L 27 P 52/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 P 372/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 52/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17.09.2010 wird auch insoweit zurückgewiesen, als das Verfahren durch Beschluss des Senats vom 15. September 2011 abgetrennt worden ist. Kosten sind auch für das weitere Berufungsverfahren im Umfang der Abtrennung nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Gewährung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe II für die Zeit ab dem 1. Oktober 2010.

Der 1929 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten und bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau, die seine Pflege übernommen hat, eine 2-Zimmer-Wohnung im 4. Obergeschoss eines mit einem Fahrstuhl ausgestatteten Mehrfamilienhauses.

Der Kläger leidet an einer Osteoarthrose, Presbyakusis bds., einer an Blindheit grenzender Sehbehinderung, chronischen Bronchitis, chronischen Gastritis, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, einer Prostatahypertrophie und gelegentlichem Schwindel mit Gleichgewichtsstörungen. Zu seinen Gunsten ist ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B" und "RF" festgestellt.

Am 25. November 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte holte das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft A. S vom 16. April 2009 ein, die nach Begutachtung des Klägers in der häuslichen Umgebung eine erhebliche Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I) feststellte: Der Hilfebedarf betrage wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 94 Minuten (50 Minuten im Bereich der Körperpflege, 8 Minuten im Bereich der Ernährung und 36 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 69 Minuten.

Dem folgend gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2009 ab dem 1. November 2008 Leistungen der Pflegestufe I. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 5. Mai 2009 wies die Beklagte nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Pflegefachkraft A. S vom 7. Juli 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2009 zurück.

Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Gewährung von Pflegeleistungen der Pflegestufe II ab Antragstellung im November 2008 weiter. Das Sozialgericht hat den Arzt Dr. S der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangte nach Begutachtung des Klägers in der häuslichen Umgebung in seinem Gutachten vom 13. April 2010 zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 94 Minuten (68 Minuten im Bereich der Körperpflege, 9 Minuten im Bereich der Ernährung und 17 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten betrage. Es läge damit zwar eine erhebliche Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I), nicht jedoch eine Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegestufe II) vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. September 2010 hat das Sozialgericht Berlin nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Der für die Gewährung der Pflegestufe II erforderliche Pflegeaufwand im Bereich der Grundpflege von mindestens 120 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt werde nach den überzeugenden Feststellungen und Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch nicht erreicht.

Gegen den ihm am 1. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. Oktober 2010 Berufung zum Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 27 P 72/10 eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Mit Beschluss auf Grund mündlicher Verhandlung vom 15. September 2011 hat der Senat den Rechtsstreit für die Zeit ab dem 1. Oktober 2010 abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt. Die unter dem Aktenzeichen L 27 P 72/10 geführte Berufung, deren Gegenstand nach Abtrennung die Gewährung eines Pflegegeldes der Pflegestufe II für die Zeit vom 1. November 2008 bis zum 30. September 2010 gewesen ist, hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15. September 2011 zurückgenommen.

Anschließend hat der Senat im hiesigen Verfahren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Umfang der Pflegebedürftigkeit des Klägers bei der Dipl.-Krankenschwester C O. Diese gelangt nach Begutachtung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 5. März 2012 in ihrem Gutachten vom 24. Mai 2012 zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 105 Minuten (79 Minuten im Bereich der Körperpflege, 9 Minuten im Bereich der Ernährung und 17 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten betrage. Der Pflegebedarf sei seit dem 1. Oktober 2010 unverändert.

Einen vom Kläger am 9. März 2012 gegen die Gutachterin O gestellten Befangenheitsantrag hat der Senat mit Beschluss vom 23. August 2012 zurückgewiesen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II vorlägen, da insbesondere sein Grundpflegebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 120 Minuten betrage. Obwohl eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eingetreten sei, würde dem durch das Gutachten der Sachverständigen O nicht Rechnung getragen. Ein erforderlicher Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme von mindestens 15 Minuten (3 x 5 Minuten) werde ebenso wenig berücksichtigt wie der An- und Auskleidebedarf beim erforderlichen Mittagsschlaf. Auch sei nicht berücksichtigt worden, dass er auf Grund des bestehenden Schwindels nicht unbeaufsichtigt gelassen werden könne, vielmehr ständig jemand anwesend sein müsse. Aus diesem Grunde seien auch Hilfen beim Verlassen der Wohnung erforderlich. Schließlich sei auch der Hilfebedarf für das Einbringen, Reinigen und den Batteriewechsel der Hörgeräte unberücksichtigt geblieben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2010 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit ab dem 1. Oktober 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Gutachten der Sachverständigen O mit Blick auf den berücksichtigungsfähigen verrichtungsbezogenen Pflegebedarf für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte des Verfahrens L 27 P 72/10 Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2010 ist auch im Hinblick auf den vorliegend noch streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 1. Oktober 2010 unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage auch insoweit abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 20. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 ist auch insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld der Pflegestufe II für die Zeit ab dem 1. Oktober 2010. Der Kläger erfüllt auch ab dem vorgenannten Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Schwerpflegebedürftigkeit nicht, da bei ihm ein wöchentlich im Tagesdurchschnitt erforderlicher Pflegebedarf von mindestens drei Stunden, wobei mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege entfallen (vgl. §§ 14, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/ Elftes Buch – SGB XI -), nicht vorliegt. Der Senat folgt insoweit dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten der Sachverständigengutachten O, die überzeugend dargelegt hat, dass zwar gegenüber der Vorbegutachtung durch den Arzt Dr. Sch im April 2010 im Bereich der Grundpflege ein wöchentlich im Tagesdurchschnitt nunmehriger Pflegebedarf von weiteren 11 Minuten, mithin von 105 Minuten besteht, damit jedoch die gesetzlichen Vorgaben von 120 Minuten im Bereich der Grundpflege für die Zuerkennung der Pflegestufe II nicht erreicht werden. Bedenken gegen die Verwertbarkeit des vorgenannten Gutachtens bestehen zur Überzeugung des Senats nach nochmaliger kritischer Würdigung nicht.

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung. Ein höherer Grundpflegebedarf ist entgegen dessen Auffassung nicht anzuerkennen. Insbesondere ist nicht nachgewiesen, dass bei dem Kläger ein Pflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme besteht. Einen solchen haben weder die Sachverständige O noch die Sachverständigen Dr. Schund die Pflegefachkraft S feststellen können. Ein solcher lässt sich auch den Pflegetagebuchaufzeichnungen der Ehefrau des Klägers nicht entnehmen. Auch kann kein höherer Pflegebedarf für das An- und Auskleiden mit Blick auf den Mittagsschlaf des Klägers anerkannt werden. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI in der Fassung vom 8. Juni 2009 werden im Bereich des An- und Auskleidens grundsätzlich nur die Vorgänge des Ausziehens von Nachtwäsche und des Anziehens von Tageswäsche sowie des Ausziehens von Tageswäsche und des Anziehens von Nachtwäsche erfasst und ist beim Mittagsschlaf in der Regel nur eine Teilentkleidung notwendig (vgl. Teil D 4.3 Ziffer 11 der Richtlinien). Mangels besonderer Umstände und angesichts des Umstandes, dass im Bereich des An- und Ausziehens nur Teilhilfen erforderlich sind, erscheint zur Überzeugung des Senats die Anerkennung eines höheren Pflegebedarfes als er insoweit von der Sacherständigen O mit 16 Minuten täglich festgestellt worden ist, nicht gerechtfertigt. Nicht berücksichtigungsfähig sind Zeiten für das Reinigen, Einbringen und den Batteriewechsel der klägerischen Hörgeräte sowie für allgemeine Betreuungsleistungen etwa auf Grund des Schwindels des Klägers, weil es sich insoweit nicht um verrichtungsbezogene Pflegemaßnahmen gemäß § 14 Abs. 4 SGB XII handelt. Hilfen bei der Mobilität außerhalb der Wohnung sind nur berücksichtigungsfähig, soweit dies für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause unumgänglich ist und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig macht (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6). Dies betrifft namentlich wöchentlich stattfindende Arzt- oder Therapiebesuche. Solche fallen nach den vorliegenden Feststellungen nicht an. Ein Hilfebedarf bei Sparziergängen kann nicht anerkannt werden, weil die Konstruktion der Pflegebedürftigkeit nicht Teilhabe sichernd ist.

Ein weiterer Ermittlungsbedarf zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers besteht zur Überzeugung des Senats nicht. Der Sachverhalt ist ausermittelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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