L 8 SB 3009/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 SB 2017/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3009/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 07. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seines Grades der Behinderung (GdB) mit 50.

Der 1949 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger und unbefristet zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt. Für ihn wurde zuletzt infolge eines vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) geschlossenen Vergleichs (S 22 SB 702/04) ein GdB von 40 wegen eines Herzklappenfehlers (GdB 20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, eines Bandscheibenschadens (GdB 20), einer posttraumatischen Belastungsstörung (GdB 20), einer Funktionsbehinderung des Schultergelenks, Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks (GdB 10), eines chronischen Schmerzsyndroms (GdB 10), Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation (GdB 10) und einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (GdB 10) festgestellt (Ausführungsbescheid vom 18.05.2006).

Am 23. und 31.07.2009 beantragte der Kläger eine Neufeststellung seiner Behinderung. Der Beklagte zog Unterlagen beim Hausarzt des Klägers bei. Beim Orthopäden Dr. S. war der Kläger wegen eines Impingementsyndroms der Schulter, einer Bursitis im Schulterbereich, eines Zervikobrachialgie-Syndroms, einer Lumboischialgie, einer Coxarthrose und einer Chondromalacia patellae in Behandlung (Arztbriefe vom 05.05.2009 und 03.06.2009). Prof. Dr. K. stellte im Mai 2005 einen Narbenbruch am Oberbauch fest (Briefe vom 15.06.2005, 22.03.2007). Der Chirurg Dr. F. behandelte den Kläger wegen akuter LWS-Schmerzen und stellte einen Senk-Spreiz-Fuß, eine Gonarthrose, eine Coxarthrose, eine Polyarthralgie und eine chronische Gastritis fest (Brief vom 27.03.2007). Die HNO-Ärztin Dr. S. stellte eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Hörverlust von 50 dB bis 90 dB im ganzen Tonbereich fest und verordnete eine Hörhilfe. Wegen eines hohen Blutdrucks habe der Kläger Ohrgeräusche (Brief vom 21.04.2009). Beim Neurologen und Psychiater Dr. P. war der Kläger wegen eines Spannungskopfschmerzes, einer posttraumatischen Belastungsstörung und eines benignen paroxysmalen Schwindels in Behandlung (Arztbriefe vom 11. und 12.05.2009, 11.06.2005).

Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. S. vom 31.07.2009 ein, die ein Tonaudiogramm vom 21.04.2009 vorlegte und Ohrgeräusche mit psychovegetativen Begleiterscheinungen mitteilte. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J. teilte am 29.09.2009 folgende Diagnosen mit: Z.n. multiplen Messerstichen abdominal und thorakal, chronisches LWS-Syndrom bei sequestriertem NPP L4/5, chronisches HWS-Syndrom bei erheblich degenerativen Veränderungen, Impingement Syndrom rechts, Schulter mit Bursitis, Coxarthrose rechts, beginnende Gonarthrosis, posttraumatische Belastungsstörung mit chronischer Depression.

Nach Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. F., 20.10.2009) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.11.2009 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Dabei berücksichtigte er nunmehr folgende Behinderungen: Herzleistungsminderung, Bluthochdruck (GdB 20), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (GdB 20), posttraumatische Belastungsstörung, Schwindel (GdB 20), Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (GdB 20), chronisches Schmerzsyndrom (GdB 10), Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation (GdB 10), Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (GdB 10), Funktionsbehinderung des Schultergelenks, Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks (GdB 10).

Dagegen erhob der Kläger am 18.11.2009 Widerspruch, den der Beklagte nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. H., 16.02.2010) mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2010 zurückwies.

