S 18 KA 141/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KA 141/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
(1.) Abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V ist ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss nach § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V auch dann durchzuführen, wenn der betroffene Vertragsarzt gegenüber dem Antrag einer Krankenkasse auf Festsetzung eines Regresses
I. Der zu 3 beigeladene Beschwerdeausschuss Ärzte und Krankenkassen Sachsen wird verurteilt, über den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene zu 3 je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 434,22 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision ist zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Arzneimittelkostenregress wegen der Verordnung von Natriumhyaluronat-Injektionslösung (HYALART®).

Der als Facharzt für Chirurgie/Sportmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete am 15.06.2009 zwei gesetzlich Versicherten der zu 1 beigeladenen Krankenkasse jeweils fünf HYALART®-Fertigspritzen. Nach Abzug des Rabattes (je 12,94 EUR) und der gesetzlichen Zuzahlung (je 10,00 EUR) von den Bruttoverordnungskosten (je 240,05 EUR) wurde die Beigeladene zu 1 in beiden Fällen mit Nettoverordnungskosten von je 217,11 EUR belastet.

Mit am 30.06.2010 bei der Geschäftsstelle der Prüfgremien eingegangenem Antrag vom 28.06.2010 beantragte die Beigeladene zu 1 die Festsetzung eines Arzneimittelkostenregresses gegenüber dem Kläger. Als Grund hierfür gab sie an, dass die zu ihren Lasten verordneten Präparate gemäß Anlage III Nr. 9 der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in der seit dem 01.04.2009 geltenden Fassung (AM-RL) - Verordnungsausschluss für Antiarthrotika und Chondroprotektiva - nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien.

Auf das Anhörungsschreiben der Geschäftsstelle der Prüfgremien vom 28.07.2010 nahm der Kläger mit am 23.08.2010 eingegangenem Schreiben vom 19.08.2010 dahingehend Stellung, dass er das Präparat gemäß Abschnitt G Nr. 20.2 Buchstabe k der Arzneimittel-Richtlinien (AMR) in der bis zum 31.03.2009 geltenden Fassung (a.F.) zur intraartikulären Injektion bei Gonarthrose eingesetzt habe. Durch frühere, der Stellungnahme beigefügte, Prüfbescheide für die Quartale II/2002 und I/2005 sei bereits festgestellt worden, dass den Krankenkassen kein Schaden entstanden sei. In der Begründung der vorgelegten Bescheide wird ausgeführt, dass in den zur Prüfung gestellten Fällen die Indikation für eine Verordnung nach Maßgabe der Nr. 20.2 Buchstabe k AMR a.F. gegeben sei, nachdem im Vorfeld umfassend nichtmedikamentöse Maßnahmen (Physiotherapie bzw. Rehabilitation) ausgeschöpft gewesen seien.

Mit Prüfbescheid vom 14.07.2011, ausgefertigt am 22.07.2011 und zur Post aufgegeben am 27.07.2011, stellte die beklagte Prüfungsstelle fest, dass der Beigeladenen zu 1 in Folge der Verordnungen ein Schaden in Höhe von 434,22 EUR entstanden sei, der ihr vom Kläger zu erstatten sei. Die verordneten Präparate seien gemäß Teil II Abschnitt H § 16 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage III Nr. 9 AM-RL von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Die vom Kläger hiergegen vorgetragenen Einwände würden nicht durchgreifen. An die früheren Entscheidungen der Prüfgremien sei die Beklagte nicht gebunden. Die Begründung enthielt den abschließenden Hinweis, dass gemäß § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V in Verbindung mit Anlage 6 Abs. 6 der Prüfungsvereinbarung ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss nicht stattfinde. Die Rechtsbehelfsbelehrung benannte als statthaften Rechtsbehelf die Klage zum Sozialgericht.

Mit am 01.08.2011 bei der Geschäftsstelle der Prüfgremien eingegangenem Schreiben vom 28.07.2011 erhob der Kläger gegen den Prüfbescheid vom 14.07.2011 Widerspruch. Auf den fernmündlichen Hinweis der Geschäftsstelle der Prüfgremien vom 02.08.2011, dass ein Vorverfahren nicht statthaft sei, betrieb der Kläger, ohne den Widerspruch ausdrücklich zurückzunehmen, das Vorverfahren nicht weiter.

Mit seiner am 25.08.2011 gegen den Prüfbescheid der Beklagten vom 14.07.2011 erhobenen Klage macht der Kläger gegenüber der Festsetzung des Regresses geltend, er sei gemäß der Präambel zu Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie berechtigt, die nach der Arzneimittel-Richtlinie in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung zu verordnen. In den streitgegenständlichen Behandlungsfällen seien alle anderen therapeutischen Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft gewesen. Zwar gelte die Ausnahmeindikation nach Abschnitt G Nr. 20.2 Buchstabe k AMR a.F. nicht mehr. Die damalige Ausnahmeindikation sei jedoch durch die Präambel zur Anlage III AM-RL gedeckt. Auf Grund der Ablehnung der früheren Regressanträge habe er davon ausgehen dürfen, dass eine kurze Stellungnahme gegenüber der Beklagten ausreiche.

