L 8 R 264/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 R 2125/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 264/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe des monatlichen Höchstwertes des Rechts auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Zugunstenverfahren.

Der Kläger ist im April 1962 geboren worden und lebte bis zum 24. September 1989 im Beitrittsgebiet, danach im Westteil Berlins. In der DDR erlernte er vom 1. September 1977 bis zum 15. Juli 1979 den Beruf des Bäckers. Nach zwei Verurteilungen wegen Delikten zum Nachteil persönlichen und sozialistischen Eigentums war er vom 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 inhaftiert. Während der Haftzeit absolvierte er eine Ausbildung zum Elektromontierer, die er Ende Juni 1983 abschloss. Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) entrichtete er in der DDR zu keiner Zeit, ebensowenig war er in ein System der Zusatz- oder Sonderversorgung im Sinne des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes einbezogen.

Auf seinen Antrag hin bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 26. September 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 1. März 1997. Den anfänglichen monatlichen Höchstwert des Rechts auf Rente (1.171,94 DM) errechnete sie aus 24,5762 persönlichen
Entgeltpunkten und 0,6506 persönlichen Entgeltpunkten (Ost). Zugleich lehnte sie die Anerkennung der Zeit vom 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 als Ersatzzeit wegen Inhaftierung mangels Rehabilitierung oder Kassation ab.

Nachdem der Kläger - soweit ersichtlich - die Mitteilung über die Rentenanpassung zum 1. Juli 2007 erhalten hatte, beantragte er im Juli 2007 die Überprüfung des Bescheides über die Rentenbewilligung der Höhe nach. Er machte geltend, dass er während der Zeit seiner Inhaftierung in der DDR vom 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 nach dem Strafvollzugsgesetz der DDR versicherungspflichtig tätig gewesen sei und diese Zeit somit als Versicherungszeit berücksichtigt werden müsse. Dazu reichte er unter anderem die Facharbeiterurkunde und das Zeugnis über die Berufsausbildung, beide vom 1. Juli 1983, und eine Bestätigung der Strafvollzugseinrichtung Berlin vom 15. Mai 1984 über die Anrechnung von zwei Jahren und sechs Monaten als versicherungspflichtige Tätigkeit ein. Auf Nachfrage der Beklagten legte er außerdem den rechtskräftig gewordenen Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. Dezember 1997 - (550 Rh) 3 Js 222/97 (163/97, 340/97) - vor, durch den sein Antrag auf Rehabilitierung im Hinblick auf die strafrechtlichen Verurteilungen verworfen wurde.

Durch Bescheid vom 9. August 2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Der Bescheid vom 26. September 1997 sei rechtmäßig. Nach der in der DDR bestehenden Rechtslage seien jedenfalls ab 1. Juli 1954 keine Sozialversicherungsbeiträge für Strafgefangene mehr entrichtet worden.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er in der DDR Anwartschaften und Ansprüche auf Renten aus der Sozialversicherung (SV) und der FZR auch unter Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten im Zeitraum seiner Strafhaft erworben habe. Diese bestünden weiter und stünden unter Eigentumsschutz.

Durch Widerspruchsbescheid vom 2. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Zeit der Strafhaft gehöre nicht zu den nach § 248 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) gleichgestellten Beitragszeiten. Beiträge seien für diese Zeiten nicht abgeführt worden, selbst wenn für eine Arbeitsleistung ein Nettolohn gezahlt worden sei. Durch das Gesetz über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug sei die Dauer des Arbeitseinsatzes während des Strafvollzugs lediglich nach der Entlassung aus dem Strafvollzug einer
versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt worden. Die Zeit könne auch nicht als Ersatzzeit anerkannt werden, weil eine (positive) Entscheidung über eine Rehabilitierung oder Kassation nicht ergangen sei. Eine Vergleichsberechnung nach dem Rentenüberleitungsgesetz (RÜG), in deren Rahmen die Haftzeit als Zeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung nach diesem Gesetz zu berücksichtigen gewesen wäre, sei nicht durchzuführen gewesen, weil die Rente nach dem 31. Dezember 1996 begonnen habe.

