S 12 KA 891/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 891/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die bestandskräftige Festsetzung eines Regelleistungsvolumens ist bei einer isolierten Anfechtung des Honorarbescheids zu beachten. Es besteht dann kein Anspruch auf Überprüfung des Regelleistungsvolumens (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 - B 6 KA 38/11 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 1 = NZS 2013, 197, zit. nach juris Rdnr. 11).
2. Vertrauensschutz kommt im Regelfall dann nicht in Betracht. Die Konstellation der isolierten Anfechtung des Regelleistungsvolumens bei Bestandskraft des Honorarbescheids unterscheidet sich insofern grundlegend von der Konstellation der isolierten Anfechtung des Honorarbescheids bei Bestandskraft des Regelleistungsvolumens.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars für das Quartal I/09.

Die Klägerin ist eine seit dem 01.06.2008 bestehende überörtliche Gemeinschaftspraxis mit drei zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen Fachärzten für Orthopädie.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 26.11.2008, der zwischenzeitlich bestandskräftig wurde, da die Klägerin hiergegen keinen Widerspruch einlegte, das Regelleistungsvolumen der Klägerin für das Quartal I/09 wie folgt fest:

RLV-relevante Fallzahl Fallwert in EUR Fallwertabstaffelung Altersstruk-turquote Aufschlag fachgleiche BAG Regelleistungsvolumen in EUR
Dr. XB. 1.018 27,52 1,0000 0.9899 1,1 30.505,65
Frau FT.-XB. 1.088 27,52 1,0000 1,0000 1 29.941,76
Dr. XA. 1.018 27,52 1,0000 0.9899 1,1 30.505,65
Gesamt 90.953,06

In dem streitbefangenen Quartal setzte die Beklagte das Honorar der Klägerin durch Honorarbescheid wie folgt fest:

Quartal I/09
Honorarbescheid vom 20.07.2009
Anzahl der Praxen/Ärzte 258/409,82
Nettohonorar gesamt in EUR 316.296,51
Bruttohonorar PK + EK in EUR 323.919,78
Fallzahl PK + EK 3.781
Honoraranteile PK + EK
Regelleistungsvolumen in EUR 86.849,02
Quotiertes Regelleistungsvolumen in EUR 13.084,02
Fallwertzuschläge zum Regelleistungsvolumen in EUR 14.010,25
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (MGV) 2.000,34
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (AMG) 207.976,15

Regelleistungsvolumen
Obergrenze in EUR 90.953,06
Angefordert in EUR 161.568,20
Überschreitung in EUR 70.615,14
Frau FT.-XB.
RLV-relevante Fallzahl 1.088
Obergrenze in EUR 29.941,76
Angefordert in EUR 32.572,59
Überschreitung in EUR 3.718,83
Dr. XB.
RLV-relevante Fallzahl 1.018
Obergrenze in EUR 30.505,65
Angefordert in EUR 36.646,17
Überschreitung in EUR 7.158,52
Dr. XA.
RLV-relevante Fallzahl 1.018
Obergrenze in EUR 30.505,65
Angefordert in EUR 92.349,44
Überschreitung in EUR 62.861,79

Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 10.08.2009 mit, nach Abschluss der Abrechnung sei im Rahmen der Qualitätssicherung aufgefallen, dass noch die Möglichkeit bestehe, innerhalb der durch die Fallwertzuschläge ausgelösten Zusatzbudgets weitere Verrechnungen vorzunehmen und somit mehr Leistungen zu 100 % zu vergüten. Die innerhalb der Fallwertzuschläge vorliegende Überschreitung in Höhe von 717,90 Euro sei nachträglich mit der dort parallel bestehenden Unterschreitung in Höhe von 1.087,00 Euro verrechnet worden. Hierdurch könnten weitere 717,90 Euro zu 100 % vergütet werden. Im Folgeschritt verringere sich der Betrag, der in den Honorarunterlagen für die das RLV überschreitenden Leistungen ausgewiesen worden sei (RLV quotiert). Dem Honorarkonto würden daher 578,60 Euro gutgeschrieben werden.

Gegen den Honorarbescheid legte die Klägerin am 31.08.2009 Widerspruch ein. Sie trug vor, der Verteilungsmodus der Beklagten sei undurchsichtig. Die Einnahmen minderten sich zunehmend durch sinkenden Punktwert bei wachsender Leistung.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Berechnung des praxisbezogenen Regelleistungsvolumens sei entsprechend den Vorgaben nach dem Honorarverteilungsvertrag durchgeführt worden. Der Widerspruch der Klägerin gegen den Zuweisungsbescheid sei verfristet, weshalb dieser auch bestandskräftig geworden sei. Der Honorarvertrag sei rechtmäßig. Die Überschreitung des Regelleistungsvolumens in Höhe von 70.615,14 Euro habe noch zu einer abgestaffelten Quote geführt. Ferner erläuterte sie die Fallwertzuschläge und den "Wirtschaftlichkeitsbonus".

Hiergegen hat die Klägerin am 05.12.2011 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Überschreitungen des Regelleistungsvolumens lägen bei Herrn Dr. XA. Sie seien auf Praxisbesonderheiten zurückzuführen. Herr Dr. XA. betreue eine Reihe von Fußballvereinen im gesamten mittelhessischen Raum. Damit sei verbunden, dass die jeweiligen verletzten Spieler am Tag nach der Verletzung oder auch am gleichen Tag in der Praxis vorstellig würden. Dies sei nicht planbar. So könne es durchaus sein, dass z. B. montags zur Morgensprechstunde 10 bis 15 verletzte Spieler zusätzlich zu den einbestellten Patienten in der Praxis vorstellig würden. Nach Diagnosestellung müsse eine sofortige Therapie einsetzen (ggf. OP, Ruhigstellung und Gips oder wie zumeist eine Einleitung einer Physiotherapie wie Wärmetherapie, Elektrotherapie u.s.w.). Die hohe Anzahl von verletzten Spielern (in der Regel Fußballer) stelle eine außergewöhnliche Praxisbesonderheit dar, die in dieser Form in nahezu keiner anderen orthopädischen Praxis anzutreffen sei. Diese Vereine verfügten gerade nicht über einen eigenen Mannschaftsarzt oder Physiotherapeuten. Es würden keinerlei Behandlungen durchgeführt werden, die medizinisch nicht notwendig seien. Die Therapie werde nicht darauf ausgerichtet, den Patienten möglichst schnell wieder fit zu machen. Es gehe nur um medizinisch zwingend notwendige Behandlungen. Auch die Patientenschaft der Läuferszene, Kraftsportler und Triathleten fänden sich geballt in ihrer Praxis. Es tauchten naturgemäß deshalb vermehrt Sportverletzungen auf. Die Auffälligkeit in Bezug auf die Frequenzstatistik korrespondiere hiermit. So lägen die Überschreitungen bei den Ziffern 02350 (Fixierende Verbände), der Wärmetherapie sowie der Ziffer 2511 (Elektrotherapie). Gleiches gelte für die Ziffer 30400 (Massagetherapie). Die Wärme- und Elektrotherapie würden gerade einmal in der Hälfte der Praxen der Vergleichsgruppe der Orthopäden erbracht werden. Die Überschreitung der Plexusanalgesie (Ziffer 30731) beruhe darauf, dass sie im gesamten mittelhessischen Raum die einzige Praxis sei, die Patienten mit Nervenwurzelirritationen "nicht-invasiv" mittels eines Periduralkatheters stationär im "ÄÜ." in ZO. als Belegärzte behandeln könnten. Behandlungen erfolgten auch im Rahmen ambulanter Plexusanalgesierungen. Dieser Praxissituation müsse innerhalb des Regelleistungsvolumens Rechnung getragen werden. Diese Praxisbesonderheiten ließen sich im Rahmen des RLV/QZV gar nicht abbilden, da im Vorhinein gar nicht bekannt sei, wie viele Patienten mit derartigen Problemstellungen in die Praxis kämen. Solche Praxisbesonderheiten könnten im Vorfeld gar nicht geltend gemacht werden, sodass es auf die Bestandskraft des Bescheids zum Regelleistungsvolumen nicht ankomme.

Die Klägerin beantragt,
den Honorarbescheid für das Quartal I/09 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 02.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Honoraranspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, auch nicht durch Anfechtung der Honorarbescheide könne eine Sonderregelung begehrt werden. Durch die Bestandskraft des Bescheids zum Regelleistungsvolumen sei der Vergütungsrahmen verbindlich vorgegeben. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung eines Ausnahmefalls aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Dies folge schon daraus, dass sie dies erstmals im Rahmen der Klagebegründung vorgetragen habe. Eine Sonderregelung könne aber nur Wirkung für die Zukunft entfalten, sodass diese nicht mehr im Rahmen der Erstellung eines Honorarbescheides Berücksichtigung finden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Honorarbescheid für das Quartal I/09 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 02.11.2011 ist rechtmäßig. Er war nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Honoraranspruchs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Klage war daher abzuweisen.

Die Klage richtet sich gegen die unzureichende Berücksichtigung des aus Sicht der Klägerin besonderen Patientenklientels des Herrn Dr. XA. Damit rügt die Klägerin die fehlerhafte Festsetzung des Fallwerts und im Ergebnis die unzureichende und damit fehlerhafte Festsetzung des Regelleistungsvolumens. Das Regelleistungsvolumen ist aber bestandskräftig durch den Bescheid der Beklagten vom 26.11.2008 festgesetzt worden. Trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung hat die Klägerin gegen diesen Bescheid keinen Widerspruch eingelegt. Im Honorarstreitverfahren muss sie sich hieran festhalten lassen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung hat, folgt aus der gesonderten Anfechtbarkeit eines Regelleistungsvolumenbescheids zum einen, dass ein Vertragsarzt, der die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens hat bestandskräftig werden lassen, an diese Festsetzung gebunden ist und im nachfolgenden Honorarstreitverfahren nicht mehr deren Fehlerhaftigkeit geltend machen kann (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 - B 6 KA 38/11 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 1 = NZS 2013, 197, zit. nach juris Rdnr. 11).