Dagegen erhob der Kläger am 31.03.2010 (Eingangsstempel auf dem Briefumschlag der Klageschrift, Bl. 10 der Akte des SG) Klage zum SG, zu deren Begründung er vortrug, dass er Gleichgewichtsstörungen habe, die dazu geführt hätten, dass er am 15.05.2010 beim Einkaufen umgefallen sei und stationär behandelt worden sei. Die posttraumatische Belastungsstörung mit Schwindel sei vom Beklagten zu niedrig bemessen. Auch die orthopädischen Beschwerden seien nicht hinreichend berücksichtigt. Außerdem müsse das chronische Schmerzsyndrom mit einem höheren GdB angesetzt werden.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für HNO-Heilkunde, Schlafmedizin Dr. B. teilte unter dem 18.06.2010 mit, er habe 2010 eine Neuropathia vestibularis diagnostiziert. Bei der letzten Vorstellung am 02.06.2010 habe kein Spontannystagmus mehr bestanden, so dass von einem zentral kompensierten Schwindel und damit von einer vorübergehenden Gesundheitsstörung ausgegangen werde. Der Kläger habe ihm gegenüber bei einer Vorstellung im Jahr 2006 keinen Tinnitus geäußert. Am 19.05.2010 sei in der Tonaudiometrie ein seitengleiches und regelrechtes Hörvermögen festgestellt worden.

Der Orthopäde Dr. M. gab unter dem 29.06.2010 an, den Kläger wegen einer beginnenden Coxarthrose rechts mit Geröllzystelbildung im Röntgenbild Pfannenerker rechts, einer Osteochondrose der LWS, einer beginnenden Gonarthrose rechts und einer Omarthrose der Schulter zu behandeln. Mit den vom ärztlichen Dienst angenommenen Einzel-GdB Werten sei er einverstanden, der festgestellte Gesamt-GdB erscheine ihm problematisch.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J. sagte unter dem 28.07.2010 aus, es bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung, ein paroxysmaler Schwindel, eine Innenohrschwerhörigkeit, ein chronisch vaskulärer Tinnitus, ein chronisches LWS-Syndrom, eine Coxarthrose, ein Impingement-Syndrom der rechten Schulter, eine obstruktive Prostatahyperplasie, eine arterielle Hypertonie, eine Neuropathie vestibularis rechts und ein Z.n. nach Herniotomie einer Narbenhernie nach Laparatomie bei Messerstichverletzung. Über eine Herzerkrankung sei ihm nichts bekannt. Er schätze den GdB auf 70.

Dr. J. legte u.a. einen Arztbrief des Prof. Dr. K. vom 24.06.2010, der eine Operation der Narbenhernie anriet, und des Urologen Dr. S. vom 23.02.2010 (obstruktive Prostatahyperplasie, Nierenzyste links, keine Therapie notwendig) vor.

