L 6 SF 433/13 E

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 433/13 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Liegt der medizinische Anteil der dem Sachverständigen übersandten Unterlagen bei ca. 50 v.H. sind beim Ansatz des Aktenstudiums die Akten mit allgemeinem und medizinischem Inhalt getrennt zu erfassen und unterschiedlich zu bewerten (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 4. August 2003 – L 6 SF 275/03). Im Regelfall benötigt dann ein medizinischer Sachverständiger für die Durchsicht von 100 Aktenblättern mit allgemeinem Inhalt bzw. von 50 Blatt mit medizinischen Unterlagen jeweils ca. eine Stunde.
2. Zustandsgutachten werden im Regelfall der Honorargruppe M2 zugeordnet (vgl. Thüringer LSG; Beschlüsse vom 16. März 2012 - L 6 SF 151/12 E und 1. Juni 2011 - L 6 SF 277/11 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. September 2009 - L 15 SF 188/09; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – L 2/9 SF 82/04).
Die Vergütung für das Gutachten des Erinnerungsführers vom 27. Juli 2012 wird auf 2.120,98 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Im Berufungsverfahren R. L .../. Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (L 12 R 448/10) ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbs-minderung zu gewähren.

Mit Beweisanordnung vom 15. Dezember 2011 beauftragte der Berichterstatter des 12. Senats des Thüringer Landessozialgerichts den Erinnerungsführer, einen HNO-Facharzt, mit der Er-stellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zusätzlich wurde er beauftragt, von Dr. A. ein Zusatzgutachten einzuholen. Übersandt wurden ihm die Gerichts- (235 Blatt) und die Verwaltungsakte (186 Blatt). Anschließend übersandten ihm der 12. Senat weitere medizinische Unterlagen sowie der Zusatzsachverständige sein orthopädisches Gut-achten vom 12. Juli 2012 (39 Blatt). Unter dem 27. Juli 2012 fertigte er sein Gutachten auf-grund einer ambulanten Untersuchung auf insgesamt 40 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom 19. Dezember 2012 machte er insgesamt 2.865,98 Euro geltend (28,62 Stunden, aufgerundet 29 Stunden Zeitaufwand x 85,00 Euro, besondere Leistungen 288,88 Euro, Telekommunika-tionspauschale 20,00 Euro, Schreibauslagen 83,00 Euro, Porto 9,10 Euro). Bezüglich der Ein-zelheiten wird auf Blatt 5 des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 18. Januar 2013 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung auf 1.900,98 Euro und berück-sichtigte dabei einen notwendigen Zeitaufwand von 25 Stunden (Aktenstudium 5 Stunden, Erhebung der Vorgeschichte 1,25 Stunden, körperliche Untersuchung 2 Stunden, Beurteilung 8,67 Stunden, Diktat und Korrektur 8 Stunden) und einen Stundensatz von 60,00 Euro (M2).

Am 11. März 2013 hat sich der Erinnerungsführer gegen die Festsetzung gewandt und vorge-tragen, angesichts des hohen Schwierigkeitsgrades mit Berücksichtigung vielfacher Vorbe-gutachtungen und einer Zusatzbegutachtung beantrage er weiterhin einen Stundensatz von 85,00 Euro. Die Kürzung seiner Stundenzahl sei nicht nachvollziehbar begründet.

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,

die Vergütung für das Gutachten vom 27. Juli 2012 auf 2.865,98 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner hat innerhalb der gesetzten Frist keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 12. März 2013) und sie dem erkennenden Senat vorgelegt.

II.

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Be-schluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Der Erinnerungsführer ist Berechtig-ter im Sinne dieser Vorschrift.

Bei der Erinnerungsentscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen werden (ständige Senats-rechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 1. Dezember 2011 - L 6 SF 1617/11 E, 8. Septem-ber 2009 - L 6 SF 49/08, 4. April 2005 – L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 10. Oktober 2005 – 1 B 97.1352, nach ju-ris). Der Senat ist nicht an die Höhe der Einzelansätze, Stundenansätze oder die Gesamthöhe der Vergütung oder die Anträge der Beteiligten gebunden; er kann die Vergütung nur nicht höher festsetzen als vom Erinnerungsführer beantragt. Nachdem die Erinnerung kein Rechts-behelf ist, gilt das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius") bei dieser erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. September 2009 - L 6 SF 49/08, 13. April 2005 - L 6 SF 2/05, 16. September 2002 - L 6 B 51/01 SF; Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtli-chen Richtern nach dem JVEG, 25. Auflage 2011, § 4 Rdnr. 4.3; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 4 JVEG Rdnr. 10).

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten ge-währt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar eines Sachverständigen errechnet sich entsprechend den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Sie wird nach einem abstrakten Maßstab ermittelt, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befä-higung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsin-tensität orientiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07; BGH; Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98, beide nach juris; Senatsbeschlüsse vom 5. März 2012 - L 6 SF 1854/11 B und 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 35). Zu berücksichtigen sind dabei die Schwierigkeiten der zu beantworteten Fragen unter Berücksichtigung der Sachkun-de auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsa-che (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 841). Die herrschenden Meinung geht grundsätz-lich davon aus, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, - L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.; Thüringer OVG, Beschluss vom 3. Juli 2006 – 4 VO 487/05, nach juris; Hessi-sches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – L 2/9 SF 82/04, nach juris; LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 – L 12 RJ 3686/04 KO-A, nach juris); werden die üb-lichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten (vgl. u.a. Senatsbe-schluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.), ist eine Plausibi-litätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen erforder-lich.

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt in Thüringen grundsätzlich in fünf Be-reichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Für das Gutachten vom 27. Juli 2012 war angesichts der übersandten Unterlagen und unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte ein Zeitaufwand von 25,75 Stunden erforder-lich. Der beantragte Zeitansatz von 28,62 Stunden, aufgerundet 29 Stunden, übersteigt ihn nicht um mehr als 15.

Im Einzelnen:

• Für das Aktenstudium wird ein Zeitansatz von 6,5 Stunden akzeptiert. Der Senat un-terstellt in ständiger Rechtsprechung, dass ein Sachverständiger für das Aktenstudium und vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerp-ten einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde für etwa 80 Blatt mit ca. ¼ medizini-schem Inhalt benötigt (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 2007 - L 6 B 172/07 SF). Unter Abzug von 32 Doppelheftungen errechnet sich daraus für 446 Blatt ein Ansatz von ca. 5,5 Stunden. Allerdings lag im vorliegenden Fall der medizinische Anteil der Unterlagen bei ca. 50 v.H. (225 von 446 Blatt). In diesem Fall sind die Akten mit all-gemeinem und medizinischem Inhalt getrennt zu erfassen und unterschiedlich zu be-werten (vgl. Senatsbeschluss vom 4. August 2003 – L 6 SF 275/03). Im Regelfall be-nötigt ein medizinischer Sachverständiger für die Durchsicht von 100 Aktenblättern mit allgemeinem Inhalt bzw. von 50 Blatt mit medizinischen Unterlagen jeweils ca. eine Stunde. Damit ist der Ansatz für das Aktenstudium auf 6,5 Stunden zu erhöhen.

• Keine Bedenken bestehen gegen die beantragten Ansätze für die Vorgeschichte (1,25 Stunde) und die Untersuchung (2 Stunden).

• Der Zeitansatz für die Beurteilung beträgt 8 Stunden. Sie umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die ei-gentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begrün-dung. Der Senat geht seit März 2012 in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein medizinischer Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung für die gedankliche Erarbeitung grundsätzlich durchschnittlich eine Stunde für ca. 1 ½ Blatt benötigt; dabei ist die Schreibweise zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 3. April 2012 - L 6 SF 306/12 B und 26. März 2012 - L 6 SF 132/12 E). Hier erstreckt sich die Beurteilung auf Blatt 28 (unten) bis Blatt 40 Mitte. Nur einmal zu berücksich-tigen ist die Aufstellung der Diagnosen; die Literaturliste ist nicht Teil der Beurtei-lung.

• Gegen die beantragten 8 Stunden für Diktat und Korrektur bestehen im Ergebnis keine Bedenken.

Zusätzlich zu erstatten sind die besonderen Leistungen nach § 10 JVEG und die Schreibaus-lagen nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG sowie die Portokosten. Die beantragte Telefonpau-schale in Höhe von 20,00 Euro ist im JVEG nicht vorgesehen und kann daher nicht erstattet werden.

Nicht in Betracht kommt die beantragte Honorierung in der Honorargruppe M3 (§ 9 Abs. 1 JVEG). Die Zuordnung der Leistungen zu einer Honorargruppe bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 JVEG nach der Anlage 1 (Satz 2). Wird die Leistung auf einem Sachgebiet erbracht, das in keiner Honorargruppe genannt wird, ist sie nach billigem Ermessen zuzuordnen; dies gilt ent-sprechend, wenn ein medizinisches oder psychologisches Gutachten einen Gegenstand be-trifft, der in keiner Honorargruppe genannt wird (Satz 3). In Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG werden die medizinischen Gutachten entsprechend ihrer Schwierigkeit in drei Honorargrup-pen (M1 bis M3) eingeteilt. Die Honorargruppen M2 (60 Euro) und M3 (85,00 Euro) werden wie folgt definiert: M2: Beschreibende (Ist-Zustands) Begutachtungen nach standardisiertem Schema ohne Erör-terung spezieller Kausalzusammenhänge mit einer medizinischen Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten in Verfahren nach dem SGB IX, M3: Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtung spezieller Kausalzusammen-hänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen.

Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur ordnet Zustandsgutachten - wie hier - im Regelfall der Honorargruppe M2 zu (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 16. März 2012 - L 6 SF 151/12 E und 1. Juni 2011 - L 6 SF 277/11 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. September 2009 - L 15 SF 188/09; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – L 2/9 SF 82/04, beide nach juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 872), denn es handelt sich um typische Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit. Gutachten der Honorargruppe M 3 erfordern dagegen umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen. Auch andere Gründe sind denkbar, z.B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnesti-scher Angaben. Hierfür sind im vorliegenden Fall keine ausreichenden Anhaltspunkte ersicht-lich. Die in sozialgerichtlichen Verfahren übliche Auseinandersetzung mit einschlägigen Vor-gutachten begründet allein nicht den hohen Schwierigkeitsgrad der Honorargruppe M3 (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. März 2012 - L 6 151/12 E und 1. Juni 2011 - L 6 SF 277/11 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. September 2011 - L 2 SF 254/11); zudem ist der Sachverständige hier von ihnen nicht abgewichen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem orthopädischen Zusatzgutachten war offensichtlich nicht erforderlich und hätte den Erinnerungsführer überfordert.

Damit errechnet sich die Vergütung des Erinnerungsführers wie folgt: 29 Stunden x 60,00 Euro (Honorargruppe M2) 1.740,00 Euro Besondere Leistungen 288,88 Euro Schreibauslagen 83,00 Euro Porto 9,10 Euro Gesamtbetrag 2.120,98 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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