L 12 AS 3289/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 3932/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3289/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Unterschiedliche Rechtsauffassungen und Handlungen zweier Landessozialgerichte über die Vorgehensweise bei örtlicher Unzuständigkeit kann höhere Gewalt iSd § 67 Abs. 3 SGG darstellen.

Nach § 44 SGB X kann ein bestandskräftiger Rücknahmebescheid zurückzunehmen sein, wenn der Leistungsempfänger auf den Fortbestand einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung vertrauen durfte.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 03.08.2010 sowie der Bescheid des Beklagten vom 25.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 26.10.2009 abgeändert.

Der Beklagte wird verpflichtet den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 12.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 16.03.2009 insoweit zurück zu nehmen, als der Bewilligungsbescheid vom 30.12.2008 für die Zeit vom 01.12.2008 bis 15.01.2009 zurückgenommen worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen einen Rücknahmebescheid des Beklagten, mit dem dieser die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 01.12.2008 bis einschließlich 31.05.2009 zurückgenommen hat.

Der 1973 geborene Kläger ist moldawischer Staatsangehöriger. Er ist Diplom-Chemiker und reiste im Jahr 2001 - nach Abschluss seiner Ausbildung - in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ausweislich der Studienbescheinigung der Hochschule R. vom 13.04.2010 begann er zum 01.03.2008 ein Studium der Textiltechnologie - Textilmanagement mit dem Abschlussziel Master an der Hochschule R ... Aufgrund seines Studiums hat der Kläger seinen Nebenwohnsitz in R.unter Beibehaltung seines Hauptwohnsitzes in F. am M ... Bereits am 15.08.2006 beantragte er eine Vorabentscheidung über den Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Mit Bescheid vom 10.10.2006 lehnte das Amt für Ausbildungsförderung des Studentenwerks T. diesen Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger bei Beginn des Ausbildungsabschnittes im Sommersemester 2007 das 30. Lebensjahr bereits vollendet habe und Ausbildungsförderung nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG geleistet werden könnte, die nicht vorliegen würden. Der Kläger sei weder aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert gewesen, seine Ausbildung früher aufzunehmen, noch sei er aufgrund einschneidender Veränderungen der persönlichen Verhältnisse bedürftig geworden. Nach seinem schulischen und beruflichen Werdegang wäre es ihm möglich gewesen, nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2001 und einer Orientierungsphase von sechs Monaten ein Studium aufzunehmen. Ein Zeitraum von über fünf Jahren sei eindeutig zu lang, so dass die nach § 10 Abs. 3 letzter Satz BAföG erforderliche unverzügliche Ausbildungsaufnahme nach Wegfall der Hinderungsgründe nicht vorliege. Dieser Bescheid ist bestandskräftig.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50. Dem liegen gemäß Bescheid vom 18.09.2007 folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde: Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, Migräne, seelische Störungen und Allergie der Haut/Schleimhäute. Auf Antrag des Klägers vom 23.11.2009 wurde der GdB durch Bescheid vom 07.12.2009 auf 80 erhöht. Zu den bisherigen Funktionsstörungen kam ein erworbenes Immunmangelsyndrom hinzu.

Mit Bewilligungsbescheid vom 08.05.2008 bewilligte die Agentur für Arbeit F. am M. dem Kläger Arbeitslosengeld I vom 17.04.2008 bis 18.10.2008 mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 27,61 EUR. Mit Bescheid vom 06.10.2008 hob die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgrund Aufnahme einer Beschäftigung ab 18.08.2008 auf.

Mit Antrag vom 17.11.2008, beim Beklagten eingegangen am 08.12.2008, beantragte der Kläger beim Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld II. Unter Vorlage des Ablehnungsbescheids des Studentenwerks T. - Amt für Ausbildungsförderung - vom 10.10.2006 gab er unter Ziffer 2 d im Antrag an, dass er bis Juli 2010 Student sei.

Mit Bescheid vom 30.12.2008 lehnte der Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II aufgrund der vom Kläger nachgewiesenen Einkommensverhältnisse mangels Hilfebedürftigkeit ab. Ausweislich des dem Bescheid beiliegenden Berechnungsbogens ergibt sich, dass sich die Ablehnung auf den Zeitraum vom 17.11.2008 bis 30.11.2008 bezieht. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 in Höhe von monatlich 614,89 EUR (Regelleistung 288 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung 166,89 EUR; befristeter Zuschlag nach § 24 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - 160 EUR). Die Zahlung des Geldes wurde seitens des Beklagten nicht angewiesen.

Per E-Mail wandte sich der Kläger am 06.01.2009 an den Beklagten und bat um Erklärung, ob er nun Leistungen beziehen werde, nachdem die Bescheide vom 30.12.2008 verwirrend seien und sich gegenseitig widersprechen würden.

In der Verwaltungsakte befindet sich auf Bl. 49 ein undatierter Aktenvermerk der Mitarbeiterin des Beklagten S. mit folgendem Inhalt: "Antragsstellung Herr S.: Herr S. hatte am 08.12.2008 einen Termin zur persönlichen Antragsabgabe Alg II. Bei der Antragsabgabe teilte Herr S. mit, dass er studiert. Anspruch auf BAföG hat er nicht, da er zu alt ist. Ihm erklärt, dass der tatsächliche Bezug von BAföG hier nicht ausschlaggebend ist. Herrn S. wurde an diesem Termin mitgeteilt, dass er als Student hier keinen Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II hat."

Mit Bescheid vom 12.01.2009 nahm die Beklagte die Entscheidung vom 30.12.2008 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 01.12.2008 ganz zurück. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe, da der Kläger studiere und daher nach den §§ 60 bis 62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach einen Anspruch auf BAföG habe. Dabei sei ohne Relevanz, dass der Kläger tatsächlich kein BAföG beziehe. Bereits bei Antragstellung am 08.12.2008 sei er darauf hingewiesen worden, dass er nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehöre. Der Kläger habe daher gewusst, dass er keinen Leistungsanspruch habe und hätte daher erkennen können und auch müssen, dass der Bescheid vom 30.12.2008 fehlerhaft sei. Der Beklagte stützte die Rücknahme auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da ihm die Rechtswidrigkeit des Bescheides bekannt gewesen sei. Da die Leistungen nicht angewiesen worden seien, sei eine Erstattung von zu Unrecht erbrachten Leistungen nicht erforderlich. Eine Vermögensdisposition sei nicht getroffen worden.

Mit Bescheid vom 13.01.2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II vom 08.12.2008 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil der Kläger in Ausbildung sei und diese Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig sei; die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 5 und 6 SGB II.

Am 29.01.2009 wandte sich der Kläger per E-Mail an den Beklagten und legte Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 und gegen den Ablehnungsbescheid vom 13.01.2009 ein. Die Begründung werde er nachreichen.

Mit Schreiben vom 02.02.2009 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass Widerspruch per E-Mail nicht eingelegt werden könne. Der Kläger werde aufgefordert, seinen Widerspruch bis spätestens 25.02.2009 in der erforderlichen Form nachzureichen.

Nachdem hierauf keine Rückmeldung erfolgte, verwarf der Beklagte die Widersprüche des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 mangels formgerechter Einlegung als unzulässig.

Bereits am 19.02.2009 hatte sich der Kläger an das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main mit dem Ziel der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gewandt (Az: S 19 AS 252/09 ER). Mit Beschluss vom 18.03.2009 (beim Beklagten eingegangen am 25.03.2009) ordnete das SG Frankfurt am Main die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen den Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 insoweit an, als darin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2008 bis zum 15.01.2009 zurückgenommen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rücknahme der Bewilligungsentscheidung durch den Beklagten sei insoweit rechtswidrig, als sie mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt sei. Insoweit genieße der Kläger Vertrauensschutz, weil er insbesondere die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides weder kannte noch hätte kennen müssen. Zwar sei der Kläger bei der Abgabe seines Antrags darüber informiert worden, dass er keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II habe. Nachdem ihm dann gleichwohl mit Bescheid vom 30.12.2008 vorbehaltlos Leistungen bewilligt worden seien, habe der Kläger auf die Richtigkeit dieser Verwaltungsentscheidung vertrauen dürfen. Für die Zeit nach Zugang des Rücknahmebescheides vom 15.01.2009 sei das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Leistungsbewilligung indes nicht schutzwürdig. Zwar habe der Beklagte die Anhörung unterlassen und auch eine Ermessensentscheidung bisher nicht vorgenommen, könne dies aber noch nachholen.

Mit Schreiben vom 18.03.2009, beim Beklagten eingegangen am 26.03.2009, legte der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16.03.2009 Widerspruch ein und verwies darauf, es sei allgemein bekannt, dass die Übermittlung von Dokumenten auf elektronischem Weg (E-Mail oder Fax) erlaubt sei, weshalb sein Widerspruch zulässig sein müsse. Im Übrigen sei er ab Anfang Februar 2009 nicht in Reutlingen gewesen, da zu dieser Zeit an der Fachhochschule Ferien gewesen seien. Ferner sei durch die am 18.02.2009 beim SG Frankfurt am Main eingereichte Klage die Frist eingehalten gewesen.

Mit Schreiben vom 06.04.2009 hörte der Beklagte den Kläger zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 30.12.2008 an unter Hinweis auf die Entscheidung des SG Frankfurt am Main vom 25.02.2009 (gemeint ist wohl das Eingangsdatum des Beschlusses beim Beklagten am 25.03.2009) im Verfahren S 19 AS 252/09 ER. Ferner wurde der Kläger in diesem Schreiben aufgefordert mitzuteilen, ob er mit Schreiben vom 19.03.2009 (gemeint ist wohl das Schreiben des Klägers vom 18.03.2009) Klage vor dem SG Reutlingen gegen den Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 erheben wolle. In seiner Stellungnahme mit Schreiben vom 21.04.2009 verwies der Kläger auf seine Begründung im Verfahren vor dem SG Frankfurt am Main und teilte mit, dass er in seinem Schreiben vom 19.03.2009 gegen den Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 keine weitere Klage erheben wollte. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2009 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 als unzulässig verworfen, da entsprechend der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung gegen die Entscheidung der Widerspruchsstelle nur die Möglichkeit der Klage vor dem Sozialgericht gegeben sei.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) - L 7 AS 167/09 B ER - gegen den Beschluss des SG Frankfurt am Main vom 18.03.2009 stimmten die Beteiligten einem schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 28.04.2009 zu, der die Rücknahme der wegen der Bescheide vom 12. und 13.01.2009 noch anhängigen Klage- und einstweilige Rechtsschutzverfahren beim SG Frankfurt am Main vorsah; der Beklagte verpflichtete sich, den Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 nach § 44 SGB X zu überprüfen und den Kläger erneut zu bescheiden.

Mit Bescheid vom 25.06.2009 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er habe den Bescheid vom 12.01.2009 nochmals überprüft. Es sei festgestellt worden, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei, da weder das Recht falsch angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Den dagegen am 27.07.2009 eingelegten Widerspruch, den der Kläger nicht weiter begründete, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2009 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 26.11.2009 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben (S 2 AS 3932/09 bzw. S 16 AS 3932/09). Zur Begründung hat er ausgeführt, dass ihm Leistungen nach dem SGB II zustehen müssten, da er keinen Anspruch auf BAföG habe. Jedenfalls aber müsse er Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in besonderen Härtefällen haben. Er werde im Juli 2010 seine Ausbildung beenden und befinde sich in der Prüfungsvorbereitung. Ein Härtefall sei anzunehmen, wenn wegen einer Ausbildungssituation ein Bedarf von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts entstanden sei, der nicht durch BAföG oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden könne und deswegen begründeter Anlass für die Annahme bestehe, die vor dem Abschluss stehende Ausbildung werde nicht beendet und damit drohe das Risiko künftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender Hilfebedürftigkeit.

Der Beklagte ist dem entgegen getreten. Der Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 sei rechtmäßig, da sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Der Kläger habe die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides gekannt oder hätte sie zumindest kennen müssen, da er bei der Antragstellung über die fehlende Anspruchsberechtigung informiert worden sei. Dass der Kläger selbst davon ausging, trotz der Bewilligungsentscheidung möglicherweise keinen Leistungsanspruch zu haben, zeige auch seine E-Mail, mit der er um Klarstellung gebeten habe. Der Kläger sei daher bösgläubig gewesen, für ein Ermessen bei der Entscheidung sei kein Raum. Im Übrigen bestünden Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 44 SGB X in der hier bestehenden Konstellation. Würde die Rücknahme des Bewilligungsbescheides aufgehoben, so würde der rechtswidrige Bewilligungsbescheid wieder aufleben. Die Durchbrechung der Bestandskraft mit Hilfe des § 44 SGB X könne aber nicht so weit führen, dass entsprechend der materiellen Rechtslage bislang nicht ausgezahlte Leistungen nunmehr in Verfestigung einer materiell rechtswidrigen Lage zu erbringen seien. § 44 SGB X diene lediglich der materiellen Gerechtigkeit zugunsten des Bürgers auf Kosten der Bindungswirkung von zu seinen Ungunsten ergangenen Verwaltungsakten. Hier habe der Kläger aber gerade keinen materiellen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Mit Urteil vom 03.08.2010, den Beteiligten zugestellt am 15.09.2010, hat das SG Reutlingen die Klage als unbegründet abgewiesen. Unter Darlegung der Voraussetzungen der §§ 44 und 45 SGB X hat das SG ausgeführt, der Bewilligungsbescheid vom 30.12.2008 sei rechtswidrig gewesen. Der Kläger habe in der Zeit vom Dezember 2008 bis Mai 2009 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II gehabt, da sein Anspruch nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen gewesen sei. Denn er habe sich in einer im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befunden. Ob der Kläger dabei tatsächlich Ausbildungsförderung bezogen habe oder ob diese zum Beispiel aufgrund des Alters nicht möglich gewesen sei, spiele für die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 5 SGB II keine Rolle. Der Frage, ob ein Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II vorgelegen habe, brauche nicht weiter nachgegangen zu werden, da in einem solchen Fall die Bewilligung von Arbeitslosengeld II nur als Darlehen und nicht als Zuschuss erfolgen könne. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II als Zuschuss sei also auch bei Vorliegen eines Härtefalls rechtswidrig gewesen. Im Übrigen lägen außergewöhnliche, schwerwiegende und atypische Umstände, die einen Härtefall begründen könnten, nicht vor. Jedoch könne dem Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit lasse sich insbesondere nicht damit begründen, der Kläger sei im Rahmen der Antragstellung darauf hingewiesen worden, dass er als Student keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II habe. Diese Tatsache sei auch dem Beklagten bekannt gewesen. Nachdem nun ungeachtet dessen Arbeitslosengeld II bewilligt worden sei, habe der Kläger zwar damit rechnen müssen, dass die Bewilligung möglicherweise irrtümlich erfolgt sei. Es habe für ihn aber nicht auf der Hand gelegen. Der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte den Sachverhalt rechtlich richtig bewertet, nachdem allen Beteiligten alle Tatsachen bekannt gewesen seien. Erwartet werden könne und müsse vom Kläger lediglich, dass er sich nach Erlass des Bewilligungsbescheides um Aufklärung bemühe. Dies habe er mit seiner E-Mail vom 06.01.2009 getan. Indes könne sich der Kläger aufgrund der Nichtauszahlung der Leistungen sowie seiner Mail vom 06.01.2009 nicht auf Vertrauen berufen, da er im Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides nicht auf dessen Bestand vertraut habe. Da eine gebundene Rücknahmeentscheidung gemäß § 45 Abs. 1 SGB X, §§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III nicht vorgelegen habe, habe die Rücknahme im Ermessen des Beklagten gestanden. Ermessen sei jedoch weder im Bescheid vom 12.01.2009 noch im Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 ausgeübt worden. Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen habe bislang nicht stattgefunden und sei auch aufgrund des Ermessensnichtgebrauchs nicht zulässig. Dennoch könne eine Aufhebung im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X aufgrund des Sinn und Zwecks der Vorschrift nicht erfolgen. Eine lediglich verfahrensfehlerhafte Entscheidung könne nicht dazu führen, dass materiellrechtlich nicht zustehende Leistungen gewährt werden müssten.

Nach Rücksprache mit seiner Prozessbevollmächtigten hat der Kläger am 04.10.2010 - ausdrücklich - beim Hessischen LSG Berufung gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 03.08.2010 eingelegt. Ohne Vergabe eines Aktenzeichens ist die Berufungsschrift formlos an das LSG Baden-Württemberg weitergeleitet und dies dem Kläger mit Schreiben vom 05.10.2010 mitgeteilt worden. Das LSG Baden-Württemberg hat dem Kläger mitgeteilt, dass seine Berufung vom 01.10.2010 beim LSG Baden-Württemberg am 06.10.2010 eingegangen sei und das Verfahren unter dem Az L 13 AS 4717/10 geführt werde. Weiter ist der Kläger aufgefordert worden, bis 15.10.2010 mitzuteilen, ob er Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhebe. Am 12.10.2010 hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, dass es ihm nicht möglich sei, bis 15.10.2010 Unterlagen vorzulegen. Wegen einer Reha werde er hierfür etwa bis Mitte November brauchen. Mit gerichtlicher Verfügung vom 13.10.2010 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, er solle lediglich bis 15.10.2010 erklären, dass er Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhebe. Unterlagen könne er nachreichen. Nach einem weiteren Telefonat am 19.10.2010 hat der Kläger mit Schreiben vom 08.11.2010 (eingegangen am 09.11.2010) erklärt, dass Berufung beim LSG Baden-Württemberg gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 03.08.2010 erhoben werde. Es sei zuerst die Berufung beim Hessischen LSG - gerichtet nach dem Wohnsitz des Klägers - eingelegt worden, da die Rechtsschutzabteilung des DGB schriftlich mitgeteilt habe, dass dies möglich sei. Ein neues Aktenzeichen ist in diesem Zusammenhang nicht vergeben worden. Das Verfahren ist weiterhin unter dem Az. L 13 AS 4717/10 beim 13. Senat des LSG Baden-Württembergs geführt worden. Im Rahmen eines Erörterungstermins am 27.01.2012 ist dem Kläger erstmals mitgeteilt worden, dass nach Auffassung des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg eine formlose Abgabe bzw. Weiterleitung der ausdrücklich beim Hessischen LSG eingelegten Berufung an das LSG Baden-Württemberg nicht in Betracht komme. Vielmehr hätte das Hessische LSG eine Verweisung des Rechtstreits vornehmen müssen. Der 13. Senat des LSG Baden-Württemberg gehe deshalb davon aus, dass das Berufungsverfahren nach wie vor beim Hessischen LSG anhängig sei und dort auch weiter betrieben werden müsse. Zielführend dürfte eine Beantragung der Verweisung an das alleinig zuständige LSG Baden-Württemberg sein. Die vom Kläger am 09.11.2010 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung mit Schriftsatz vom 08.11.2010 sei zum einen unzulässig wegen doppelter Rechtshängigkeit, nachdem nach wie vor das zeitlich früher eingelegte Berufungsverfahren vor dem Hessischen LSG andauere. Zum anderen sei mit dieser Berufungseinlegung (am 09.11.2010) auch die Berufungsfrist nicht gewahrt worden. Vor dem Hintergrund des andauernden und fristgerecht erhobenen Berufungsverfahrens vor dem Hessischen LSG komme nach Einschätzung des Senats auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Nach alledem müsse das hiesige Berufungsverfahren deshalb als unzulässig verworfen werden. Daraufhin hat der Kläger zu Protokoll erklärt: "Ich nehme die Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg mit dem Az: L 13 AS 4717/10 zurück. Nicht zurückgenommen wird das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht."

Mit Schreiben vom 05.04.2012, beim Hessischen LSG eingegangen am 13.04.2012, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Beifügung einer Niederschrift des Erörterungstermins vom 27.01.2012 vor dem LSG Baden-Württemberg um einen förmlichen Verweisungsbeschluss gebeten. Mit Schreiben vom 04.05.2012 hat der Beklage Einwendungen gegen die beabsichtigte Verweisung der Berufung an das LSG Baden-Württemberg erhoben.

Mit Beschluss vom 10.07.2012 hat sich das Hessische LSG für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das örtlich zuständige LSG Baden-Württemberg verwiesen. Nach Auffassung des verweisenden Senats schließe § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht aus. Wenn es geboten sei, eine bei einem örtlich unzuständigen LSG eingelegte Berufung weiterzuleiten, so sei hierfür die Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeiten nach § 98 SGG das zutreffende prozessuale Mittel. Eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 98 SGG lediglich auf das Verfahren vor den Sozialgerichten sei in § 153 Abs. 1 SGG nicht angeordnet und ergebe sich auch nicht aus den übrigen Vorschriften bezüglich des Verfahrens vor dem LSG. Vielmehr verhindere eine Verweisung verfahrensrechtliche Probleme. Die Verweisung sei hier auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil zuvor schon eine Weiterleitung erfolgt gewesen sei, da das LSG Baden-Württemberg die weitergeleitete Berufung nicht übernommen habe.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, dass diese zulässig sei. Es könne dahingestellt werden, ob eine formlose Abgabe im üblichen Geschäftsgang oder eine Verweisung erforderlich gewesen sei, da ihm jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne. Insbesondere dürften ihm aus Fehlern oder Versäumnissen des Gerichts keine verfahrensrechtlichen Nachteile entstehen. Sowohl eine formlose Abgabe als auch ein förmlicher Verweisungsbeschluss sei rechtzeitig innerhalb der Berufungsfrist möglich gewesen. Denn es könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, wenn die Landessozialgerichte verschiedene Auffassungen bezüglich der richtigen Vorgehensweise bei Berufungseinlegung beim örtlich unzuständigen Gericht vertreten. Außerdem müsse beachtet werden, dass der Erlass eines Verweisungsbeschlusses auch noch innerhalb der Berufungsfrist möglich gewesen wäre, wenn das LSG Baden-Württemberg dem Hessischen LSG rechtzeitig mitgeteilt hätte, dass nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg ein Verweisungsbeschluss notwendig sei. Dies sei jedoch unterblieben. Die Berufung sei auch begründet, da sich der Kläger auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 SGB X berufen könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 03.08.2010, den Bescheid des Beklagten vom 25.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.10.2009 sowie den Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Berufung für unzulässig. Durch die rechtzeitig am 05.10.2010 seitens des Hessischen LSG erfolgte Weiterleitung der Berufungsschrift des Klägers an das örtlich zuständige LSG Baden-Württemberg und die dortige Erledigung des Berufungsverfahrens durch Rücknahme der dort anhängig gewesenen Berufung mit dem Az. L 13 AS 4717/10 sei die nunmehr mit Beschluss vom 10.07.2012 erfolgte Verweisung der selben Berufung ausgeschlossen. Die ursprünglich am 04.01.2010 beim Hessischen LSG eingegangene Berufung sei durch die im üblichen Geschäftsgang erfolgte Weiterleitung dort nicht rechtshängig geworden. Infolge der fehlenden Rechtshängigkeit beim Hessischen LSG gehe der Verweisungsbeschluss ins Leere. Eine zusätzliche Verweisung nach Weiterleitung einer Berufungsschrift würde zudem vorliegend zu einer erneuten Rechtshängigkeit ein und derselben Rechtssache beim LSG Baden-Württemberg führen. Der Beklagte sei zwar der Ansicht, dass eine Verweisung nach § 98 SGG nicht zulässig gewesen sei, da diese Vorschrift das Verfahren im ersten Rechtszug betreffe und sich aus § 151 SGG eine besondere Regelung im Sinne von § 153 Abs. 1 SGG für den zweiten Rechtszug ergebe, die die Anwendung von § 98 SGG ausschließe. Soweit aber eine Verweisung entsprechend § 98 SGG für zulässig erachtet werde, folge aus § 151 SGG, dass eine Verweisung die Berufungsfrist nur dann wahre, wenn diese innerhalb der Berufungsfrist erfolgt sei. Der Verweisungsbeschluss vom 10.07.2012 sei jedoch längst nach Ablauf der Berufungsfrist erlassen worden. Die Berufung sei daher verfristet. Die Berufung sei darüber hinaus auch nicht begründet. Insoweit wiederholt und vertieft der Beklagte sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens. Darüber hinaus verweist er in Bezug auf § 44 SGB X auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akten des LSG Baden-Württemberg L 13 AS 4717/10 sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist nach gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig (§§ 143, 151 SGG).

1.) Der Kläger hat gegen das Urteil des SG vom 03.08.2010, den Beteiligten zugestellt am 15.09.2010, fristgerecht beim örtlich unzuständigen Hessischen LSG am 04.10.2010 Berufung eingelegt. Örtlich zuständig ist das LSG Baden-Württemberg, denn das SG Reutlingen liegt im Gerichtsbezirk des LSG Baden-Württemberg (§ 29 Abs. 1 SGG). Der Kläger ist auch in der Rechtsmittelbelehrung des von ihm angefochtenen Urteils ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Berufung beim LSG Baden-Württemberg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen ist. Die Rechtsmittelbelehrung enthält auch den Hinweis, dass die Berufungsfrist gewahrt ist, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem SG Reutlingen eingelegt wird; die Postanschriften des LSG Baden-Württemberg und des SG Reutlingens sind ebenfalls angegeben. Abweichend von § 91 Abs. 1 SGG wahrt die Einlegung der Berufung bei einem anderen Gericht oder einer anderen Behörde die Rechtsmittelfrist nicht (Bundessozialgericht - BSG -, Beschl. v. 31.03.2005 - B 11a/11 AL 229/04 B -, Juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 151 Rn. 2a). Es ist jedoch ausreichend, wenn innerhalb der Berufungsfrist von einem Monat die Berufung beim zuständigen Berufungsgericht eingeht.

Über die Einzelheiten der Verfahrensweise in derartigen Fällen besteht teilweise Unklarheit (vgl. auch Jansen-Eschner, SGG, Kommentar, 4. Auflage 2012, § 98 Rn. 2). Nach § 153 Abs. 1 SGG gelten für das Verfahren vor den Landessozialgerichten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der § 91, 105 SGG entsprechend, soweit sich aus den §§ 151 ff SGG nichts anderes ergibt. Demzufolge ist die Anwendung des § 98 SGG nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Es wird dementsprechend vertreten, dass § 98 SGG anzuwenden ist und somit auch zwischen verschiedenen Landessozialgerichten gilt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 98 Rn. 2). Andererseits "gilt allgemein" (so Leitherer a.a.O. § 151 Rn. 2a mit Nachweisen aus der Rechtsprechung), dass ein unzuständiges Gericht die Berufung im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterleitet, also ohne förmliche Verweisung.

Nach Auffassung des Senats schließt § 151 SGG die Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit im Berufungsverfahren nicht aus. Wenn es geboten ist‚ eine bei einem örtlich unzuständigen Landessozialgericht eingelegte Berufung weiterzuleiten, so ist hierfür die Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit nach § 98 SGG das zutreffende prozessuale Mittel. Eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 98 SGG lediglich auf das Verfahren vor den Sozialgerichten ist in § 153 Abs. 1 SOG nicht angeordnet und ergibt sich auch nicht aus den übrigen Vorschriften bezüglich des Verfahrens vor dem Landessozialgericht. Vielmehr verhindert eine Verweisung verfahrensrechtliche Probleme, wie sie sich im vorliegenden Rechtsstreit zeigen.

Die Verweisung war hier auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil zuvor schon eine Weiterleitung erfolgt war, da das LSG Baden-Württemberg (L 13 AS 4717/10) die weitergeleitete Berufung nicht übernommen hatte. Vielmehr hatte das LSG Baden-Württemberg das Schreiben des Klägers vom 08.11.2010 als "erneute" Berufungseinlegung, diesmal beim zuständigen LSG Baden-Württemberg, gewertet, die im Erörterungstermin am 27.01.2012 vom Kläger zurückgenommen wurde. Diese "erneute" Berufung wurde zwar unter dem bisherigen Aktenzeichen L 13 AS 4717/10 geführt, obwohl in diesem Fall ein neues Aktenzeichen hätte vergeben werden müssen. Wie sich aus der Niederschrift des Erörterungstermins vom 27.01.2012 vor dem LSG Baden-Württemberg ergibt, wurde die "weitergeleitete" Berufung, die nach Auffassung des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg noch beim Hessischen LSG rechtshängig war, nicht zurückgenommen ("Ich nehme die Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg mit dem Az: L 13 AS 4717/10 zurück. Nicht zurückgenommen wird das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht.").

2.) Allerdings ist die förmliche Verweisung erst mit Beschluss vom 10.07.2012 und damit weit nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt (Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung am 15.09.2010; die Berufungsfrist endete somit mit Ablauf des 15.10.2010). Es kann offen bleiben, ob - entsprechend der Rechtslage bei Verweisung einer Klage (siehe Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 98 Rn. 10) - die Berufungsfrist gewahrt ist, weil die Berufung beim Hessischen LSG rechtshängig geworden und dann förmlich an das LSG Baden-Württemberg verwiesen worden ist. Dem Kläger ist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen zu gewähren.

Der Kläger war zwar nicht ohne Verschulden verhindert, die ihm bekannte Frist einzuhalten. Die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers, deren Verschulden ihm zuzurechnen ist, hätte damit rechnen müssen, dass nur die Einlegung der Berufung beim zuständigen LSG oder dem SG die Berufungsfrist wahrt. Die Auskunft seiner damaligen Prozessbevollmächtigten war insoweit unvollständig, dass eine fristwahrende Berufungseinlegung beim örtlich unzuständigen Hessischen LSG nur möglich ist, wenn innerhalb der Berufungsfrist von einem Monat die Berufung beim zuständigen Berufungsgericht eingeht. Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Berufung so rechtzeitig beim Hessischen LSG eingegangen war, dass die Berufung noch rechtzeitig mittels Verweisungsbeschluss an das zuständige LSG Baden-Württemberg weitergegeben werden konnte (Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung am 15.09.2010; Eingang der Berufung des Klägers beim Hessischen LSG am 04.10.2010; Berufungsfrist endete mit Ablauf des 15.10.10).

Gemäß § 67 Abs. 3 SGG ist nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Diese Ausschlussfrist endete mit Ablauf des 15.10.2011. Die förmliche Verweisung erfolgte erst mit Beschluss vom 10.07.2012. Jedoch ist vorliegend durch die unterschiedlichen Rechtsauffassungen und Handlungen der im Vorfeld zum jetzigen Berufungsverfahren beteiligten Landessozialgerichte (formlose Abgabe der Berufung ohne Registrierung des Verfahrens beim Hessischen LSG; keine Mitteilung über die abweichende Rechtsauffassung des LSG Baden-Württemberg innerhalb der Berufungsfrist an den Kläger bzw. an das abgebende Hessische LSG; erneute (verspätete) Erhebung der Berufung beim LSG Baden-Württemberg durch den Kläger auf Anregung des LSG Baden-Württemberg ohne Vergabe eines neuen Aktenzeichens) zugunsten des Klägers höhere Gewalt anzunehmen (vgl. für falsche oder irreführende Auskünfte eines Gerichts Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 67 Rn. 14a m.w.N.). Die Ausschlussfrist des § 67 Abs. 3 SGG kommt daher nicht zur Anwendung.

3.) Es bestehen auch keine Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Solange eine bestandskräftige Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 30.12.2008 nicht vorliegt, ist der Bewilligungsbescheid vom Beklagten zu beachten und geht dem Ablehnungsbescheid vom 13.01.2009 vor. Es ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 13.01.2009 nur aufgrund der Rücknahmeentscheidung vom 12.01.2009 erlassen hat. Ohne den Bescheid vom 12.01.2009 wäre die Ablehnungsentscheidung vom 13.01.2009 weder notwendig noch sinnvoll. Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 13.01.2009 steht daher bei einer (unterstellten) Aufhebung des Rücknahmebescheids vom 12.01.2009 einer Auszahlung der mit dann bestandkräftigem Bewilligungsbescheid vom 30.12.2008 gewährten Leistungen nicht entgegen.

II.

Die Berufung ist teilweise begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 25.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.10.2009, mit dem der Beklagte die Aufhebung des bestandskräftigen Rücknahmebescheids vom 12.01.2009 abgelehnt hat.

1.) Der Rücknahmebescheid vom 12.01.2009 war anfänglich, d.h. nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl. BSG, Urteil vom 01.12.1999 - B 5 RJ 20/98 R - BSGE 85, 151, 153 = SozR 3-2600 § 300 Nr. 15) rechtswidrig im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte bestimmt § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (zur uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 44 SGB X auch im Bereich des SGB II vgl. Urteil des BSG vom 01.06.2010 - B 4 AS 78/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 36).

2.) Der Beklagte hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X bejaht. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt - unter den Einschränkungen der Absätze 2 - 4 der Norm - mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist dabei nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ausgeschlossen, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Besteht kein schutzwürdiges Vertrauen, steht die Rücknahme des Verwaltungsaktes im Ermessen der Behörde. Ausgeschlossen ist die Berufung auf Vertrauen, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). In diesem Fall ist die Rücknahme des Verwaltungsaktes zwingende Rechtsfolge, §§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III.

a) Der Bewilligungsbescheid vom 30.12.2008 war von Anfang an im Sinne des § 45 SGB X rechtswidrig. Der Kläger erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, denn er hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), ist erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Der Kläger kann gleichwohl keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen, weil er gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als Auszubildender von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist und keiner der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II vorliegt.

Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Ausschlussregelung ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß §§ 60 bis 62 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen.

Grundsicherungsleistungen für den Kläger sind gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II deshalb ausgeschlossen, weil die nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung lediglich aus einem individuellen Versagensgrund, der im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten ist, nicht gefördert werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 9; Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67, 77 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 6 Rn. 15 m.w.N.). Individueller Versagensgrund ist vorliegend das Alter des Klägers. Der Kläger, bei dem keine Ausnahmen nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG in Betracht kommen, hat bei Beginn des Ausbildungsabschnittes im Sommersemester 2007 bereits das 30. Lebensjahr überschritten (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG). Er erfüllt auch nicht die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II, wonach Abs. 5 keine Anwendung auf Auszubildende findet, die auf Grund von § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben (Nr. 1), deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB III bemisst (Nr. 2) oder die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Abs. 3 des BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben (Nr. 3). Ein besonderer Härtefall nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II liegt ebenfalls nicht vor. Außergewöhnliche, schwerwiegende und atypische Umstände, die einen Härtefall begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Weder ergibt sich, dass der Kläger wegen seiner Behinderung übermäßig lang für sein Studium benötigte, noch stand er Anfang 2009 kurz vor dem Abschluss seines Studiums.

b) Die Rücknahme eines Verwaltungsakts darf nach § 45 SGB X nur erfolgen, wenn der Berechtigte nicht auf dessen Bestand vertraut hat oder das gegebene Vertrauen nicht schutzwürdig ist. § 45 Abs. 2 SGB X erfordert hier die Abwägung des Interesses des Betroffenen am Bestand mit der Abwägung der Interessen der durch die Sozialleistungsträger repräsentierten Allgemeinheit an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts.

Ein Vertrauen in den Bestand eines Verwaltungsakts besteht regelmäßig, wenn der Betroffene den Verwaltungsakt erhalten hat und davon ausgeht, dass die ihm gewährte Begünstigung ihm auch tatsächlich zusteht. Das Vertrauen wird in aller Regel allein durch den Erlass eines Verwaltungsakts begründet (Padé in jurisPK-SGB X, § 45 SGB X Rn. 61). Der Kläger vertraute vorliegend erkennbar auf den Bestand des Bewilligungsbescheids vom 30.12.2008. Dieses Vertrauen kann man dem Kläger auch nicht aufgrund der E-Mail vom 06.01.2009 absprechen. Diese E-Mail ist im Zusammenhang mit dem Ablehnungsbescheid vom 30.12.2008 und dem Hinweis auf § 7 Abs. 5 SGB II bei der Antragstellung zu sehen. Zunächst sind entgegen der Auffassung des Beklagten der Ablehnungsbescheid vom 30.12.2008 und der Bewilligungsbescheid vom 30.12.2008 keine sich widersprechenden Entscheidungen. Aus dem Berechnungsbogen des Ablehnungsbescheids vom 30.12.2008 geht eindeutig hervor, dass die beantragten Leistungen nur für den Zeitraum 17.11.2008 bis 30.11.2008 abgelehnt wurden. Ferner kommt hinzu, dass entgegen des Hinweises bei Antragstellung, die Leistungen nicht aufgrund § 7 Abs. 5 SGB II abgelehnt wurden, sondern wegen mangelnder Hilfebedürftigkeit aufgrund bedarfsübersteigender Einkommenserzielung. Darüber hinaus ist nicht bekannt, was im Einzelnen bei der Antragstellung im Hinblick auf das Studium des Klägers besprochen wurde. Einen entsprechenden Gesprächsvermerk mit Datum enthält die Verwaltungsakte nicht. Der Aktenvermerk auf Bl. 49 der Verwaltungsakte ist undatiert und hinter die E-Mail des Klägers vom 06.01.2009 (Bl. 48) blattiert. Wann dieser Aktenvermerk erstellt wurde ist daher nicht erkennbar und aufgrund dessen kann dieser Aktenvermerk allenfalls ein Indiz für den Gesprächsinhalt bei Antragstellung darstellen.

c) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens nicht bereits nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen. Der Kläger hat die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsakts weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Das Gesetz definiert den Begriff der groben Fahrlässigkeit selbst als Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße. Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es also nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit seiner Angaben bzw. an der Rechtmäßigkeit hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden erkennbar wäre, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre. Grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bescheids ist dem Begünstigten vorzuwerfen, wenn er wissen musste, dass die Bewilligung vom geltenden Recht nicht gedeckt ist. Nimmt die Behörde einen fehlerhaften Sachverhalt an, ist die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis davon dann relevant, wenn der Begünstigte daraus erkennen musste, dass die Behörde aufgrund des falschen Sachverhalts auch eine rechtswidrige Schlussfolgerung gezogen hat, ihm mithin die Begünstigung nicht zusteht. Insofern genügt eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Die Rechtswidrigkeit muss aus Sicht des Betroffenen mit seinen Erkenntnismöglichkeiten offensichtlich sein (Padé a.a.O. Rn. 91; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7.Auflage 2010, § 45 Rn. 55f.). Dies kann allerdings hier aus Sicht des Klägers nicht angenommen werden. Dem Beklagten war das Studium des Klägers bekannt und diesbezüglich erfolgte bei Antragstellung ein Hinweis auf § 7 Abs. 5 SGB II. Dennoch erfolgte die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 17.11.2008 bis 30.11.2008 nicht aufgrund des Studiums mit Hinweis auf § 7 Abs. 5 SGB II, sondern wegen mangelnder Hilfebedürftigkeit aufgrund bedarfsübersteigender Einkommenserzielung und darüber hinaus die vorbehaltlose Gewährung von Leistungen ab 01.12.2008. Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass bei Kenntnis des maßgebenden Sachverhalts (Studium des Klägers) der Beklagte hieraus die richtigen Schlüsse zieht.

d) Dennoch ist das Vertrauen des Klägers nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht schutzwürdig. Das Vertrauen ist schutzwürdig, wenn das Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustands überwiegt (z.B. BSG, Urteil v. 05.11.1997 - 9 RV 20/96 - BSGE 81, 156 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 37). Die damit vom Gesetz geforderte Interessenabwägung ist von dem in § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumten Ermessen zu unterscheiden. Die Einstellung aller maßgeblichen Gesichtspunkte in die Abwägung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die sich gegenüber dem spezielleren § 45 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB X als Auffangnorm darstellt, ist voll gerichtlich überprüfbar.

Das Interesse der Allgemeinheit besteht in der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und in der Vermeidung von ohne ausreichende gesetzliche Grundlage begründeten Belastungen. Letztlich dient die Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände im Falle von begünstigenden Verwaltungsakten der Vermeidung von Aufwendungen zu Lasten der (Solidar-)Gemeinschaft. Das Interesse der Allgemeinheit wird deshalb im Grundsatz durch Dauerleistungen mehr belastet als durch einmalige Leistungen. Je länger die Dauerleistung zu gewähren ist, desto stärker das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, wie sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X zeigt. Das Interesse des Begünstigten besteht im Fortbestand der einmal gewährten Begünstigung. Sein Interesse ist an den ihm durch die Aufhebung drohenden Folgen zu messen (Padé a.a.O. Rn. 66 f.; Schütze a.a.O. Rn. 36 f.). In die Interessenabwägung ist auch der Aspekt einzustellen, in wessen Sphäre die Ursache der Begünstigung fällt. Stärken also z.B. Fehler der Behörde das Vertrauen des Begünstigten, spricht das eher für die Schutzwürdigkeit. Dafür reicht es allerdings nicht aus, dass der Behörde beim Erlass des Verwaltungsakts ein Fehler unterlaufen ist, denn das ist bereits die Anwendungsvoraussetzung des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X. Notwendig ist vielmehr, dass die Behörde durch ihr Verhalten das Vertrauen des Betroffenen verstärkt hat, indem sie etwa weiterhin fehlerhaft handelt.

In Anwendung dieser Grundsätze und im Umkehrschluss zu § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines unrichtigen Verwaltungsakts, durch den laufende Geldleistungen für die Zukunft zuerkannt worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.1986 - 9a RVg 2/84 - BSGE 60, 147 = SozR 1300 § 45 Nr. 24), zumal die bewilligten Leistungen weder verbraucht noch Vermögensdispositionen getroffen worden sind. Die bewilligten Leistungen wurden zu keinem Zeitpunkt zur Auszahlung angewiesen. In diesem Zusammenhang ist nunmehr auch zu berücksichtigen, dass dem Kläger bei Antragstellung der Hinweis nach § 7 Abs. 5 SGB II erteilt worden ist.

e) Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X (die Fallvarianten Nr. 1: "Arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung" und Nr. 2: "Unrichtige und unvollständige Angaben" sind erkennbar nicht einschlägig) bzw. des § 45 Abs. 3 S. 2 SGB X ist gem. § 45 Abs. 4 SGB X eine Bescheidrücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen. Das bedeutet, dass bereits hier eine Rücknahme des Bewilligungsbescheids für den Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Rücknahmeentscheidung spätestens am 15.01.2009 (Bescheiddatum 12.01.2009 unter Berücksichtigung der Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X) ausscheidet.

f) Die Bescheidrücknahme mit Wirkung für die Zukunft richtet sich nach § 45 Abs. 1 SGB X und steht im Ermessen der Behörde. Abweichend hiervon sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III eine gebundene Entscheidung vor. Allerdings liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht vor. Es verbleibt daher bei einer Ermessensentscheidung. Der Beklagte hat aber weder im Bescheid vom 12.01.2009, noch im Widerspruchsbescheid vom 16.03.2009 Ermessen ausgeübt. Der Beklagte ging vielmehr von einer gebundenen Entscheidung nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III unter Bejahung der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X aus. Allerdings wurde der Beklagte bereits im Beschluss des SG Frankfurt vom 18.03.2009 - S 19 AS 252/09 ER - auf die fehlende Ermessensentscheidung hingewiesen. Es liegt somit ein Ermessensnichtgebrauch vor.

Jedoch stellt sich nach den Gesamtumständen des Falles die Frage, ob bei Ausübung des Ermessens durch den Beklagten überhaupt eine andere Entscheidung als letztlich die vom Beklagten getroffene Entscheidung in Betracht kommt. Ermessen dient vor allem der Einzelfallgerechtigkeit. Die Behörde wird in die Lage versetzt, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zielvorstellungen einerseits und der konkreten Umstände andererseits eine dem Einzelfall angemessene und sachgerechte Lösung zu finden. Sie hat also zunächst einmal zu fragen, welchen Zweck die Ermächtigung zur Ermessensausübung verfolgt und welche Gesichtspunkte dabei maßgeblich sind, und hat sodann unter diesen Aspekten den konkreten Fall zu beurteilen und entsprechend zu entscheiden. Dabei können auch Zweckmäßigkeits- und Billigkeitserwägungen einfließen (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage 2011, S. 146). Es sind letztlich keine Umstände vorgetragen oder für den Senat ersichtlich, die es rechtfertigen würden, dem Kläger für die Zukunft Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, die ihm objektiv wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht zustehen. Aufgrund des fehlenden Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Zukunft und insbesondere durch den Umstand, dass Leistungen nicht ausbezahlt wurden, verengt sich das auszuübende Ermessen so weitgehend, dass der Beklagte auch bei einer (unterstellten) Ermessensentscheidung nur die Rücknahme für die Zukunft in Betracht ziehen konnte. Die Rücknahme für die Zukunft erweist sich daher dennoch als rechtmäßig.

3.) § 44 SGB X setzt jedoch schon nach dem Wortlaut ("und soweit deshalb") voraus, dass zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts und dem Nichterbringen einer Sozialleistung oder der Erhebung von Beiträgen ein Kausalzusammenhang bestehen muss. Materiell beruht die Versagung der Sozialleistung schließlich dann auf dem Verwaltungsakt, wenn sich dessen Rechtswidrigkeit auch im Ergebnis auf die Leistungsversagung ausgewirkt hat. Bei Verstößen gegen das materielle Recht ist das regelmäßig unproblematisch. Jedoch werden die Folgen von Verstößen gegen Vorschriften des SGB X für § 44 unterschiedlich beurteilt. Anspruch auf rückwirkende Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht nach Abs. 1 Hs. 2 nur, soweit "deshalb eine Sozialleistung zu Unrecht nicht erbracht oder ein Beitrag zu Unrecht erhoben worden ist". Zur Aufhebung führen Rechtsanwendungsfehler deshalb nur, soweit sie für eine Verkürzung von materiellen Rechtspositionen des Bescheid-Adressaten ursächlich waren. Unbeachtlich sind danach jedenfalls Verstöße gegen die Anhörungspflicht oder reine Formverstöße.

Strittig ist dagegen die Behandlung von rechtswidrig versagtem Vertrauensschutz nach den §§ 44 ff SGB X. Teilweise wird auch dies als unbeachtlich angesehen. Demgegenüber erscheint die Rechtsprechung des BSG überzeugend, dass nach § 44 SGB X ein bestandskräftiger Rücknahmebescheid zurückzunehmen sein kann, wenn der Leistungsempfänger auf den Fortbestand einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung vertrauen durfte (Urteile vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 - und vom 04.02.1998 -B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nrn. 21 und 24; ebenso z.B. LSG Berlin Brandenburg, Urteil v. 27.02.2009 - L 4 R 346/06 -, Juris). Denn auch die durch die §§ 44 ff SGB X vermittelten Ansprüche auf den Fortbestand rechtswidrig gewährter Begünstigungen sind der Sache nach als materiellrechtlich zu qualifizieren, weil sie ebenso verbindlich einen eigenen Rechtsgrund für den weiteren Bezug oder das Behaltendürfen einer Leistung begründen und gegen spätere Korrektur schützen (Schütze a.a.O. § 44 Rn. 17; ebenso Merten in Hauck/Noftz, SGB X Band 1, § 44 Rn. 50; teilweise kritisch dagegen Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, Stand 01.12.2012, § 44 Rn. 32 f.).

Die Berufung hat daher nur teilweisen Erfolg.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Rahmen des dem Senat eingeräumten Ermessens, dass die Rechtsverfolgung des Klägers nur teilweise erfolgreich war.

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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