L 18 (14) R 299/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 55 (27) RJ 257/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 (14) R 299/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a R 172/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB zurückgenommen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung der von der Klägerin geltend gemachten Beschäftigung während ihres Aufenthaltes im Ghetto Smorgon (weitere Bezeichnung Smorgonie/ehemals bis 31.03.1942 Generalkommissariat Weißrussland/ sodann ab 01.04.1942 Reichskommissariat Ostland) von September 1941 bis Mai 1942 streitig.

Die am 00.00.1922 in Smorgon/Polen geborene Klägerin ist als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gemäß dem Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Nach Kriegsende wanderte sie 1949 über Deutschland nach Israel aus, wo sie die israelische Staatsangehörigkeit erwarb.

In dem auf ihren Antrag vom 27.01.1956 eingeleiteten Entschädigungsverfahren gab die Klägerin an, sie sei von September 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Smorgon und anschließend bis zu ihrer Befreiung am 15.04.1945 in verschiedenen, näher benannten Zwangsarbeitslagern (ZAL) und Konzentrationslagern (KZ) gewesen. Ihr Verfolgungsschicksal schilderte sie detaillierter mit eidlicher Erklärung vom 29.11.1955 wie folgt: "( ...) Im September 1941 wurde das Ghetto Smorgon errichtet. Da unsere Wohnung innerhalb dessen Grenzen gelegen war, konnten wir drin wohnen bleiben. Anfangs bestand das Ghetto aus zwei Teilen, eines im ehemaligen Judenviertel, der andere in der Gegend des Marktes. Nach einiger Zeit wurde es aber verkleinert. Wir mussten in die Nähe der Synagoge übersiedeln, dort wohnten wir in einem Stall. Rund um das Ghetto zog sich ein Stacheldrahtzaun und wurde von SS bewacht. Es gab einen Judenrat, der Judenälteste war Herr Markus. Ich musste zwangsweise beim Bau einer Bahnlinie arbeiten. Im Juli 1942 wurde ich in das ZAL Zesmar (Litauen) verschickt ( ...)." Die Zeuginnen U (eidliche Erklärung vom 04.12.1955) und M (eidliche Erklärung vom 13.12.1955) bestätigten den gemeinsamen Ghettoaufenthalt und die gemeinsame Arbeit mit der Klägerin. Die Zeugin U gab insofern an: "Wir wurden zum Gleiselegen an einer Bahnlinie gezwungen" und die Zeugin M erklärte: "In diesem stacheldrahtumzäunten Ghetto, welches von SS und polnischer Polizei bewacht wurde, zwang man uns zur Arbeit beim Gleiselegen. Wir trugen den gelben Judenstern auf Brust und Rücken und bekamen das Essen durch den Judenrat, dem Herr N vorsaß." Nachgewiesen durch diese Erklärungen und eine Auskunft des Internationalen Suchdienstes, Arolsen, vom 20.10.1956 (Erwähnung der Klägerin nach Kriegsende in der Befreiungsliste und der sog. dp-2 Karte) wurde der Klägerin eine Entschädigung wegen der in der Zeit vom 31.07.1941 bis 15.04.1945 erlittenen Freiheitsschäden anerkannt (Bescheid vom 11.12.1957 des Bezirksamtes für Wiedergutmachung in Koblenz).

Am 11.10.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) die Zahlung einer Regelaltersrente ab 01.07.1997. In dem von ihr unter dem 28.11.2007 unterschriebenen Antragsformular der Beklagten gab sie an, von September 1941 bis Mai 1942 Bahngleise gelegt zu haben, Waggons mit Sand gefüllt und auf den Gleisen geführt zu haben sowie Schnee geräumt zu haben. Als Arbeitsverdienst habe sie "ein bisschen Essen, Lebensmittel" erhalten. Zur Begründung führte sie mit Erklärung vom 02.12.2002 weiter aus: " ( ...) Im September 1941 wurde ich ins Ghetto Judendorf eingeliefert. Dann wurden wir in ein größeres Ghetto in derselben Stadt gebracht, Ghetto Smorgon. Dort suchte ich Arbeit mit der Hilfe des Judenrats. Ich arbeite bei Bahngleiselegen, auch füllten wir kleine Wagen mit Sand und führten sie auf den Gleisen von einem Platz zum anderen. Ich arbeitete auch beim Schneeputzen ( ...). Für meine Arbeit im Ghetto Smorgon als Lohn bekam ich Lebensmittel." Auf Nachfrage der Beklagten gab die Klägerin unter dem 22.09.2003 ergänzend an, sie habe außerhalb des Ghettos gearbeitet und sei auf dem Weg von und zur Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden. Die Wegebauarbeiten habe sie täglich acht bis zehn Stunden verrichtet und dafür "zusätzliche Lebensmittel" (keinen Barlohn, keine Sachbezüge) erhalten. Zeugen könne sie keine benennen.

