S 18 KR 121/13 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 121/13 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
(1.) Im Inland ansässige Arbeitslose mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II, die daneben eine Rente nach dem Recht eines anderen EU-Mitgliedstaates beziehen, welche nach dessen Rechtsvorschriften Krankenversicherungsschutz begründet, sind als Arbeitslosenge
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens für die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe der für Pflichtversicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V geltenden Vorschriften des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem am 01.03.2013 beim Sozialgericht Dresden eingegangenen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.

Die Antragstellerin ist deutsche Staatsbürgerin mit Wohnsitz in G ... Sie bezieht Arbeitslosengeld II. Daneben bezieht sie eine Rente der polnischen Sozialversicherungsanstalt (Zak³ad Ubezpieczeñ Spo³ecznych - ZUS).

Im Herbst 2012 stornierte die Antragsgegnerin die seit dem 01.06.2010 vollzogene Krankenversicherung, zog die Krankenversicherungskarte ein und erklärte gegenüber der Antragstellerin am 09.11.2012 zunächst mündlich und mit Schreiben vom 16.11.2012 schriftlich, dass wegen des Vorrangs einer Krankenversicherung als Rentner nach polnischem Recht keine inländische Krankenversicherung bestehe. Auf Ersuchen des Bevollmächtigten der Antragstellerin um Klärung bestätigte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 20.02.2013 ihre Auffassung schriftlich und verwies die Antragstellerin auf die Inanspruchnahme der polnischen Krankenversicherung im Wege der Leistungsaushilfe. Die Leistungsgewährung auf Grundlage des an den Rentenbezug anknüpfenden Krankenversicherungsanspruchs nach polnischem Recht machte sie zugleich von der Vorlage des ausgefüllten Vordruckes E 121 abhängig.

Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.03.2013 Widerspruch erhoben, über den die Antragsgegnerin noch nicht entschieden hat.

Die Antragsgegnerin beantragt die Ablehnung des Antrags. Der Bezug von Arbeitslosengeld II begründe keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Antragstellerin sei nach polnischem Recht auf Grund des Bezugs der Rente krankenversichert. Dieses Krankenversicherungsverhältnis werde durch den Bezug von Arbeitslosengeld II nicht verdrängt. Die Weitergewährung von Krankenversicherungsleistungen im Wege der Leistungsaushilfe auf Grund der Pflichtversicherung als Rentner nach polnischem Recht hänge indessen davon ab, dass die Antragstellerin ihren Anspruch auf Sachleistungen gegenüber dem polnischen Träger der Krankenversicherung (Narodowy Fundusz Zdrowia - NFZ) - durch Vorlage des von jenem auszufüllenden Vordrucks E 121 nachweist.

II.

Der Antrag ist statthaft und begründet.

Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist die Feststellung der Versicherungspflicht der Antragstellerin in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Dieses Rechtsverhältnis ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG der gerichtlichen Feststellung zugänglich. Der Anspruch auf die Feststellung kann gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 938 Abs. 1 ZPO als einstweilige Anordnung durch eine auf die Dauer des Hauptsacheverfahrens begrenzte Feststellung vorläufig durchgesetzt werden.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der Widerspruch vom 07.03.2013 ist statthaft. Vor dem Hintergrund des bisherigen Geschehensablaufs ist das Schreiben der Antragstellerin vom 20.02.2013 als feststellender - weil die Statusfrage klarstellender - Verwaltungsakt auszulegen. Nur vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass - würde es sich nicht um einen Verwaltungsakt handeln - die Antragsgegnerin spätestens auf das Widerspruchsschreiben vom 07.03.2012 hin zur Bescheidung verpflichtet wäre; bereits für den Zeitraum bis zur Bescheidung kann eine einstweilige Anordnung ergehen, weil ein Streitgegenstand bzw. ein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 86b Abs. 2 SGG unabhängig davon vorliegt, ob und wann die Behörde die umstrittene Rechtsaufassung zum Gegenstand eines Bescheides macht.

Der Widerspruch hat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auch Aussicht auf Erfolg. Die Antragstellerin hat Anspruch auf die begehrte Feststellung, während der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld II gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V gesetzlich krankenversichert zu sein. Die Antragsgegnerin ist nicht befugt, die Weiterführung des Krankenversicherungsschutzes vom Nachweis des Krankenversicherungsschutzes durch den NFZ mittels der Vordrucke E 121 bzw. S 1 als Voraussetzung für die Leistungsaushilfe abhängig zu machen.

Als Bezieherin von Arbeitslosengeld II unterliegt die Antragstellerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Bezug der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus dem polnischen System der sozialen Sicherung schließt die Krankenversicherungspflicht nach deutschem Recht nicht aus.

Es kann offen bleiben, ob die Antragstellerin tatsächlich dem Kreis der mindestens teilweise Erwerbsfähigen und damit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch anspruchsberechtigten Bezieher von Arbeitslosengeld II zugehört. Die Anspruchsberechtigung ist durch die Bewilligungsbescheide des Landkreises Görlitz bindend festgestellt. Das eine vollständig aufgehobene Erwerbsfähigkeit bescheinigende Attest des Amtsarztes der ZUS vom 23.11.2000 (Bl. 19 der Verwaltungsakte) galt nur befristet bis zum 30.05.2001. Ob der Beurteilung die selben Maßstäbe zu Grunde lagen wie für die Bestimmung der Erwerbs(un)fähigkeit als Abgrenzungskriterium zwischen den sozialen Sicherungssystemen nach dem Sechsten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch einerseits sowie nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch andererseits, ist nicht erkennbar. Auch insoweit ist allein der durch die Bewilligung der Leistung begründete Status als Rentenbezieher maßgeblich. Ob die materiellen Voraussetzungen für den Bezug der Auslandsrente noch vorliegen, kann und muss das Gericht ebenso wenig prüfen wie die materielle Rechtmäßigkeit des Bezugs der Grundsicherungsleistung, namentlich die Zugehörigkeit zum Kreis der nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II anspruchsberechtigten Erwerbsfähigen.

Zutreffend nimmt die Antragsgegnerin an, dass der Bezug der Rente nach polnischem Recht die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung beim NFZ begründet. Gemäß Artikel 66 Absatz 1 Nr. 16 und Artikel 72 Abs. 1 des Gesetzes über die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Gesundheitsfürsorgeleistungen (Ustawa o œwiadczeniach opieki zdrowotnej finansowanych ze œrodków publicznych - UŒOZ; bereinigte Fassungen zum Stand 22.01.2013 abrufbar beim NFZ unter http://www.nfz.gov.pl/new/index.php?katnr=3 &dzialnr=4&artnr=1036 sowie beim Sejm unter http://isap.sejm.gov.pl/Download?id= WDU20042102135&type=3) unterliegen Bezieher einer Pension oder Rente vom Beginn bis zum Ende des Leistungsbezugs der Krankenversicherungspflicht.

Ebenfalls zu Recht geht die Antragsgegnerin auch davon aus, dass weder die Verlegung des Wohnsitzes nach Deutschland noch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die Versicherungspflicht in der polnischen Krankenversicherung als Rentner automatisch und zwingend entfallen lässt. Bereits aus Artikel 2 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Artikel 3 Abs. 1 Nr. 1 UŒOZ ergibt sich, dass die Anspruchsberechtigung von Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates mit Wohnsitz in der Europäischen Union weder die polnische Staatsbürgerschaft noch einen Inlandswohnsitz oder eine Beschäftigung in der Republik Polen voraussetzt.

Zu Unrecht nimmt die Antragsgegnerin jedoch an, dass die an den Rentenbezug anknüpfende Versicherungspflicht in der polnischen Krankenversicherung der Absicherung in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V vorginge.

Allerdings schließt das Europäische Kollisionsrecht eine gleichzeitige Absicherung in mehreren, das gleiche Risiko abdeckenden Systemen der sozialen Sicherung, die aus dem Recht unterschiedlicher Mitgliedstaaten herrühren, aus. Gemäß Artikel 11 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates.

Zwar erlaubt Artikel 24 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Beziehern einer Rente grundsätzlich die Inanspruchnahme der an den Rentenbezug anknüpfenden Sachleistungsansprüche aus der Krankenversicherung auch bei Wohnsitznahme in einem anderen Mitgliedstaat im Wege der Leistungsaushilfe durch einen Träger im Wohnmitgliedstaat zu Lasten des zuständigen Trägers (Artikel 24 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung [EG] Nr. 883/2004). In diesem Fall ist dem zur Leistungsaushilfe verpflichteten Träger im Wohnmitgliedstaat die Leistungsberechtigung durch eine Bescheinigung des zuständigen Trägers nachzuweisen (Artikel 24 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 der Verordnung [EG] Nr. 987/2009). Zuständig für die Erteilung der Bescheinigung wäre hier gemäß Artikel 51 Abs. 3 UŒOZ die Verwaltungsstelle Masowien des NFZ in Warschau).

Diese Rechtsfolge gilt indessen nur für den typischen Fall des Auslandsrentners, der nach dem Ende von Beschäftigung und Arbeitssuche außer dem Bezug der Rente keine weiteren Verbindungen zur Versichertengemeinschaft (mehr) aufweist, die einen konkurrierenden Anspruch auf Krankenversicherungsschutz begründen. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Die Antragstellerin untersteht als Arbeitslose mit Anspruch auf laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuche im Wohnmitgliedstaat dem Schutz in der Krankenversicherung der Arbeitslosen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Dieser geht dem allein an den Rentenbezug anknüpfenden Krankenversicherungsschutz nach dem Recht des Staates, der weder Beschäftigungs- noch Wohnmitgliedstaat ist, vor.

Die Rechtsfolgen bei der Kollision konkurrierender (Sach-)Leistungsansprüche auf Krankenversicherungsschutz, die aus dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten herrühren, sind in Titel III - Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen -, Kapitel 1 - Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft - der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 speziell geregelt. Kapitel 1 untergliedert sich in die besonderen Bestimmungen des Abschnitts 1 für Versicherte und ihre Familienangehörigen mit Ausnahme von Rentnern und deren Familienangehörigen einerseits und des Abschnitts 2 für Rentner und ihre Familienangehörigen andererseits. Der nach dieser Systematik hier allein in Betracht zu ziehende Abschnitt 2 enthält keine einschlägigen Vorschriften, die den Fall der Antragstellerin speziell regeln.

Artikel 24 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 betrifft die Rechtsfolgen bei Nichtvorliegen eines Sachleistungsanspruchs nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift erhält eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte, nur dann dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, wenn sie keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat.

Dies trifft hier nicht zu, weil die Antragstellerin die Voraussetzungen für einen konkurrierenden Sachleistungsanspruch in der Krankenversicherung im Wohnmitgliedstaat nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V erfüllt. Die Mitnahme des an die Rente anknüpfenden Krankenversicherungsschutzes an den europäischen Auslandswohnsitz ist mithin subsidiär. Ein krankenversicherungsrechtlicher Sachleistungsanspruch nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats geht der Krankenversicherung der Rentner nach dem Recht des Mitgliedstaats des Rententrägers vor.

Artikel 25 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezieht sich auf die Rechtsfolgen bei Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten als dem Wohnmitgliedstaat, wenn ein Sachleistungsanspruch in diesem Mitgliedstaat besteht. Diese Norm erlegt allerdings nur die Kosten für die dem Rentner im Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen dem Träger des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaates auf, wenn der Anspruch auf Sachleistungen in einem Wohnmitgliedstaat, von dem der Rentner keine Rente erhält, nicht vom Bestehen einer Versicherung, einer Beschäftigung oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängt.