Zur Erläuterung der medizinischen Begründung der Verordnung legte der Kläger als Anlage zur Klagebegründung vom 27.09.2011 zwei an die Patientinnen adressierte Schreiben vom 23.09.2011 mit ausführlicher Darstellung der Diagnosen, des bisherigen Therapieverlaufs, des Behandlungsziels, der therapeutischen Wirkung und des Erfolgs der Behandlungsserie mit den Natriumhyaluronat-Injektionen vor. Auf Anregung des Gerichts reichte er darüber hinaus Kopien der Behandlungsunterlagen zu den Gerichtsakten.

Mit Schreiben vom 14.10.2011 hat das Gericht die Beteiligten, Bezug nehmend auf § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.05.2011, Az. B 6 KA 13/10 R, darauf hingewiesen, dass ein Vorverfahren durchzuführen sein könnte, und den Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen zu 3 beigeladen.

Der Kläger hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung unter Aufrechterhaltung der Anfechtungsklage im Übrigen die Klage im Sinne der hilfsweisen Verurteilung des Beigeladenen zu 3 zur Bescheidung seines Widerspruches erweitert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2011 aufzuheben,

hilfsweise:

den Beigeladenen zu 3 zu verurteilen, über den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sei für die Prüfung der Verordnung abschließend zuständig. Ein Vorverfahren sei ausgeschlossen, weil hier keine Einzelfallbeurteilung geboten sei. Ein "medizinisch begründeter Einzelfall" im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V und der Präambel zu Anlage III AM-RL sei hier schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger das streitgegenständliche Arzneimittel regelhaft einsetze. Allein die vorherige Ausschöpfung der nicht medikamentösen Behandlungsalternativen reiche nicht aus, um von einer Einzelfallverordnung zu sprechen. Anders als Abschnitt G Nr. 20.2 Buchstabe k AMR a.F. sei nach Anlage III Nr. 9 AM-RL die Verordnung von Antiarthrotika und Chondroprotektiva nicht mehr nur eingeschränkt, sondern generell ausgeschlossen. Darüber hinaus würden die erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen nicht dem Begründungserfordernis nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V genügen. Die Begründung müsse zeitnah erfolgen und könne nicht nachgeholt werden (Verweis auf Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012, Az. L 9 AR 292/10). Auch die Eintragungen in den Patientenunterlagen genügten nicht den Anforderungen an eine Begründung.

Der Beigeladene zu 3 beantragt,

die im Umfang des Hilfsantrags gegen ihn gerichtete Klage abzuweisen.

Auch er hält ein Vorverfahren für nicht statthaft. Hinsichtlich des Vorliegens einer medizinischen Begründung der Verordnung im Einzelfall sieht der Beigeladene zu 3 mit Rücksicht auf das gegebenenfalls noch zu durchlaufende Vorverfahren von einer inhaltlichen Stellungnahme ab.

Die übrigen Beigeladenen stellen keine Anträge.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 3 haben für den Fall einer Verurteilung vorsorglich die Zulassung der Revision beantragt. Der Kläger hat für den Fall der Zulassung der Revision bereits deren Einlegung durch die Beklagte bzw. den Beigeladenen zu 3 zugestimmt und für den Fall der Klageabweisung vorsorglich die Zulassung der Berufung beantragt.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist im Umfang der gegenüber dem Beigeladenen zu 3 hilfsweise erhobenen Untätigkeitsklage zulässig und begründet. Der Anfechtungsklage gegen die Beklagte kann dagegen nicht entsprochen werden.

Der Prüfbescheid der Beklagten vom 14.07.2011 ist einer sachlichen Überprüfung durch das Sozialgericht nicht zugänglich. Gegen den Bescheid ist vielmehr gemäß § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 3 Abs. 8 Satz 1 der Prüfungsvereinbarung in der hinsichtlich des Verfahrens hier maßgeblichen Fassung vom 15.12.2009 die Anrufung des zu 3 beigeladenen Beschwerdeausschusses erforderlich. Das Vorverfahren ist nicht gemäß § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V und Anlage 6 Abs. 6 zu § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 der Prüfungsvereinbarung ausgeschlossen.