Der Beklagte legte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vom 12.01.2011 vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.06.2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass im Gesundheitszustand des Klägers seit dem 01.01.2006 keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Bewertung der Wirbelsäulenbeschwerden mit einem GdB von 20 sei nicht zu beanstanden, weil zwar Beschwerden in der HWS und der LWS bestünden, Anhaltspunkte für mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in beiden Abschnitten nicht vorlägen. Die Bewertung der Schulterbeschwerden mit einem GdB von 10 sei angebracht. Für weiterhin vorliegende Beschwerden im Bereich der Ellenbogen seien keine Anhaltspunkte vorhanden. Da keine Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk bei Gonarthrose mitgeteilt würden, sei hier ein Teil-GdB nicht zu vergeben. Die Funktionsbehinderung der Hüftgelenke bei einer Einschränkung der Beugekontraktur der Hüfte von 10° bedinge einen GdB von 10. Die Hypertonie bedinge ebenfalls einen GdB von 10, weil sich keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass ein mehr als leichtgradiger Bluthochdruck bestehe. Der Schwindel bedinge keinen eigenen GdB, weil er nach Auskunft von Dr. B. vorübergehend gewesen sei. Der GdB von 20 für die Innenohrschwerhörigkeit sei unter Berücksichtigung des Tonaudiogramms von Dr. S. zutreffend. Auch hinsichtlich des Teil-GdB von 20 für die Narbenhernie schließe sich die Kammer der Auffassung des Beklagten an, denn die VG sähen einen solchen bei ausgedehnter Bauchwandschwäche und fehlender oder stark eingeschränkter Bauchpresse vor. Die psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere die posttraumatische Belastungsstörung sei als leichtere psychovegetative oder psychische Störung mit einem GdB von 20 zutreffend eingeordnet. Ein Gesamt-GdB von 40 sei ausreichend.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 16.06.2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am Montag, den 18.07.2011, eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung macht er geltend, dass die orthopädischen Beschwerden in der Summe zu einem GdB von 30 führen müssten. Insbesondere habe er im rechten Arm ständig starke Schmerzen. Das chronische Schmerzsyndrom bedinge einen höheren GdB als 10, weil er ständig an Ganzkörperschmerzen leide. Er sei zwischenzeitlich resigniert und ziehe sich immer mehr zurück. Schließlich sei entgegen der Aussage von Dr. B. der Schwindel keineswegs komplett kompensiert. Er habe wenigstens zweimal pro Monat eine Schwindelattacke, die dazu führe, dass er umfalle oder – wenn er die Vorzeichen rechtzeitig bemerke – sich hinsetze oder hinlege, bis es ihm besser gehe.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.06.2011 sowie den Bescheid vom 11.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 ab 23.07.2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung schließt er sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid an.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Orthopäden Dr. W. vom 18.09.2012 eingeholt. Dort gab der Kläger an, nicht mehr so gut zu hören und zu sehen. Man habe inzwischen auch Zysten und Nierensteine festgestellt. Er habe Schmerzen überall, könne aber auf der Ebene gut gehen. Er sei den ganzen Tag auf den Beinen, laufe viel. Gelegentlich trage er eine Bauchbandage. Dr. W. kam nach Untersuchung zu dem Ergebnis, dass eine mittelgradige Funktionsbehinderung der LWS und eine leichtgradige an BWS und HWS vorliege, die mit einem GdB von 20 zutreffend bewertet sei. Eine Funktionsbehinderung des rechten Knies bedinge einen GdB von 10, eine solche beider Hüftgelenke von 10 und der rechten Schulter von ebenfalls 10. Der Gesamt-GdB sei mit 40 zutreffend bewertet. Die akustische Verständigung klappe problemlos bei ausreichenden Deutschkenntnissen. Die Stimmungslage bei der Befragung und Untersuchung wirke ausgeglichen, eine vorzeitige Erschöpfung sei nicht aufgefallen. Eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaftigkeit im Sinne eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms sei nicht erkennbar. Dagegen spreche auch die vom Kläger mitgeteilte Schmerzmedikation. Bei der Untersuchung habe sich auch kein Hinweis auf eine schwerwiegende Schwindelsymptomatik ergeben.

Der Senat hat die Akten des Sozialgerichts Stuttgart aus dem Rechtsstreit S 22 SB 702/04 beigezogen. Darin befindet sich eine sachverständige Zeugenaussage der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M.-L. vom 17.05.2005, die den Kläger im Jahr 2004 viermal und im Jahr 2005 einmal behandelt hatte. Dort berichtete der Kläger über massive Angstzustände infolge der Messerstichverletzung im Jahr 1999, außerdem innere Unruhe, Kopfschmerzen, Schwindelsensationen, Schlafstörungen mit Alpträumen und die Furcht, auf der Straße angegriffen zu werden, so dass er nur in Begleitung des Haus verlassen wolle. Aufgrund von Sprachproblemen sei ein differenzierter psychischer Befund nicht zu erheben. Sie sei diagnostisch von einem depressiven Syndrom bei posttraumatischer Belastungsstörung ausgegangen. Die Einschätzung der Beschwerden und der Compliance sei schwierig, sie habe deshalb zur Behandlung in einer Landesklinik oder bei einem muttersprachlichen Therapeuten geraten. Der Kardiologe Dr. W. sagte am 19.04.2006 schriftlich aus, es bestehe der Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit und eine arterielle Hypertonie. Die Herzfunktion sei leichtgradig eingeschränkt (Belastung bis 100 Watt) möglich. Die Bluthochdruckerkrankung sei leichtgradig mit nachweisbaren Veränderungen des Herzen.

