L 7 AS 142/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 1003/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 142/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn im strittigen Bescheid eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung zum Widerspruch enthalten ist und trotzdem unmittelbar Klage erhoben wird, ist die Klage unzulässig und deswegen abzuweisen. Eine ausdrücklich als solche bezeichnete Klage enthält keinen Widerspruch, ist nicht als Widerspruch auszulegen und nicht in einen Widerspruch umzudeuten. Durch die Belehrung zum Widerspruch sind Irrtümer oder Verwechslungen ausgeschlossen. Es besteht kein Raum für die Annahme, der Kläger habe einen anderen als den von ihm bezeichneten Rechtsbehelf einlegen wollen.
Einer Aussetzung des Verfahrens zur Nachholung eines Vorverfahrens bedarf es in dieser Situation nicht.
Die in der Literatur hierzu vertretene gegenteilige Auffassung knüpft an Urteile des BSG an, die zu besonderen prozessualen Konstellationen ergangen sind, in denen etwa unklar war, ob ein Widerspruchsverfahren überhaupt erforderlich war.
I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 2. Februar 2012 abgeändert und der Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin alle zur Tilgung des Darlehens für die Mietkaution einbehaltenen Leistungen auszuzahlen. Die Berufung bezüglich der für das Möbeldarlehen einbehaltenen Leistungen wird zurückgewiesen.

II. Die im Berufungsverfahren erhobenen Klagen werden abgewiesen.

III. Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens und des Berufungsverfahrens zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufrechung zur Rückzahlung von Darlehen für eine Mietkaution und für eine Ersatzbeschaffung von Möbeln. Daneben begehrt sie im Berufungsverfahren zusätzlich Unterkunftskosten und Fahrtgeld für eine private Reise zur Regelung von Erbschaftsangelegenheiten.

Die 1963 geborene Klägerin bezieht seit Anfang 2008 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Ihr Vater verstarb am 03.02.2009.

Anlässlich des Umzugs nach G. zum 01.05.2009 erhielt die Klägerin per Bescheid vom 28.04.2009 ein Darlehen für die Mietkaution der neuen Wohnung in Höhe von 870,- Euro. In dem Darlehensbescheid wurde eine monatliche Rückzahlung von 30,- Euro angeführt. Es wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ratenzahlung keine Rückzahlungsverpflichtung darstelle und nur ein Angebot für eine freiwillige Rückzahlung sei. Ergänzt wurde der Bescheid durch eine von der Klägerin unterschriebene "Abtretungserklärung" vom 28.04.2009, wonach die Klägerin den Anspruch auf Rückzahlung dieser Kaution in monatlichen Raten von 30,- Euro unwiderruflich abtrete.

Beim Auszug aus der Wohnung in G. zum 15.12.2009 behielt die Vermieterin die Kaution ein, u.a. für die nicht gezahlte Miete für Januar 2010, und begehrte vom Beklagten darüber hinaus weitere 90,- Euro.

Am 17.12.2009 begehrte die Klägerin Möbel für die neue Wohnung in A-Stadt. Mit Bescheid vom 09.02.2010 wurde der Klägerin ein Darlehen für Möbelkauf in Höhe von 300,- Euro gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in der bis 31.12.2010 anwendbaren Fassung (a.F.) gewährt. Zugleich wurde eine monatliche Aufrechnung von 30,- Euro verfügt. Der Bescheid enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung eines Widerspruchs. Ein Widerspruch wurde nicht erhoben.

Mit Darlehensbescheid vom 19.11.2010 und Bewilligungsbescheid vom 19.11.2010 (geändert mit Bescheiden vom 26.03.2011, 04.05.2011 und 12.05.2011) wurde der Klägerin Arbeitslosengeld II für die Zeit von 01.12.2010 bis 31.05.2011 als Darlehen gewährt. Aufgrund eines Erbteils aus dem Nachlass des Vaters der Klägerin würde diese über Vermögen verfügen. Am 03.12.2010 erhob die Klägerin dagegen Widerspruch. Ein Darlehen sei unzulässig.

Am 26.04.2011 stellte die Klägerin einen Antrag auf Übernahme von Fahrtkosten, die ihr für die Regelung des Nachlasses ihres Vaters entstanden seien. Hierzu legte sie später Quittungen, überwiegend Benzinrechungen, vor. Die Übernahme dieser Kosten wurde mit Bescheid vom 12.05.2011 abgelehnt. Ein dagegen erhobener Widerspruch ist nicht ersichtlich.

Die Klägerin wandte sich im Verwaltungsverfahren mehrere Male gegen den laufenden Abzug bei der Leistungsgewährung zur Tilgung der beiden Darlehen.