Gemäß § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V findet abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Grundlage für die Festsetzung des Regresses im vorliegenden Fall ist § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und § 3 Abs. 5 Satz 1 8. Spiegelstrich sowie Anlage 6 Abs. 1 und Abs. 4 der Prüfungsvereinbarung. Materiell-rechtlich knüpft die Regressfestsetzung hier an den Verordnungsausschluss nach Teil II Abschnitt H § 16 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage III Nr. 9 AM-RL an. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Ausschluss "durch die Richtlinien nach § 92" im Sinne des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V. Neben Gegenständen, die von vornherein nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen sind, weil es sich hierbei nicht um Gesundheitsleistungen im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V, namentlich Arzneimittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 SGB V), handelt, unterscheidet das Sozialgesetzbuch bei der Versorgung mit Arzneimitteln begrifflich zwischen dem Ausschluss durch Gesetz (hierzu gehört der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln nach § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB V sowie der Ausschluss von sogenannten Lifestyle-Arzneimitteln nach § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 8 SGB V in Verbindung mit den konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 34 Abs. 1 Satz 9 SGB V) bzw. auf gesetzlicher Grundlage (hierzu gehören bzw. gehörten im Prüfzeitraum die Verordnungen über den Ausschluss weiterer Bagatellarzneimittel nach § 34 Abs. 2 SGB V a. F., über den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nach § 34 Abs. 3 SGB V sowie über den Ausschluss bestimmter Heil- und Hilfsmittel nach § 34 Abs. 4 SGB V) einerseits sowie den Ausschluss durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 31 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 6 und Abs. 3a SGB V andererseits. Hinsichtlich der zuletzt genannten Ausschlüsse (allein) durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, die nicht auf einer inhaltlich vom Gesetzgeber vorgegebenen Regelungsanordnung beruhen, räumt das Gesetz dem Gemeinsamen Bundesausschuss - wie § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit der Formulierung "soll" zum Ausdruck bringt - ein Regelungsermessen ein.

In Ermangelung hinreichend konkretisierter Vorgaben des Gesetzgebers darüber, ob und wie der Gemeinsame Bundesausschuss von diesem Regelungsermessen Gebrauch machen soll, und weil dem Gemeinsamen Bundesausschuss für die Abgrenzung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung die Legitimation fehlt (Bundessozialgericht, Urteil vom 10.05.2005, Az. B 1 KR 25/03 R, juris Rn. 23; Urteil vom 30.09.1999, Az. B 8 KN 9/98 KR R, juris Rn. 43 und 48), trägt das Gesetz der grundsätzlichen Verordnungsfähigkeit der allein durch die Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneimittel mit dem Vorbehalt der ausnahmsweisen Verordnungsfähigkeit nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB 4 SGB V im Sinne eines Dispenses vom Verordnungsausschluss im Einzelfall Rechnung.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die aufgrund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen.

Da die Möglichkeit einer solchen Verordnung im Einzelfall gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V in allen Fällen des Ausschlusses von Arzneimitteln durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V gilt und § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V eindeutig auch die Verordnungsausschlüsse (allein) durch Richtlinien in die Geltung des Vorverfahrensausschlusses mit einbezieht, kann allein die abstrakte Möglichkeit der ausnahmsweisen Verordnung des durch die Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneimittels dem Ausschluss des Vorverfahrens nicht schon generell entgegenstehen.

Gleichwohl ist in teleologischer Reduktion des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V ein Vorverfahren jedenfalls dann durchzuführen, wenn der betroffene Vertragsarzt gegenüber dem Antrag einer Krankenkasse auf Festsetzung eines Regresses wegen des Verstoßes gegen einen Verordnungsausschluss ausdrücklich oder sinngemäß einwendet, er habe wegen der besonderen medizinischen Umstände im Einzelfall das Arzneimittel zu Lasten der Krankenkasse verordnen dürfen, und Tatsachen benennt, die eine solche Ausnahmeindikation zumindest nicht von vornherein aus Rechtsgründen als ausgeschlossen erscheinen lassen.

Ein solcher Fall ist beispielsweise dann gegeben, wenn, wie hier, der Arzt eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V und der Präambel zu Anlage III AM-RL geltend macht. Er kann aber auch dann eintreten, wenn ein Arzt im Falle des gesetzlichen Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 1 eine Ausnahmeindikation gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit Teil II Abschn. F § 12 Abs. 2 bis 9 und Anlage I AM-RL behauptet.

In jedem Falle ist nicht schon die pauschale Behauptung ausreichend, dass ein Ausnahmefall für eine Verordnung vorliege, sondern die hierfür maßgeblichen Tatsachen sind wenigstens ansatzweise so zu substantiieren, dass die Prüfgremien dem Vortrag anknüpfend an die Dokumentationsobliegenheiten des Arztes weiter nachgehen können.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 11.05.2011, Az. B 6 KA 13/10 R, bereits entschieden, dass Entscheidungen der Prüfungsstellen, wenn ein Regress wegen zulassungsüberschreitender Verordnungen im Streit steht, nicht unmittelbar mit der Klage angefochten werden können, sondern dass zunächst der Beschwerdeausschuss mit der Prüfung zu befassen ist. Dieser Entscheidung lag tragend die Überlegung zugrunde, dass sich die Ausnahmeregelung des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt, wobei sich der Ausschluss zudem aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben muss; lediglich "mittelbare" Ausschlüsse durch andere Gesetze - wie etwa durch das Arzneimittelgesetz im Wege einer "Transformation" über die §§ 2 und 12 SGB V - genügen nicht (Bundessozialgericht, a.a.O., juris Rn. 19 bis 23).

Die Erwägungen des Bundessozialgerichts sprechen weitergehend für die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens auch dann, wenn die Prüfungsstelle einen Arzneimittelkosten-Regress wegen eines Verordnungsausschlusses durch die Arzneimittel-Richtlinie festgesetzt hat, der Arzt sich aber gegenüber dem Antrag der Krankenkasse auf Regressfestsetzung bereits unter Benennung indikationsbezogener Tatsachen auf seine Befugnis nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V beruft, das Arzneimittel in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung ausnahmsweise doch verordnen zu dürfen.

Bereits das Bundessozialgericht weist in seiner Entscheidung vom 11.05.2011, a.a.O., juris Rn. 24 auf die Gesetzesbegründung hin. Danach bewirkt "der Ausschluss eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss in Prüfungssachen der Verordnungen von Arzneimitteln betreffend, die durch Gesetz oder die Richtlinien aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen sind, [ ] dass der Beschwerdeausschuss von einer Vielzahl gleichartig zu bearbeitender Einzelvorgänge entlastet wird. Der vergleichsweise leicht überprüfbare Sachverhalt, ob ein Arzneimittel grundsätzlich Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist, kann sachgerecht durch die Prüfungsstelle abschließend geklärt werden" (Deutscher Bundestag Drucksache 16/3100, S. 138, zu Artikel 1 Nr. 72 Buchstabe j, Doppelbuchstabe cc).

Der Gesetzgeber wollte ausweislich dieser Begründung die Beschwerdeausschüsse allein von Fallgestaltungen bzw. Anwendungssachverhalten entlasten, die eher technischen Charakter haben und ganz überwiegend entgegen der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben bestehen. Dass die Ausnahmeregelung "gleichartig zu bearbeitende Einzelvorgänge" erfassen soll, schließt es aus, sie auf Konstellationen zu erstrecken, in denen sich die Entscheidung nicht ohne Weiteres - im Sinne eines "Ja" oder "Nein" - aus normativen Vorgaben ergibt, sondern es hierzu einer einzelfallbezogenen Prüfung bedarf. Dies wird durch die Erwartung des Gesetzgebers gestützt, dass die von der Ausnahmeregelung erfassten Fallgestaltungen einen "vergleichsweise leicht überprüfbaren Sachverhalt" zum Gegen- stand haben (Bundessozialgericht ebd.).

Das Bundessozialgericht hat darüber hinaus die Überlegung verworfen, dass für den Ausschluss des Vorverfahrens ein unspezifischer, "grundsätzlicher" Ausschluss der Leistungspflicht ausreiche und eine ausnahmsweise Zulässigkeit unschädlich sei (Bundessozialgericht, a.a.O., juris Rn. 25). Dies kann zwar nicht zur Folge haben, dass wegen der in allen Fällen des Verordnungsausschlusses (allein) aufgrund von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses geltenden Dispensvorbehaltes nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V der Ausschluss des Vorverfahrens gemäß § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V sich allein auf die dort genannten Verordnungsausschlüsse "durch das Gesetz" reduzieren würde. Denn dies würde der Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Einbeziehung auch allein auf Arzneimittelrichtlinien beruhender Verordnungsausschlüsse in den Geltungsbereich des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V zuwiderlaufen. Die Befassung des Beschwerdeausschusses ist jedoch in allen Fällen angezeigt, in denen der Arzt medizinische Tatsachen unterbreitet, die einen Ausnahmefall im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V im konkreten Fall tatsächlich als möglich erscheinen lassen.

Auch in dieser Fallkonstellation greifen die Überlegungen des Bundessozialgerichts zum Zweck des Vorverfahrens. Dieses soll die Verwaltung in die Lage versetzen, ihre Verwaltungsakte im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen, den Rechtsschutz der betroffenen Bürger verbessern und die Gerichte vor Überlastung schützen. Die Überprüfung in einem Vorverfahren soll insbesondere der Verwaltung die Gelegenheit bieten, Fehlentscheidungen selbst zu korrigieren, und dient damit zugleich im Sinne einer Filterfunktion dem Interesse an einer Entlastung der Gerichte. Gerade dann, wenn medizinische Fragen zu beurteilen sind, kommt dem mit Vertretern von Ärzten und Krankenkassen fachkundig besetzten Beschwerdeausschuss bei der Erreichung dieser Ziele große Bedeutung zu. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Entlastung des Beschwerdeausschusses steht dem nicht entgegen, da dieser zwar von gleichförmigen Verfahren entlastet werden sollte, nicht aber von seiner originären Aufgabe einer Überprüfung der Entscheidungen der Prüfungsstelle in allen übrigen Fällen (Bundessozialgericht, a.a.O., juris Rn. 28).

Nach diesen Maßstäben gebieten die Umstände des vorliegenden Falles auch hier die Anrufung des Beschwerdeausschusses.

Die Beklagte ist der Durchführung eines Vorverfahrens mit dem Hinweis entgegengetreten, dass allein die pauschale Behauptung, es liege ein medizinisch begründeter Einzelfall im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V vor, nicht ausreiche, um die Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses zu eröffnen. Dieser Rechtssatz ist für sich gesehen nicht falsch. Der Einwand trifft hier jedoch nicht zu. Denn der Vortrag des Klägers hat sich nicht auf eine solche rein abstrakte Rechtsbehauptung beschränkt.