Betreffend die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten, einen Band Akten des Sozialgerichts Stuttgart im Rechtsstreit S 22 SB 702/04 und einen Band im Rechtsstreit S 23 SB 2017/10 sowie die beim Senat angefallene Akte.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von mehr als 40 zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass ab 01.01.2009 die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) anstelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) heranzuziehen sind. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - Rn. 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 Rn. 19 und vom 23.4.2009, aaO, Rn. 30).

Nach diesen Kriterien bestehen beim Kläger Einzel-GdB von 20 für die Wirbelsäulenbeschwerden, höchstens 10 für die Beschwerden in der rechten Schulter, höchstens 20 für den Bluthochdruck mit Herzinsuffizienz, höchstens 20 für die Beschwerden infolge der Narben im Oberbauch und der Gastritis, höchstens 20 für die Hörstörung mit Schwindelproblematik sowie 20 für die psychischen Beschwerden.

Die Beeinträchtigungen des Klägers von Seiten der Wirbelsäule bedingen keinen höheren GdB als 20. Nach Nr. 18.9 Teil B VG, der im Wesentlichen Nr. 26.18 AHP entspricht, werden Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0 bewertet, bei geringen funktionellen Auswirkungen besteht ein GdB von 10, bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt wird ein GdB von 20, bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradigen bis schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist ein höherer GdB gerechtfertigt. Mittelgradige Auswirkungen sind dabei Verformung, häufig wiederkehrende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome. Nach den Befunden des Dr. W. in seinem Gutachten vom 18.09.2012 besteht im Bereich der HWS eine mäßige Einschränkung der Reklinationsfähigkeit, im Übrigen eine für das Alter zufriedenstellende Beweglichkeit. Dr. S. teilte darüber hinaus in seinen Arztbriefen von 2009 eine Zervikobrachialgie, also Schmerzen in HWS und Kopf mit, ohne allerdings insofern höhergradige Bewegungseinschränkungen feststellen zu können. Dr. M. hat in seiner Zeugenaussage vom Juni 2010 überhaupt keine Beschwerden im Bereich der HWS angegeben. In der Brustwirbelsäule besteht eine vermehrte Randzackenbildung im Sinne einer Spondylosis deformans, die nur zu einer geringen Bewegungseinschränkung bzw. zufriedenstellenden Beweglichkeit führt. In der LWS wurde in der Vergangenheit ein sequestrierter Bandscheibenvorfall festgestellt, der zwischenzeitlich zu in das linke Bein ausstrahlenden Schmerzen geführt hatte. Neurologische Ausfälle waren nicht zu verzeichnen. Es bestand ein diffuser Druckschmerz über der gesamten LWS und der unteren BWS. Bei der Untersuchung durch Dr. W. war die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule mit einem Finger-Boden-Abstand von 19 cm und einem Zeichen nach Schober vom 9/10/14 cm kaum eingeschränkt. Das Gangbild war weitgehend unauffällig, in unbeobachteten Augenblicken sogar zügig und raumgreifend, so dass keine Hinweise auf höhergradige Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule bestehen. Diese Beschwerden können allenfalls im Lendenwirbelsäulenbereich als mittelgradig ausgeprägt, in den anderen Bereichen als leichtgradig eingeordnet werden, Dr. W. hat sie sogar als altersentsprechend zufriedenstellend bezeichnet. Ein höherer GdB als 20 ergibt sich insofern nicht.

Die Beeinträchtigung von Seiten des rechten Schultergelenks ist mit einem GdB von höchstens 10 ausreichend berücksichtigt. Nach Nr. 18.13 Teil B VG bedingt eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks, die zu einer Einschränkung der Beweglichkeit auf 120° Hebefähigkeit bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit führt, einen GdB von 10. Höhergradige Bewegungseinschränkungen oder eine Instabilität des Schultergelenks werden höher bewertet. Nach den Befunden von Dr. W., die im Wesentlichen denjenigen von Dr. M. entsprechen, leidet der Kläger unter einer schwach positiven Impingement-Symptomatik in der rechten Schulter. Den rechten Arm kann er aktiv wie passiv bis 150° heben, die linke Schulter ist besser beweglich. Ein höherer GdB als 10 lässt sich aus diesen Befunden nicht ableiten.