Bereits am 12.04.2011 erhob die Klägerin ausdrücklich Klage zum Sozialgericht München. Der laufende Lebensunterhalt dürfe bei mittellosen Bürgern nicht auf Darlehensbasis erbracht werden. Dazu übermittelte sie in der Anlage den Darlehensbescheid vom 19.11.2010. Ferner wandte sich die Klägerin in der Klageschrift gegen den Einbehalt von Tilgungsraten für die beiden Darlehen. Die Abzüge für das Kautionsdarlehen seien sozialrechtswidrig.

Mit Schreiben vom 14.07.2011 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die gleichzeitige Verrechnung von zwei Rückzahlungsforderungen aus den Darlehen für Mai, Juni und Juli 2011 aufgrund der geänderten Gesetzeslage korrigiert werden würde und eine Nachzahlung von 90,- Euro erfolge.

Mit Bescheid vom 13.10.2011 wurde dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.11.2010 abgeholfen, indem die Darlehensverfügung aufgehoben wurde.

Der Beklagte übermittelte dem Gericht Aufstellungen, wann welche Beträge für die Darlehen von der laufenden Leistung der Klägerin einbehalten worden waren.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Klage gegen die Leistungsbewilligung in Form eines Darlehens sei unzulässig. Nach Erlass des Abhilfebescheids vom 13.10.2011 bestehe keine Rechtsschutzbedürfnis mehr. Die Klage auf Auszahlung von zu Unrecht einbehalten Leistungen für die Zeit von 01.01.2010 bis 30.04.2011 sei unbegründet. Die vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung erweise sich als rechtmäßig. Die Aufrechnung des Darlehens für die Möbel nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II a.F. sei durch den Darlehensbescheid vom 09.02.2010 festgelegt worden. Dieser Bescheid sei von der Klägerin nicht angefochten worden. Ab 01.04.2011 bestehe die Rechtsgrundlage in § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II. Für die Tilgung von Kautionsdarlehen sei § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II a.F. entsprechend anwendbar. Die Vorschrift enthalte einen allgemeinen Rechtsgedanken.

Die Klägerin hat am 13.02.2012 Berufung eingelegt. Sie hat dabei die Auszahlung der zur Tilgung der Darlehen einbehaltenen Leistungen gefordert. Ferner solle der Beklagte weitere Unterkunftskosten für 2008, Heizkosten für 2007 und 2008 und Fahrgeld für die Erbschaftsregelung bezahlen.

Der Beklagte hat den Klageänderungen im Berufungsverfahren widersprochen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid vom 2. Februar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die zur Tilgung der Darlehen einbehaltenen Leistungen auszuzahlen und Unterkunftskosten für 2008, Heizkosten für 2007 und 2008 sowie Fahrgeld für die Erbschaftsregelung zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts sowie die streitgegenständliche Akte des Berufungsgerichts und die Akte des parallelen Berufungsverfahrens L 7 AS 141/12 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist hinsichtlich der Auszahlung der mit den laufenden Leistungen aufgerechneten Tilgungsleistungen zulässig und teilweise begründet. Die Aufrechung des Darlehens für die Mietkaution erfolgte ohne Rechtsgrundlage. Die im Berufungsverfahren erfolgten Klageänderungen sind dagegen nicht zulässig und als Klagen abzuweisen. Die Umwandlung des Darlehens für die laufende Leistung in einen Zuschuss ist nicht mehr Streitgegenstand.

Die Berufung wurde form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung betrifft laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Aufrechungen für das Kautionsdarlehen begannen im Juni 2009 und erfolgten - mit Unterbrechungen - schon bis Oktober 2011 für 18 Monate. Auch nach Korrektur von drei Monaten bleiben strittige Leistungen für mehr als zwölf Monate.

1. Tilgung der Darlehen:

Die Klägerin begehrt die Überprüfung der Abzüge, die zur Tilgung der beiden Darlehen bei den laufenden Leistungen vorgenommen wurden. Die Äußerungen der Klägerin hierzu im Verwaltungsverfahren und im Gerichtsverfahren sind unklar. Teils wendet sie sich generell gegen den Abzug von den laufenden Leistungen, teils nur gegen den gleichzeitigen Abzug für beide Darlehen. Zu Gunsten der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägerin wird der Antrag weit ausgelegt, so dass die Tilgungsleistungen für beide Darlehen zu prüfen sind.

a) Darlehen für die Möbel

Die Tilgung für das Möbeldarlehen wurde in dem Bescheid vom 09.02.2010 verfügt. Dieser Bescheid enthält eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung zum Widerspruch, wurde nicht angefochten und ist insoweit bindend. Die dagegen am 12.04.2011 erhobene Klage war mangels Vorverfahren unzulässig. Die Berufung ist insoweit unbegründet.