Für die Frage, wann ein Vorverfahren durchzuführen ist und wann es bei der abschließenden Zuständigkeit der Prüfungsstelle verbleibt, ist - wie generell bei Entscheidungen über den richtigen Verfahrensweg - ein möglichst einfacher, in Zweifelsfällen eher großzügiger Maßstab anzulegen, der eine Vorwegnahme der materiell-rechtlichen Prüfung in der Sache nach Möglichkeit vermeidet.

Hier hat der Kläger bereits in seiner Stellungnahme vom 19.08.2010 durch Bezugnahme auf gleichgelagerte Verordnungen, die bereits Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Quartale II/2002 und I/2005 waren, sinngemäß dargelegt, er habe die streitgegenständlichen HYALART®-Fertigspritzen erst verordnet, nachdem nichtmedikamentöse Behandlungsversuche, namentlich Physiotherapie und rehabilitative Maßnahmen, erfolglos ausgeschöpft gewesen seien. Da sich der Regressantrag der Beigeladenen zu 1 nur auf zwei namentlich bekannte Patienten bezog, ist damit ein hinreichender individualisierter Bezug zur medizinischen Indikation des konkreten Behandlungsfalles wenigstens ansatzweise dargetan.

Dass der Kläger seinem Vortrag zufolge bei gleicher Diagnose und vergleichbarem Behandlungsverlauf in einer Vielzahl von Fällen auf die gleiche Behandlungsmethode zurückgreift, schließt einen "Einzelfall" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus. Nach dieser Vorschrift ist es lediglich erforderlich, aber auch ausreichend, wenn der Vertragsarzt die Indikation für eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verordnungsausschluss mit den hierfür maßgeblichen Anknüpfungstatsachen in Bezug auf einen konkreten Behandlungsfall feststellt. Diese einzelfallbezogenen Gründe können durchaus für eine Mehrzahl von Patienten, auch in gleichförmiger Weise, angeführt werden.

Nicht maßgeblich ist hingegen, ob die behaupteten medizinischen Gründe für die ausnahmsweise Verordnung (hier: die bereits in früheren Regressverfahren anerkannte Ausnahmeindikation für die Verordnung von HYALART® nach Abschnitt G Nr. 20.2 Buchstabe k AMR a.F.) letztlich auch stichhaltig sind, d.h., ob sich ihnen tatsächlich über die zulassungskonforme Anwendung des Arzneimittels hinaus auch entnehmen lässt, warum der in Anlage III AM-RL angeordnete Verordnungsausschluss mit Rücksicht auf den ihm vom Gemeinsamen Bundesausschuss beigemessenen Zweck im konkreten Fall ausnahmsweise nicht eingreift. Gerade dies zu beurteilen, ist im Streitfalle zunächst Sache des sachverständig zusammengesetzten Bewertungsausschusses.

Im Ausgangspunkt zutreffend rügt die Beklagte weiter, die vom Kläger erst in der Anlage zur Klagebegründung vom 27.09.2011 eingereichten ausführlichen Begründungen vom 23.09.2011 seien nicht zu berücksichtigen, weil die von § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V geforderte Begründung zeitnah angefertigt werden müsse und nicht nachgeholt werden könne (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012, Az. L 9 KR 292/10) und im Übrigen der Vertragsarzt seiner Obliegenheit zum Tatsachenvortrag grundsätzlich im Verwaltungsverfahren zu genügen hat (vgl. exemplarisch Bundessozialgericht, Urteil vom 15.11.1995, Az. 6 RKa 58/94).

Der Tatsachenvortrag des Klägers ist hier nicht schon aus prozessualen Gründen ausgeschlossen. Die Rechtsprechung, wonach der Vertragsarzt im Klageverfahren mit Sachvortrag nicht mehr gehört werden kann, der bereits im Verwaltungsverfahren hätte angebracht werden können (vgl. hierzu zuletzt Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2011, Az. L 7 KA 157/07 mit der - freilich wenig überzeugenden - Begründung, allein die Übereinstimmung der subjektiven Beurteilungsgrundlage der Prüfgremien mit den vom Arzt im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Tatsachen bedinge eine objektiv von Beurteilungsfehlern freie Entscheidung) greift hier nicht ein. Der Kläger hatte bereits im Verwaltungsverfahren zumindest ansatzweise Tatsachen vorgetragen, welche eine Ausnahmeindikation im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V wenigstens als möglich erscheinen lassen. Ohne der abschließenden Beurteilung durch den hierzu zunächst berufenen Beigeladenen zu 3 vorgreifen zu wollen, ist der Beklagten einzuräumen, dass die in der Stellungnahme des Klägers vom 19.08.2010 mitgeteilten Umstände nicht ausreichend sind, um die Ausschöpfung der vorrangigen nichtmedikamentösen Behandlungsansätze zu belegen, die möglicherweise einen Rückgriff auf die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit umstrittenen Hyaluronsäure - bzw. Hyaluronat-Präparaten zu rechtfertigen (vgl. zum aktuellen Stand der Diskussion exemplarisch M. Abate, V. Salini, Hyaluronic Acid in the Treatment of Osteoarthritis: What ist New, in: Osteoarthritis - Diagnoses, Treatment and Surgery, 2012, Kapitel 5, S. 101 ff.; http://cdn.intechopen.com/pdfs/30684/InTech-Hyaluronic acid in the treatment of osteoarthritis what is new.pdf).