Die übrigen Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet bedingen keinen eigenen GdB. Die früher festgestellten Einschränkungen im Bereich des Ellenbogens sind nach dem Gutachten von Dr. W. und auch nach den Befunden von Dr. S. und Dr. M. nicht mehr vorhanden.

Die Beschwerden im Bereich der Hüften bedingen bei einer Beweglichkeit bis 115° beidseits nach Nr. 18.14 Teil B VG keinen GdB. Auch der in der Vergangenheit festgestellte Senk-Spreiz-Fuß, der weder zu statischen Auswirkungen noch zu einer Einschränkung des Gangbildes führt, bedingt nach Nr. 18.14 Teil B VG keine Behinderung. Die Beschwerden im Bereich der Knie mit beginnender Gonarthrose bedingen entgegen der Ansicht von Dr. W. keinen eigenen GdB. Der Kläger hat hier ein Reibegeräusch. Die Knie sind absolut reizlos, eine Instabilität des Kniegelenks oder auch nur eine Lockerung des Bandapparats haben weder Dr. W. noch Dr. M. oder Dr. S. mitgeteilt. Die Bewegung ist in beiden Kniegelenken bis 135° möglich und damit weitgehend normal. Ein GdB von mindestens 10 ist dafür nach Nr. 18.14 Teil B VG nicht zu vergeben.

Die Beeinträchtigung des Klägers von Seiten des Herzen und des Bluthochdrucks sind mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet. Nach Nr. 9 Teil B VG ist für die Bemessung des GdB bei Herz- und Kreislauferkrankungen weniger die Art der Krankheit als die Leistungseinbuße maßgeblich. Bei der Beurteilung des GdB ist vom klinischen Bild und von den Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten ergänzen das klinische Bild. Nach Nr. 9.1.1 Teil B VG (Nr. 26.9 AHP) bedingt eine Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, wie z.B. ohne Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen, selbst bei gewohnter stärkerer Belastung, ohne Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung einen GdB von 0 bis 10. Eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt über wenigstens zwei Minuten führt zu einem GdB von 20 bis 40. Eine Hypertonie (Bluthochdruck) führt nach Nr. 9.3 Teil B VG (26.9 AHP) in leichter Form zu einem GdB von 0 bis 10. Eine leichte Form ist anzunehmen, wenn keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen aufgetreten sind. Bei einer mittelschweren Form und Organbeteiligung (fundus hypertonus I-II, Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) leichten bis mittleren Grades, diastolischem Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung ist ein GdB von 20 bis 40 gerechtfertigt.

Beim Kläger liegt ausweislich des von Dr. J. mit seiner Zeugenaussage vom 28.07.2010 vorgelegten Langzeitblutdruckprotokolls ein Bluthochdruck mit Werten um 150/90 mmHg vor. Der Kardiologe Dr. W. hat in seiner Zeugenaussage vom 19.04.2006 im Rechtsstreit S 22 SB 702/04 eine Einschränkung der Herzfunktion auf eine Belastung bis 100 Watt über zwei Minuten sowie nachweisbare Veränderungen am Herzen in Folge einer leichten Bluthochdruckerkrankung festgestellt. Eine wesentliche Verschlechterung dieser Befunde hat sich im jetzigen Verfahren nicht ergeben. Gegen eine Verschlechterung spricht auch der bei Dr. W. gezeigte zügige Gang und die vorhandene Muskulatur in den Beinen, die die Angaben des Klägers bestätigt, dass er ständig auf den Beinen sei und auch laufen (im Sinne von joggen) gehe. Ein höherer GdB als 20 ergibt sich daraus nicht.