Nach Beiziehung der Entschädigungsakte und eines Auszugs aus Weinmann, Das nationalsozialistische Lagersystem, S. 666 ("Ghetto Smorgonie mentioned July 1941 - July 1942") lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 17.02.2004 ab. Die Erklärungen der Klägerin im Entschädigungs- und auch im Rentenverfahren machten deutlich, dass es sich bei den Arbeiten beim Bau der Bahnlinie um unentgeltliche und damit "nicht versicherungspflichtige" Zwangsarbeiten gehandelt habe. So sei z.B. auch ihre Angabe, auf dem Weg von und zur Arbeit bewacht worden zu sein, ein Indiz für das Vorliegen von Zwangsarbeit, denn es sei nach den der Beklagten vorliegenden Angaben zahlreicher Antragsteller in anderen Verfahren nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie während der Arbeiten an den Bahngleisen nicht bewacht worden sei. Die geltend gemachte Beschäftigung könne daher nicht nach den Vorschriften des ZRBG berücksichtigt werden.

Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen diese ablehnende Entscheidung und machte geltend, die von ihr durchgeführte Arbeit sei freiwillig erfolgt. Dazu führte sie mit ihrer Erklärung vom 24.03.2004 aus: "Als ich die Angaben für Entschädigungsverfahren gegeben hatte, habe ich gemeint, dass es besser ist, wenn ich sage, dass ich im Ghetto Zwangsarbeiten erfüllt hatte. In Wirklichkeit habe ich um diese Arbeit selbst im Judenrat gebeten, um zusätzliche Lebensmittel zu bekommen." Die Beklagte hielt an ihrer Auffassung fest und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2004 zurück. Die Klägerin habe im streitigen Zeitraum Zwangsarbeiten verrichtet. Zweck der ihr damals gewährten "Sachleistungen" in Form von Nahrungsmitteln sei allein die weitere Erhaltung ihrer Arbeitskraft und nicht eine Entlohnung für die von ihr geleistete Arbeit gewesen. Solche Zwangsarbeiten würden vom ZRBG nicht erfasst.

Im Klageverfahren hat die Klägerin an ihrem Rentenbegehren festgehalten und mit Erklärung vom 28.02.2005 wiederholend ausgeführt, sie habe freiwillig gearbeitet, um zu existieren. In Ermangelung anderer Arbeiten habe ihr der Judenrat nur Wegearbeiten gegeben. Sie habe Bahngleise verlegt, kleine Wagen mit Sand gefüllt und "Schnee geputzt". Dafür habe sie vom Judenrat zusätzliche Lebensmittel für zu Hause, freie Unterkunft und Heizmaterial erhalten. Woher der Judenrat die Lebensmittel genommen habe, wisse sie nicht. Im Entschädigungsverfahren habe sie Zwangsarbeit angegeben, weil man sie so gefragt habe, über die freiwillige Arbeit sei "überhaupt keine Rede" gewesen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2004 zu verurteilen, die Tätigkeiten von September 1941 bis Mai 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 09.11.2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht glaubhaft gemacht, dass die von ihr ausgeübte Beschäftigung den in § 1 Abs. 1 ZRBG aufgestellten Kriterien entsprochen habe. So sei es bereits nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie die geltend gemachte Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt habe. Die Klägerin habe selbst im Entschädigungsverfahren angegeben, sie habe zwangsweise beim Bau einer Bahnlinie arbeiten müssen. Diese Tätigkeit sei von der Zeugin U sowie der Zeugin M eidlich bestätigt worden. Zwar sei es zutreffend, dass seinerzeitige Einlassungen hinsichtlich des Vorliegens von Zwangsarbeit mit Blick auf die Verwertbarkeit für das heutige ZRBG-Verfahren besonders sorgfältig zu prüfen und zu bewerten seien, da oftmals schwere Arbeit subjektiv als "Zwangsarbeit" empfunden und mit diesem Begriff bezeichnet worden sei, ohne im Rechtssinne generell solche gewesen zu sein. Das Wort "Zwang" habe jedoch - neben seiner inhaltlich differenzierten Bedeutung im Zusammenhang mit dem Rechtsbegriff der Zwangsarbeit - auch und insbesondere einen allgemeingültigen Sinngehalt dahingehend, dass der Begriff des Zwangs gemeinhin als Gegenbegriff zur freien Willensentscheidung verstanden würde und das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließe. Insoweit spreche vieles dafür, dass durch die Verwendung dieses Begriffs im Zusammenhang mit der Arbeit entsprechend seinem üblichen Verständnis zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass sich die Betroffenen dem Arbeitseinsatz gerade nicht entziehen konnten und gegen ihren Willen zur Arbeit gezwungen wurden. Die Formulierungen der Klägerin und der Zeuginnen würden für das Vorliegen von Zwangsarbeit sprechen. So habe die Klägerin erklärt, sie "musste ... arbeiten", die Zeuginnen hätten davon gesprochen, dass sie zum Gleislegen gezwungen worden seien ("zwang man uns zur Arbeit"). Diese Wortwahl, der bereits wegen ihrer zeitlichen Nähe zum Geschehen ein besonderes Gewicht zukomme, lege das Bild einer unter obrigkeitlichem Zwang standegekommenen Beschäftigung nahe, die nicht freiwillig ausgeübt worden sei. Soweit die Klägerin in ihren Erklärungen von März 2004 und Februar 2005 bekräftigt habe, sie habe freiwillig gearbeitet, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, da ihr diese verfahrensgerichteten Einlassungen vor dem Hintergrund der für Zwangsarbeit sprechenden Indizien nicht geglaubt werden könnten. Bezeichnend sei auch, dass die Klägerin in ihrer Erklärung von März 2004 angebe, sie habe die Angaben zur Zwangsarbeit im Entschädigungsverfahren gemacht, weil sie gemeint habe, dass es besser sei. Offenbar mache die Klägerin ihre Angaben vor dem Hintergrund der ihr jeweils günstig erscheinenden Verfahrenssituation. Ihre Angaben, sie habe freiwillig gearbeitet, könne daher insgesamt nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden. Ungeachtet dessen sei es aber auch nicht glaubhaft, dass sie entgeltlich beschäftigt gewesen sei. Die Erklärung der Klägerin ("ein bisschen Essen") lege nahe, dass sie Lebensmittel lediglich zur Selbstverpflegung erhalten habe. Diese "Bezüge" hätten nicht der Erbringung einer Leistung für die individuelle Arbeitsleistung gedient, sondern seien zum unmittelbaren und kurzfristigen Verbrauch durch die Klägerin selbst, also zu ihrer eigenen Verpflegung, bestimmt und hätten damit vornehmlich die Erhaltung der Arbeitskraft bezweckt. Dies sei typisch für Zwangsarbeitsverhältnisse.

