Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 50/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 269/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 06. Oktober 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im Schreiben der Beklagten vom 08. März 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2010 bestimmte Beendigung des Verletztengeldes zum 29. November 2010 aufgehoben wird. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Beendigung des ihr von der Beklagten gezahlten Verletztengelds.
Die 1956 geborene, bei der Beklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Klägerin war in häuslicher Krankenpflege beschäftigt. Die Klägerin erkrankte wegen eines atopischen Hautekzems arbeitsunfähig. Die Beklagte forderte die Krankenkasse der Klägerin mit Schreiben vom 08. März 2010 auf, an die Klägerin vom 02. Juni 2009 bis zum 29. November 2010 Krankengeld in dort näher bestimmter Höhe auszuzahlen. Die Beklagte übersandte der Klägerin nachrichtlich eine Kopie dieses Schreibens unter Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung. Die Klägerin erhob am 23. März 2010 hiergegen Widerspruch.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 26. März 2010 bei der Klägerin das Bestehen einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 (BK 5101) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) an.
Mit Schreiben vom 21. Mai 2010 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus, dass sich die Dauer des Verletztengelds nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) richte, weil die Klägerin aufgrund der anerkannten BK für die bisher ausgeübte hautgefährdende Tätigkeit nicht mehr arbeitsfähig werde und schon aus rechtlichen Gründen für die zuvor ausgeübte Tätigkeit arbeitsunfähig sei und bleibe, weshalb bei ihr das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche ab dem Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit, mithin am 29. November 2010 ende.
Zwischenzeitlich holte die Beklagte das hautfachärztliche Gutachten des Oberarztes der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum S Dr. S vom 16. August 2010 ein. In der Folgezeit bestand zwischen den Beteiligten Uneinigkeit darüber, ob die Klägerin sich tatsächlich weigerte, an konkret von der Beklagten angebotenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen, vgl. etwa das an die Beklagte gerichtete Schreiben der Klägerin vom 23. November 2010.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 u.a. den gegen eine Festlegung des Beendigungszeitpunkts des Verletztengelds auf den 29. November 2010 gerichteten Widerspruch zurück. Die Beklagte behielt zunächst ihre im Schreiben vom 21. Mai 2010 geäußert Auffassung bei und führte ergänzend aus, die Festlegung des Beendigungszeitpunkts sei gemäß § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII zu Recht erfolgt. Zum Zeitpunkt der Verletztengeldfeststellung sei davon auszugehen gewesen, dass unter weiterer konsequenter Heilbehandlung und Ausschöpfung aller Möglichkeiten grundsätzlich innerhalb von 78 Wochen ein Hautzustand zu erreichen sei, der die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit erlaube.
Die Klägerin hat ihr gegen eine Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 gerichtetes Begehren mit der am 14. Januar 2011 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie habe Anspruch auf Fortzahlung des Verletztengelds. Solange der Unfallversicherungsträger – wie hier – noch nicht geklärt habe, ob die gesetzlichen Merkmale "mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ist nicht zu rechnen" und "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind nicht zu erbringen" vorlägen, habe der Versicherte weiterhin Anspruch auf Verletztengeld.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 06. Oktober 2011 verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 08. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2010 Verletztengeld über den 29. November 2010 hinaus dem Grunde nach zu gewähren. Im Schreiben vom 08. März 2010 sei kein Verwaltungsakt zu sehen. Es liege lediglich ein Scheinverwaltungsakt vor, weil die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid das Schreiben vom 08. März 2010 als Verwaltungsakt gewertet habe. Der nach § 45 SGB VII dem Grunde nach bestehende Verletztengeldanspruch bestehe fort. Ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII liege nicht vor. Es fehle an der notwendigen Einstellung durch Verwaltungsakt.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 07. November 2011 zugestellte Urteil am 22. November 2011 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass bereits im Schreiben vom 08. März 2010 ein das Verletztengeld beendender Verwaltungsakt zu sehen sei. Ein derartiges Verfahren sei jedenfalls bei BKen mit Unterlassungszwang wie bei der hier vorliegenden BK 5101 gerechtfertigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 06. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Maßgabe, unter welcher die Berufung zurückzuweisen ist, beruht darauf, dass es sich bei der allein verfahrensgegenständlichen Beendigung des Verletztengelds um eine isolierte verwaltungsaktsmäßige Regelung handelt, gegen die bereits allein mit der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGG effektiver Rechtsschutz eröffnet ist. Der Klageantrag ist gemäß § 123 SGG dementsprechend auszulegen gewesen. Eines Leistungsantrags bzw. -ausspruchs bedarf es nicht, weil mit der Aufhebung der Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 der Verletztengeldanspruch für die Folgezeit automatisch wieder auflebt. Hierfür ist unerheblich, ob bereits mit der im Schreiben vom 08. März 2010 enthaltenen zeitlichen Begrenzung auf den 29. November 2010 eine logisch abtrennbare Nebenbestimmung i.S.v. § 32 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) oder spätestens mit der im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 verfügten Beendigung eine verwal-tungsaktsmäßige Regelung i.S.v. § 31 S. 1 SGB X zu sehen ist.