Die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers sind mit einem GdB von 20 ausreichend berücksichtigt. Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen bedingen nach Nr. 3.7 Teil B VG einen GdB von 0 bis 20 bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen. Ein GdB von 30 bis 40 wird bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit z.B. bei ausgeprägteren depressiven, hypochondrischen, asthenischen oder phobischen Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoformen Störungen angenommen. Ein GdB von 50 und mehr wird bei schweren Störungen wie z.B. schweren Zwangskrankheiten mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten angenommen.

Beim Kläger hatten nach den verschiedenen Arztbriefen von Dr. P., die im Wesentlichen den Befunden von Dr. M.-L. entsprechen, die sie im Rechtsstreit S 22 SB 702/04 (Zeugenaussage vom 17.05.2005) mitgeteilt hatte, Spannungskopfschmerzen, Schlafstörungen und Schwierigkeiten, das Erlebnis der Messerstecherei im Jahr 1999 zu verarbeiten, bestanden. Dr. M.-L. und Dr. P. gingen insofern von einer posttraumatischen Belastungsstörung aus. Dabei gelang es allerdings Dr. M.-L. nach eigenen Angaben aufgrund von Sprachproblemen nicht, den psychiatrischen Befund vollständig zu erheben. Dr. P. berichtete von einer noch adäquaten Affektivität und einem wechselhaften Antrieb. Der Kläger habe Alpträume, die belastend seien. Er ziehe sich zurück, empfinde schon Telefonieren als Belastung. Dr. P. schilderte ihn als in dem traumatischen Geschehen gefangen. Er bezeichnete die Störung als posttraumatische Belastungsstörung, also gerade nicht als Belastungssyndrom, das längeranhaltend war. In seiner Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht an das Sozialgericht von 2010 gab der Kläger keine laufende psychiatrische oder neurologische Behandlung an. Auch Dr. J. legte nur drei Arztbriefe von Dr. P. vor, die schon im Verwaltungsverfahren vorgelegen haben. Der Kläger hat eine laufende psychiatrische Behandlung seit 2009 auch nicht mehr behauptet. Er hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts auch keine laufende psychiatrische Behandlung angegeben und als behandelnde Ärzte nur den Orthopäden Dr. M. und den Allgemeinmediziner Dr. J. benannt. Dem entspricht der Eindruck von Dr. W., der ihn in seiner Untersuchung als psychisch unauffällig empfand. Entsprechend gab der Kläger dort an, sehr aktiv zu sein, viel zu laufen, d.h. erheblich mehr das Haus zu verlassen als er noch gegenüber Dr. M.-L. 2004 und 2005 und auch gegenüber Dr. P. im Jahr 2005 angegeben hatte. Das alles spricht gegen eine Entwicklung mit Krankheitswert, die mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bei dem seit zwei Jahren berenteten Kläger einhergeht.

Die chronische Schmerzstörung führt ebenfalls nicht zu einem GdB von mindestens 30 für die psychischen Beschwerden. Dr. W. konnte keinen Hinweis für über das übliche Maß hinausgehende Schmerzen in seiner Untersuchung feststellen. Dr. P. diagnostizierte lediglich Spannungskopfschmerzen stellte aber ebenfalls weder 2005 noch 2009 ein chronisches Schmerzsyndrom fest. Gegen ein chronisches Schmerzsyndrom spricht auch die Angabe des Klägers gegenüber Dr. W., dass er morgens eine Tablette Ibuprofen 600 und abends eine Tablette Diclofenac 50 einnehme und im übrigen keine spezielle Schmerztherapie erhalte. Diese Medikation ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. W. untypisch für die vom Kläger geklagten Schmerzen und darüber hinaus spricht die Dosierung und die Art der Medikation gegen höhergradige Schmerzen. Ein GdB von mehr als den vom Beklagten bereits berücksichtigten GdB von 20 für die psychischen Beschwerden ergibt sich aus diesen Befunden nicht.

