336/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3894/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. August 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Vormerkung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Anrechnungszeit.

Der 1954 geborene Kläger kam am 06.12.1984 aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland. Er ist im Besitz eines Vertriebenenausweises A. Im Fragebogen über zurückgelegte Beschäftigungs-, Versicherungs-, Anrechnungs- und Militärdienstzeiten in der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten gab der Kläger am 02.03.2008 an, er habe von 1961 bis 1969 eine allgemeinbildende Schule und vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 die Berufsschule N 50 (GPTU-50) besucht und diese am 15.07.1971 im Ausbildungsberuf Dreher-Universal 2. Kat. abgeschlossen. Im am 15.07.1971 ausgestellten Arbeitsbuch sind Beschäftigungszeiten des Klägers vom 19.07.1971 bis 08.11.1984 in verschiedenen Werken bescheinigt. Für die Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 ist eine Lehrzeit in der Berufsschule Nr. 50 (GPTU-50) dokumentiert.

Mit Bescheid vom 20.12.1996 hatte die Beklagte die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, d. h. Zeiten bis 31.12.1989, verbindlich festgestellt, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden waren. Dabei hatte sie die Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Fachschulausbildung (ohne Anrechnung) aufgeführt, ebenso im Versicherungsverlauf vom 03.12.1997, der einer Auskunft im Scheidungsverfahren beigefügt war. Im Versicherungsverlauf zur Rentenauskunft vom 08.11.2007 sind die Zeiten vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 nicht mehr aufgeführt.

Mit Bescheid vom 03.04.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 wegen einer Rechtsänderung nicht mehr berücksichtigt werden könne, weil sie vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Der bisherige Bescheid über die Feststellung dieser Zeit werde insoweit gemäß § 149 Abs. 5 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.

Hiergegen legte der Kläger am 24.04.2008 Widerspruch ein und trug vor, er habe eine Bescheinigung der Berufsschule für den Zeitraum vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 vorgelegt. Diese Zeiten seien als Fachschulausbildung anzuerkennen. Unter dem 08.10.2008 trug er ergänzend vor, der Zeitraum vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 sei als betriebliche Ausbildung zu würdigen. Die Ausbildung sei in einem Betrieb vorgenommen worden; es habe sich nicht um einen reinen Schulbetrieb gehandelt. Aus dem Arbeitsbuch sei zu entnehmen, dass er im Zeitraum vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 angestellt gewesen sei. Er habe auch eine Ausbildungsvergütung erhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund des vorgelegten Zeugnisses Nr. 4218 des Staatskomitees des Ministerrats der Kasachischen SSR für Berufsausbildung sei eindeutig erkennbar, dass es sich aufgrund der Dauer der Ausbildung um den Besuch einer Berufsschule gehandelt habe. Hierfür spreche auch der Zusatz GPTU. Dies werde durch das Arbeitsbuch bestätigt, in dem vor der ersten Einstellung am 19.07.1971 kein Arbeitgeber eingetragen sei. Die Zeiten seien daher richtigerweise als Fachschulausbildung anerkannt worden. Die Zeit könne aufgrund der Rechtsänderung durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.09.1996 nicht mehr vorgemerkt werden, weil Anrechnungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht mehr berücksichtigt werden könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 12.05.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Berücksichtigung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Anrechnungszeit begehrt. Er hat im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.08.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Berücksichtigung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Fachschulzeit oder sonstige Schulzeit sei nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI nicht mehr möglich, da der Kläger in der streitigen Zeit das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Die geltend gemachte Zeit habe auch nicht als Beitragszeit im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 55 SGB VI berücksichtigt werden können. Der Kläger habe in dieser Zeit weder Pflichtbeiträge noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht gezahlt; es handle sich auch nicht um eine Zeit, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Nach den Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG) komme eine Anerkennung dieser Zeiten ebenfalls nicht in Betracht. Nach § 22 Abs. 2 FRG könnten zwar Lehrlingszeiten berücksichtigt werden. Dies setze jedoch voraus, dass es sich um Beitragszeiten handle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Aus dem Arbeitsbuch sei ersichtlich, dass für diese Zeit kein Arbeitgeber eingetragen sei. Es habe sich vielmehr um den Besuch einer Berufsschule gehandelt, wofür die Dauer der Ausbildung und die Bezeichnung der Schule spreche. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 24.08.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13.09.2012 Berufung eingelegt und die Berücksichtigung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Anrechnungszeit weiter verfolgt. Zur Begründung hat er auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Konstanz vom 15. August 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen. Sie verweise auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochten Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009, mit dem die Vormerkung derzeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Anrechnungszeit aufgehoben wurde.