Solche Praxisbesonderheiten hätten auch im Vorfeld, d. h. mit der Zuweisung des Regelleistungsvolumens, geltend gemacht werden können, da sie der Klägerin bekannt waren. Die Klägerin weist gerade darauf hin, dass die Praxis auf Sportverletzungen spezialisiert sei, was in der gesamten Umgebung bekannt sei. Von daher handelt es sich bei der geltend gemachten Praxisbesonderheit nicht um ein einmaliges Phänomen. Schwankungen in der Morbidität betreffen im Übrigen alle Ärzte gleichermaßen und können allein eine Sonderregelung nicht begründen. Von daher muss der Klägerin bereits bei Zuweisung des Regelleistungsvolumens erkennbar gewesen sein, dass es aus ihrer Sicht einer Anhebung bedurfte.

Soweit das Bundessozialgericht für die Klärung der Rechtmäßigkeit der Zuweisung eines Regelleistungsvolumens nur solange ein Rechtschutzbedürfnis als gegeben ansieht, als die den streitbefangenen Zeitraum betreffenden Quartalshonorarbescheide noch nicht bestandskräftig sind, aber hierfür aufgrund z. T. abweichender älterer Rechtsprechung einen Vertrauensschutz nicht ausschließt (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 - a.a.O., Rdnr. 16), so gilt dies ausschließlich für die Konstellation der isolierten Anfechtung des Regelleistungsvolumens bzw. Budgetzuweisung bei Bestandskraft des Honorarbescheids, nicht aber für die hier vorliegende Konstellation der isolierten Anfechtung des Honorarbescheids bei Bestandskraft des Regelleistungsvolumens. Eine grundlegend andere Verwaltungspraxis ist der Kammer nicht bekannt und wird von der Beklagten bestritten. Soweit die Klägerin auf eine andere Verwaltungspraxis hinweist und zwei entsprechende Widerspruchsbescheide in der mündlichen Verhandlung zur Gerichtsakte gereicht hat mit der Ankündigung, es könnten weitere Widerspruchsbescheide vorgelegt werden, so handelt es sich um Einzelfälle. Insoweit steht es einer Verwaltung frei, ob sie trotz Verstreichens der Widerspruchsfrist eine Neufestsetzung vornimmt. Jedenfalls ist nichts ersichtlich und wird klägerseits auch nicht vorgetragen, dass sie gerade im Vertrauen auf die von ihr angegebene Rechtspraxis von der Einlegung eines Widerspruchs gegen den Bescheid zum Regelleistungsvolumen abgesehen hat.

Im Übrigen unterscheidet sich die Konstellation der isolierten Anfechtung des Regelleistungsvolumens bzw. Budgetzuweisung bei Bestandskraft des Honorarbescheids grundlegend von der hier vorliegenden Konstellation der isolierten Anfechtung des Honorarbescheids bei Bestandskraft des Regelleistungsvolumens. Die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens bzw. Budgets geht der Honorarfestsetzung voraus und nimmt verbindlich Teile der Honorarfestsetzung vorweg. Wird hiergegen Widerspruch eingelegt, so kann davon ausgegangen werden, dass dieses Verfahren mit der Honorarfestsetzung nicht insofern obsolet wird, als gegen die Honorarfestsetzung nicht nochmals - eben aus den gleichen Gründen - Widerspruch eingelegt wird. In dieser Weise ist auch die Beklagte in der Vergangenheit verfahren, weshalb sie in noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren den Vertragsärzten Vertrauensschutz zubilligt. Der gegen die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens eingelegte Widerspruch führte bis zum Abschluss des Verfahrens bisher nur zu einer vorläufigen Festsetzung des Honorars. Soweit das das Bundessozialgericht anders sieht, billigt es für die Vergangenheit u. U. Vertrauensschutz zu. Wird aber gegen die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens kein Widerspruch eingelegt, so weiß der Vertragsarzt bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, dass diese Festsetzung bestandskräftig und Grundlage der nachfolgenden Honorarfestsetzung wird. Schutzwürdiges Vertrauen kann dann nicht entstehen, außer in den Fällen, in denen eine Kassenärztliche Vereinigung darauf hinweist, ein Widerspruch brauche nicht eingelegt zu werden, da eine vollumfängliche Überprüfung im Rahmen der Honorarfestsetzung erfolgen werde. Damit wird ein Vertragsarzt von der Einlegung eines Widerspruchs abgehalten, was ihm dann aber nicht entgegengehalten werden könnte (vgl. BSG, Urt. v. 17.09.2008 - B 6 KA 28/07 R - BSGE 101, 235 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 17 = USK 2008-107, juris Rdnr. 31).

Die Beklagte hat auch im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 02.11.2011 keine Neubescheidung vorgenommen, sondern sich ausdrücklich auf die Bestandskraft des Zuweisungsbescheids berufen.

Von daher steht einem Anspruch auf höheres Honorar bzw. einer Neubescheidung bereits die bestandskräftige Festsetzung des Regelleistungsvolumens entgegen. Der angefochtene Honorarbescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig. Weitere Beanstandungen werden seitens der Klägerin nicht vorgetragen und sind der Kammer auch nicht ersichtlich.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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