Auch dies ist hier nicht der Fall. Bei den Gesundheitsfürsorgeleistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch handelt es sich um Sozialversicherungsleistungen, welche die Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied einer Krankenkasse oder in einem aus einer Mitgliedschaft abgeleiteten Krankenversicherungsverhältnis voraussetzen. Da durch den Bezug von Arbeitslosengeld II nach deutschem Recht ein Pflichtversicherungsverhältnis begründet wird, geht die Einstandspflicht der Versichertengemeinschaft nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch hier der Leistungsgewährung auf Rechnung des polnischen NFZ vor.

Die übrigen speziellen Vorschriften des Abschnitts 2 im 1. Kapitel des III. Titels der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 greifen ebenfalls nicht ein. Artikel 23 befasst sich mit der Krankenversicherung bei Bezug mindestens einer Rente (auch) nach dem Recht des Wohnmitgliedstaates, Artikel 26 mit der Absicherung von Familienangehörigen eines Rentners, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat als jener wohnen, und Artikel 27 mit der Rechtslage beim vorübergehenden Verlassen des Wohnmitgliedstaates. All dies trifft hier nicht zu. Die Antragstellerin ist schließlich auch keine Grenzgängerin im Sinne von Artikel 28.

Lediglich Artikel 30 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bestätigt indirekt, dass der an den Rentenbezug anknüpfende Krankenversicherungsschutz nicht zwingend der auf anderen Sachverhalten beruhenden Absicherung im Wohnmitgliedstaat vorgeht, indem die Norm die Möglichkeit eröffnet, dass die Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Recht auch Rentenbezüge der Beitragspflicht zur Krankenversicherung unterliegen, diese Beiträge auch von Auslandsrenten erhebt. Dies setzt voraus, dass der Träger des Wohnmitgliedstaates für die Gewährung der Sachleistungen als Kostenträger zuständig ist und nicht nur im Wege der Leistungsaushilfe tätig wird.

Greift somit keine der speziellen kollisionsrechtlichen Vorschriften über die Krankenversicherung von Rentenbeziehern, richten sich die hier maßgeblichen Rechtsfolgen nach den unter Titel II - Bestimmung des anwendbaren Rechts - in Artikel 11 niedergelegten allgemeinen Bestimmungen. Diese verweisen gemäß Artikel 11 Abs. 3 Buchst. c der Verordnung (EG) 883/2004 primär wegen des SGB II-Leistungsbezugs und subsidiär auf Grund der Auffangregelung in Artikel 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung (EG) 883/2004 auf das Recht des Wohnmitgliedstaates.

Gemäß Artikel 11 Abs. 3 Buchst. c der Verordnung (EG) 883/2004 unterliegt eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats. Bei Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch handelt es sich um eine solche Leistung. Im vorliegenden Kontext ergeben sich aus der gleichzeitigen Zuordnung des Arbeitslosengeldes II zu den beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70 in Verbindung Anlage X der Verordnung (EG) 883/2004 keine gegen die Qualifizierung als Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikel 11 Abs. 3 Buchst. c der Verordnung (EG) 883/2004 sprechenden Folgerungen; die Regelung schränkt lediglich die Exportierbarkeit der steuerfinanzierten Geldleistungen aus der Grundsicherung ein.

Selbst wenn Artikel 11 Abs. 3 Buchst. c der Verordnung (EG) 883/2004 nicht eingriffe, ergäbe sich die gleiche Rechtsfolge aus Artikel 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung (EG) 883/2004, wonach jede andere Person, die nicht unter Artikel 11 Abs. 3 Buchst. a bis d fällt, unbeschadet anders lautender Bestimmungen der Verordnung, nach denen ihr Leistungen auf Grund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats unterliegt.

Auch sonst ist keine kollisionsrechtliche Ausnahme von der Pflichtmitgliedschaft auf Grund des SGB II-Leistungsbezugs ersichtlich. Zwar kann eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, gemäß Artikel 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) 883/2004 auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des letzteren Staates freigestellt werden, sofern sie diesen Rechtsvorschriften nicht auf Grund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit unterliegt. Einen solchen Antrag auf Freistellung von der Krankenversicherungspflicht im Inland hat die Antragstellerin jedoch weder gestellt noch trifft sie eine Obliegenheit dazu.

Die vorläufige Einstandspflicht der Antragsgegnerin als Träger des Wohnmitgliedstaates nach Maßgabe des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch entspricht darüber hinaus der Grundentscheidung aus Artikel 6 der Verordnung (EG) 987/2009 für die einstweilige Regelung zwischenstaatlicher kollisionsrechtlicher Streitigkeiten und Kompetenzkonflikte. Nach Absatz 1 der Norm unterliegt eine Person bei Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern oder Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten über die anzuwendenden Rechtsvorschriften vorrangig den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats und in zweiter Linie - das heißt namentlich bei Beschäftigungslosigkeit wie hier - den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Gemäß Absatz 2 des Artikels 6 erhält eine Person bei Meinungsverschiedenheit über die Leistungszuständigkeit vorläufig Leistungen nach den vom Träger des Wohnorts anzuwendenden Rechtsvorschriften. Der Ausgleich erfolgt gegebenenfalls im Innenverhältnis nach Artikel 6 Abs. 5 Satz 2 in Verbindung mit Artt. 62 ff. der Verordnung (EG) 987/2009.

Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass, selbst wenn die Auffassung der Antragsgegnerin zuträfe und eine vorrangige Krankenversicherung nach polnischem Recht auf Grund des Rentenbezugs bestünde, zwingend ein Fall der Leistungsaushilfe nach Artikel 24 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) 883/2004 vorläge. In diesem Fall müsste die Antragsgegnerin den Krankenversicherungsschutz nach Maßgabe des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch wie für gesetzlich nach §§ 5, 9 oder 10 SGB V Versicherte gewährleisten und sich im Innenverhältnis mit dem NFZ über einen etwaigen Kostenausgleich auseinandersetzen. Bewirkt aber die einzig denkbare Konstellation, die zum Ausschluss der Pflichtversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch führen würde, statt dessen automatisch eine Sachleistungsverpflichtung auf Rechnung eines Dritten, so handelt die Antragsgegnerin rechtsmissbräuchlich, wenn sie die Weitergewährung der Sachleistungen von der vorherigen Beibringung des Nachweises der Anspruchsberechtigung durch den polnischen Träger anhängig macht. Zudem wäre gemäß Artikel 24 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auch die Antragsgegnerin befugt, die Bescheinigung des Sachleistungsanspruchs beim NFZ von Amts wegen selbst zu beantragen und sich erforderlichenfalls direkt mit dem NFZ über das anzuwendende Recht und die Zuständigkeit für die Gesundheitssachleistungen auseinanderzusetzen. Ein solches Vorgehen von Amts wegen liegt insbesondere dann nahe, wenn nicht ohne Weiteres erkennbar ist, ob die unterbliebene Ausstellung von Bescheinigungen an der fehlenden Kooperation des zuständigen Trägers im anderen Mitgliedstaat scheitert, was nicht zu Lasten des Versicherten gehen darf, oder ob Letzterer selbst nur unzureichend mitwirkt, z.B. um nicht die Entziehung einer Leistung nach Wegfall der materiellen Anspruchsvoraussetzungen zu riskieren.

Der Anordnungsanspruch liegt wegen der besonderen Dringlichkeit einer Absicherung für den Krankheitsfall sowie mit Rücksicht auf die gesundheitliche Situation der Antragstellerin und die fehlenden Eigenmittel zur Vorfinanzierung der Gesundheitsleistungen auf der Hand. Die Antragsgegnerin hat deshalb umgehend die krankenversicherungsrechtliche Absicherung im Inland wieder herzustellen, insbesondere der Antragstellerin wieder die Krankenversicherungskarte auszuhändigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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