Im Berufungsverfahren wendet sich die Klägerin - auch gestützt auf das zwischenzeitlich veröffentlichte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) - gegen die erstinstanzliche Entscheidung und macht weiterhin geltend, sie habe die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss aufgenommen und gegen Entgelt ausgeübt. Hinsichtlich ihrer Angaben im Entschädigungsverfahren sei zu beachten, dass diese davon geprägt gewesen seien, eine Entschädigung zu erlangen. Angaben über die Aufnahme einer freiwilligen Tätigkeit mit Lohnzahlung seien ohne Bedeutung gewesen. Sie seien daher auch nicht abgefragt worden und fehlten regelmäßig. Mit persönlicher Erklärung vom 03.01.2006 hat die Klägerin "klarstellend" angegeben, für ihre Arbeit habe sie von der Ghettoverwaltung Mittagessen jeden Tag, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich erhalten. Sie erinnere sich nur nicht, ob direkt oder als Lebensmittel-Coupons. Die Arbeit habe ihr und ihren Verwandten beim Überleben im Ghetto geholfen. Im Sommer 1942 sei sei ins ZAL Zesmar überführt worden. "Die Arbeit dort war fast dieselbe, aber es war schon Zwangsarbeit." Auf Nachfrage des Senats hat sie weiter ergänzend mit Erklärung vom 17.09.2007 ausgeführt, da ihre Eltern und ihr Bruder Schimon nicht gearbeitet und sie gehungert hätten, sei sie jeden Tag zum Judenrat gegangen, um um Arbeit zu bitten. Der Judenrat sei ihr Arbeitgeber gewesen. Sie könne sich nicht mehr erinnern, wer ihr die Arbeit zugewiesen habe, aber sie habe jedes Mal etwas anderes (Bahngleise verlegen, Befüllen von Wagen mit Sand, Schneeräumung) erfüllt. Zum Nachweis der Richtigkeit ihrer Angaben verweise sie auf das vom SG Hamburg in dem Verfahren S 20 RJ 1843/04 eingeholte Gutachten von Prof. Dr. H vom 27.11.2006 zum Ghetto Minsk/Weißrussland. Wegen der Einzelheiten dieses von der Klägerin vorgelegten Gutachtens wird auf Bl. 55 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. Soweit die Wartezeit nicht erfüllt sei, erkläre sie sich bereit, die an den erforderlichen 60 Monaten für die Wartezeit fehlenden Monate als freiwillige Mindestbeiträge zu entrichten.