Die Beschwerden infolge der Narben im Bereich des Bauchs nach Messerstichverletzung im Jahr 1999 einschließlich der chronischen Gastritis sind mit einem GdB von 20 ausreichend berücksichtigt. Die chronische Magenschleimhautentzündung, chronische Gastritis bedingt einen GdB von 0 bis 10, Nr. 10.2.1 Teil B VG. Ein Bauchnarbenbruch ohne wesentliche Beeinträchtigung je nach Größe bedingt einen GdB von 0 bis 10, bei ausgedehnter Bauchwandschwäche und fehlender oder stark eingeschränkter Bauchwandpresse wird ein GdB von 20 angenommen. Nr. 11.2 Teil B VG. Der Kläger litt in der Vergangenheit an einer Gastritis, die als chronisch bezeichnet wurde. Weiterhin hat Prof. Dr. K. mehrmals auf einen Narbenbruch hingewiesen und eine Operation angeraten. Dr. W. hat eine gute Rückenmuskulatur mitgeteilt und eine im Vergleich dazu geringere Bauchmuskulatur infolge der vorhandenen Narben. Eine Bauchwandschwäche oder eine stark eingeschränkte Bauchwandpresse hat keiner der behandelnden und begutachtenden Ärzte mitgeteilt. Ein höherer GdB als der vom SG angenommene GdB von 20 für die Beschwerden in Bauch und Magen ergibt sich daraus nicht.

Die von Dr. S. festgestellte Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen und der vom Kläger angegebene Schwindel bedingen jedenfalls keinen GdB von mehr als 20 wie der Beklagte zutreffend angenommen hat. Nach Nr. 5 Teil B VG richtet sich der GdB für eine Störung der Hörfähigkeit grundsätzlich nach der Herabsetzung des Sprachgehörs ohne Hörhilfe. Sofern ein Sprachaudiogramm z.B. aufgrund sprachlicher Probleme nicht erhoben werden kann, kann nach Nr. 5.2.2 Teil B VG ein Tonaudiogramm zugrunde gelegt werden. Das von Dr. S. im Verwaltungsverfahren vorgelegte Tonaudiogramm weist einen Hörverlust von 83 % auf dem rechten Ohr und 60 % auf dem linken Ohr aus und zeigt eine Hörschwelle bei ca. 65 dB rechts sowie ca. 50 dB links. Dieses Tonaudiogramm widerspricht ihrer schriftlichen Angabe, dass der Kläger (nur) subjektiv eine Hörminderung angebe. Auch die Befunde von Dr. B. gegenüber dem Sozialgericht sprechen gegen eine derartig ausgeprägte Hörstörung, hat er doch über ein unauffälliges Audiogramm am 19.05.2010 berichtet. Das spricht eher dafür, dass der Kläger bei dem mitarbeitsabhängigen Tonaudiogramm bei Dr. S. seine Beschwerden tendenziell aggraviert hat und dieses Tonaudiogramm deshalb der Bewertung nicht zugrunde gelegt werden kann. Entsprechend hat Dr. W. bei seiner Untersuchung auch eine gut mögliche Verständigung mitgeteilt. Hinweise darauf, dass der Kläger die von Dr. S. verordnete Hörhilfe trägt, ergeben sich weder aus dem Gutachten von Dr. W. (als Hilfsmittel wird dort nur das gelegentliche Tragen einer Bauchbandage angegeben) noch aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. B ... Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war eine Verständigung in normaler Lautstärke mit dem kein Hörgerät tragenden Kläger möglich. Eine wesentliche Hörstörung ist deshalb nicht zu berücksichtigen.

Darüber hinaus liegt beim Kläger ein Ohrgeräusch vor, das nach Angaben von Dr. S. psychovegetative Begleiterscheinungen aufweist. Gegenüber Dr. B. hat der Kläger einen Tinnitus nicht angegeben, in den Befunden von Dr. P. findet sich diese Angabe ebenfalls nicht. Daraus ergeben sich jedenfalls keine erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen, so dass allein für den Tinnitus nach Nr. 5.3 Teil B VG ein GdB von mehr als 10 nicht vergeben werden kann.