Die Prüfgremien können dem Kläger hier indessen nicht entgegenhalten, er sei mit weiterem Tatsachenvortrag bereits aus formellen Gründen präkludiert. Vertragsärzte und Institutionen des Vertragsarztrechts sind zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Aus der Stellungnahme vom 19.08.2010 ging sinngemäß hervor, dass der Kläger die streitgegenständlichen Arzneimittel durchaus auf Grundlage einer einzelfallbezogenen Indikationsstellung verordnet hatte. Soweit er sich dabei im Rechtsirrtum über die rechtliche Grundlage und die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verordnung im Ausnahmefall befand, ist dies für die medizinische Beurteilung durch die Prüfgremien ohne Belang. Angesichts des offenkundigen Irrtums des Klägers über die zwischenzeitliche Änderung der Arzneimittel-Richtlinien und, daraus resultierend, über den ordnungsgemäßen Nachweis einer medizinischen Begründung für eine ausnahmsweise Verordnung im Einzelfall wäre die Beklagte jedoch verpflichtet gewesen, den Kläger auf seinen Irrtum und auf die aus ihrer Sicht erforderlichen Nachweise hinzuweisen. Da sie dies unterlassen hat, bleibt dem Kläger die Möglichkeit unbenommen, die Belege für eine ausreichende medizinische Einzelfallbegründung auch noch nach Abschluss des Verfahrens vor der Prüfungsstelle nachzureichen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob auch eine nachträglich angefertigte Einzelfallbegründung - hier: das Schreiben des Klägers an die Patientinnen vom 23.09.2011 - dem Begründungserfordernis im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V genügt. Diese Frage ist zu verneinen (ebenso bereits Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012, Az. L 9 KR 292/10, juris Rn. 41). Die Kammer versteht die Begründungspflicht als Dokumentationsobliegenheit. Die Dokumentation der medizinischen Begründung soll zum einen den Prüfgremien ermöglichen, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zu kontrollieren und so einer Umgehung des grundsätzlichen Verordnungsausschlusses in den Arzneimittelrichtlinien entgegenzuwirken. Zum anderen dient die Begründung der Verordnung aber auch der Selbstkontrolle des behandelnden Arztes, um in den zugelassenen Ausnahmefällen eine strenge Indikationsstellung zu gewährleisten.

Aus diesem Verständnis heraus muss die Begründung nicht zwingend nach außen kundgetan werden. Insbesondere teilt die Kammer die einhellige Auffassung der Verfahrensbeteiligten, dass die Begründung insbesondere nicht auf dem Verordnungsvordruck dokumentiert sein muss und im Regelfall schon aus praktischen Gründen dort nicht sinnvoll dokumentiert werden kann. Ebenso wenig ist eine Übermittlung der für die Einzelfallverordnung maßgeblichen Angaben gleichsam "auf Vorrat" an die Krankenkassen sinnvoll, zumal diese eine Überprüfung der Verordnungsfähigkeit im Einzelfall ohnehin in dem nach § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V vereinbarten Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung veranlassen können; dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung steht insoweit keine Prüfungsbefugnis nach § 275 SGB V zu (im Ergebnis anderer Auffassung: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012, Az. L 9 KR 292/10, juris Rn. 41).

Anknüpfungspunkt für die Prüfung der wirtschaftlichen Verordnungsweise im Einzelfall ist grundsätzlich die ärztliche Dokumentation (§ 10 BO), deren Vollständigkeit und Richtigkeit vermutet wird, so lange dieser Anscheinsbeweis nicht durch konkret erkennbare Anhaltspunkte - wie zum Beispiel nachträgliche Änderungen - erschüttert wird (vgl. zum Arzthaftungsrecht Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 23.07.2008, Az. 5 U 28/08, juris Rn. 19; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.01.2012, Az. 1 U 45/11, juris Rn. 19).

Wegen der Beweis- und Warnfunktion der Begründung muss diese jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung dokumentiert sein (ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, a.a.O., juris Rn. 41). Eine erst mit erheblichem zeitlichem Abstand im Nachhinein angefertigte Begründung, wie hier die Arztschreiben vom 23.09.2011, genügt deshalb nicht.