Das Schreiben vom 08. März 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin, soweit die Beklagte hierin unzutreffend eine Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 bestimmt. Soweit hier als Ermächtigungsgrundlage für die Beendigung des Verletztengelds, wie dies im Ansatz auch die Beklagte richtig erkennt, allein § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII in Betracht kommt, liegen die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor.
Nach dieser Vorschrift endet das Verletztengeld, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung. Sämtlichen Tatbeständen für eine Ende des Verletztengeldanspruchs in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB VII ist gemein, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist, d.h. mit der Beendigung der infolge des Versicherungsfalls eingetretenen Arbeitsunfähigkeit zumindest für die nächsten 78 Wochen nicht zu rechnen sein darf. Weiterhin darf zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Anspruch auf berufsfördernde Leistungen, die einen Anspruch auf Übergangsgeld auslösen, bestehen. Liegt weder ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach Nr. 1 oder nach Nr. 2 von § 46 Abs. 3 Satz 2 vor und sind auch die für alle drei Tatbestände gemeinsamen Voraussetzungen nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII nicht gegeben, so tritt auch nach Nr. 3 der Vorschrift allein wegen des Ablaufs der Frist von 78 Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Ende des Verletztengeldanspruchs ein, sondern Verletztengeld ist über die 78. Woche hinaus zu zahlen. Das Ende des Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII ist durch Verwaltungsakt festzustellen, weil es eine Prüfung im Sinne einer Prognoseentscheidung erfordert, die nicht durch die Gerichte ersetzt werden kann. Die Frage, ob berufsfördernde Leistungen zu erbringen sind, richtet sich dabei nach den Erfolgsaussichten, dem Alter und weiteren Umständen, die der Unfallversicherungsträger bei seiner Prüfung berücksichtigen muss. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers an. Eine rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen eines Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 S. 2 SGB VII kommt dabei nicht in Betracht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. September 2005 – B 2 U 4/04 R –, zitiert nach juris Rn. 41 f.).
Dies zugrunde gelegt fehlt es bereits im einzig als Ausgangsverwaltungsakt für die Beendigung des Verletztengelds in Betracht kommenden Schreiben der Beklagten vom 08. März 2010 an der erforderlichen Prognoseentscheidung, wie sie das BSG nach der vorzitierten Rechtsprechung verlangt. Das Schreiben enthält lediglich eine gegenüber der Krankenkasse ausgesprochene Befristung des Zahlungsauftrags, für welche mithin bereits fraglich ist, ob diese für die Klägerin regelnd-bindende Wirkung i.S.v. § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) Wirkung entfaltete. Soweit nun jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 erstmals eine Prognoseentscheidung ansatzweise gestellt bzw. nachgeholt wird, führt dies nicht zu einer rechtmäßigen Beendigung des Verletztengelds. Die Widerspruchsstelle ist nämlich funktionell und sachlich nicht zuständig, an Stelle der Ausgangsbehörde des Unfallversicherungsträgers zu entscheiden, wobei der hierdurch erzeugte Verfahrensfehler gemäß §§ 62 Hs. 2, 42 S. 1 SGB X beachtlich ist und einen Aufhebungsanspruch begründet (vgl. etwa BSG, Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Ferner enthält der Widerspruchsbescheid entgegen der vorzitierten Rechtsprechung des BSG auch nur eine unzulässigerweise auf den Zeitpunkt des Schreibens vom 08. März 2010 zurückbezogene Einschätzung des Beendigungstatbestands und stellt dementsprechend gerade keine – eigentlich kraft Natur der Sache zukunftsgerichtete – Prognose dar. Schließlich ist die (Prognose-) Entscheidung im Widerspruchsbescheid auch unvollständig, weil sich dort nicht zur Teilhabe am Arbeitsleben geäußert wird. Die vorstehenden Defizite können auch nicht im Wege der gerichtlichen Urteilsfindung ausgeglichen werden, weil es den Gerichten eben ja verwehrt ist, eine eigene Prognoseentscheidung an die Stelle derjenigen der Behörde zu setzen, wenn der Gesetzgeber wie hier mit der Formulierung "nicht zu rechnen ist" der Behörde einen Einschätzungsvorsprung einräumt, welcher von der Gerichten nicht zuletzt auch aus Gründen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 des Grundgesetzes (GG)) beachtet werden muss.
