L 1 KR 177/11 ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 2672/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 177/11 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 81/10 B nicht zu erstatten.
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beigeladenen zu 1 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren und für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht B 12 KR 81/10 B nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht noch, ob die Beigeladene zu 1) (nachfolgend nur noch "die Beigeladene") als Mitarbeiterin bei ihrem Ehemann, dem Beigeladenen zu 2), Inhaber der Fleischerei B (nachfolgend nur noch "der Beigeladene"), seit dem 1. Januar 1988 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.

Der Beigeladene, ein Fleischermeister, führte zunächst ab Sommer 1983 bis Ende des Jahres 1987 eine Fleischerei in V. Die mit ihm verheiratete Beigeladene, eine Fleischereifachverkäuferin, war ebenfalls in diesem Betrieb, der keine Arbeitnehmer beschäftigte, tätig. Die Beigeladenen leben im Güterstand der Zugewinngemeinschaft.

Für die Beigeladene wurden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt Zum 1. Januar 1988 wurde der Beigeladene Inhaber der zuvor vom Vater der Beigeladenen betriebenen Fleischerei in E. In der Folge firmierte der Betrieb unter "F B. Inhaber U V". Der Beigeladene war in der Handwerksrolle eingetragen. Für die Übernahme wurden an den Vater der Beigeladenen zu 1 25.000 DM gezahlt, die auch die Beigeladene mitgetragen hat. Die Betriebsräume wurden durch den Vater der Beigeladenen zu 1 an beide Beigeladenen gemeinschaftlich vermietet. Nach § 27 Abs. 2 des Mietvertrages haften die Mieter für alle Verpflichtungen aus dem Vertrag gesamtschuldnerisch. Die Beigeladene ist in diesem Betrieb tätig und übernahm maßgeblich Aufgaben des Verkaufs (Ladengeschäft, Partyservice), die über das Fleischereihandwerk im engeren Sinne hinausgehen. Sie bezog und bezieht eine monatliche Vergütung. Davon wurden Lohnsteuern entrichtet und sie werden als Betriebsausgaben verbucht. Die Einkommenssteuerbescheide der Beigeladenen weisen jedenfalls ab 2005 nur für den Beigeladenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf und für die Beigeladene solche aus nichtselbstständiger Tätigkeit.

Die monatliche Vergütung wurde in einzelnen Monaten bei entsprechenden Liquiditätsengpässen des Betriebs nicht gezahlt. Im Mai 1989 nahm der Beigeladene ein Bankdarlehen in Höhe von 160.000 DM zur Finanzierung eines Umbaus des Betriebs auf. Inhaber des geschäftlichen Girokontos des Betriebs war der Beigeladene. Jedenfalls ab 2005 hatte die Beigeladene hierfür eine Kontovollmacht.

Unter dem 23. März 2006 beantragten die Beigeladenen bei der Beklagten, die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 versicherungsrechtlich zu überprüfen. Sie trugen vor, die Beigeladene sei für ihren Aufgabenbereich eigenständig verantwortlich und absolut gleichwertiger Partner zu ihrem Mann. Im vorgelegten Feststellungsbogen wurde ein regelmäßiges monatliches Arbeitsentgelt von 2.180 Euro brutto angegeben. Das Bestehen einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung wurde verneint. Die Eingliederung in den Betrieb wie eine fremde Arbeitskraft und ein Weisungsrecht wurden verneint. Die Frage nach freier Bestimmung und Gestaltung der Tätigkeit wurden bejaht. Zum Wohl des Unternehmens sei auf ein hohes Gehalt verzichtet worden. Das Arbeitsentgelt werde auf ein Girokonto der Beigeladenen überwiesen. Als Rechtsform des Betriebs wurde Einzelfirma angegeben. Die Beigeladene sei zu 50 % an dem Betrieb beteiligt. Es wurde auf den gesetzlichen Güterstand verwiesen. Das Anlage- und Umlaufvermögen gehöre zum Gesamtgut/Gemeinschaftlichen Eigentum und übersteige das Sechsfache des Jahresgehalts des mitarbeitenden Ehegatten. In einer Anlage zum Feststellungsbogen, auf den Bezug genommen wird, wird die nähere Tätigkeit insbesondere im Bereich des durch den Betrieb angebotenen Partyservice dargestellt. Die Beigeladene nehme im Durchschnitt ca. 14 Tage Urlaub pro Jahr ohne Zahlung von Urlaubsgeld. Sie verzichte zum Wohle des Unternehmens auf Weihnachtsgeld.

Unter dem 4. Mai 2006 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Stellungnahme, wonach u.a. für die Rentenversicherung das Nichtvorliegen von Versicherungspflicht festgestellt werden sollte. Bevor die dem widersprechende Stellungnahme der Klägerin vom 15. Juni 2006 einging stellte die Beklagte mit Bescheid vom 06. Juni 2006 gegenüber den Beigeladenen fest, die Beigeladene sei seit dem 01. Juli 1983 nicht sozialversicherungspflichtig.

Am 21. Juni 2009 nahm die Klägerin telefonisch mit der Beklagten Kontakt auf und verwies auf die Stellungnahme vom 15. Juni 2009, die erneut per Fax übersandt wurde. Ausweislich eines Telefonvermerks in der Akte der Klägerin (Bl. 46 Rück der Verwaltungsakte) stellte die Beklagte eine Mitteilung in Aussicht, ob es beim Bescheid vom 6. Juni 2006 bleibe. Unter dem 19. Juli 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie an ihrem Bescheid festhalte. Auf dieses Schreiben wird Bezug genommen.

Gegen den Bescheid vom 6. Juni 2006 hat sich die am 01. September 2006 von der Klägerin erhobene Klage gerichtet. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beigeladene sei in ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen versicherungspflichtig. Die Klägerin hat vorgetragen, die Nichtexistenz eines Arbeitsvertrages und dass keine andere Arbeitskraft eingestellt werden müsste, sei zweifelhaft. Sei hat maßgeblich auf die Haftung des Einzelunternehmers und die steuerrechtliche Behandlung als abhängige Beschäftigung verwiesen.

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid entgegengetreten und hat Verfristung der Klage geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat der Klage nach persönlicher Anhörung der Beigeladenen mit Urteil vom 11. März 2008 insoweit stattgegeben, als es den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben hat, als in diesem entschieden wurde, die Beigeladene sei seit dem 01. Juli 1983 in ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen nicht rentenversicherungspflichtig. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen: die Feststellungsklage sei unzulässig, da kein Feststellungsinteresse bestünde.

Die Anfechtungsklage hingegen sei begründet, da die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwögen. Eine bloße familienhafte Mithilfe der Beigeladenen scheide wegen der Höhe des Entgelts aus. Die Beigeladene gehe weder ein Unternehmerrisiko ein noch sei ihre Arbeit selbst bestimmt. Der Beigeladene könne ihr jederzeit Weisungen erteilen.

Gegen dieses der Beigeladenen am 20. März 2008 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 18. April 2008, mit der im Wesentlichen vorgetragen wurde, tatsächlich würden Weisungen nicht erteilt. Der Lohn der Beigeladenen betrage 2.000 Euro im Monat. Sie arbeite mindestens 70 Stunden pro Woche. Unter Berücksichtigung der Arbeitszeit sei ihre Vergütung unangemessen niedrig. Die Beigeladene trägt ferner ausführlich zur Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche in der Fleischerei zwischen Produktion und Ladengeschäft einschließlich Partyservice vor. Sie behauptet unter Vorlage einer schematischen Darstellung dieser Bereiche (Bl. 107 der Gerichtsakte) vor, dass sie im Ladenlokal "herrsche". Es gebe kaum Überschneidungen zwischen den Tätigkeitsbereichen. Zur tatsächlichen Tätigkeit, insbesondere, dass diese ohne Weisungen durch den Beigeladenen erfolge, ist Beweis angeboten worden. Die Beigeladene habe ihre Ersparnisse in den Betrieb eingebracht. Sie sei nicht im Rechtssinne bevollmächtigt gewesen. Der Beigeladene meine nicht, er müsse seiner Frau erlauben, den Verkauf zu planen oder dort Personalverantwortung zu übernehmen. Sie verweist auf die Rechtsprechung des BSG zu GmbH-Geschäftsführern bei familiärer Verbundenheit (Bezugnahme auf B 2 U 48/98 R). Geräte würden auf Veranlassung des jeweils Verantwortlichen angeschafft. Vom Lohn der Beigeladenen werde der gesamte Familienunterhalt bestritten. Privatentnahmen aus dem Betrieb fänden nicht statt. Die Position der Beigeladenen wäre nicht durch eine Arbeitskraft ausfüllbar. Es müssten mindestens zwei Verkäuferinnen eingestellt werden. Insoweit trägt die Beigeladene zu den hiermit verbundenen Kosten näher vor.

Mit Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 23. August 2010 hat der erkennende Senat die Berufung zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 25. Mai 2011 (Az.: B 12 KR 81/10 B) hat das Bundessozialgericht auf die Beschwerde der Beigeladenen hin den Beschluss wegen der unterlassenen Wiederholung der Anhörung zur Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG nach weiterem Vortrag der Berufungsklägerin aufgehoben.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren vertieft und wiederholt die Beigeladene ihren Vortrag. Der Beigeladene habe nicht die alleinige Rechtsmacht über den Betrieb. Es habe sich bei dem ersten Betrieb der Beigeladenen um eine GbR gehandelt, die die Fleischerei des Vaters der Beigeladenen übernommen habe. Auch bei einem Zerwürfnis zwischen den Ehegatten hätte der Beigeladene nicht in die Sphäre der Beigeladenen eingegriffen. Neben dem Angebot zur persönlichen Anhörung der Beigeladenen hat sie zunächst schriftsätzlich Beweiserhebung u.a. zur Frage, in welchem Umfang und mit welchen Befugnissen die Beigeladene tatsächlich tätig ist, wie sich der Betrieb der Fleischerei durch die Beigeladenen auf das Familienleben ausgewirkt hat, zur Frage, von und inwieweit 2.180 Euro brutto monatlich angemessen sind (Sachverständigengutachten). Die Beigeladene habe sich bei der Betriebsübernahme dem Zeitgeist angepasst und sich damit einverstanden erklärt, dass das Geschäft offiziell über den Namen ihres Mannes geführt werde. Zum Beweis der Umstände, unter welchen der Betrieb vom Vater der Beigeladenen zu 1 auf den Beigeladenen zu 2 – zumindest formal – übertragen wurde, bietet sie Beweis durch Vernehmung des Vaters der Beigeladenen an. Diese habe im April 2012 auch 10.000 Euro aus dem Erbe der Beigeladenen auf das Geschäftskonto des Betriebs gezahlt. Es sei festszustellen, dass den zahlreichen für eine Selbstständigkeit sprechenden Tatsachen lediglich vier Faktoren entgegengehalten werden könnten, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Die steuerliche Einordnung und Eintragung in die Handwerksrolle seien rechtliche Wertungen, die bei einer Klärung der tatsächlichen Verhältnisse nicht zu berücksichtigen seien. Dass Arbeitsgeräte und Materialien auf den Namen der Fleischerei B, Inhaber U V, bestellt würden sei in tatsächlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Eine sinnvolle Erklärung, warum die Handhabung anders sein sollte, sei nicht ersichtlich. Die Beigeladene habe sich mit Ausnahme einer Handoperation nie krankschreiben lassen. Zuletzt stellt die Beigeladene zehn weitere als Beweisanträge bezeichnete Anträge wegen deren Einzelheiten auf den Schriftsatz vom 18. April 2013 Bezug genommen wird.

Die Beigeladene zu 1) beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2008 zu ändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verfolgt den Feststellungsantrag in der Berufung nicht weiter.

Die Beklagte hält an ihrer im Bescheid vom 6. Juni 2006 vertretenen Auffassung fest, ohne einen Antrag zu stellen.

Dem Senat sind auf Aufforderung die noch vorhandenen Steuerbescheide der Beigeladenen der Jahre 2005 bis 2010 vorgelegt worden, auf die Bezug genommen wird.

In einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. April 2013 hat der Senat die Beigeladenen persönlich angehört. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit verwiesen. Die Beteiligten haben in diesem Termin einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass die Beklagte den Bescheid vom 6. Juni 2006 aufhebt, soweit er den Zeitraum vor dem 1. Januar 1988 betrifft und insoweit eine neue Verwaltungsentscheidung trifft. Die Klägerin hat im Rahmen des Vergleichs insoweit ihre Klage zurückgenommen. Ein weiterer Vergleich über den verbleibenden Streitgegenstand ist von der Beigeladenen innerhalb der vereinbarten Widerrufsfrist mit Schriftsatz vom 19. April 2013 widerrufen worden.

Die Klägerin sowie die Beigeladenen haben sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. April 2013 für den Fall des Widerrufs des Vergleichs mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte, die zu diesem Zeitpunkt im Verhandlungstermin nicht mehr vertreten war, hat dies mit Schriftsatz vom 19. April 2013 erklärt.

Die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten sowie die Gerichtsakte, auf die wegen der weiteren Einzelheiten insbesondere der getauschten Schriftsätze Bezug genommen wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich alle Beteiligten mit einem solchen Vorgehen einverstanden erklärt haben.

Nach dem im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. April 2013 geschlossenen Teilvergleich ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der Bescheid vom 6. Juni 2006 soweit er Feststellungen für den Zeitraum seit dem 1. Januar 1988 trifft. Für den vorangehenden Zeitraum hat die Beklagte den Bescheid aufgehoben und die Klägerin die Klage zurückgenommen. Insoweit ist das Urteil des Sozialgerichts kraft Gesetzes gegenstandslos geworden, ohne dass es einer Aufhebung durch den Senat bedarf. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit, da diese die Gegenstandslosigkeit als Folge der Klagerücknahme deklaratorisch in den Vergleich vom 12. April 2013 aufgenommen haben.

Dementsprechend ist der Berufungsantrag der Beigeladenen ohne weiteres dahingehend auszulegen, dass er nunmehr nur noch das Urteil des Sozialgerichts betrifft, soweit dieses noch rechtlich fortbesteht und die Klage nicht zurückgenommen worden ist.

II.

Soweit über die Berufung noch zu entscheiden war, hat diese in der Sache keinen Erfolg.

Das Sozialgericht hat die Beklagte aus zutreffenden Gründen entsprechend dem Anfechtungsantrag verurteilt. Der Senat nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils sowie in entsprechender Anwendung auf den Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG vom 23. August 2010 Bezug, in dem die maßgeblichen Kriterien für die Abgrenzung einer versicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Erwerbstätigkeit bereits dargestellt sind.

Ergänzend bzw. modifizierend ist allein Folgendes auszuführen:

1.

Die Klage ist nicht verfristet. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 66 Abs. 2 SGG begann die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG mangels zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung gegenüber der Klägerin nicht zu laufen. Ebenso wenig wie bei anwaltlich vertretenen Klägern ist es bei rechtskundigen Behörden möglich oder geboten, den Wortlaut des § 66 Abs. 2 SGG dahingehend zu unterschreiten, dass eine tatsächliche Kenntnis von der gesetzlichen Klagefrist diese unabhängig von einer fehlerhaften Belehrung in Gang setzt. Eine abweichende Rechtsposition des durch den Bescheid der Einzugsstelle begünstigten Versicherten hätte sich bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung im Übrigen auch erst ergeben, wenn davon auszugehen wäre, dass die Klage in diesem Fall nicht innerhalb der Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben worden wäre. Dies ist angesichts der tatsächlich bereits am 21. Juni 2006 erfolgten Reaktion der Klägerin gegenüber der Beklagten nicht der Fall.

Soweit die nach § 66 Abs. 2 SGG verlängerte Möglichkeit zur Klageerhebung als Belastung des Versicherten geltend gemacht wird und das Unterbleiben einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe mit Rechtsmittelbelehrung im Einzelfall nachweisbar kausal auf Vereinbarungen der Sozialversicherungsträger oder ihrer Spitzenverbände zurückzuführen wäre, kommt nach Ansicht des Senats allenfalls eine Verwirkung des Klagerechts im Einzelfall in Betracht und kein grundsätzlicher Ausschluss desselben unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbräuchlichkeit. Der Schutz des Vertrauens in den Bestand des begünstigenden Bescheides wird durch die Voraussetzungen einer Verwirkung (Zeit- und Umstandsmoment) Rechnung getragen. Den Beigeladenen war jedoch bis zur Klageerhebung nicht einmal bekannt, ob und wann ggf. der Bescheid vom 6. Juni 2006 der Klägerin bekanntgegeben worden ist. Sie konnten daher bereits kein Vertrauen auf den Verlust der Anfechtungsmöglichkeit durch drittbetroffene Sozialversicherungsträger haben. Der Beklagten war bereits aufgrund des Telefonats am 21. Juni 2006 bekannt, dass die Klägerin die Entscheidung im Bescheid vom 6. Juni 2006 nicht mitträgt. Sie hat in diesem Telefonat ausdrücklich eine weitere Meldung angekündigt, ob es beim Bescheid bleibe. Zu einer Klageerhebung zu diesem Zeitpunkt bestand daher kein Anlass. Diese Meldung erfolgte schließlich unter dem 19. Juli 2006. Dieses Schreiben endet mit dem Satz:

Wir halten daher an unserer Entscheidung vom 06.06.2006 fest und bitten Sie, Ihre Entscheidung auf beweisbare Unterlagen zu stützen.

Diese Ausführungen sind nur so zu verstehen, dass die Beklagte eine erneute außergerichtliche Überprüfung ihrer Entscheidung bei Vorlage weiterer Unterlagen nicht ausschließt. Unter Berücksichtigung des Zeitraums vom 6. Juni 2006 bis zur Klageerhebung am 1. September 2006 und der Kommunikation der Klägerin mit der Beklagten scheidet eine Verwirkung des Klagerechts offenkundig aus.

2.

Das Sozialgericht ist auch zutreffend von einer abhängigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1 im Betrieb des Beigeladenen zu 2 ausgegangen. Insoweit ist nur Folgendes zu ergänzen:

Der Senat geht entsprechend dem Vortrag der Beigeladenen davon aus, dass es keinen schriftlichen Vertrag gibt, der ein Arbeitsverhältnis regelt. Etwas anderes hat er auch nicht im Beschluss vom 23. August 2010 zu Gunsten eines Beschäftigungsverhältnisses unterstellt. Soweit die Beigeladene im Schriftsatz vom 19. April 2013 vorträgt, es gebe keinen Arbeitsvertrag, mithin auch keine mündliche oder konkludente Vereinbarung, die zivilrechtlich als Arbeitsvertrag einzuordnen wäre, kommt es hierauf nicht an. Der Senat hat das Vorliegen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses zu prüfen. Zwar liegen regelmäßig sowohl Arbeits- als auch Beschäftigungsverhältnis vor, einer Überzeugungsbildung zu den Voraussetzungen der arbeitsrechtlichen Einordnung der zivilrechtlichen Beziehungen der Beigeladenen bedarf es jedoch für die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht.

Soweit der Senat im Beschluss vom 23. August 2010 irrtümlich davon ausgegangen ist, dass der Betrieb durch den Beigeladenen zu 2 von seinen Eltern und nicht – wie es tatsächlich der Fall war – von dem Vater der Beigeladenen zu 1 übernommen worden sei, ändert dies nichts daran, dass der Beigeladene zu 2 Inhaber des Betriebs und damit alleiniger Unternehmer geworden ist. Dass diese Inhaberschaft nach außen so gewollt ist, ergibt sich aus dem Vortrag der Beigeladenen zu 1 selbst. So hat sie angegeben, dass gerade wegen der alleinigen Eintragung des Beigeladenen zu 2 in die Handwerksrolle dieser "der Form halber" auch die Arbeitsverträge für den Ladenbereich unterzeichne, falls erforderlich (Blatt 173 der Gerichtsakte). Im Termin am 12. April 2013 hat die Beigeladene angegeben, sie habe einen Arbeitsvertrag für eine Angestellte im Verkaufsbereich unterzeichnet. Der Beigeladene zu 2 hat jedoch ausdrücklich erklärt, dass Vertragspartner der Angestellten die Fleischerei B, Inhaber UV sei. Einen ausdrücklichen Gesellschaftsvertrag haben die Beteiligten nicht abgeschlossen. Zwar kann eine reine (Innen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts auch konkludent errichtet werden. Die Beigeladene zu 1 hat sich nach eigenem Vortrag auch mit eigenen Mitteln an den Kosten der Betriebsübernahme von 25.000 DM beteiligt. Gegen die Beteiligung der Beigeladenen zu 1 als Gesellschafterin spricht jedoch, dass zum Zeitpunkt der Betriebsübernahme eine Anmeldung als abhängig Beschäftigte erfolgte. Dies spricht dafür, dass damals ein Arbeitsverhältnis mit der Beigeladenen zu 1 mit dem Beigeladenen zu 2 als Inhaber des Betriebs gewollt war. Im Übrigen setzt sich die Klägerin mit ihrem Vortrag im hiesigen Verfahren in Widerspruch zur steuerrechtlichen Behandlung der Einkünfte der Beigeladenen zu 1. Ausweislich der vorgelegten Einkommenssteuerbescheide wurden jedenfalls ab 2005 (bis 2010) allein beim Beigeladenen zu 1 Einnahmen aus Gewerbebetrieb versteuert. Bei der Beigeladenen zu 1 wurde auch nach Anhängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits weiterhin Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt. Entscheidend ist insoweit nicht die tatsächliche steuerrechtliche Einordnung, sondern dass die Beigeladenen selbst die Tätigkeit entsprechend eingeordnet haben. Dies gilt auch für die sozialversicherungsrechtliche Behandlung. So ist bis 2006 eine Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt. Dass die Beigeladenen selbst von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen sind, zeigen auch ihre Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung, dass vor 13 Jahren erwogen worden ist, für die Beigeladene einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit geltend zu machen.

Die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung durch die Beigeladenen über einen Zeitraum von jedenfalls hinsichtlich der steuerrechtlichen Einordnung inzwischen mehr als 20 Jahren selbst ist ein Kriterium für eine abhängige Beschäftigung.

Auch der weitere Vortrag im wiedereröffneten Berufungsverfahren ändert nichts daran, dass die Beigeladene zu 2 nicht ohne rechtliche Weisungsmöglichkeit seitens des Beigeladenen zu 1 tätig war. Dem steht nicht entgegen, dass es tatsächlich nicht zu Weisungen gekommen sein mag. Den entsprechenden Vortrag der Beigeladenen zu 1 zur Arbeitsteilung im Betrieb und dem Ausbleiben tatsächlicher Weisungen kann der Senat daher als wahr unterstellen. Ausreichend ist vielmehr, dass es dem Beigeladenen zu 2 rechtlich als Inhaber eines Einzelunternehmens möglich gewesen wäre, entsprechende Weisungen zu erteilen und das – als wahr unterstellte – weitgehend freihändige bzw. eigenverantwortliche Agieren der Beigeladenen zu 1 im Ladenbereich zu beenden. Die Beigeladene zu 1 hat insoweit selber vorgetragen, dass es hinsichtlich der Alleinverantwortlichkeit für die beiden Tätigkeitsbereiche (Produktion und Ladengeschäft) eine "stillschweigend getroffene Absprache" gebe (Blatt 173 der Gerichtsakte). Es gibt demnach gerade keine rechtlich gegenüber dem Betriebsinhaber abgesicherte Position gegenüber dessen Dispositionsrechts über die betrieblichen (sachlichen und personellen) Ressourcen, die im Außenverhältnis rechtlich allein ihm zugeordnet sind. Zudem hat die Beigeladene zu 1 selbst vorgetragen, dass bestimmte Entscheidungen gemeinsam, mithin nicht von ihr alleine, getroffen werden können. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat sie insoweit die Übernahme eines besonders umfangreichen Caterings genannt. Im Schriftsatz vom 14. Juni 2010 hat sie vorgetragen, dass Entscheidungen von wichtiger oder gar existentieller Bedeutung gemeinsam getroffen würden. Anschaffungen für das jeweilige Betätigungsfeld werden nach ihrem Vortrag "auf Veranlassung" des jeweils Verantwortlichen für diesen Bereich erworben, soweit es nicht den "üblichen Rahmen" sprengt (Blatt 99 der Gerichtsakte). Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie angegeben, dass sie nicht selbstständig Entscheidungen über die Einstellungen von zusätzlichen Frauen im Verkauf treffe. Der Senat stellt zusammenfassend fest, dass die Stellung der Beigeladenen zu 1 insoweit der eines leitenden Angestellten für eine Abteilung eines Betriebs entspricht. Keinesfalls konnte sie hinsichtlich des gesamten Betriebs schalten und walten wie sie wollte. Dass bei der Betriebsübernahme vertragliche Vorkehrungen gegenüber einem Weisungsrecht des Beigeladenen gegenüber der Beigeladenen getroffen worden seien, hat die Beigeladene nicht vorgetragen. Dass dies möglicherweise für den Fall eines Zerwürfnisses nicht im Sinne des Vaters der Beigeladenen sein mag und die dass die Beigeladene nur aus Gründen des damaligen Zeitgeists mit dieser Übernahme einverstanden war, ist nach Auffassung des Senats ohne rechtliche Bedeutung.

Auch die vorgetragene unangemessene Höhe der Entlohnung – angegeben mit 2.000 Euro – und ein gelegentliches Aussetzen mit den Zahlungen (hier jedenfalls für April und Mai 2010 konkret vorgetragen), die der Senat als wahr unterstellt, entwerten das Kriterium eines regelmäßigen Entgelts nicht. Eine derart geringe Entlohnung, dass nur eine familienhafte Mitarbeit und damit keine eigene Erwerbstätigkeit der Beigeladenen zu 1 gegeben wäre, liegt offenkundig nicht vor. Dass der zeitliche Umfang der Tätigkeit mit 70 bis 80 Stunden in der Woche, was der Senat als wahr annimmt, das übliche Maß deutlich überschreitet entspricht typischerweise der familiären bzw. ehelichen Verbundenheit. Unter Berücksichtigung dieser Verbundenheit streitet auch der behauptete und vom Senat als wahr unterstellte Verzicht auf Weihnachtsgeld und Erholungsurlaub nicht entscheidend für eine selbstständige Tätigkeit. Soweit die Beigeladene unter Beweisangebot vorträgt, dass für den Ersatz ihrer Arbeitskraft zwei Kräfte mit jährlichen Kosten von 66.000,00 Euro eingestellt werden müssten, ist darauf hinzuweisen, dass es sich insoweit um ein Kriterium zum Ausschluss familienhafter Mithilfe handelt, von deren Nichtvorliegen der Senat überzeugt ist.