Mit der Klage hat der Kläger weiter das Anliegen verfolgt, die Zeit vom 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 als rentenrechtliche Zeit bei der Rentenhöchstwertfestsetzung zu berücksichtigen und außerdem den Anspruch "auf Renten aus der SV und der FZR ... in ihrer realen Höhe zu berücksichtigen und an die Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet anzupassen, in der diese Ansprüche in der DDR rechtmäßig erworben und als Eigentum in die Bundesrepublik mitgebracht wurden." Analog der Regelung für die Bestandsrentner seien "der Zahlbetragsschutz des EV sowie ein angemessener Eigentums-, realer Bestands- und dauerhafter Vertrauensschutz zu gewähren". Hilfsweise hat er beantragt, Beweis im Umfang der Anträge aus dem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11. März 2010 zu erheben.

Durch Urteil vom 16. März 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe im streitigen Zeitraum keine Beitragszeit im Sinne des SGB VI zurückgelegt und ebenso wenig eine Anrechnungs- oder Ersatzzeit. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestünden nicht. Vor allem werde das Grundrecht auf Eigentum nicht berührt, weil sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften aus der DDR nur in dem Umfang dem Grundrechtsschutz unterfielen, in dem sie durch den Einigungsvertrag übernommen worden seien. Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden auch dagegen, dass das RÜG für das Recht auf eine Vergleichsberechnung einen Stichtag vorsehe. Der Kläger werde auch im Verhältnis zu Strafgefangenen in den alten Ländern nicht ungleich behandelt, weil deren Arbeitseinsatz zu keiner Zeit
versicherungspflichtig gewesen sei. Dies wiederum sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu beanstanden. Anlass zu einer Beweiserhebung habe nicht bestanden, da nur Ausforschungs-Beweisanträge gestellt worden seien ohne Beweismittel zu benennen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter und wiederholt seine bereits erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung. Hierzu wird im Einzelnen auf die Schriftsätze seiner Bevollmächtigten vom 20. Juli 2010 und 19. April 2011 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2009 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 26. September 1997 teilweise zurückzunehmen und die Zeit vom 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 als rentenrechtliche Zeit bei der Festsetzung des Höchstwertes des Rechts auf Rente zu berücksichtigen. Die Ansprüche auf Renten aus der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung sind in ihrer realen Höhe zu berücksichtigen und an die Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet anzupassen, in der diese Ansprüche in der DDR rechtmäßig erworben und als Eigentum in die Bundesrepublik Deutschland mitgebracht wurden. Die Anpassung der Renten hat nach der Entscheidung des BSG (B 4 RA 120/00 R) mindestens in Höhe der Inflationsrate zu erfolgen. Es sind analog der Regelung für die Bestandsrentner der Zahlbetragsschutz des Einigungsvertrages sowie ein angemessener Eigentums-, realer Bestands- und dauerhafter Vertrauensschutz zu gewähren.

Er stellt ferner die Anträge,

über sein Beschäftigungsverhältnis während der Zeit seiner Inhaftierung vom 24. Juni 1981 bis 17. Mai 1984,

über den Erwerb von Anwartschaften auf die Pflichtversicherungsrente der Sozialversicherung der DDR und über den realen, gemäß Einigungsvertrag bestandskräftigen Wert dieser Anwartschaften/Ansprüche sowie

über die Auswirkungen der Renten- und Versorgungsüberführung auf den Wert seines Alterseinkommens

Beweis zu erheben,

sowie, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung angesichts des nicht weiter aufklärungsbedürftigen entscheidungserheblichen Sachverhalts und der durch die Rechtsprechung des BSG geklärte Rechtslage nicht für erforderlich (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Das Sozialgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides über die Rentenbewilligung vom 26. September 1997 liegen nicht vor.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der Bescheid vom 26. September 1997 ist rechtmäßig. Der monatliche Höchstwert des Rechts auf Rente auf Grund von rentenrechtlichen Zeiten, die in den "alten" Bundesländern zurückgelegt worden sind, berechnet sich, indem für den Zeitpunkt des Rentenbeginns die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 77 SGB VI) ermittelten persönlichen Entgeltpunkte und Entgeltpunkte (Ost) (§§ 66, 254d SGB VI), der Rentenartfaktor (§ 67 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert beziehungsweise für Entgeltpunkte (Ost) grundsätzlich der aktuelle Rentenwert (Ost) (§ 255a SGB VI) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§§ 63 Abs. 6, 64 SGB VI).