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob die materiellen Beendigungsvoraussetzungen nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegeben gewesen wären, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Beendigung des ihr von der Beklagten gezahlten Verletztengelds.
Die 1956 geborene, bei der Beklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Klägerin war in häuslicher Krankenpflege beschäftigt. Die Klägerin erkrankte wegen eines atopischen Hautekzems arbeitsunfähig. Die Beklagte forderte die Krankenkasse der Klägerin mit Schreiben vom 08. März 2010 auf, an die Klägerin vom 02. Juni 2009 bis zum 29. November 2010 Krankengeld in dort näher bestimmter Höhe auszuzahlen. Die Beklagte übersandte der Klägerin nachrichtlich eine Kopie dieses Schreibens unter Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung. Die Klägerin erhob am 23. März 2010 hiergegen Widerspruch.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 26. März 2010 bei der Klägerin das Bestehen einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 (BK 5101) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) an.
Mit Schreiben vom 21. Mai 2010 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus, dass sich die Dauer des Verletztengelds nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) richte, weil die Klägerin aufgrund der anerkannten BK für die bisher ausgeübte hautgefährdende Tätigkeit nicht mehr arbeitsfähig werde und schon aus rechtlichen Gründen für die zuvor ausgeübte Tätigkeit arbeitsunfähig sei und bleibe, weshalb bei ihr das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche ab dem Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit, mithin am 29. November 2010 ende.
Zwischenzeitlich holte die Beklagte das hautfachärztliche Gutachten des Oberarztes der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum S Dr. S vom 16. August 2010 ein. In der Folgezeit bestand zwischen den Beteiligten Uneinigkeit darüber, ob die Klägerin sich tatsächlich weigerte, an konkret von der Beklagten angebotenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen, vgl. etwa das an die Beklagte gerichtete Schreiben der Klägerin vom 23. November 2010.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 u.a. den gegen eine Festlegung des Beendigungszeitpunkts des Verletztengelds auf den 29. November 2010 gerichteten Widerspruch zurück. Die Beklagte behielt zunächst ihre im Schreiben vom 21. Mai 2010 geäußert Auffassung bei und führte ergänzend aus, die Festlegung des Beendigungszeitpunkts sei gemäß § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII zu Recht erfolgt. Zum Zeitpunkt der Verletztengeldfeststellung sei davon auszugehen gewesen, dass unter weiterer konsequenter Heilbehandlung und Ausschöpfung aller Möglichkeiten grundsätzlich innerhalb von 78 Wochen ein Hautzustand zu erreichen sei, der die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit erlaube.
Die Klägerin hat ihr gegen eine Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 gerichtetes Begehren mit der am 14. Januar 2011 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie habe Anspruch auf Fortzahlung des Verletztengelds. Solange der Unfallversicherungsträger – wie hier – noch nicht geklärt habe, ob die gesetzlichen Merkmale "mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ist nicht zu rechnen" und "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind nicht zu erbringen" vorlägen, habe der Versicherte weiterhin Anspruch auf Verletztengeld.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 06. Oktober 2011 verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 08. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2010 Verletztengeld über den 29. November 2010 hinaus dem Grunde nach zu gewähren. Im Schreiben vom 08. März 2010 sei kein Verwaltungsakt zu sehen. Es liege lediglich ein Scheinverwaltungsakt vor, weil die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid das Schreiben vom 08. März 2010 als Verwaltungsakt gewertet habe. Der nach § 45 SGB VII dem Grunde nach bestehende Verletztengeldanspruch bestehe fort. Ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII liege nicht vor. Es fehle an der notwendigen Einstellung durch Verwaltungsakt.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 07. November 2011 zugestellte Urteil am 22. November 2011 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass bereits im Schreiben vom 08. März 2010 ein das Verletztengeld beendender Verwaltungsakt zu sehen sei. Ein derartiges Verfahren sei jedenfalls bei BKen mit Unterlassungszwang wie bei der hier vorliegenden BK 5101 gerechtfertigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 06. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Maßgabe, unter welcher die Berufung zurückzuweisen ist, beruht darauf, dass es sich bei der allein verfahrensgegenständlichen Beendigung des Verletztengelds um eine isolierte verwaltungsaktsmäßige Regelung handelt, gegen die bereits allein mit der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGG effektiver Rechtsschutz eröffnet ist. Der Klageantrag ist gemäß § 123 SGG dementsprechend auszulegen gewesen. Eines Leistungsantrags bzw. -ausspruchs bedarf es nicht, weil mit der Aufhebung der Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 der Verletztengeldanspruch für die Folgezeit automatisch wieder auflebt. Hierfür ist unerheblich, ob bereits mit der im Schreiben vom 08. März 2010 enthaltenen zeitlichen Begrenzung auf den 29. November 2010 eine logisch abtrennbare Nebenbestimmung i.S.v. § 32 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) oder spätestens mit der im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 verfügten Beendigung eine verwal-tungsaktsmäßige Regelung i.S.v. § 31 S. 1 SGB X zu sehen ist.
Das Schreiben vom 08. März 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin, soweit die Beklagte hierin unzutreffend eine Beendigung des Verletztengelds zum 29. November 2010 bestimmt. Soweit hier als Ermächtigungsgrundlage für die Beendigung des Verletztengelds, wie dies im Ansatz auch die Beklagte richtig erkennt, allein § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII in Betracht kommt, liegen die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor.
Nach dieser Vorschrift endet das Verletztengeld, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung. Sämtlichen Tatbeständen für eine Ende des Verletztengeldanspruchs in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB VII ist gemein, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist, d.h. mit der Beendigung der infolge des Versicherungsfalls eingetretenen Arbeitsunfähigkeit zumindest für die nächsten 78 Wochen nicht zu rechnen sein darf. Weiterhin darf zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Anspruch auf berufsfördernde Leistungen, die einen Anspruch auf Übergangsgeld auslösen, bestehen. Liegt weder ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach Nr. 1 oder nach Nr. 2 von § 46 Abs. 3 Satz 2 vor und sind auch die für alle drei Tatbestände gemeinsamen Voraussetzungen nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII nicht gegeben, so tritt auch nach Nr. 3 der Vorschrift allein wegen des Ablaufs der Frist von 78 Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Ende des Verletztengeldanspruchs ein, sondern Verletztengeld ist über die 78. Woche hinaus zu zahlen. Das Ende des Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII ist durch Verwaltungsakt festzustellen, weil es eine Prüfung im Sinne einer Prognoseentscheidung erfordert, die nicht durch die Gerichte ersetzt werden kann. Die Frage, ob berufsfördernde Leistungen zu erbringen sind, richtet sich dabei nach den Erfolgsaussichten, dem Alter und weiteren Umständen, die der Unfallversicherungsträger bei seiner Prüfung berücksichtigen muss. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers an. Eine rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen eines Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 S. 2 SGB VII kommt dabei nicht in Betracht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. September 2005 – B 2 U 4/04 R –, zitiert nach juris Rn. 41 f.).
Dies zugrunde gelegt fehlt es bereits im einzig als Ausgangsverwaltungsakt für die Beendigung des Verletztengelds in Betracht kommenden Schreiben der Beklagten vom 08. März 2010 an der erforderlichen Prognoseentscheidung, wie sie das BSG nach der vorzitierten Rechtsprechung verlangt. Das Schreiben enthält lediglich eine gegenüber der Krankenkasse ausgesprochene Befristung des Zahlungsauftrags, für welche mithin bereits fraglich ist, ob diese für die Klägerin regelnd-bindende Wirkung i.S.v. § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) Wirkung entfaltete. Soweit nun jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2010 erstmals eine Prognoseentscheidung ansatzweise gestellt bzw. nachgeholt wird, führt dies nicht zu einer rechtmäßigen Beendigung des Verletztengelds. Die Widerspruchsstelle ist nämlich funktionell und sachlich nicht zuständig, an Stelle der Ausgangsbehörde des Unfallversicherungsträgers zu entscheiden, wobei der hierdurch erzeugte Verfahrensfehler gemäß §§ 62 Hs. 2, 42 S. 1 SGB X beachtlich ist und einen Aufhebungsanspruch begründet (vgl. etwa BSG, Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Ferner enthält der Widerspruchsbescheid entgegen der vorzitierten Rechtsprechung des BSG auch nur eine unzulässigerweise auf den Zeitpunkt des Schreibens vom 08. März 2010 zurückbezogene Einschätzung des Beendigungstatbestands und stellt dementsprechend gerade keine – eigentlich kraft Natur der Sache zukunftsgerichtete – Prognose dar. Schließlich ist die (Prognose-) Entscheidung im Widerspruchsbescheid auch unvollständig, weil sich dort nicht zur Teilhabe am Arbeitsleben geäußert wird. Die vorstehenden Defizite können auch nicht im Wege der gerichtlichen Urteilsfindung ausgeglichen werden, weil es den Gerichten eben ja verwehrt ist, eine eigene Prognoseentscheidung an die Stelle derjenigen der Behörde zu setzen, wenn der Gesetzgeber wie hier mit der Formulierung "nicht zu rechnen ist" der Behörde einen Einschätzungsvorsprung einräumt, welcher von der Gerichten nicht zuletzt auch aus Gründen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 des Grundgesetzes (GG)) beachtet werden muss.
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob die materiellen Beendigungsvoraussetzungen nach § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegeben gewesen wären, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
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