Die medizinischen Gründe für eine ausnahmsweise Verordnung im Einzelfall und die darauf bezogene Dokumentationsobliegenheit des Arztes stellen sich im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V als zwei Seiten einer Medaille dar. Zu dokumentieren sind die Umstände, aus denen der Arzt den Schluss zieht, dass die für den Verordnungsausschluss in den Arzneimittel-Richtlinien tragenden Erwägungen im konkreten Einzelfall nicht eingreifen. Nur soweit die Umstände in den Patientenunterlagen zeitnah dokumentiert sind, sind sie der Beurteilung durch die Prüfgremien darauf zugänglich, ob sie als Begründung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V die Durchbrechung des allgemeinen Verordnungsausschlusses im Einzelfall medizinisch zu tragen vermögen. Formeller Maßstab für eine ausreichende Dokumentation ist der Verständnishorizont eines fachkundigen Dritten (namentlich Ärzte als Mit- oder Weiterbehandler, Mitglieder der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse in der vertragsärztlichen Versorgung). Spätere Erläuterungen oder Zusammenfassungen, um die Nachvollziehbarkeit der Dokumentation in der Patientenakte für die fachkundigen Prüfgremien zu erleichtern, können zwar auch noch nachträglich angefertigt und im Prüfungsverfahren vorgelegt werden. Sie können die zeitnahe und vollständige Dokumentation der für die Anerkennung einer Einzelfallindikation ausschlaggebenden Gründe jedoch nicht ersetzen.

Vor diesem Hintergrund müssen sich im vorliegenden Fall die für die medizinische Begründung der Verordnung im Einzelfall ausreichenden Angaben zum bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf sowie den Behandlungsalternativen letztlich allein der vom Kläger im Gerichtsverfahren nachgereichten Dokumentation in den Krankenunterlagen der beiden betroffenen Versicherten ergeben. Die Kammer geht davon aus, dass die Eintragungen in der Patientenkartei zeitnah und vollständig erfolgt sind. Trotz ihrer eigentlich verspäteten Vorlage erst im gerichtlichen Verfahren sind diese Aufzeichnungen als Beweismittel nachträglich noch zuzulassen und für die Prüfgremien verwertbar. In summarischer Prüfung der vorgelegten Auszüge aus den Krankenunterlagen erscheint es der Kammer jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass ein fachkundiges Prüfgremium ihnen die notwendigen Angaben zu entnehmen vermag, um beurteilen zu können, ob der Einsatz des durch die Arzneimittel-Richtlinie an sich ausgeschlossenen Chondroprotektivums hier ausnahmsweise angezeigt war.

Das reicht aus. Es bedarf im gegenwärtigen Verfahrensstadium keiner abschließenden Entscheidung des Gerichts, ob die Qualität der Dokumentation den Anforderungen an die Begründung eines medizinisch begründeten Einzelfalles im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V genügt, um die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 3 für die Durchführung eines Vorverfahrens zu bejahen. Ebenso wenig wird der Beklagten im Rahmen des Prüfungsverfahrens eine solche abschließende Beurteilung abverlangt, um den Prüfbescheid mit einer auf die Statthaftigkeit des Vorverfahrens gerichteten Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Die denkbaren Fallgestaltungen hinsichtlich der Dokumentationsqualität und Begründungsdichte sind faktisch unbegrenzt. Aus diesem Grunde und mit Rücksicht auf die Wechselbeziehung zwischen der Dokumentation einerseits und der als Begründung berücksichtigungsfähigen medizinischen Indikation für die Verordnung im Ausnahmefall andererseits kann die Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens nicht von einer detaillierten Beurteilung der dokumentierten Begründung durch die Prüfungsstelle abhängen. Hat der Vertragsarzt nur überhaupt eine konkrete medizinische Begründung für eine ausnahmsweise Verordnung im Einzelfall geltend gemacht, ist es zunächst zwar eine eigene Aufgabe der Prüfungsstelle, im Streitfall aber des Beschwerdeausschusses selbst, die Behandlungsdokumentation in ihrer Wechselbeziehung mit den möglichen Gründen für eine ausnahmsweise Verordnung des ausgeschlossenen Arzneimittels zu bewerten. Es liegt dann primär in der Zuständigkeit des Beigeladenen zu 3, zu beurteilen, ob er eine ausreichend dokumentierte Begründung für eine ausnahmsweise Verordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V anerkennt oder ob er den Widerspruch - sei es, weil er schon aus formellen Gründen eine hinreichend dokumentierte Begründung nicht zu erkennen vermag, sei es, weil er die mitgeteilte Begründung medizinisch nicht für tragfähig erachtet - zurückweist und dem Kläger so den Zugang zum Sozialgericht eröffnet. Auch insoweit erfordert die Prüfung eine eingehende einzelfallbezogene Ermittlung, für die der Gesetzgeber die Befassung des fachkundig besetzten Beschwerdeausschusses gerade nicht ausschließen wollte. Dieser Entscheidung des Beigeladenen zu 3 kann die Kammer nicht vorgreifen.