Der Kläger berichtet weiterhin über einen Schwindel, der im Mai 2010 zur Notwendigkeit einer stationären Behandlung geführt hat. Dr. B. hat insofern eine Neuropathie des Vestibularisnervens mitgeteilt, die aber vorübergehender Natur war und deshalb mangels Vorliegen von wenigstens sechs Monaten nicht als eigene Behinderung berücksichtigt werden kann.

Wenn man die Angabe des Klägers gegenüber dem Senat, dass er weiterhin zweimal monatlich Schwindelattacken erleidet, zugrunde legt, ergibt sich für die Störung seines Hör- und Gleichgewichtsorgans jedenfalls kein höherer GdB als der vom Beklagten bereits berücksichtigte GdB von 20. Nach Nr. 5.3 Teil B VG sind Gleichgewichtsstörungen ohne wesentliche Folgen, d.h. bei Beschwerdefreiheit, allenfalls Gefühl der Unsicherheit bei alltäglichen Belastungen ein GdB von 10 angenommen. Bei leichten Folgen mit leichter Unsicherheit, geringen Schwindelerscheinungen bei Schwanken, Stolpern, Ausfallschritten bei alltäglichen Belastungen ist ein GdB von 20 anzuerkennen. Der Kläger berichtet, dass er ca. zwei Schwindelattacken im Monat habe. Er müsse sich hinsetzen oder hinlegen, wenn er den Beginn der Attacke bemerke. Nur wenn er die Attacke nicht kommen sehe, komme es dazu, dass er umfalle. Aus diesen Schilderungen ist eine Gleichgewichtsstörung mit mehr als leichten Folgen nicht abzuleiten, denn der Kläger berichtet weder über Schwindelerscheinungen bei Schwanken, Stolpern und Ausfallschritten noch über eine ständige Unsicherheit. Ein GdB von 20 für die Störungen des Hör- und Gleichgewichtsorgans insgesamt ist insofern ausreichend.

Die Beschwerden und Funktionseinschränkungen des Klägers bedingen keinen höheren Gesamt-GdB als 40. Gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Die AHP und die VG führen zur Umsetzung dieser Vorschriften aus, dass eine Addition von Einzel GdB Werten grundsätzlich unzulässig ist und auch andere Rechenmethoden für die Gesamt GdB Bildung ungeeignet sind. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird; ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. AHP Nr. 19 Abs. 3, VG Teil A Nr. 3) Der Gesamt GdB ist unter Beachtung dieser Bewertungsgrundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG, SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).

Beim Kläger besteht keine schwerwiegende Behinderung, die mit einem Teil-GdB von 30 oder mehr zu bewerten ist. Nach den dargestellten Grundsätzen zu Bildung des Gesamt-GdB ist es bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 jedoch vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteile vom 25.03.2011 - L 8 SB 4762/08 - und 05.03.2010 - L 8 SB 5038/08 -, m.w.N., unveröffentlicht, v. 22.02.2013 - L 8 SB 2145/12) ist es daher grundsätzlich nicht möglich, bei Vorliegen mehrerer Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20, wie dies beim Kläger zutrifft, einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen beim Kläger nicht vor. Solche Umstände sind im Gutachten von Dr. W. nicht beschrieben und sind auch sonst nicht erkennbar. Vielmehr erreichen die fünf Gesundheitsbeeinträchtigungen nur einen solchen Ausprägungsgrad, dass jeweils ein GdB 20 gerade noch begründbar ist, weshalb eine Erhöhung des Gesamt-GdB auch deshalb nicht gerechtfertigt ist, zumal die Angstsymptomatik mit nervös-vegetativer Beeinträchtigung sowohl im Teil-GdB 20 für die psychische Erkrankung als auch teilweise im Teil-GdB 20 für die Herz-/Blutdruckerkrankung erfasst ist. Soweit vegetative Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, findet sich auch eine Überschneidung mit dem Teil-GdB 20 für die Schwindelproblematik, was zusätzlich gegen eine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB spricht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved