L 13 SB 163/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 44 SB 3470/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 163/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Die am 1. Januar 1960 geborene und aus der Türkei stammende Klägerin ist verheiratet und war zuletzt als Hauswart tätig. Seit dem Jahr 2011 bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. März 2001 stellte der Beklagte zu Gunsten der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 auf Grund folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest:

- Seelisches Leiden (Einzel-GdB 30) - Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, HWS- und LWS- Syndrom, Wurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 30)

Zugleich stellte der Beklagte fest, dass eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit bestehe. Weitere in der Folgezeit von der Klägerin gestellte Anträge auf Neufeststellung des GdB sowie Erteilung von Merkzeichen blieben erfolglos.

Auf den Antrag der Klägerin vom 31. Januar 2007 auf Neufeststellung des GdB sowie auf Zuerkennung des Merkzeichen "G" zog der Beklagte ärztliche Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei und wies den Antrag nach versorgungsmedizinischer Auswertung mit Bescheid vom 8. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 zurück. Soweit nach durchgeführter operativer Knorpelglättung des linken Kniegelenkes am 15. März 2007 die verbleibende Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei, rechtfertige dieser Umstand ebenso wie das mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Heuschnupfleiden nicht die Feststellung eines höheren GdB. Auch lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht vor.

Die Klägerin hat am 22. Oktober 2008 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Feststellung eines GdB von 50 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 1. Januar 2007 begehrt hat.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Der gutachtlichen Einschätzung der Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie Frau Dr. H folgend, die insbesondere mit Blick auf den eingeholten Befundbericht des Dr. W das Kniegelenksleiden links mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, hat der Beklagte mit Bescheid vom 26. August 2009 einen GdB von 50 ab Januar 2007 anerkannt, wobei er die Funktionsbeeinträchtigungen nunmehr im Einzelnen wie folgt bewertet:

- Seelisches Leiden (Einzel-GdB 30) - Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Halswirbelsäule- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Wurzelreizerscheinungen, Adipositas (Einzel-GdB 30) - Funktionsbehinderung des Kniegelenkes links, Knorpelschäden am Kniegelenk links (Einzel-GdB 20) - Funktionsbehinderung des Schultergelenkes rechts (Einzel-GdB 20) - Heuschnupfen (Einzel-GdB 10).

Die darüber hinausgehende Klage auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 1. Januar 2007 hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 14. Mai 2010 unter Verurteilung des Beklagten, der Klägerin die Hälfte deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten, abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Nach § 69 Abs. 4, 146 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und der versorgungsmedizinischen Grundsätze nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sei ein mobilitätsbedingter GdB von 50 nicht gegeben, weil in Auswertung der vorliegenden medizinischen Feststellungen das insoweit allein maßgebliche Lendenwirbelsäulenleiden nicht höher als mit 20 und auch das Kniegelenksleiden links ebenfalls nicht höher als mit 20 zu bewerten sei. Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertige sich auch nicht mit Blick auf die bei der Klägerin bestehende Adipositas unter Einschluss ihres psychischen Leidens. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit sei aus diesen Leiden nicht ableitbar. Gegen das ihr am 3. Juni 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Juli 2010, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Der Senat hat nach Beiziehung von Befundberichten behandelnder Ärzte den Facharzt für Allgemeinmedizin und Dipl.-Psych. B mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt nach körperlicher Untersuchung der Klägerin vom 5. Mai 2012 in seinem Gutachten vom 16. Mai 2012 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB mit 40 auf Grund folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sei:

- Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30) - Kniegelenksarthrose links (Einzel-GdB 20) - Somatisierungsstörung (Einzel-GdB 20) - Zuckerstoffwechselstörung (Einzel-GdB 10) - Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).

Der mobilitätsbedingte GdB sei mit 30 zu bewerten.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Einschätzung des Sachverständigen B zur Höhe des GdB im Widerspruch stehe zu den aktuellen vorliegenden ärztlichen Befundberichten. Auch lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" insbesondere auf Grund des Kniegelenksleidens sowie der bestehenden Schmerzstörungen und eines bestehenden Erschöpfungssyndroms vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2010 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 8. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 und des Bescheides vom 26. August 2009 zu verpflichten, für die Klägerin ab dem 31. Januar 2007 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, hilfsweise psychosomatisch und orthopädisch weiter zu ermitteln.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 8. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 und der Bescheid vom 26. August 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des mit der Berufung nur noch geltend gemachten Merkzeichens "G".

Zutreffend hat das Sozialgericht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach § 69 Abs. 4, 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und den versorgungsmedizinischen Grundsätzen nach Teil B Nr. 30 der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in den Ausgaben 2005 und 2008, Seite 136 ff., bzw. nach Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 verneint.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse und in Auswertung des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen B lassen sich bei der Klägerin keine auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße und/ oder Lendenwirbelsäule feststellen, die einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Der Senat folgt nach Einholung des Sachverständigengutachtens der Einschätzung des Sozialgerichts, dass das insoweit allein maßgebliche Lendenwirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist und auch bezogen auf das Kniegelenksleiden des linken Kniegelenks eine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, die lediglich die Vergabe eines Einzel-GdB von 20 rechtfertigt. Unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen vorgenannter Funktionsbeeinträchtigungen folgt der Senat der Einschätzung des Sachverständigen B eines mobilitätsbedingten GdB von insgesamt 30. Angesichts dessen scheidet auch eine Vergleichbarkeit mit der Gruppe derjenigen, bei der sich die Behinderung auf die Gehfähigkeit besonders auswirkt, wie es z. B. bei einer Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 der Fall ist, aus. Es liegen auch keine sonstigen Beeinträchtigungen vor, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen. Störungen der Orientierungsfähigkeit, hat der Sachverständige B nicht feststellen können.

Auch ergeben sich keine besonderen Umstände die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in den versorgungsmedizinischen Gründsätzen beschriebenen Regelfälle zu bejahen. Soweit die Klägerin auf bestehende Schmerzzustände verweist, lässt sich hieraus auch im Zusammenwirkungen mit dem mobilitätsbedingten GdB von 30 keine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit herleiten, die eine Vergleichbarkeit rechtfertigt. Denn die den vorgetragenen Schmerzen zu Grunde liegende Somatisierungsstörung ist von dem Sachverständigen B nachvollziehbar lediglich mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet worden, ohne dass ihr nachweislich eine Relevanz bezogen auf das Gehvermögen beigemessen werden kann.

Anlass zu weiteren Ermittlungen auf orthopädischem oder psychosomatischem Gebiet, wie von der Klägerin hilfsweise angeregt, besteht bei im Übrigen ausermitteltem Sachverhalt nicht. Anlass zu Ermittlungen "ins Blaue hinein" verbieten sich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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