Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 AS 895/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1295/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. März 2013 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch die außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin bis zum 3. September 2013, längstens aber bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch, vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Abs. 1 des § 86 b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, in NVwZ 2005, 927, 928 und in Juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003, 2 BvR 311/03, in NVwZ 2004, 95, 96 und in Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II genannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen sind erfüllt. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die im Jahr 1976 geborene Antragstellerin ist erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II. Soweit der Antragsgegner behauptet, auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen sei ein Zugang zum Arbeitsmarkt "erschwert möglich bzw. fraglich", handelt es sich um bloße nicht belegte Mutmaßungen, nachdem die Antragstellerin aus der Ziegelfeldklinik als arbeitsfähig entlassen wurde. Eine Erwerbstätigkeit ist der Antragstellerin als österreichische Staatsangehörige auch erlaubt (§ 8 Abs. 2 SGB II). Da sie nach Aktenlage derzeit ihren Lebensunterhalt weder durch Vermögen noch durch Einkommen oder sonstige Leistungen Dritter bzw. von Sozialleistungsträgern sichern kann, ist sie auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II. Seit Mitte 2011 hält sie sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass auch ein gewöhnlicher Aufenthalt zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012, B 14 AS 138/11 R, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Dem Anspruch der Antragstellerin steht § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus den Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, nicht entgegen.
Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich unter Berücksichtigung ihrer Angaben zwar allein aus dem Zweck der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Fallgruppe Freizügigkeitsgesetz/EU). Sie hat insbesondere kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder wegen eines Aufenthalts zum Zwecke der Berufsausbildung, nachdem sie ihr Studium ohne Abschluss abgebrochen hat (Exmatrikulation am 3. Juli 2012) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Fallgruppen 1 und 3 Freizügigkeitsgesetz/EU. Ein Daueraufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU ist schon nicht belegt. Die Antragstellerin hat seit ihrem (erneuten) Aufenthalt ab Juni 2011 (Beginn eines Studiums) in der Bundesrepublik Deutschland in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, so dass sie weder als Arbeitnehmerin noch als Arbeitnehmerin bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung aufenthaltsberechtigt ist (§ 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Auch wenn sich die Antragstellerin mithin allein zum Zweck der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ist ein Anspruch auf Leistungen für sie als EU-Bürgerin und insbesondere als österreichische Staatsangehörige nach dem SGB II nach der obergerichtlichen Rechtsprechung damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Zwar dürfte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen Recht der Europäischen Union verstoßen. Hierzu hat der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 16. Mai 2012, L 3 AS 1477/11, veröffentlicht in Juris entschieden, dass kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. April 2004 vorliegt, da diese Vorschrift hinter die Regelung in Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie zurücktrete, die als lex specialis eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulasse. Auch verletze Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH nicht Primärrecht der Union, insbesondere nicht Art. 39 EUV (jetzt Art. 45 AEUV). Soweit die dortige Klägerin im Revisionsverfahren vor dem BSG erfolgreich war, beruhte dies nicht darauf, dass der gesetzliche unbegrenzte Ausschluss von EU-Bürgern als unwirksam, weil gegen EU-Recht verstoßend angesehen wurde, sondern weil ein weiterer Aufenthaltszweck (außer Arbeitssuche) als vorliegend erachtet wurde (Pressemitteilung des BSG vom 30. Januar 2013, Terminbericht Nr. 2/139). Der Rechtsauffassung des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg hat sich der Senat u.a. in Beschlüssen vom 8. August 2012, L 13 AS 2355/12 ER-B, und 27. August 2012, L 13 AS 3252/12 ER-B, angeschlossen. Auch der 9. Senat des LSG Baden-Württemberg ist der Entscheidung des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg in Beschlüssen vom 16. Juli 2012, L 9 AS 1790/12 ER-B und 25. Juli 2012, L 9 AS 2886/12 ER-B gefolgt. Auf die Ausführungen im Urteil des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012, a.a.O., wird Bezug genommen.
Der hiervon abweichenden Auffassung des 7. Senats des LSG Baden-Württemberg zur Frage der Anwendbarkeit der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Hinblick auf Gemeinschaftsrecht der EU (u.a. Entscheidung vom 1. Oktober 2012, L 7 AS 3836/12 ER-B, veröffentlicht in Jiris) folgt der Senat weiterhin nicht.
Da Österreich nicht zu den Signatarstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) zählt, nachdem es diesem nicht beigetreten ist, ist die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegenüber der Klägerin auch insofern nicht ausgeschlossen (zur Auswirkung des EFA bezüglich § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vgl. u.a. Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R, in SozR 4-4200 § 7 Nr. 21 und in Juris).
Eine Einschränkung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kommt jedoch auf Grund des bilateralen Abkommens zwischen der Bunderepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (FürsAbk AUT) vom 17. Januar 1966 (BGBl II 1969, 2ff) in Betracht (zur Fortgeltung auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU vgl. Art. 307 EG, jetzt Art. 351 AEUV). Art. 2 Abs. 1 des FürsAbk AUT bestimmt, dass Staatsangehörige der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Hierbei handelt es sich nach der Ratifikation durch den Bundestag nach Zustimmung des Bundesrates am 28. Dezember 1968 (BGBl. II 1969 Nr. 1 Seite1) um unmittelbar geltendes Bundesrecht. Nach Art 1 Nr. 4 des FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstige Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzungen als die Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Während das LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22. Juni 2010, L 1 AS 36/08, veröffentlicht in Juris) aus dem Umstand, dass auch die Erwerbsfähigkeit Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist, ableitet, dass es sich bei diesen Leistungen nicht um Fürsorgeleistungen im Sinne des FürsAbk AUT handelt, weil die Leistungsgewährung an eine "weitere Voraussetzung" geknüpft ist, hat das LSG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 7. März 2012, L 8 B 489/10 ER, veröffentlicht in Juris) die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Grund des FürsAbk AUT als ausgeschlossen angesehen, denn die Erwerbsfähigkeit sei keine "weitere Voraussetzung", sie diene allein der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum Adressatenkreis des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.
Da die Frage der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf österreichische Staatsangehörige im Hinblick auf das FürsAbk AUT im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären ist, muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden. Bei der deshalb durchzuführenden Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05) sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Da es vorliegend um die Existenzsicherung und damit die Sicherstellung menschenwürdigen Lebens geht, überwiegen die Belange der Antragstellerin am Erlass einer Regelungsanordnung hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie zur Unterkunft und Heizung) das Interesse der Beschwerdeführerin, keine finanziellen Aufwendungen bei ungeklärter Rechtslage aufbringen zu müssen.
Soweit der Antragsgegner behauptet, es sei nicht nachgewiesen, dass während eines angemessenen Zeitraumes tatsächlich eine Beschäftigung gesucht oder beabsichtigt gewesen sei, steht dies nicht in Übereinstimmung mit der Aktenlage. Vielmehr ist nach den vorgelegten Unterlagen, aus denen sich auch entsprechende Bemühungen (konkreter Vermittlungsvorschlag der Agentur für Arbeit, Bewerbung der Antragstellerin) ergeben, das Gegenteil glaubhaft gemacht. Ferner hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt und eine Eignungsuntersuchung veranlasst, wodurch gleichfalls das Bestreben, einen Arbeitsplatz zu finden, belegt wird.
Die Entscheidung des SG die vorläufige Leistungsverpflichtung des Beschwerdeführers, gegen die allein dieser Beschwerde eingelegt hat, auf die Zeit bis 3. September 2013, längstens den bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu beschränken, ist nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch die außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin bis zum 3. September 2013, längstens aber bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch, vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Abs. 1 des § 86 b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, in NVwZ 2005, 927, 928 und in Juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003, 2 BvR 311/03, in NVwZ 2004, 95, 96 und in Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II genannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen sind erfüllt. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die im Jahr 1976 geborene Antragstellerin ist erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II. Soweit der Antragsgegner behauptet, auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen sei ein Zugang zum Arbeitsmarkt "erschwert möglich bzw. fraglich", handelt es sich um bloße nicht belegte Mutmaßungen, nachdem die Antragstellerin aus der Ziegelfeldklinik als arbeitsfähig entlassen wurde. Eine Erwerbstätigkeit ist der Antragstellerin als österreichische Staatsangehörige auch erlaubt (§ 8 Abs. 2 SGB II). Da sie nach Aktenlage derzeit ihren Lebensunterhalt weder durch Vermögen noch durch Einkommen oder sonstige Leistungen Dritter bzw. von Sozialleistungsträgern sichern kann, ist sie auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II. Seit Mitte 2011 hält sie sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass auch ein gewöhnlicher Aufenthalt zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012, B 14 AS 138/11 R, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Dem Anspruch der Antragstellerin steht § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus den Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, nicht entgegen.
Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich unter Berücksichtigung ihrer Angaben zwar allein aus dem Zweck der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Fallgruppe Freizügigkeitsgesetz/EU). Sie hat insbesondere kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder wegen eines Aufenthalts zum Zwecke der Berufsausbildung, nachdem sie ihr Studium ohne Abschluss abgebrochen hat (Exmatrikulation am 3. Juli 2012) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Fallgruppen 1 und 3 Freizügigkeitsgesetz/EU. Ein Daueraufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU ist schon nicht belegt. Die Antragstellerin hat seit ihrem (erneuten) Aufenthalt ab Juni 2011 (Beginn eines Studiums) in der Bundesrepublik Deutschland in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, so dass sie weder als Arbeitnehmerin noch als Arbeitnehmerin bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung aufenthaltsberechtigt ist (§ 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Auch wenn sich die Antragstellerin mithin allein zum Zweck der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ist ein Anspruch auf Leistungen für sie als EU-Bürgerin und insbesondere als österreichische Staatsangehörige nach dem SGB II nach der obergerichtlichen Rechtsprechung damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Zwar dürfte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen Recht der Europäischen Union verstoßen. Hierzu hat der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 16. Mai 2012, L 3 AS 1477/11, veröffentlicht in Juris entschieden, dass kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. April 2004 vorliegt, da diese Vorschrift hinter die Regelung in Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie zurücktrete, die als lex specialis eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulasse. Auch verletze Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH nicht Primärrecht der Union, insbesondere nicht Art. 39 EUV (jetzt Art. 45 AEUV). Soweit die dortige Klägerin im Revisionsverfahren vor dem BSG erfolgreich war, beruhte dies nicht darauf, dass der gesetzliche unbegrenzte Ausschluss von EU-Bürgern als unwirksam, weil gegen EU-Recht verstoßend angesehen wurde, sondern weil ein weiterer Aufenthaltszweck (außer Arbeitssuche) als vorliegend erachtet wurde (Pressemitteilung des BSG vom 30. Januar 2013, Terminbericht Nr. 2/139). Der Rechtsauffassung des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg hat sich der Senat u.a. in Beschlüssen vom 8. August 2012, L 13 AS 2355/12 ER-B, und 27. August 2012, L 13 AS 3252/12 ER-B, angeschlossen. Auch der 9. Senat des LSG Baden-Württemberg ist der Entscheidung des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg in Beschlüssen vom 16. Juli 2012, L 9 AS 1790/12 ER-B und 25. Juli 2012, L 9 AS 2886/12 ER-B gefolgt. Auf die Ausführungen im Urteil des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012, a.a.O., wird Bezug genommen.
Der hiervon abweichenden Auffassung des 7. Senats des LSG Baden-Württemberg zur Frage der Anwendbarkeit der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Hinblick auf Gemeinschaftsrecht der EU (u.a. Entscheidung vom 1. Oktober 2012, L 7 AS 3836/12 ER-B, veröffentlicht in Jiris) folgt der Senat weiterhin nicht.
Da Österreich nicht zu den Signatarstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) zählt, nachdem es diesem nicht beigetreten ist, ist die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegenüber der Klägerin auch insofern nicht ausgeschlossen (zur Auswirkung des EFA bezüglich § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vgl. u.a. Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R, in SozR 4-4200 § 7 Nr. 21 und in Juris).
Eine Einschränkung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kommt jedoch auf Grund des bilateralen Abkommens zwischen der Bunderepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (FürsAbk AUT) vom 17. Januar 1966 (BGBl II 1969, 2ff) in Betracht (zur Fortgeltung auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU vgl. Art. 307 EG, jetzt Art. 351 AEUV). Art. 2 Abs. 1 des FürsAbk AUT bestimmt, dass Staatsangehörige der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Hierbei handelt es sich nach der Ratifikation durch den Bundestag nach Zustimmung des Bundesrates am 28. Dezember 1968 (BGBl. II 1969 Nr. 1 Seite1) um unmittelbar geltendes Bundesrecht. Nach Art 1 Nr. 4 des FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstige Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzungen als die Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Während das LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22. Juni 2010, L 1 AS 36/08, veröffentlicht in Juris) aus dem Umstand, dass auch die Erwerbsfähigkeit Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist, ableitet, dass es sich bei diesen Leistungen nicht um Fürsorgeleistungen im Sinne des FürsAbk AUT handelt, weil die Leistungsgewährung an eine "weitere Voraussetzung" geknüpft ist, hat das LSG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 7. März 2012, L 8 B 489/10 ER, veröffentlicht in Juris) die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Grund des FürsAbk AUT als ausgeschlossen angesehen, denn die Erwerbsfähigkeit sei keine "weitere Voraussetzung", sie diene allein der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum Adressatenkreis des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.
Da die Frage der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf österreichische Staatsangehörige im Hinblick auf das FürsAbk AUT im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären ist, muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden. Bei der deshalb durchzuführenden Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05) sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Da es vorliegend um die Existenzsicherung und damit die Sicherstellung menschenwürdigen Lebens geht, überwiegen die Belange der Antragstellerin am Erlass einer Regelungsanordnung hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie zur Unterkunft und Heizung) das Interesse der Beschwerdeführerin, keine finanziellen Aufwendungen bei ungeklärter Rechtslage aufbringen zu müssen.
Soweit der Antragsgegner behauptet, es sei nicht nachgewiesen, dass während eines angemessenen Zeitraumes tatsächlich eine Beschäftigung gesucht oder beabsichtigt gewesen sei, steht dies nicht in Übereinstimmung mit der Aktenlage. Vielmehr ist nach den vorgelegten Unterlagen, aus denen sich auch entsprechende Bemühungen (konkreter Vermittlungsvorschlag der Agentur für Arbeit, Bewerbung der Antragstellerin) ergeben, das Gegenteil glaubhaft gemacht. Ferner hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt und eine Eignungsuntersuchung veranlasst, wodurch gleichfalls das Bestreben, einen Arbeitsplatz zu finden, belegt wird.
Die Entscheidung des SG die vorläufige Leistungsverpflichtung des Beschwerdeführers, gegen die allein dieser Beschwerde eingelegt hat, auf die Zeit bis 3. September 2013, längstens den bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu beschränken, ist nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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