Eine Aussetzung zur Nachholung des Vorverfahrens ist nicht erforderlich, weil die ausdrückliche Klage keinen Widerspruch erhält. Sie ist auch nicht in einen (hier verspäteten) Widerspruch umzudeuten oder als solchen auszulegen (BayLSG, Urteil vom 24.11.2011, L 10 AL 64/09, Rn. 35 f, und BayLSG, Urteil vom 29.03.2012, L 7 AS 1044/11).

Wenn ein Adressat eines Verwaltungsaktes keinen Widerspruch einlegt, obwohl er im Bescheid auf diesen Rechtsbehelf ausdrücklich hingewiesen wurde, kann eine gleichwohl zum Sozialgericht eingelegte Klage regelmäßig nicht als Widerspruch ausgelegt oder in einen Widerspruch umgedeutet werden. Die Klage enthält keinen Widerspruch. Es besteht daher kein Anlass, das Gerichtsverfahren auszusetzen, um ein Widerspruchsverfahren nachzuholen. Es gibt auch keine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts, die Klägerin zu einer Nachholung des Widerspruchs anzuhalten, da das Vorverfahren bei zutreffender Behandlung (für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand spräche nichts) mit der Zurückweisung des verfristeten Widerspruchs als unzulässig enden müsste.

Das BSG hat bei einem nicht rechtskundig vertretenen Kläger keine Rechtsgrundlage dafür gesehen, eine unzulässige aber ausdrücklich als solche bezeichnete Berufung in eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde umzudeuten (BSG, Urteil vom 20.05.2003, B 1 KR 25/01 R). Das BSG hat dort unter Rn. 19 ausgeführt: Der Begriff der Umdeutung werde im Gesetz für fehlerhafte Verwaltungsakte (§ 43 SGB X) und für nichtige Rechtsgeschäfte (Überschrift zu § 140 BGB) verwendet. Ein unzulässiges Rechtsmittel sei weder das eine noch das andere. Im Zivilprozess sei anerkannt, dass in besonderen Konstellationen eine unzulässige Erklärung in ein nach Intention und rechtlicher Wirkung vergleichbares Pendant umzudeuten sei, wenn dessen Voraussetzungen eingehalten seien, die Umdeutung dem Parteiwillen entspreche und kein schutzwürdiges Interesse des Prozessgegners entgegenstehe.

Bei Übertragung dieser Grundsätze ist eine Umdeutung einer Klage in einen Widerspruch hier ausgeschlossen. Enthält der strittige Bescheid eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung zum Widerspruch, fehlt es schon an einer besonderen Konstellation. Die Voraussetzungen eines Widerspruchs sind nicht eingehalten, wenn bei Klageerhebung die Widerspruchsfrist abgelaufen ist. Die Behörde hat durchaus ein schutzwürdiges Interesse, nicht mit einem Widerspruchsverfahren - zumal nicht mit einem verfristeten Widerspruch - belastet zu werden.

Im vorgenannten Urteil hat das BSG (dort Rn. 21) weiter ausgeführt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren eine Umdeutung eines unzulässigen Rechtsmittels in ein zulässiges Rechtsmittel wegen der beizufügenden Rechtsmittelbelehrung ausscheide. Durch die Belehrung seien Irrtümer oder Verwechslungen bei der Bezeichnung des Rechtsmittels ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob das eingelegte Rechtsmittel der erteilten Rechtsmittelbelehrung entspreche oder davon abweiche, sei für die Annahme kein Raum, der Erklärende habe ein anderes als das von ihm bezeichnete Rechtsmittel einlegen wollen. Aus denselben Gründen sieht der erkennende Senat keine Rechtfertigung für eine Umdeutung einer Klage in einen Widerspruch, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung des strittigen Bescheids auf die Einlegung eines Widerspruchs verwiesen wurde.

Die in der Literatur geäußerte gegenteilige Auffassung, wonach in der Klage gleichzeitig die Einlegung des Widerspruchs liege (Leitherer in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 78 Rn. 3b; Breitkreuz / Fichte, SGG, 1. Auflage 2008, § 78 Rn. 8), überzeugt nicht. Sie bezieht sich auf eine Rechtsprechung des BSG, die zu besonderen prozessualen Situationen ergangen ist, in denen eine besondere Schutzbedürftigkeit der Bescheidadressaten anzunehmen war. Entweder es war unklar, ob überhaupt ein Widerspruchsverfahren durchzuführen war (BSG, Urteil vom 22.06.1966, 3 RK 64/62, Urteil vom 31.08.1978, 4/5 RJ 110/76), oder für Entscheidungen eines kassenärztlichen Ausschusses war von Seiten der Verwaltung kein Widerspruchsverfahren vorgesehen und demgemäß zur Klage belehrt worden (BSG, Urteil vom 13.12.2000, B 6 KA 1/00 R). In dem Verfahren, das dem Urteil des BSG vom 02.08.1077, 9 RV 102/76, zu Grunde lag, hatte der Kläger zugleich Widerspruch eingelegt und Klage erhoben.

Vor kurzem hat das BSG ein Verfahren zur Nachholung des Vorverfahrens zurückverwiesen (Urteil vom 13.11.2012, B 1 KR 13/12 R). Dort hatte die Behörde die Verbescheidung eines Antrags auf Auskunft zu Sozialdaten mit einfachem Schreiben abgelehnt und erst das BSG die Notwendigkeit eines Verwaltungsaktes bejaht und in diesem Schreiben den Verwaltungsakt gesehen. Auch hier bestand also die o. g. besondere Situation. Diese Rechtsprechung lässt sich nicht auf die streitgegenständliche Situation übertragen.

Die Klage war insoweit unzulässig. Die Berufung ist unbegründet.

b) Darlehen für die Kaution

Die Tilgung des Kautionsdarlehens im Wege der Aufrechung gegen die laufende Leistung wurde nicht durch Verwaltungsakt verfügt, sondern durch die unterschriebene "Abtretungserklärung" vom 28.04.2009 veranlasst. Danach trete die Klägerin den Anspruch auf Rückzahlung dieser Kaution in monatlichen Raten von 30,- Euro unwiderruflich ab.

Statthaft ist eine echte Leistungsklage auf Auszahlung der einbehaltenen Teile der bewilligten Leistungen nach § 54 Abs. 5 SGG. Hierfür besteht keine Klagefrist und ein Vorverfahren ist nicht erforderlich.

Die auf Grundlage der "Abtretungserklärung" durchgeführte Aufrechung ist rechtswidrig. Es gibt dafür keine Rechtsgrundlage. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der bis 31.12.2010 anwendbaren Fassung (a.F.) ist nicht analog anwendbar. Die "Abtretungserklärung" ist kein wirksamer Verzicht nach § 46 Abs. 1 SGB I. Es handelt sich um den Versuch des Grundsicherungsträgers, das grundsätzliche Verbot der Aufrechung von existenzsichernden Leistungen zu umgehen. Insoweit kann umfassend auf das Urteil des BSG vom 22.03.2012, B 4 AS 26/10 R, verwiesen werden.

Auch der zum 01.04.2011 in Kraft getretene § 42a SGB II ändert an der Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Aufrechung nichts. Ungeachtet der offenen Frage, ob für vor dem 01.04.2011 entstandene Darlehen nachträglich eine Aufrechung nach § 42a Abs. 2 SGB II durch Verwaltungsakt begründet werden kann (etwa im Wege eines Änderungsbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X), fehlt es hier schon an einem Verwaltungsakt nach § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Die Klage war insoweit zulässig und begründet. Die Berufung ist wegen der erstinstanzlichen Abweisung der Klage begründet. Der Beklagte hat alle auf das Kautionsdarlehen einbehaltenen Raten auszubezahlen. Weil der aktuelle Stand der Aufrechungen unklar ist, ist wie tenoriert ein Grundurteil zu fällen, das nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG auch bei einer echten Leistungsklage zulässig ist.

2. Klageänderungen

Die im Berufungsverfahren neu erhobenen Ansprüche auf Unterkunftskosten für 2008, Heizkosten für 2007 und 2008 sowie Fahrgeld für die Erbschaftsregelung sind nach § 99 Abs. 1 und 2 SGG unzulässige Klageänderungen. Sie sind nicht sachdienlich, weil sie neue Streitgegenstände einbringen, die entweder im Parallelverfahren L 7 AS 141/12 anhängig sind (Teil der geltend gemachten Unterkunftskosten) oder für die es keine oder bestandskräftige (z.B. zur Ablehnung der Fahrtkosten) Bescheide gibt.

Der Beklagte hat der Klageänderung widersprochen. Der Beklagte stellte allerdings vor dem Widerspruch einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung als unbegründet. Dabei bezog er sich aber ausdrücklich auf den Darlehensbescheid vom 19.11.2010 in Gestalt des Abhilfebescheids vom 13.10.2011. Dies macht deutlich, dass der Beklagte keinen Antrag in Bezug auf die geänderte Klage gestellt hat und sich damit nicht rügelos auf die geänderte Klage eingelassen hat (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 99 Rn. 9).

Die im Berufungsverfahren neu erhobenen Klagen sind daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SG ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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