L 1 KA 15/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 416/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KA 15/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Arzneikostenregress in Höhe von 4.946,31 EUR wegen der Verordnung von Sandostatin® LAR®-Monatsdepots 20mg (im Folgenden: Sandostatin) im Quartal 3/2003.

Der Kläger unterhält in seiner "Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie" eine Hochschulambulanz, die zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen ermächtigt ist. Dort wurde der 1935 geborene P.R. (im Folgenden: Versicherter) behandelt, bei dem ein metastasierendes Merkelzellkarzinom, kleinzelliger Subtyp, im klinischen Stadium II diagnostiziert worden war.

Beim Merkelzellkarzinom (kutanes neuroendokrines Karzinom) handelt es sich um einen bösartigen und sehr aggressiven Hauttumor, der bevorzugt am Kopf, am Hals und an den Extremitäten auftritt. Die Tumorinzidenz liegt bei ca. 0,4 Neuerkrankungen auf 100.000 Einwohner pro Jahr. Obgleich die genaue Prävalenz nicht bekannt ist, wird das Merkelzellkarzinom in der medizinischen Fachliteratur als seltene Erkrankung bezeichnet. Im streitbefangenen Zeitraum unterschied man die Krankheitsstadien I bis III. Im Stadium II treten lokoregionäre Metastasen auf, im Stadium III bilden sich Fernmetastasen. Neuerdings folgt die Stadieneinteilung der TNM-Klassifikation für bösartige Tumore. Beim Versicherten war im Jahr 2001 der Primärtumor am linken Ellenbogen in zwei Operationen vollständig entfernt worden. Bei der Nachexzision wurde auch der Wächterlymphknoten entfernt, der sich als tumorfrei erwies. Im Juni 2002 wurden ein Rezidiv an der Primärstelle sowie eine subkutane Metastase an der linken Hand vollständig entfernt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Diagnose wie der Behandlung wird auf das Schreiben der behandelnden Ärzte vom 21. Juli 2004 Bezug genommen.

Im Anschluss an die Rezidiv- und Metastasenentfernung wurde eine nur kurzzeitig unterbrochene Dauertherapie mit Sandostatin begonnen. Dem Versicherten wurden unter anderem die streitbefangenen Verordnungen vom 27. Juni, 25. Juli und 24. September 2003 ausgestellt, die allesamt im Quartal 3/2003 eingelöst wurden und abzüglich der Rabatte und der Patientenzuzahlungen einen Nettowert von insgesamt 4.946,31 EUR hatten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Verordnungen wird auf die Rezeptimages Bezug genommen. Der Versicherte stellte sich zuletzt im November 2003 in der Hochschulambulanz vor und war zu diesem Zeitpunkt weiterhin tumorfrei.

Sandostatin ist ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Octreotid-Acetat, ein langwirksames, synthetisches Analogon des Hormons Somatostatin. Das Mittel war im streitbefangenen Quartal unter anderem zur symptomatischen Behandlung bestimmter endokrin aktiver Tumoren des Gastrointestinaltrakts zugelassen. Zur Behandlung eines Merkelzellkarzinoms war das Mittel nicht zugelassen und ist dies bis heute nicht. Auf die Fachinformation Stand Dezember 2002 wird Bezug genommen.

Die Beigeladene zu 1, bei der der Versicherte krankenversichert war, beantragte am 21. Mai 2004 bei der seinerzeit für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Beigeladenen zu 2, wegen der Verordnungen im Quartal 3/2003 eine Prüfung in besonderen Fällen durchzuführen. Es sei zu klären, ob nicht eine Off-Label-Verordnung vorliege. Die behandelnden Ärzte führten in einem an den Beigeladenen zu 2 gerichteten Schreiben vom 21. Juli 2004 aus, in der Literatur gebe es Hinweise darauf, dass eine Sandostatin-Therapie das metastasenfreie Intervall verlängere und zur Tumorregression bei schon metastasiertem Merkelzellkarzinom führe. Phase-III-Studien würden aufgrund der geringen Fallzahlen weltweit allerdings nicht vorliegen. Der Ansatz erscheine aber sinnvoll, weil Merkelzellkarzinome Rezeptoren für Octreotid aufweisen würden und das Arzneimittel bereits bei anderen neuroendokrinen Tumoren zugelassen sei. Der zwischenzeitlich eingerichtete "Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung H." (im Folgenden: Prüfungsausschuss), der das Prüfverfahren fortführte, informierte den Kläger mit Schreiben vom 4. Mai 2005 über den Prüfantrag und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Beschluss vom 19. Mai 2006 wies der Prüfungsausschuss den Prüfantrag als unzulässig zurück; die paritätischen Prüfgremien seien nicht länger für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Hochschulambulanzen zuständig. Die Beigeladene zu 1 rief gegen diese Entscheidung den Beklagten an, worüber der Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2006 informiert wurde. Der Beklagte schloss sich der Auffassung des Prüfungsausschusses an und wies den Widerspruch mit Beschluss vom 11. Oktober 2006 zurück. Hiergegen klagte die Beigeladene zu 1 vor dem Sozialgericht Hamburg (S 3 KA 537/06=L 2 KA 26/08 KA). Der Kläger war an diesem Rechtsstreit als Beigeladener beteiligt. Das Verfahren endete in der Berufungsinstanz damit, dass der Beklagte seinen Beschluss sowie den vorhergehenden Beschluss des Prüfungsausschusses aufhob und die Sache zur erneuten Entscheidung an die inzwischen errichtete "Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H." (im Folgenden: Gemeinsame Prüfungsstelle) verwies.

Diese setzte mit Bescheid vom 23. Juli 2009 unter anderem wegen der streitbefangenen Verordnungen einen Regress in Höhe der Nettokosten fest. In ihrer Rechtsbehelfsbelehrung gab sie als statthaftes Rechtsmittel die Klage vor dem Sozialgericht Hamburg an.

Am 21. August 2009 hat der Kläger dort gegen die streitbefangene Regressfestsetzung Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Prozessstoff auf vier Verfahren aufgeteilt und unter dem 17. Mai 2010 eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid angekündigt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2010 unter anderem nach seiner Beteiligtenstellung im vorangegangenen Klageverfahren gefragt. Das Sozialgericht hat hierzu mit Schreiben vom 2. Januar 2011 Erläuterungen gegeben. Mit Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2011 hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, Sandostatin sei nicht zur Behandlung eines Merkelzellkarzinoms zugelassen gewesen und die Voraussetzungen für eine Off-Label-Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung würden nicht vorliegen. Es habe keine Situation vorgelegen, in der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen ausscheide und andere Behandlungsmöglichkeiten der sicherlich lebensbedrohlichen Erkrankung nicht zur Verfügung stehen würden. Die anwendbaren Leitlinien würden in bestimmten, hier nicht einschlägigen Fällen eine Strahlentherapie empfehlen und ansonsten keine weiteren Behandlungsmaßnahmen. Empfohlen würden lediglich engmaschige Nachsorgeuntersuchungen. Die Behandlung mit Sandostatin sei daher keine alternativlose Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung gewesen, sondern der innerhalb oder außerhalb einer Studie erfolgte Versuch, die Rezidiv-Gefahr zu vermindern. Die vierjährige Ausschlussfrist sei durch den Prüfantrag der Beigeladenen zu 1 unterbrochen worden.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 7. Januar 2011 zugestellt worden. Am 7. Februar 2011 hat er hiergegen Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist das Prüfverfahren vor dem Beklagten nachgeholt worden. Dieser hat die Regressfestsetzung mit Beschluss vom 6. Juni 2012 bestätigt. Er hat sich die Ausführungen des Sozialgerichts Hamburg zu Eigen gemacht und ergänzend ausgeführt, dass er nicht durch Zeitablauf an einer Regressfestsetzung gehindert sei. Die Beschlussausfertigung für den Kläger ist am 2. Juli 2012 abgesandt worden. Der Kläger hatte bereits mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2011 erklärt, dass sich die Klage nunmehr gegen den Beklagten richten solle.

Der Kläger rügt zunächst die Entscheidung durch Gerichtsbescheid als verfahrensfehlerhaft: Das Sozialgericht habe nicht dargelegt, warum es in dieser Form entscheide; es habe sich mit dem klägerischen Vorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit dem letzten Schriftsatz vom 22. Dezember 2010 und der vorgelegten medizinischen Fachliteratur, und es habe fehlerhaft von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Der Kläger hält eine Zurückverweisung an das Sozialgericht für geboten. In der Sache hat er bezweifelt, dass die Sandostatin-Gabe außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs erfolgt sei, auch das Merkelzellkarzinom sei ein endokriner Tumor. Jedenfalls habe für den Versicherten keine Standardtherapie zur Verfügung gestanden, denn eine Strahlen- oder Chemotherapie sein wegen seines hohen Alters, wegen des fortgeschrittenen Stadiums der Erkrankung, das zwischen den Stadien II und III anzusiedeln sei, und wegen seiner Hepatitis C kontraindiziert gewesen sei. Mit der nebenwirkungsarmen Sandostatin-Behandlung habe hingegen eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Das zeige schon der Behandlungsverlauf selbst. Überdies seien Octreotid-Rezeptoren am Merkelzellkarzinom nachgewiesen worden und in einigen Untersuchungen habe der Wirkstoff einen wachstumsunterdrückenden Einfluss auf schwere oder nicht mehr operable Tumore im Kopf- und Hals-Bereich gezeigt. Ferner erhebt der Kläger die Einrede der Verjährung, vorsorglich auch die Einrede der Überschreitung der vierjährigen Ausschlussfrist, beruft sich auf Verwirkung und vertritt insgesamt die Auffassung, der zeitliche Ablauf verbiete hier eine Regressfestsetzung: Damit habe er nicht mehr rechnen müssen, zumal die Prüfgremien und das Sozialgericht zunächst ohne inhaltliche Auseinandersetzung stets zu seinen Gunsten entschieden hätten. Der Kläger sieht in der angegriffenen Regressfestsetzung eine unzulässige reformatio in peius, denn zu seiner Inanspruchnahme sei es erst gekommen, nachdem der Beklagte sämtliche bisherigen Prüfentscheidungen aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung an die Gemeinsame Prüfungsstelle abgegeben habe. Diese Verböserung lasse sich nicht mit einem Verweis auf den von der Beigeladenen zu 1 ergriffenen Rechtsbehelf rechtfertigen, denn der letztlich festgesetzte Regress beruhe nicht hierauf, sondern auf dem Anerkenntnis des Beklagten im ersten Klagverfahren. Außerdem sei die Gemeinsame Prüfungsstelle keine übergeordnete Stelle, die den Regress im Rechtsbehelfsverfahren festgesetzt habe.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Januar 2011 und den Beschluss des Beklagten vom 6. Juni 2012 hinsichtlich des wegen der Verordnungen für den Versicherten P.R. festgesetzten Regresses aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Die Beigeladene zu 1 hat sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen, die Beigeladene zu 2 hat sich nicht zur Sache geäußert. Anträge haben die Beigeladenen nicht gestellt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Akte des Beklagten und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. Februar 2013 hinzugezogenen weiteren Akten des Sozial- und Landessozialgerichts Hamburg Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben worden.

II. Der Senat trifft eine eigene Entscheidung in der Sache und nimmt die Anregung des Klägers nicht auf, die Sache gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Die Sache ist entscheidungsreif, so dass eine Zurückverweisung schon deswegen ausscheidet (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, § 159 Rn. 5b, m.w.N. aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung). Mit Blick auf die vom Kläger vorgebrachten Verfahrensrügen sei lediglich ergänzt, dass die vom Sozialgericht gewählte Entscheidungsform rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dieses hat mit der Entscheidung, gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, eine Ermessensentscheidung getroffen, die vom Senat nur auf Ermessensfehler überprüft wird (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller./ders., SGG, § 105 Rn. 25, m.w.N.). Es spricht nichts dafür, dass das Sozialgericht sachfremde Erwägungen angestellt oder seiner Ermessensentscheidung eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde gelegt hat. Insbesondere hat es sich mit der von ihm vertretenen Auffassung, beim Versicherten sei eine leitliniengerechte Behandlung möglich gewesen und tatsächlich auch durchgeführt worden, folgerichtig zu keinen weiteren Sachverhaltsermittlungen veranlasst gesehen. Es hat dem Kläger eine konkrete, einzelfallbezogene und insgesamt genügende Anhörungsmitteilung übersandt und ihm eine Stellungnahmefrist von einem Monat eingeräumt. Den klägerischen Schriftsatz vom 22. Dezember 2010 hat es erkennbar vor Erlass des Gerichtsbescheids zur Kenntnis genommen und darauf noch mit Schreiben vom 2. Januar 2011 reagiert. Dass das Sozialgericht eine etwaige weitere Einlassung des Klägers nicht abgewartet hat, ist nicht zu beanstanden, zumal der Kläger insgesamt mehr als sieben Monate lang Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt und keine weitere Einlassung angekündigt hat.

III. Die Berufung ist nicht begründet.

1. Den Streitgegenstand bildet inzwischen allein der Beschluss des Beklagten vom 6. Juni 2012. Dieser hat den ursprünglichen Verwaltungsakt der Gemeinsamen Prüfungsstelle ersetzt, da der Beklagte nach seiner Anrufung ausschließlich und endgültig für das weitere Prüfverfahren zuständig geworden ist (vgl. nur BSG 11.5.2011 – B 6 KA 13/10 R – Juris, st. Rspr.). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Verfahren vor dem Beklagten erst während des Berufungsverfahrens durchgeführt worden ist. Der als Widerspruchsentscheidung zu behandelnde Beschluss des Beklagten ist gemäß § 95 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens geworden. Die vertragsarztrechtlichen Besonderheiten bewirken lediglich, dass der Beschluss nunmehr den alleinigen Klagegegenstand bildet, während der ursprüngliche Bescheid der Gemeinsamen Prüfungsstelle ersetzt worden und nicht länger Gegenstand des Gerichtsverfahrens ist (vgl. auch dazu BSG 11.5.2011 – B 6 KA 13/10 R – Juris – m.w.N.).

2. Die Klage ist zulässig. Sie richtet sich inzwischen allein gegen den Beklagten, der aufgrund des vom Kläger wirksam erklärten Beteiligtenwechsels an die Stelle der Gemeinsamen Prüfungsstelle getreten ist. Der Kläger kann sein Begehren zulässigerweise mit einer reinen Anfechtungsklage verfolgen, weil er schon mit dieser sein Rechtsschutzziel vollständig erreichen kann: Im Obsiegensfall würde der angegriffene Beschluss aufgehoben, wodurch der – hier in der Klageerhebung liegende – Widerspruch des Klägers gegen die Regressfestsetzung durch die Gemeinsame Prüfungsstelle neu beschieden werden müsste. Schon das würde den Beklagten verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Widerspruch zu entscheiden, ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen gerichtlichen Verpflichtung bedürfen würde (vgl. BSG 24.11.1993 – 6 RKa 20/91 – Juris).

3. Die Klage ist unbegründet, denn der angegriffene Beschluss des Beklagten erweist sich als rechtmäßig.

a. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Krankenversicherung – in der Fassung des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3779 – SGB V a.F.) i.V.m. mit § 20 Abs. 1 Satz 1 der von der Beigeladenen zu 2 und den Landesverbänden der Krankenkassen vereinbarten Prüfungsvereinbarung vom 3. Februar 1994 in der Fassung des 3. Nachtrags vom 21. Juni 1999 (Prüfungsvereinbarung a.F.). Diese Vorschrift, die für alle Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung verbindlich ist, ermächtigt die Prüfgremien unter anderem dazu, auf Antrag einer Krankenkasse zu prüfen, ob ein Arzt mit seiner Arzneimittelverordnung im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Sie steht mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang, denn § 106 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 1 SGB V a.F. berechtigt die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen, gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten zu vereinbaren und ermächtigt regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen (vgl. BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.).

b. In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Regressfestsetzung. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte als Prüfmethode eine (eingeschränkte) Einzelfallprüfung gewählt hat. Diese Prüfmethode ist insbesondere dann sachgerecht, wenn wie hier das individuelle Vorgehen eines Teilnehmers an der vertragsärztlichen Versorgung in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (vgl. BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.).

c. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Prüfungsvereinbarung a.F. liegen vor. Insbesondere waren die streitbefangenen Verordnungen unwirtschaftlich. Der Kläger konnte Sandostatin nicht zu Lasten der Beigeladenen zu 1 verordnen, so dass die gleichwohl ausgestellten Verordnungen zumindest auch unwirtschaftlich sind (vgl. BSG 27.6.2012 – B 6 KA 72/11 B – Juris, m.w.N.).

aa. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels beurteilt sich in erster Linie danach, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft; die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl. nur BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris). Bei Fertigarzneimitteln ist daher kein Raum für eine Überprüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bzw. seinen Vorgänger. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Arzneimittelzulassungsverfahren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in ähnlicher Weise wie das Überprüfungsverfahren durch den G-BA gewährleistet. Ist die arzneimittelrechtliche Prüfung durchlaufen und dementsprechend für das Arzneimittel die Zulassung erteilt worden, so ist es grundsätzlich nur in diesem Umfang verordnungsfähig im Sinne des SGB V (vgl. nur BSG 5.11.2008 – B 6 KA 63/07 R – Juris, st. Rspr.).

bb. Die in der Hochschulambulanz tätigen Ärzte setzten Sandostatin außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets ein, denn zur Behandlung von Merkelzellkarzinomen war das Mittel nicht zugelassen. Soweit der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung sinngemäß vorgebracht hat, möglicherweise habe es sich beim Tumor am Ellenbogen um eine Tochtergeschwulst gehandelt, während sich der Primärtumor im Gastrointestinaltrakt befunden habe, braucht der Senat dem nicht weiter nachzugehen. Der Beklagte hat zur Beurteilung der Unwirtschaftlichkeit der streitbefangenen Verordnungen eine eingeschränkte Einzelfallprüfung durchgeführt. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn bei dieser Beweismethode die von Arztseite dokumentierte Diagnose als zutreffend zugrunde gelegt und überprüft wird, ob der vorgenommene Behandlungs- und Verordnungsumfang auf dieser Grundlage gerechtfertigt ist (vgl. BSG 27.6.2007 – B 6 KA 44/06 R – Juris). Die Ärzte, die den Versicherten in der Hochschulambulanz behandelten, setzten Sandostatin zur Behandlung des diagnostizierten Merkelzellkarzinoms ein, wie ihr Schreiben vom 21. Juli 2004 deutlich macht. Das zeigt sich etwa daran, dass sie die Ratio der Behandlung mit den Octreotid-Rezeptoren des Merkelzellkarzinoms begründeten. Eine ärztliche Dokumentation, die diese zeitnahen, nämlich gut acht Monate nach Abschluss der Behandlung gemachten Angaben im Nachhinein als unzutreffend erscheinen lassen würde, hat der Kläger dem Beklagten nicht zur Verfügung gestellt und im Übrigen auch im gerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt. Insbesondere gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass mit Sandostatin eine – beim Versicherten nicht einmal als Verdachtsdiagnose erwähnte – Tumorerkrankung des Gastrointestinaltrakts behandelt werden sollte.

cc. Die demnach vorliegenden Off-Label-Verordnungen waren nicht aufgrund untergesetzlicher Regelungen zulässig. Eine Empfehlung der Expertengruppe nach § 35b Abs. 3 Satz 1 SGB V scheidet für den streitbefangenen Zeitraum aus; diese Möglichkeit ist erst zum 1. Januar 2004 durch das GKV-Modernisierungsgesetz eingeführt worden. Im Übrigen existiert eine solche Empfehlung bis heute nicht. Zur Behandlung des Merkelzellkarzinoms ist auf diesem Weg lediglich die Off-Label-Verordnung von Doxorubicin, einem Zytostatikum, zur palliativen Therapie des disseminierten oder lokoregionär fortgeschrittenen/inoperablen Merkelzellkarzinoms für zulässig erklärt worden (vgl. Beschluss des G-BA vom 23.6.2011 – BAnz. Nr. 144 (S. 3328) vom 22.9.2011). Damit ist keine Aussage zur Sandostatin-Behandlung verbunden.

dd. Ebenso wenig waren die streitbefangenen Verordnungen nach den allgemeinen Grundsätzen für eine Off-Label-Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausnahmsweise zulässig. Von den hierfür erforderlichen Voraussetzungen (schwerwiegende bzw. lebensbedrohliche Erkrankung/keine andere Therapiemöglichkeit/begründete Aussicht auf Behandlungserfolg) fehlte es jedenfalls an der begründeten Aussicht, gerade mit Sandostatin als dem hier betroffenen Arzneimittel einen Behandlungserfolg kurativ oder palliativ erzielen zu können. Dieses Erfordernis umfasst nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne Durchlaufen des Zulassungsverfahrens in Betracht kommen, müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl. BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.). Hiervon ist nur angesichts von Forschungsergebnissen auszugehen, die erwarten lassen, dass das konkrete Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann, weil entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (vgl. BSG 19.3.2002 – B 1 KR 37/00 R – Juris – m.w.N.; BSG 30.6.2009 – B 1 KR 5/09 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.). Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gleich und erfordert den zu erbringenden wissenschaftlichen Nachweis durch Studien, die die an eine Phase III-Studie zu stellenden qualitativen Ansprüche erfüllen (vgl. BSG 30.6.2009 – B 1 KR 5/09 R – Juris – m.w.N.; BSG 8.11.2011 – B 1 KR 19/10 R Juris – m.w.N., st. Rspr.). Dass Sandostatin zur Behandlung eines Merkelzellkarzinoms geeignet und unbedenklich ist, war im Zeitpunkt der streitbefangenen Verordnungen nicht ausreicht belegt und ist dies im Übrigen bis heute nicht. Es fehlte an einer Datenlage, die Anlass für eine Zulassungserweiterung gegeben hätte. Das wird vom Kläger letztlich nicht bestritten. Vielmehr räumten bereits die behandelnden Ärzte in ihrem Schreiben vom 21. Juli 2004 das Fehlen einer Phase III-Studie ein. Tatsächlich gibt es aufgrund seiner geringen Inzidenz keine kontrollierten, prospektiven Studien zum Merkelzellkarzinom (Weller K et al.: Umsetzung von Leitlinien bei seltenen Erkrankungen am Beispiel des Merkelzellkarzinoms. Dtsch Ärztebl 2006; 42: A 2791-2796). Auch die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Veröffentlichungen, die im Übrigen teilweise erst nach Ausstellung der streitbefangenen Verordnungen publiziert wurden, genügen nicht den Anforderungen an einen randomisierten, placebokontrollierte Phase III-Studie. Di Bartholomeo et al. (Cancer, 1996 Jan 15; 77 (2): 402-408) berichten über eine multizentrische Phase II-Studie und bezeichnen deren Ergebnisse in Bezug auf eine erhoffte tumorunterdrückende Wirkung als enttäuschend ("In terms of tumor regression, octrotid is disappointing"). Bei den anderen Veröffentlichungen handelt es sich, jedenfalls was die hier interessierende Behandlung des Merkelzellkarzinoms angeht, lediglich um Studien mit geringen Fallzahlen, Einzelfallberichte oder um Darstellungen klinischer Erfahrungen. Selbst diesen nicht ausreichend validen Untersuchungen lassen sich keine genügenden Belege dafür entnehmen, dass der Sandostatin-Einsatz hier geeignet und unbedenklich war. Nach Kau R J et al. (Nachweis von Somatostatinrezeptoren in Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs und ihre klinische Bedeutung. Laryngo-Rhino-Otol. 1994, 73: 21-26) zeigen die vorläufigen Ergebnisse bei schwer oder nicht operablen neuroendokrinen Kopf-Hals-Tumoren "einen wachstumsunterdrückenden Einfluss"; die Octreotid-Therapie stehe daher neben der Radiotherapie zur Verfügung bei Tumoren, "die aus irgendwelchen Gründen operativ nicht angegangen werden können". Eine solche Erschwerung lag beim Versicherten ausweislich der vom Kläger vorgelegten Behandlungsdokumentation nicht vor; sowohl der Primärtumor und das Rezidiv am linken Ellenbogen als auch die Metastasen an der linken Hand waren vollständig entfernt worden und es gibt für den streitbefangenen Zeitraum keinerlei Hinweis auf einen inoperablen weiteren Tumor. Helmbold P et al. (Das Merkelzellcarcinom: eine diagnostische und therapeutische Herausforderung. Chirurg 2001; 72: 396-401) diskutieren den Einsatz von Octreotid bei Fernmetastasen im Krankheitsstadium III, das ausweislich der Behandlungsdokumentation beim Versicherten nicht vorlag, und bleiben selbst dort zurückhaltend ("Die Prognose wird dadurch allerdings wenig beeinflusst"). Helmbold P et al. (Merkel-Zell-Karzinom. Der Hautarzt 2002; 53: 652-685) stufen eine Octreotid-Therapie dann zwar als Alternative zu einer aggressiven Strahlentherapie ein ("könnte eine Alternative sein"), dies aber wiederum nur bezogen auf das beim Versicherten nicht vorliegende Krankheitsstadium III, in dem "operative Therapien meist wenig sinnvoll" sind. Cirillo F et al. (Clinical experience on eight cases of Merkel cell carcinoma. Tumori 2003; 89 (2): 146-151) beobachteten in einer vergleichsweise kleinen Gruppe von acht Patienten mit dem auch für den Versicherten dokumentierten Krankheitsstadium II erst einmal nur pauschal ein nebenwirkungsfreies Ansprechen ("interesting responses without side effects"). Bilotti G et al. (Multiple effects of somatostatin analogs verified in three cases of metastasized neuroendocrine tumors of the gastroenteropancreativ system. Tumori 2006; 92: 170-174) bezeichnen die Wirkung einer Octreotid-Therapie schließlich noch im Jahr 2006 als unzuverlässig ("remains basically unreliable").

ee. Der Kläger kann nicht mit Erfolg vorbringen, beim Versicherten sei der Behandlungsanspruch wegen der Schwere der Erkrankung verfassungskonform zu erweitern gewesen. (1) Es trifft zwar zu, dass gegen einen Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung kein Arzneikostenregress festgesetzt werden darf, wenn der Versicherte, für den die Verordnung erfolgt, unter Außerachtlassung der Begrenzungen des AMG und des § 135 Abs. 1 SGB V ausnahmsweise einen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Medikament hat (vgl. auch insoweit BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.). Eine solche Konstellation lag aber nicht vor. Aus den Grundrechten folgt regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen und sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassung wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG 6.12.2005 – 1 BvR 347/98 – Juris). Selbst bei einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage liegt kein Verfassungsverstoß vor, wenn die Leistungspflicht einer Krankenkasse im Rahmen der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels mit der Begründung verneint wird, nach den vorliegenden Erkenntnissen lägen keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse vor, aus denen sich hinreichende Erfolgsaussichten für den begehrten Off-Label-Use ableiten ließen (BVerfG 30.6.2008 – 1 BvR 1665/07 – Juris).

(2) Abweichendes gilt erst dann, wenn eine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbar schwere Erkrankung vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht; nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fernliegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht (vgl. zusammenfassend BSG 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris – m.w.N. auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Für den Versicherten stand aber eine dem medizinischen Standard entsprechende Therapie zur Verfügung, worauf bereits das Sozialgericht abgestellt hat. Bei einem Merkelzellkarzinom im klinischen Stadium II bestand die leitliniengerechte Basistherapie im streitbefangenen Zeitraum in der vollständigen chirurgischen Exzision der Primärtumoren, möglichst mit einem Sicherheitsabstand von 3 cm. Auch bei Lokalrezidiven war die chirurgische Sanierung die Therapie der Wahl, die mit kurativer Intention vorgenommen werden sollte. Bei Mikrometastasierung sowie bei Lymphknotenbefall war eine radikale Lymphadenektomie vorzunehmen (vgl. Garbe C, ed., Interdisziplinäre Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Hauttumoren, Kapitel "Deutsche Leitlinie: Merkelzellkarzinom (Kutanes neuroendokrines Karzinom)" – aktualisierte Kurzfassung, Stand: September 2007, die gegenüber den Vorversionen insoweit unverändert war; sowie die Übersicht bei Weller K et al.: Umsetzung von Leitlinien bei seltenen Erkrankungen am Beispiel des Merkelzellkarzinoms. Dtsch Arztebl 2006; 42: A 2791-2796). Diese Maßnahmen wurden beim Versicherten in den Jahren 2001 und 2002 erfolgreich durchgeführt. Anschließend beschränkte sich die leitliniengerechte Basistherapie darauf, wegen der Gefahr von Lokalrezidiven oder regionären Metastasen engmaschige Nachsorgeuntersuchungen durchzuführen. Nicht durchgeführt wurde eine Strahlenbehandlung, die nach der plausiblen Schilderung des Klägers bei dem Versicherten nicht angezeigt gewesen wäre. Diese gehörte aber nicht zur Standardtherapie des Merkelzellkarzinoms, sondern wurden nach den im streitbefangenen Quartal existierenden Leitlinien nur als Adjuvans empfohlen. Eine Chemotherapie, die ebenfalls nicht für angezeigt gehalten wurde, ist nach den seinerzeit existierenden Leitlinien nur als Palliativmaßnahme bei Vorliegen von Fernmetastasen, also im Krankheitsstadium III indiziert, das beim Versicherten nicht gegeben war. Im Übrigen haben die Leitlinien auch in ihrer aktuellen Fassung diese Empfehlungen im Wesentlichen beibehalten: bei Lokalrezidiven ist die mit kurativer Intention durchgeführte chirurgische Sanierung die Therapie der Wahl, eine Strahlentherapie soll lediglich als Adjuvans durchgeführt werden. (Becker J C et al., S2k – Kurzleitlinie – Merkelzellkarzinom (MCC, kutanes neuroendokrines Karzinom) – Update 2012). Der Einwand des Klägers, beim Versicherten habe sich das Merkelzellkarzinom zwischen den Stadien II und III befunden, wird durch seine ärztliche Dokumentation in keiner Weise gestützt; das ausführliche Schreiben der behandelnden Ärzte vom 21. Juli 2004, das gerade zur Vorlage im Prüfverfahren erstellt worden war, gibt das Krankheitsstadium mit II an.

ff. Der Kläger kann sich nicht auf einen Seltenheitsfall berufen.

(1) Eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen nach den Grundsätzen eines Seltenheitsfalls ist nicht schon bei jedem seltenen Krankheitsfall anzunehmen, d.h. nicht immer schon dann, wenn von der Erkrankung nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind (vgl. zu dieser Schwelle BSG 3.7.2012 – B 1 KR 25/11 R – Juris – m.w. N. aus dem europäischen Sekundärrecht). Zu der niedrigen Prävalenzrate muss hinzutreten, dass die Krankheit wegen ihrer Singularität weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann (vgl. BSG 16.12.2008 – B 1 KN 3/07 KR R – Juris; 8.11.2011 – B 1 KR 20/10 R – Juris; 3.7.2012 – B 1 KR 25/11 R – Juris, st. Rspr.). Denn die Besonderheiten seltener Erkrankungen rechtfertigen es grundsätzlich nicht, die Evidenzanforderungen an Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln für ihre Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abzusenken. Dies wäre auch ein problematischer Widerspruch zum nationalen wie europäischen Zulassungsrecht, demzufolge Arzneimittel für seltene Leiden, so genannte orphan drugs, grundsätzlich dem normalen Bewertungsverfahren für die Marktzulassung unterliegen. Dahinter steht die Maxime, dass Patienten, die an seltenen Erkrankungen leiden, denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln haben wie andere Patienten. Den Nachweisschwierigkeiten des Antragstellers im Zulassungsverfahren wird insoweit begegnet, als ihm unter bestimmten Auflagen eine erleichterte Zulassung erteilt werden kann (vgl. nochmals BSG 3.7.2012 – B 1 KR 25/11 R – Juris – m.w.N. aus dem AMG und dem europäischen Sekundärrecht).

(2) Gemessen an diesem Maßstab ist das Merkelzellkarzinom kein Seltenheitsfall i.S.d. des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung. Selbst wenn man es zugunsten des Klägers als seltene Erkrankung einordnet, entzieht es sich doch nicht der medizinischen Erforschung. Obgleich wie erwähnt Phase III-Studien vollständig fehlen und die vorliegenden Untersuchungen nur einen geringen Evidenzgrad aufweisen, hat sich ein Fachkonsens zur Diagnostik und Therapie herausbilden können. Das zeigen schon die seit 1998 bestehenden Leitlinien. Diese sahen im streitbefangenen Zeitraum und sehen bis heute eine Basistherapie vor. Wie ausgeführt, wurde dem Versicherten eine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zuteil. Nach der chirurgischen Behandlung, die für sich genommen erfolgreich war, blieb die engmaschige Nachsorge, um ein Rezidiv oder weitere Metastasen möglichst frühzeitig erkennen und ggf. chirurgisch entfernen zu können. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dies – unter den gegebenen Bedingungen einer schweren und fortschreitenden Erkrankung – gerade in seinem Fall keine zufriedenstellende Methode war.

(3) Da es mithin bereits an einem Seltenheitsfall fehlt, kommt es nicht darauf an, ob die streitbefangene Behandlung bei abgesenkten Evidenzanforderungen gerechtfertigt gewesen wäre. Gleichwohl sei ergänzend hervorgehoben, dass es nicht einmal Hinweise darauf gibt, dass im streitbefangenen Zeitraum eine Octreotid-Therapie bei Merkelzellkarzinomen in dem für den Versicherten dokumentieren Stadium II im Sinne einer "Good Clinical Practice" allgemein üblich und innerhalb der Konsensusgruppe eine Übereinkunft über das Verfahren erzielt worden war. Bis heute erwähnen die relevanten Leitlinien diese Behandlung nicht (Becker J C et al., S2k – Kurzleitlinie – Merkelzellkarzinom (MCC, kutanes neuroendokrines Karzinom) – Update 2012). Soweit die Octreotid-Therapie in einzelnen Veröffentlichungen als Behandlungsalternative beschrieben wird, bezieht sich dies vorrangig auf das hier nicht betroffene Stadium III der Erkrankung. Die Wirksamkeit der Behandlung kann auch nicht ohne Weiteres mit dem Argument unterstellt werden, Merkelzelltumoren würden Rezeptoren für das Hormon Somatostatin aufweisen, ebenso wie andere endokrine Tumoren, zu deren Behandlung Sandostatin zugelassen sei. Denn in der Fachinformation hieß es schon im streitbefangenen Zeitraum bezogen auf endokrin aktive Tumoren des Gastrointestinaltrakts, ein Einfluss auf das Tumor- und Metastasenwachstum sei nicht nachgewiesen.

gg. Die Wirtschaftlichkeit der streitbefangenen Verordnungen kann schließlich nicht damit begründet werden, dass sie durch Ärzte einer Hochschulambulanz erfolgte. Als ermächtigte Einrichtung ist diese zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet. Die in ihr tätigen Ärzte dürfen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung Fertigarzneimittel nur für die jeweilige zugelassene Indikation verordnen und auch die gesetzlichen und richterrechtlichen Ausnahmen greifen nur im sonst üblichen Rahmen (vgl. BSG 8.11.2011 – B 1 KR 19/10 R – Juris).

b. Da mithin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Prüfungsvereinbarung a.F. vorlagen, war der Beklagte zur Regressfestsetzung berechtigt, vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1 Prüfungsvereinbarung a.F. Dass er tatsächlich einen Regress festgesetzt und es nicht bei einer Beratung des Klägers belassen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar statuiert § 10 Prüfungsvereinbarung a.F. den Vorrang der Beratung. Nach seinem Abs. 6 Satz 1 und 2 schließt das jedoch die Regressfestsetzung in Einzelfällen ohne vorherige Beratung nicht aus, insbesondere bei der hier vorgenommenen Prüfung einzelner Verordnungen. Für die Regressfestsetzung streitet hier, dass es sich um unzulässige Off-Label-Verordnungen einer Hochschulambulanz und nicht etwa eines Berufsanfängers in Einzelpraxis handelt, dass die beim Kläger tätigen Ärzte wussten, dass sie sich mit ihren Verordnungen im Off-Label-Bereich bewegten und dies – mit Blick auf die Parallelverfahren L 1 KA 13/11 und L 1 KA 15-16/11 – auch noch über einen Zeitraum von jedenfalls vier Quartalen. Bei einer solchermaßen evidenten Unwirtschaftlichkeit ist die Regressfestsetzung nicht zu beanstanden, wenn sie den Beklagten nicht sogar verpflichtete, die Unwirtschaftlichkeit vollständig abzuschöpfen (vgl. dazu BSG 3.2.2010 – B 6 KA 37/08 – Juris – m.w.N.) Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Gegenüber der Höhe des festgesetzten Regresses, die den Nettokosten der streitbefangenen Verordnung entspricht, bestehen keine Bedenken.

5. Der Beklagte ist nicht durch Zeitablauf an der Regressfestsetzung gehindert gewesen.

a. Die Regressfestsetzung wegen unzulässiger Verordnungen unterliegt nicht der Verjährung, sondern einer Ausschlussfrist (vgl. zusammenfassend BSG 5.5.2010 – B 6 KA 5/09 R – Juris, st. Rspr.). Die Frist beträgt vier Jahre und beginnt, wenn wie hier Off-Label-Verordnungen in Streit stehen, mit dem Ablauf des betroffenen Quartals (vgl. BSG 18.8.2010 – B 6 KA 14/09 R – Juris; 15.8.2012 – B 6 KA 27/11 R – Juris, st. Rspr.). Die Ausschlussfrist endete demnach mit dem 30. September 2007. Der Prüfungsausschuss erließ seinen Beschluss bereits am 19. Mai 2006. Zudem wurde der Lauf der Vier-Jahres-Frist durch den Prüfantrag der Beigeladenen zu 1, welcher das antragsgebundene Prüfverfahren erst angestoßen hatte, gehemmt. Der Kläger hatte die dafür erforderliche Kenntnis von dem ausreichend konkreten, auf die streitbefangenen Verordnungen gerichteten Prüfanträgen erlangt (vgl. zusammenfassend zu diesem Erfordernis BSG 5.5.2010 – B 6 KA 5/09 R – Juris): Das noch an die Beigeladene zu 2 gerichtete Schreiben vom 21. Juli 2004 legt nahe, dass der Kläger bereits zuvor informiert worden war. Jedenfalls wurde er mit Schreiben des Prüfungsausschusses vom 4. Mai 2005 (erneut) über den Prüfantrag in Kenntnis gesetzt.

b. Der Kläger kann nichts daraus herleiten, dass der Prüfungsausschuss seine Entscheidung erst zwei Jahre nach Eingang des Prüfantrags traf. Selbst wenn man unterstellt, das Verfahren sei während dieser Zeit nicht betrieben worden, wäre dies unschädlich. In Angelegenheiten des Vertragsarztrechts entfällt die hemmende Wirkung eines Prüfantrags nicht etwa dann, wenn das Verfahren mehr als sechs Monate nicht weiterbetrieben wird. Dieser Rechtsgedanke des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB findet in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren keine Anwendung (vgl. auch insoweit BSG 5.5.2010 – B 6 KA 5/09 R – Juris – m.w.N.; LSG Hamburg 24.2.2005 – L 6 RJ 122/03 – Juris).

c. Da die ursprüngliche Ausschlussfrist vom Prüfungsausschuss eingehalten wurde und zudem gehemmt war, durfte das Prüfverfahren weiterhin durchgeführt werden. Denn die Fristenhemmung wirkt in dem Sinne fort, dass damit zugleich die Kompetenz zu weiteren Entscheidungen nachfolgender Instanzen gewahrt bleibt (vgl. BSG 18.8.2010 – B 6 KA 14/09 R – Juris – m.w.N.). Mit seinem Vorbringen, wegen des besonderen Ablaufs dieses Prüfverfahrens habe er nicht mehr mit einer Regressfestsetzung gerechnet, dringt er Kläger nicht durch. Auch wenn der streitgegenständliche Beschluss letztendlich erst gut acht Jahre nach Stellung des Prüfantrags ergangen ist, war der Kläger doch wie ausgeführt über die Prüfanträge der Beigeladenen zu 1 in Kenntnis gesetzt und anschließend über jeden ihrer Rechtsbehelfe (Anrufung des Beklagten, Klagerhebung und Berufungseinlegung) informiert worden. Am ersten Gerichtsverfahren war er als Beigeladener beteiligt. Ihm war daher bekannt, dass die ursprünglichen Prüfentscheidungen aufgehoben wurden und das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung – zunächst beim Gemeinsamen Prüfungsausschuss – erneut durchlaufen werden sollte. Daraus konnte der Kläger nur den Schluss ziehen, dass die Beigeladene zu 1 ihre Prüfanträge durchgehend weiter verfolgte und auf einer inhaltlichen Prüfung der Verordnungsweise bestand, die nunmehr durch die Prüfgremien erfolgen würde. Er musste durchweg damit rechnen, dass die für ihn günstige Entscheidung des Prüfungsausschusses nicht bestandskräftig werden und es letztlich zu einer Regressfestsetzung kommen werde. Sollte der Kläger gleichwohl geglaubt haben, allein der Zeitablauf schütze ihn vor einer Regressfestsetzung, wäre dieser Glaube nicht schützenswert. Denn die durchgehende Information und verfahrensmäßige Einbindung des Klägers trugen seinem Vertrauensschutz ausreichend Rechnung.

d. Ebenso wenig konnte der Kläger darauf vertrauen, die zunächst in seinem Sinne getroffenen Entscheidungen würden ihn vor einer Verböserung schützen. Das Verbot der reformatio in peius gilt auch im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Indes dürfen die nachfolgenden Prüfgremien grundsätzlich auch verbösernde Entscheidungen treffen, wenn wie hier eine einmal eingetretene Fristenhemmung ihre Entscheidungskompetenz wahrt und der Gegner – hier die Beigeladenen zu 1 – einen Rechtsbehelf einlegt (vgl. BSG 18.8.2010 – B 6 KA 14/09 R – Juris – m.w.N.; 15.8.2012 – B 6 KA 27/11 R – Juris; 15.8.2012 – B 6 KA 27/11 R – Juris – m.w.N., st. Rspr.). Dagegen kann der Kläger nicht einwenden, die erste für ihn negative Entscheidung sei von der Gemeinsamen Prüfungsstelle getroffenen worden, die gegenüber dem Prüfungsausschuss keine übergeordnete Stelle sei – was für sich genommen zutrifft. Denn Gegenstand dieses gerichtlichen Verfahrens ist allein die Regressfestsetzung durch den Beklagten. Bei diesem handelt es sich unproblematisch um ein Prüfgremium auf der zweiten Stufe, das die ursprüngliche Entscheidung des Prüfungsausschusses zulasten des Klägers verbösern durfte. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Beklagten bleibt es ohne Auswirkung, dass zuvor bereits die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress festgesetzt hatte. Der Beklagte hätte im ersten gerichtlichen Verfahren lediglich seine Entscheidung aufheben und sofort in eine Wirtschaftlichkeitsprüfung eintreten können. Indem er das Verfahren zunächst an die Gemeinsame Prüfungsstelle zurückgab und damit eine inhaltliche Prüfentscheidung zunächst auf der ersten Stufe ermöglichte, schränkte er seine eigenen Entscheidungsmöglichkeiten nicht ein. Das gilt umso mehr, als zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt war, ob im Streit über die Wirtschaftlichkeit von Off-Label-Verordnungen überhaupt ein Verfahren vor dem Beklagten durchzuführen war. Das Vorgehen des Beklagten gab dem Kläger keinerlei Anlass zu der Annahme, die Verfahren würden ohne Regressfestsetzung enden. Ebenso wenig hilft es ihm, dass es zu der erneuten Prüfung nur gekommen war, weil der Beklagte die ursprünglichen Prüfentscheidungen aufgehoben hatte. Denn auch die erneuten Prüfentscheidungen waren durch den Prüfantrag der Beigeladenen zu 1 und ihren Rechtsbehelfen veranlasst worden.

IV. Die Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig erklärt worden, weil diese jeweils keinen eigenen Antrag gestellt haben.

V. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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