L 6 SF 19/13 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 12 SF 294/12 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 19/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 15a RVG ist auf das Verhältnis der Gebührentatbestände Nr. 3102 VV-RVG und Nr. 3103 VV-RVG weder direkt noch analog anwendbar (vgl. Thüringer LSG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2012 - L 6 SF 1587/12 B und 4. März 2011 - L 6 SF 184/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. August 2011 - L 19 AS 634/10 B).
2. Die Festsetzung der Rahmengebühren muss nach den Kriterien des § 14 RVG immer im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen; damit darf keine Gebühr - auch nicht die Gebühr für eine Untätigkeitsklage - als Pauschalgebühr festgesetzt werden.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 28. November 2012 wird zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen streitig (Az.: S 12 6846/10). Dort begehrten die von dem Be-schwerdeführer vertretenen Kläger für den Zeitraum Mai bis Oktober 2010 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und wandten sich gegen die Nichtanwendung der Rundungsvorschrift, die Berechnung der Kosten der Unterkunft und die Nichtübernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens. Mit Beschluss vom 29. April 2011 bewilligte das Sozi-algericht den Klägern Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung. In der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2011 verhandelte das Sozialgericht in der Zeit von 10:05 bis 12:40 Uhr zwei Verfahren der Kläger. Nach der Niederschrift erklärte der Beschwerdeführer, dass die Beklag-te diesen zwischenzeitlich für den streitgegenständlichen Zeitraum 6,42 Euro nachgezahlt habe; er erklärte den Rechtsstreit für erledigt.

In seiner Kostenrechnung vom 25. März 2011 machte der Beschwerdeführer für dieses Ver-fahren Gebühren " von insgesamt 1.057,95 Euro geltend:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 250,00 Euro Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG 225,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG 200,00 Euro Erledigungsgebühr Nr. 1005, 1006 VV-RVG 190,00 Euro Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld 4,04 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 889,04 Euro Mehrwertsteuer 168,91 Euro Gesamtbetrag 1.057,95 Euro

Unter dem 3. Februar 2012 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 285,47 Euro an und führte u.a. zur Begründung aus, die Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG sei angesichts der weit unterdurchschnittlichen Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe der doppelten Mindestgebühr der Nr. 3103 VV-RVG (40,00 Euro), die Terminsgebühr in Höhe der vierfachen Mindestgebühr (80,00 Euro) und die Erledigungsgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr (60,00 Euro) festzusetzen. Mit sei-ner Erinnerung hat der Beschwerdeführer u.a. vorgetragen, einschlägig sei § 15a RVG, wo-nach eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG in beantragter Höhe anzusetzen sei. Der Umfang seiner anwaltlichen Tätigkeit sei zumindest durchschnittlich gewesen; Gleiches gelte für deren Schwierigkeit. Nach der Rechtsprechung des Thüringer LSG sei bei einer Verhand-lungsdauer von 30 Minuten von einer zumindest durchschnittlichen Angelegenheit auszuge-hen. Angesichts der Verhandlungszeit von über 2,5 Stunden für zwei Verfahren sei mindes-tens von einer Mittelgebühr auszugehen.

Mit Beschluss vom 28. November 2012 hat das Sozialgericht die Erinnerung zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, angesichts der geringen Bedeutung der Streitsache (6,42 Euro bei insgesamt 2.626,00 Euro Grundsicherungsleistungen im streitgegenständlichen Zeit-raum), des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit, der Einkommens- und Vermögensverhältnis-se der Kläger und des geringen Haftungsrisikos seit von einem unterdurchschnittlichen Streit-verfahren auszugehen. Hinsichtlich der übrigen Gebühren werde auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen. Die Entscheidung sei nach § 197 Abs. 2 SGG unanfechtbar.

Gegen den am 6. Dezember 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 20. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt und u.a. ausgeführt, mehrere Sozialgerichte setzten für die einfachste Angelegenheit der Untätigkeitsklage bereits 85,00 Euro an. Die Komplexität einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage werde durch die Verfahrensgebühr in keiner Weise Rechnung getragen. Einschlägig sei zudem § 15a RVG. Hinsichtlich der Bedeu-tung der Angelegenheit, Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und Schwierigkeit sowie die Terminsgebühr hat er seine Argumente im Erinnerungsverfahren wiederholt. Zudem betrage die Entfernung Mühlhausen - Nordhausen nach dem Routenplaner Map24 nicht 49 sondern 52 Kilometer.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 28. November 2012 aufzuheben und die Vergütung auf 1.057,95 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Erinnerungsverfahren und die im Beschluss der Vorinstanz.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 18. Februar 2013) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist entgegen der fehlerhaf-ten Rechtsbehelfsbelehrung nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergü-tungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B m.w.N.). Sie ist auch zulässig. Der Wert des Be-schwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro.

Die Beschwerde ist in der Sache unbegründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbar-keit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebüh-ren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskas-se zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte den Klägern PKH gewährt; sie waren auch kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwie-rigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmen-gebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Tole-ranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B); dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Die Voraussetzungen des § 15a RVG liegen nicht vor. Die Vorschrift ist auf das Verhältnis der Gebührentatbestände Nr. 3102 VV-RVG und Nr. 3103 VV-RVG weder direkt noch ana-log anwendbar (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Dezember 2012 - Az.: L 6 SF 1587/12 B und 4. März.2011 - Az.: L 6 SF 184/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. August 2011 - Az. L 19 AS 634/10 B m.w.N.). Bei dem geminderten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV-RVG wegen Vorbefassung im Widerspruchsverfahren handelt es sich nicht um die An-rechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr (wie z.B. bei der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV-RVG), sondern um einen Sondergebührentatbestand. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet mangels Regelungslücke aus.

Hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG wird entsprechend § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen, allerdings mit der Einschrän-kung, dass es hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit nicht auf die Dauer der mündlichen Verhandlung ankommt; diese Tätigkeit wird allein durch die Terminsgebühr ab-gegolten. Beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei der Verfahrensgebühr wird vielmehr der zeitliche Aufwand im Verfahren berücksichtigt, den der Rechtsanwalt im Vergleich mit den übrigen beim Sozialgericht anhängigen Verfahren (nicht eingeschränkt auf Verfahren nach dem SGB II) tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv auf die Sache verwen-den musste (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. August 2011 - Az.: L 6 SF 872/11 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, § 14 Rdnr 15). Im Hauptsacheverfahren lag die anwaltliche Tätigkeit deutlich unter dem Durchschnitt, denn die hier eingereichten Schriftsätze des Beschwerdeführers sind - gerichtsbekannt - iden-tisch mit denen in anderen Parallelstreitigkeiten. Dann sind die dadurch entstandenen erhebli-chen Synergieeffekte zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juli 2011 - Az.: L 6 SF 252/11 B). Ohne Bedeutung ist der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte Dresden, Berlin, Karlsruhe und Düsseldorf zur Gebührenhöhe bei der Un-tätigkeitsklage. Die Festsetzung der Gebühren muss nach den Kriterien des § 14 RVG immer im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2010 - L 6 SF 652/10 B); damit darf keine Gebühr - auch nicht bei einer Untätig-keitsklage - als Pauschalgebühr festgesetzt werden.

Im Ergebnis bestehen auch keine Bedenken gegen die festgesetzte Höhe der Terminsgebühr. Allerdings ergibt sich aus der Verhandlungsniederschrift nicht klar deren zeitlicher Umfang im Verfahren Az.: S 12 AS 6846/19. Auch bei Unterstellung des vom Beschwerdeführer vor-getragenen zeitlich durchschnittlichen Umfangs des Termins (der allerdings über 30 Minuten liegen müsste) kommt eine Anhebung der Höhe angesichts der geringen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der sehr geringen Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger, deren deutlich unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse und des nicht er-sichtlichen besonderen Haftungsrisikos nicht in Betracht.

Hinsichtlich der Höhe der Einigungsgebühr wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen.

Nach Nr. 7003 VV-RVG sind die Fahrtkosten für jeden gefahrenen Kilometer zu erstatten. Keine Bedenken bestehen gegen deren Überprüfung durch die UKB mittels Routenplaner. Nachdem der Gesetzeswortlaut auf die (tatsächlich) gefahrenen Kilometer abstellt, ist der Vortrag des Beschwerdeführers ohne Belang, andere Routenplaner berechneten eine gering-fügig längere Fahrtstrecke (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 563/12 B).

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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