L 13 SB 191/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 181 SB 1318/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 191/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2012 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung seines Bescheides vom 24. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2011 verpfichtet, bei der Klägerin ab Februar 2010 einen GdB von 60 festzustellen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Verfahren vor dem Sozialgericht zur Hälfte und für das Verfahren vor dem Landessozialgericht in vollem Umfang zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 60.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 06. April 2006 stellte der Beklagte bei der im Jahr 1952 geborenen Klägerin einen GdB von 50 fest. Zuletzt im Februar 2010 beantragte die Klägerin die Neufeststellung des GdB. Mit Bescheid vom 24. August 2010 lehnte der Beklagte die Zuerkennung eines höheren GdB mit der Begründung ab, der GdB von 50 sei zutreffend. Es seien bei der Klägerin psychische Störungen und Polyneuropathie mit einem Einzel GdB von 30, ein Diabetes mellitus mit einem Einzel GdB von 20, eine Harninkontinenz mit einem GdB von 20 und weitere Funktionsbeeinträchtigungen mit jeweils einem GdB von 10 in Ansatz zu bringen. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2011 mit ähnlicher Begründung zurück.

Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgt, die Zuerkennung eines GdB von 60 und des Nachteilsausgleiches "G" zu erhalten.

Mit Urteil vom 27. Juli 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der GdB sei gemäß § 69 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) i. V. m. der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zutreffend bewertet. Zwar lägen bei der Klägerin viele Erkrankungen vor, die sich auf unterschiedliche Körperregionen bezögen. Ausgehend von dem GdB von 30 für die psychische Erkrankung wirkten sich jedoch lediglich der Einzel GdB von 20 bis 30 für den Diabetes und der Einzel GdB von 20 für die Funktionsbeeinträchtigung des Kniegelenkes erhöhend auf den Gesamt GdB aus. Die Harninkontinenz und die Schuppenflechte, welche jeweils mit einem GdB von 20 zu bewerten seien, führten insgesamt nicht zu einer Erhöhung des GdB. Auch die Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt.

Gegen dieses ihr am 01. August 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, dem 03. September 2012, Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Hierin greift sie nur noch die Festsetzung des GdB an. Sie meint, im angefochtenen Urteil fehlten begründete Ausführungen zur Bildung des Gesamt GdB. Vorliegend sei ein Einzel GdB von 30 und vier Einzel GdBs von 20 gegeben. Der Gesamt GdB sei auf 60 festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2012 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 24. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2011 zu verpflichten, bei der Klägerin ab Februar 2010 einen GdB von 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zwar seien jetzt auch die Kniegelenkseinschränkungen mit einem GdB von 20 und das hinzugetretene Leiden der Schuppenflechte ebenfalls mit einem GdB von 20 zu bewerten, doch führe dies insgesamt nicht zu einem höheren GdB als dem bereits zuerkannten Wert von 50.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten des Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet, denn das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2012 war antragsgemäß zu ändern. Der Beklagte war antragsgemäß unter Änderung seiner entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, bei der Klägerin ab Februar 2010 einen GdB von 60 festzustellen.

Rechtsgrundlage ist § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Danach hat der Beklagte auf Antrag der Klägerin den GdB festzustellen. Weil bei der Klägerin mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, ist der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Die Einzelheiten hierzu sind in der VersMedV, insbesondere unter A. 3., geregelt. Danach ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Dies führt vorliegend nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 SGG, zur Überzeugung des Senats zu einem GdB von 60. Auszugehen war von der führenden Funktionsbeeinträchtigung, d. h. dem psychischen Leiden der Klägerin, das mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten war. Daneben sind bei der Klägerin vier einzelne weitere GdB festzustellen, nämlich der Diabetes mellitus, das Kniegelenksleiden, die Harninkontinenz und die Schuppenflechte, die jeweils mit einem einzelnen GdB von zumindest 20 zu bewerten sind. Zwar ist nach A 3. d) ee) VersMedV es bei Einzel-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Indessen hat vorliegend auch der Beklagte anerkannt, dass jedenfalls zwei dieser zusätzlichen Einzelbehinderungen, nämlich der Diabetes und das Kniegelenksleiden, den GdB insgesamt um jeweils 10 erhöhen. Zur Überzeugung des Senats gilt dies darüber hinaus auch für die Harninkontinenz, denn die hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen enthalten weitere Einschränkungen für die Teilhabe, die sich nicht mit den anderen Funktionsbeeinträchtigungen überlagern, sondern diese im Gegenteil wesentlich verstärken. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Einschränkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die das psychische Leiden, der Diabetes und das Kniegelenksleiden auslösen, durch die Harninkontinenz noch erheblich verstärkt werden. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob eine solche verstärkende Wirkung auch von der Schuppenflechte ausgeht, denn auch ohne diese wird der von der Klägerin begehrte GdB von 60 bereits erreicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Rechtsschutzbegehren in erster Instanz zur Hälfte und in zweiter Instanz in vollem Umfang erfolgreich geblieben ist.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved