L 3 U 135/12 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 7 U 44/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 135/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 22. Dezember 2011 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Cottbus Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A K bewilligt.

Gründe:

I.

Im Ausgangsverfahren hat die Klägerin wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 14. Oktober 2007 (Raubüberfall bei ihrer Tätigkeit als Spielhallenaufsicht), auf Grund dessen ihr vom Versorgungsamt Berlin mit Bescheid vom 12. Dezember 2008 unter Anerkennung von Schädigungsfolgen, eine Grundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) bewilligt worden ist, die Gewährung von Verletztenrente sowie die Erbringung von Heilbehandlungsleistungen über den 22. November 2007 hinaus begehrt. Mit ihrer gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2009 vor dem Sozialgericht (SG) Cottbus erhobenen Klage hat sie unter Berufung auf mehrere Berichte des A Fachklinikums L sowie des A Fachklinikums T geltend gemacht, die Beklagte habe nicht die bei ihr aufgrund des Überfalls hervorgerufene posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit der Folge einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit (AU) und Behandlungsbedürftigkeit berücksichtigt. Des Weiteren hat sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und am 30. Juni 2009 die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst weiteren Unterlagen (u. a. Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund über die ihr gewährte Erwerbsminderungsrente i.H.v. 425, 57 Euro netto monatlich, Mitteilung der BKK über das Ende des ihr gezahlten Krankengeldes zum 20. April 2009 sowie Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit über die Höhe [725,- Euro netto monatlich] und das Ende des ihrem Ehemann vom 26. November 2008 bis zum 27. Februar 2009 gezahlten Arbeitslosengeldes) vorgelegt.

Das SG Cottbus hat Befundberichte (BB) von den behandelnden Ärzten eingeholt und die Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Allgemeinmedizin T B veranlasst, der sein Gutachten am 21. April 2011 erstattet hat. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin lägen eine histrionische Persönlichkeitsstörung mit abhängigen Anteilen und eine Angst- und depressive Störung gemischt vor. Diese festgestellten Gesundheitsstörungen seien nicht auf den Unfall vom 14. Oktober 2007 zurückzuführen.

Zwischenzeitlich hatte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 02. März 2011 zum wiederholten Mal (s. Schreiben vom 21. August 2009) gebeten, über den PKH-Antrag vorab zu entscheiden. Mit Verfügung vom 10. August 2011 hat das SG Cottbus Nachweise für den PKH-Antrag angefordert. Diese sind am 19. Dezember 2011 per Fax eingegangen mit der Bitte, über den PKH-Antrag noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Durch Beschluss vom 22. Dezember 2011 hat das SG die Gewährung von PKH mit der Begründung abgelehnt, zum Zeitpunkt des Ergehens des Urteils vom selben Tag hätten trotz Hinweises immer noch nicht alle Nachweise (etwa bzgl. der sonstigen Versicherungen, der Heiz- und Mietkosten) vorgelegen. Zudem fehle es auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen B an der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.

Gegen den ausweislich ihr am 24. Februar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 09. März 2012 eingelegte Beschwerde der Klägerin. Sie macht geltend, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage jedenfalls zum Zeitpunkt des erstmaligen Antrags vom 25. Juni 2009, dem die notwendigen Nachweise beigefügt gewesen seien, vorgelegen habe, andernfalls das SG nicht umfangreich medizinisch ermittelt hätte.

Die Klägerin beantragt,

ihr unter Aufhebung des Beschlusses des SG Cottbus vom 22. Dezember 2011 für die erste Instanz PKH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das SG Cottbus hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des SG Cottbus vom 22. Dezember 2011 ist statthaft. Insbesondere ist sie nicht nach § 172 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG] ausgeschlossen, weil das SG Cottbus nicht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint, sondern diese auch wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt hat (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 172 Rdn. 6 h).

Die hiernach statthafte und frist- und formgemäß eingelegte Beschwerde der Klägerin (§ 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]) ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf PKH für das erstinstanzliche Verfahren.

Zwar ist zweifelhaft, ob die Klage im Zeitpunkt der vom SG Cottbus getroffenen Entscheidung am 22. Dezember 2011 unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen B in seinem Gutachten vom 21. April 2011, dass die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Störungen nicht auf den Unfall vom 14. Oktober 2007 zurückzuführen seien, (noch) hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat. Auch ist maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Dies gilt jedoch nicht in den Fällen, in denen das Gericht die Entscheidung über das PKH-Gesuch ohne Verschulden der Partei verzögert hat; dann ist auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife erster Instanz abzustellen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 73 a Rdn. 7 d). Entscheidungsreife ist dann gegeben, wenn alle Unterlagen – d. h. der vollständig ausgefüllte Vordruck mit den entsprechenden Dokumenten zur Glaubhaftmachung des Anspruchs – vorgelegen haben.

Dies war hier bereits am 30. Juni 2009 der Fall. Aus der damals eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst beigefügter Unterlagen ergab sich ohne Weiteres, dass die Klägerin seinerzeit nur über ein einsetzbares Einkommen i.H.v. von 425, 57 Euro netto monatlich aus Rente wegen voller Erwerbsminderung verfügte, da das davor gezahlte Krankengeld in Höhe von 879, 30 Euro monatlich zum Zeitpunkt der PKH-Antragstellung bereits geendet hatte. Des Weiteren ergab sich, dass die Klägerin keine Miete zahlte, weil sie noch auf ihrem zwischenzeitlich zwangsversteigerten Grundstück lebte, aber Aufwendungen für Heizung (99,00 Euro monatlich) und sonstige Nebenkosten (177,00 Euro monatlich), ferner für selbst getragene Kosten wegen Krankheit (ca. 400,00 Euro jährlich bzw. 33,33 Euro monatlich) hatte. Danach ergab sich bereits unabhängig von der Frage, ob die bei ihr noch bestehenden sonstigen Zahlungsverpflichtungen (Schulden) zu berücksichtigen wären, dass die Klägerin unter Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO i. H. v. 386,- Euro sowie anteiliger Wohnkosten kein verfügbares Einkommen hatte. Dabei kann dahin stehen, ob die der Klägerin nach dem OEG gewährte Grundrente i.H.v. 106,- Euro monatlich als einsetzbares Einkommen nach § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen ist (so Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 05. Mai 2011 – L 4 U 85/11 B-, m.w.N., in juris), da im Hinblick auf § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 (Satz 2) ZPO i.V.m. § 1610a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dieser Betrag sodann als Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens abzusetzen wäre (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, Rdn. 16, 17 zu § 115; Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, Rdn. 3 zu § 1610a). Ebenso wenig ergab sich aus den im Juni 2009 vorgelegten Unterlagen ein Anspruch der Klägerin auf Prozesskostenvorschuss gegen ihren Ehemann (§ 1360a Abs. 4 ZPO), da diesem, wenn er selber den Prozess führen würde, nur PKH gegen Ratenzahlung zu gewähren wäre (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 73 a Rdn. 6g). Denn ausgehend von dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld i.H.v. 725,- Euro monatlich wie auch von dem ab März 2009 bezogenen Erwerbseinkommen i.H.v. 990,31 Euro netto monatlich ergab sich für den Ehemann der Klägerin unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) und Nr. 2 a) ZPO i.H.v. 176,- Euro und 386,- Euro sowie anteiliger Wohnkosten eine PKH-Rate i.H.v. maximal 60,- Euro monatlich.

Es kann daher dahin stehen, ob die pauschale Aufforderung des SG vom 10. August 2011, Nachweise für den PKH-Antrag einzureichen, bei dieser Sachlage hinreichend spezifiziert gewesen ist, ehe es seinen zurückweisenden Beschluss auf fehlende Nachweise hätte stützen dürfen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass maßgeblich für die Beurteilung der Mittellosigkeit bzw. Bedürftigkeit der Partei - anders als für die Erfolgsaussichten, dazu s. u. - regelmäßig der Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts ist. Dies lässt sich der gesetzlichen Wertung in § 120 Abs. 4 ZPO entnehmen, wonach das Gericht nach der Bewilligung von PKH die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern kann, wenn sich die für die Bewilligung maßgeblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Die Vorschrift ermöglicht nicht nur eine Änderung der Ratenhöhe, sondern auch die Beendigung von Ratenzahlungen sowie ihre erstmalige Anordnung und zwar ggf. auch rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung an (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 4. Senat, Beschluss vom 06. August 2003, 4 SO 3/02, FamRZ 2005, 44, m. w. N). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch die Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen des im Berufungsverfahren gestellten PKH-Antrags – des letzten Erkenntnisstandes - ergeben hat, dass der Klägerin PKH zu gewähren ist. Die im Berufungsverfahren nachgewiesenen wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin und ihres Ehemannes haben zudem bereits vor Erstellung des Sachverständigengutachens von Herrn B und im Zeitpunkt der Entscheidung des SG vorgelegen. Die Prüfliste des dort einsetzbaren Einkommens hat vergleichbare Einnahmen ergeben, zugleich aber höhere Wohnkosten für die seit Dezember 2009 bewohnte Mietwohnung. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehemann gegeben wäre (§ 1360 a Abs. 4 ZPO) ist ebenfalls negativ verlaufen.

Zum Zeitpunkt 30. Juni 2009 bot der Rechtsstreit auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Diese besteht, wenn das Gericht den Standpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Angaben und der von ihm vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder doch vertretbar hält; hinsichtlich der Tatsachen muss es mindestens von der Möglichkeit des Beweises überzeugt sein. Die Erfolgsaussicht ist in der Regel immer gegeben, wenn das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen für notwendig hält (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Rdn. 7 ff.). Mit der vom SG Cottbus durch Beweisanordnung vom 26. Januar 2011 veranlassten Einholung eines Sachverständigengutachtens von Herrn B konnte die Erfolgsaussicht nicht mehr verneint werden, da das Ergebnis der Begutachtung noch offen war. Ebenso wenig wie eine einmal bewilligte PKH im Laufe des Verfahrens nicht mit der Begründung aufgehoben werden kann, die Erfolgsaussicht sei weggefallen, kann im Beschwerdeverfahren nicht auf den späteren Zeitpunkt der verzögerten Entscheidung abgestellt werden. Denn damit würde die Erfolgsprognose, die das PKH-Verfahren erfordert, faktisch außer Kraft gesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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