Ist mithin vor Erhebung der Anfechtungsklage das Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss nach § 106 Abs. 5 Satz 3 und 6 SGB V in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG zu durchlaufen, kann die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 14.07.2011 kein statthafter Gegenstand der Klage sein. § 95 SGG, wonach Gegenstand der Klage, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht einschlägig. Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss stellt ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz dar. Der vom Beschwerdeausschuss zu erlassende Widerspruchbescheid stellt sich als selbständiger und alleiniger Gegenstand eines anschließenden Gerichtsverfahrens dar. Eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle ist in der Regel unzulässig (vgl. exemplarisch Bundessozialgericht, Urteil vom 09.03.1994, Az. 6 RKa 5/92, juris Rn. 16-20). Dies hat zur Folge, dass, sofern das Vorverfahren beim Beschwerdeausschuss statthaft ist, nicht nur eine Sachentscheidungsvoraussetzung für die Anfechtungsklage fehlt, bis zu deren Vorliegen das sozialgerichtliche Verfahren einstweilen entsprechend § 114 SGG (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 14. Aufl. 2012, § 114 Rn. 5) auszusetzen und ggf. nach Erlass eines abschlägigen Widerspruchsbescheides unter gleichzeitigem Beklagtenwechsel von Amts wegen gegen den Beigeladenen zu 3 fortzuführen ist. Vielmehr ist in diesen Fällen die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle unzulässig und deshalb durch prozessuales Schlussurteil abzuweisen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09.03.1994, Az. 6 RKa 5/92, juris Rn. 16).

Ist somit die Klage gegen die Beklagte im Umfange des Hauptantrages (in der Entscheidungsformel: "Im Übrigen") als unzulässig abzuweisen, so hat die ergänzend gegen den Beigeladenen zu 3 erhobene Klage auf Bescheidung des noch immer offenen Widerspruches vom 28.07.2011 Erfolg. Die Entscheidung ergeht insoweit nicht auf Grundlage des § 75 Abs. 5 SGG, wonach ein Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des Sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden können. Denn der Beigeladene zu 3 gehört nicht zu den in dieser Vorschrift genannten Trägern. Grundlage der Verurteilung ist vielmehr § 131 Abs. 3 in Verbindung mit § 88 Abs. 2 SGG. Der gegen den Beigeladenen zu 3 erhobene Hilfsantrag stellt eine subjektive Klageerweiterung gegen den Beigeladenen zu 3 als Beklagter einer Untätigkeitsklage dar. Da mit der statthaften Anrufung des Beschwerdeausschusses dieser funktionell an die Stelle der Prüfungsstelle tritt, ist die in der Geltendmachung des Hilfsantrags liegende Klageänderung sachdienlich. Der Beigeladene zu 3 hat mit seinem Antrag auf Klageabweisung seine Einbeziehung als weiterer Beklagter in das Verfahren zugestimmt. Da aus den dargestellten Gründen kein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der Beigeladene zu 3 über den Widerspruch des Klägers gegen den Prüfungsbescheid der Beklagten vom 14.07.2011 noch nicht entschieden hat, ist dem Klageantrag insoweit im Sinne des Verurteilung zur Bescheidung des Widerspruches zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 4 VwGO und trägt hinsichtlich der Auferlegung eines Teils der Kosten auf die Beklagte dem Umstand Rechnung, dass diese durch die Erteilung einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung und der unzutreffenden fernmündlichen Auskunft vom 02.08.2011, wonach die Anrufung des Beschwerdeausschusses nicht statthaft sei, maßgeblich zur Veranlassung der gegen sie gerichteten Klage beigetragen hat.

Der gemäß § 52 Abs. 1 und § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG nach der sich aus dem Klageantrag ergebenden Bedeutung der Sache festzusetzende Streitwert entspricht der Höhe der streitgegenständlichen Regressforderung (§ 52 Abs. 3 GKG). Von der Bezifferung eines gesonderten Streitwertanteils für die hilfsweise erhobene Untätigkeitsklage gegen den Beigeladenen zu 3 hat die Kammer abgesehen, weil es sich bei der auf Bescheidung des Widerspruchs gerichteten Klage um ein rechtliches Minus gegenüber der den gleichen Streitgegenstand betreffenden Anfechtungsklage handelt.

Die Kammer hat auf den Antrag des Beigeladenen zu 3 hin, die Revision gemäß § 161 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Ausschluss des Vorverfahrens nach § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V eingreift, wenn der Vertragsarzt gegenüber der Festsetzung eines Regresses wegen Verstoßes gegen einen Verordnungsausschluss durch die Richtlinien nach § 92 SGB V, die Befugnis einwendet, gemäß § 34 Abs. 1 Satz 4 ausnahmsweise das ausgeschlossene Arzneimittel in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen zu dürfen. Die Zustimmung des Klägers nicht nur zur Zulassung, sondern darüber hinaus auch bereits zur Einlegung der Revision hat dessen Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2013 bereits zu Protokoll erklärt.

Dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat die Kammer nicht entsprochen, weil der Kläger durch die Abweisung der gegen die Beklagte gerichteten Klage vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Verurteilung des Beigeladenen zu 3 zur Bescheidung des Widerspruchs gegen den Prüfbescheid der Beklagten keine materielle Beschwer erleidet. Die Unzulässigkeit der Klage gegen die Prüfungsstelle, wenn die Anrufung des Beschwerdeausschusses statthaft ist, wirft auch in prozessualer Hinsicht keine grundsätzlich bedeutsame Frage auf. Diese Verfahrenskonstellation ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits geklärt.
Rechtskraft
Aus
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