Ein wesentliches Kriterium für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist das Fehlen des Unternehmerrisikos der Beigeladenen zu 1. Sie hat gerade kein wesentliches Risiko des Kapitaleinsatzes und der Gewinnerzielung für ein eigenes Unternehmen mit dem Gegenstand des Betriebs des Ladengeschäftes getragen. Entgegen der Angaben im Feststellungsbogen bei der Beklagten war die Beigeladene aufgrund des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft nicht hälftig an dem Unternehmen beteiligt. Ausweislich der Angaben im Termin am 12. April 2013 ist die Beigeladene auch nicht als Arbeitgeberin in den Arbeitsverträgen aufgeführt. Die arbeitsrechtlichen Zahlungsansprüche richten sich daher gegen den Beigeladenen zu 2, der das Risiko trägt, entsprechende deckende Einnahmen durch den Gesamtbetrieb zu erwirtschaften. Das aufgenommene Darlehen zum Umbau des Geschäftes hat der Beigeladene zu 2 aufgenommen. Die Beigeladene zu 1 hat hierfür allein – wie jedenfalls damals für Ehefrauen banküblich – gebürgt. Ausweislich der vorgelegten Vollmacht (Blatt 111 der Gerichtsakte) ist der Beigeladene zu 2 Inhaber der Geschäftskontos. Die Beigeladene zu 1 ist insoweit nur bevollmächtigt. Dass sie tatsächlich wiederholt – zuletzt im April 2012 – Einlagen in den für die Familie bedeutsamen Betrieb eingebracht hat, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein, führt nicht zu einem Unternehmerrisiko. Allerdings trägt die Beigeladene zu 1 ein begrenztes Risiko dahingehend, dass sie gesamtschuldnerisch für die Miete der Geschäftsräume haftet, was durch Vorlage des Mietvertrages nachgewiesen ist. Ausweislich der Ausführungen im Schriftsatz vom 25. Juni 2008, wonach sie in Anspruch genommen werden kann, wenn Mietverbindlichkeiten nicht erfüllt werden, leistet sie aber tatsächlich keine laufenden Zahlungen. Die Mithaftung für etwaige Mietverbindlichkeiten begründet jedoch kein so erhebliches Unternehmerrisiko, dass von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen ist.

Dass der Bedarf der Familie angeblich allein aus den Einkünften der Beigeladenen zu 1 gedeckt wurde, ist für die Frage des Vorliegens einer abhängigen oder selbstständigen Tätigkeit ohne Belang. Im Übrigen erscheint der Vortrag unter Berücksichtigung durchgehend seit 2005 festgestellter steuerpflichtiger Einnahmen aus Gewerbebetrieb, mithin also Gewinne, fraglich, ohne dass es hierauf entscheidend ankäme.

Bei Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls überwiegen die Kriterien für eine abhängige Beschäftigung. Dabei kommt es nicht auf die numerische Anzahl der Kriterien für und gegen eine Selbstständigkeit an, sondern auf deren wertende Berücksichtigung. Insoweit streiten trotz der eigenverantwortlichen Mitwirkung der Beigeladenen im Betrieb, die sicherlich von den Angestellten als die "Chefin" wahrgenommen wird, und dem gesteigerten Interesse am Schicksal des Betriebes das Fehlen eines wesentlichen Unternehmerrisikos, die rechtliche Herrschaft des Beigeladenen zu 2 und die jahrelange steuer- und sozialversicherungsrechtliche Handhabung der Tätigkeit entscheidend für die Annahme eine abhängigen Beschäftigung.

Weiterer Ermittlungen oder Beweiserhebungen bedarf es auch unter Berücksichtigung der von der Beigeladenen zuletzt im Schriftsatz vom 19. April 2013 gestellten bzw. wiederholten Beweisanträge nicht. Der Senat hat im Rahmen der vorstehenden Ausführungen die unter Beweisangebot (wiederholten) Behauptungen, soweit es sich um Tatsachen handelt, als wahr unterstellt oder die fehlende rechtliche Relevanz dargestellt. Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass es aus Rechtsgründen nicht darauf ankommt, welchen Einfluss der Betrieb auf das Familienleben der Beigeladenen hat. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Stellung eines Beweisantrags die Bezeichnung einer hinreichend konkreten Tatsache bedarf, die festgestellt werden soll. Auf Aufklärung nicht genau bezeichneter Umstände gerichtete Anträge sind allein Beweisermittlungsanregungen.

Soweit über die Berufung noch streitig zu entscheiden war, war sie daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren zweiter Instanz beruht auf § 193 SGG. Der Senat legt dabei den Ausgang des Rechtsstreits in der Sache zu Grunde. Eine abweichende Ermessensausübung ist auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem BSG, das sich in der Sache als prozessuales Zwischenverfahren darstellt, sowie des Teilvergleichs nicht gerechtfertigt.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nummer 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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