Die Beklagte hat diese sogenannte Rentenformel zutreffend angewendet, wobei im vorliegenden Fall für Zeiten, in denen der Kläger in der DDR lebte, keine Entgeltpunkte (Ost) anfielen, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt am 18. Mai 1990 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatte und er sich bei Rentenbeginn (und weiterhin) im Inland gewöhnlich aufhält (§ 254d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a) SGB VI).

Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Zeit vomm 24. Juni 1981 bis zum 17. Mai 1984 keine rentenrechtliche Zeit im Sinne des SGB VI darstellt und dementsprechend für die Festsetzung des sich nach dem SGB VI bemessenden monatlichen Höchstwerts auf Rente nicht zu berücksichtigen ist. Ebenso zutreffend hat das Sozialgericht keine Rechtsgrundlage für eine höhere Rente aus anderen Rechtsgründen gesehen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird deshalb zur weiteren Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Mit seiner Berufung hat der Kläger nichts vorgetragen, was zu einer für ihn günstigen Entscheidung führen könnte (s. neben dem vom Sozialgericht erwähnten Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Septem-ber 2009 - L 4 R 1577/06 - auch das Urteil vom 5. Juni 2008 - L 3 R 1148/07 - und bereits LSG Berlin, Urteil vom 9. September 2003 - L 12 RA 54/02). Im besonderen ist nicht ersicht-lich, aus welchen Gründen die anzuwendenden Rechtsvorschriften verfassungswidrig sein sollten. Das Sozialgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass Anwartschaften und Ansprüche auf Renten der Sozialversicherung, der freiwilligen Zusatzrentenversicherung und etwaigen Zusatz- und Sonderversorgungen von vornherein nur in dem Umfang den Schutz des Grundrechts auf Eigentum erlangt haben, in dem sie durch den Einigungsvertrag in Rentenversicherung überführt worden sind; das Grundgesetz ist nicht rückwirkend in der DDR in Kraft getreten (s. nur BVerfGE 100, 1 [33f)). Verfassungsgemäß ist, wie ebenfalls zu Recht vom Sozialgericht ausgeführt, auch die Stichtagsregelung des Art. 2 § 1 Nr. 3 RÜG (s. insoweit bereits BSG SozR SozR 4-2600 § 260 Nr. 1). Schließlich ist es ebenfalls nicht verfassungswidrig, dass der Kläger, der seinen Wohnsitz bereits vor dem 19. Mai 1990 und damit vor Inkrafttreten der sogenannten Wirtschafts- und Währungsunion nicht mehr in der DDR hatte, keinen Anspruch mehr auf Berechnung des Höchstwerts des Rechts auf Rente für in der DDR zurückgelegte
Zeiträume nach den Vorschriften des Fremdrentengesetzes hat (s. insoweit BSG SozR 4-2600 § 248 Nr. 1).

Den wiederholt gestellten Beweisanträgen war erneut nicht nachzukommen. Über das Beschäftigungsverhältnis des Klägers während der Zeit der Strafhaft muss nicht Beweis erhoben werden, weil es nach Art und Dauer durch die aktenkundigen Unterlagen nachgewiesen ist. Weitere Umstände des Beschäftigungsverhältnisses sind nicht entscheidungserheblich. Nicht entscheidungserheblich sind auch die weiteren Beweisanträge, die bereits nicht erkennen lassen, welchen Zusammenhang sie mit dem konkreten Fall haben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen angesichts der umfangreichen fachgerichtlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenso wie der Rechtsprechung des außerhalb des Instanzenzugs stehenden Bundesverfassungsgerichts nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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