Streitbefangen ist vorliegend der Bescheid vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009, mit dem die Beklagte die bisherige Vormerkung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Fachschulzeit wegen einer Rechtsänderung durch das WFG aufgehoben hat. Für das Begehren des Klägers, diese Zeit weiterhin als Anrechnungszeit zu berücksichtigen, ist die richtige Klageart die Anfechtungsklage. Denn bei einem Erfolg dieser Klage wäre der frühere Zustand, d.h. die Vormerkung der streitigen Zeit, wiederhergestellt. Einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bedarf es daher nicht; vielmehr ist die Anfechtungsklage ausreichend. Dieses Anfechtungsbegehren ist zulässig, da die Anerkennung (Vormerkung) rentenrechtlicher Zeiten der (fach)schulischen Ausbildung – und ebenso ihre Aufhebung – ein Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X ist (vgl. BSG SozR 3-2600 § 149 Nr. 6). Durch den Vormerkungsbescheid werden rechtserhebliche Tatbestände von beitragsfreien Zeiten für die jeweils betroffenen Monate verbindlich festgestellt, mit der Folge, dass diese Zeiten als beitragsfreie Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind (BSG SozR 4-2600 § 149 Nr. 1 m.w.N.).

Für das Begehren des Klägers besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Er muss sich nicht auf das zukünftige Rentenverfahren verweisen lassen (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI); es geht nicht um Fragen der Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten. Der Kläger hat vielmehr Anspruch auf zutreffende Feststellung seiner im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten im Vormerkungsbescheid, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen (§ 149 Abs. 5 S. 1 SGB VI). Demnach ist im Vormerkungsverfahren auf der Grundlage des im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt geltenden materiellen Rechts vorab zu klären, ob der behauptete Anrechnungstatbestand im Sinne des SGB VI nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzung erfüllt ist und ob die generelle Möglichkeit besteht, dass der Sachverhalt in einem künftigen Leistungsfall rentenversicherungsrechtlich relevant werden kann (BSG, Urteil vom 19.04.2011 – B 13 R 79/09 R – SozR 4-2600 § 58 Nr. 13).

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Vormerkung der Fachschulzeit ist § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Danach ist bei Änderungen der dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden Vorschriften der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 28 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da sich die Vorschrift des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI durch das WFG geändert hat.

Nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI in der Fassung des WFG sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Die Rechtsänderung durch das WFG ist zum 01.01.1997 in Kraft getreten. Da der am 19.08.1954 geborene Kläger erst am 18.08.1971 das 17. Lebensjahr vollendet hat, kann die Fachschulzeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 nicht als Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI berücksichtigt werden. Diese Zeit ist auch nach den sonstigen Bestimmungen des § 58 SGB VI keine Anrechnungszeit.

Soweit der Kläger wohl alternativ bzw. hilfsweise die Berücksichtigung dieser Zeit als Beitragszeit begehrt, ist eine solche Klage schon nicht zulässig. Denn mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.04.2008 hat die Beklagte lediglich die frühere Vormerkung der Zeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung aufgehoben. Weitere Entscheidungen hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid nicht getroffen. Soweit die Beklagte in der Begründung des Widerspruchsbescheides zusätzlich ausgeführt, die geltend gemachte Versicherungszeit vom 01.09.1969 bis 15.07.1971 habe weder als Beitragszeit, berufliche Ausbildungszeit noch als Anrechnungszeit vor Vollendung des 17. Lebensjahres vorgemerkt werden können, handelt es sich hierbei um keinen Verfügungssatz; es liegt darin keine Entscheidung über einen Antrag auf Anerkennung dieser Zeit als Beitragszeit. Darüber hinaus ist der Widerspruchsausschuss funktional und sachlich auch nicht zuständig, anstelle der Ausgangsbehörde des Trägers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren (hier mit Schreiben vom 08.10.2008) geltend gemachtes Recht zu entscheiden (BSG, Urteil vom 20.07.2010 – B 2 U 19/09 R – in Juris).

Unabhängig davon, dass eine Klage insoweit schon nicht zulässig wäre, weist der Senat zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits darauf hin, dass eine Beitragszeit für den streitigen Zeitraum gemäß § 15 Abs. 1 Fremdrentengesetz (FRG) nach § 4 FRG auch nicht glaubhaft gemacht ist. Vielmehr fehlen sämtliche Anhaltspunkte dafür, dass es sich nach dem Recht der ehemaligen Sowjetunion bei der Fachschulzeit um eine Beitragszeit gehandelt hat. Eine Beschäftigungszeit gemäß § 16 FRG kommt schon deswegen nicht in Betracht, da eine solche ebenfalls die Vollendung des 17. Lebensjahres voraussetzt. Außerdem sind auch keine Tatsachen ersichtlich, die für ein Beschäftigungsverhältnis sprechen würden.

Nach alledem hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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