Die Klägerin, die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten war, beantragt mit Schriftsätzen vom 19.01.2006 und 31.05.2007,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2005 und unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2004 ihr eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von September 1941 bis Mai 1942 nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen,

hilfsweise

rechtliches Gehör in Form einer ergänzenden Anhörung der Klägerin in Israel zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen im Verfahren der ersten Instanz und hält im Übrigen die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2005 in vollem Umfange für zutreffend. Das von der Klägerin zur weiteren Begründung ihres Rentenbegehrens angeführte Urteil des BSG stehe nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und auch nicht mit der Beschlusslage der Rentenversicherungsträger. Wegen der Einzelheiten der Argumentation der Beklagten wird auf ihr Schreiben vom 13.08.2007, Bl. 82 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte ergänzend angegeben, dass die Klägerin in Israel keine Versicherungszeiten erworben habe. Vorbehaltlich der Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG seien Ersatzzeiten wegen Verfolgung und anschließender Arbeitsunfähigkeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) VI bis 20.07.1945 (Verlassen Deutschlands) zu berücksichtigen. Das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge bestünde für die Klägerin ab 01.06.2002.

Der Senat hat die vom 8. Senat des Landessozialgerichts (LSG) NRW in dem Verfahren L 8 R 57/05 eingeholten historischen Gutachten des Sachverständigen Dr. U vom 10.10.2007 und 11.10.2007 sowie das von der 20. Kammer des Sozialgerichts (SG) Hamburg in dem Verfahren S 20 RJ 1843/04 eingeholte historische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H vom 20.11.2006 beigezogen. Weiterer Einzelheiten dieser Unterlagen und des Sach- und Streitstandes im Übrigen wegen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (Aktenzeichen 000) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder die Klägerin noch deren Bevollmächtigter zum Termin erschienen sind. Der Bevollmächtigte ist mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsbenachrichtigung auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden (§§ 124 Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und es bestand weder Anlass für eine Aufhebung des Termins noch für eine Vertagung.

Die Berufung ist unzulässig, soweit die Klägerin Herstellung einer Versicherungsunterlage für den streitigen Zeitraum beantragt, denn über diesen erstmals im Berufungsverfahren gestellten Antrag der Klägerin liegt keine Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vor, die vom Berufungsgericht überprüft werden könnte.

Soweit weitergehend die Gewährung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beantragt wird, ist die Berufung unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 17.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2004 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, weil die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren (§§ 35, 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) nicht erfüllt ist und auch durch Leistung freiwilliger Beiträge nicht erfüllt werden kann. Nach dem Schlussprotokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit vom 12.02.1995 sind israelische Staatsangehörige zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung nur berechtigt, wenn mindestens ein Beitrag aus der Zeit vor Ausübung dieses Rechts in der deutschen Rentenversicherung anrechnungsfähig ist (Nr. 2c). Dies ist vorliegend nicht gegeben. Das SG hat zutreffend die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften wiedergegeben, weswegen der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG Düsseldorf vom 09.11.2005 Bezug nimmt und von einer erneuten Darstellung der gesetzlichen Vorschriften absieht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Klägerin ist als Verfolgte im Sinne des BEG anerkannt. Keinem Zweifel unterliegt auch, dass sie sich in dem streitigen Zeitraum von September 1941 bis Mai 1942 im Ghetto Judendorf in Smorgon und anschließend im Ghetto Smorgon zwangsweise aufgehalten hat. Die Existenz beider Ghettos, die in dem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet im Generalkommissariat Weißrussland bzw. ab 01.04.1942 im Gebietskommissariat Wilna-Land des Reichskommissariats Ostland gelegen haben, ist historisch durch das vom Senat beigezogene Gutachten des Sachverständigen Dr. U vom 10.10.2007 belegt. Aufgrund der durchgängigen Angaben der Klägerin im Entschädigungs- und Verwaltungsverfahren wie auch der Zeugenerklärungen im Entschädigungsverfahren ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin - insbesondere ihrer Erklärung vom 02.12.2007 zufolge - nach ihrer Übersiedlung aus dem "Judendorf" in das andere Ghetto Smorgons die von ihr angegebenen Arbeiten (Bahngleise legen, Waggons beladen und über Schienen transportieren sowie Schneeräumung) verrichtet hat. Ob die Klägerin bereits im September 1941 in das andere Ghetto gekommen und die geltend gemachte Beschäftigung aufgenommen hat, bedurfte keiner weiteren Aufklärung, da die Klägerin unabhängig davon keinen Rentenanspruch hat.

Zwar ist der Senat - sowohl wegen der durchgängigen Angabe der Klägerin im Entschädigungsverfahren, dort zudem durch Zeugen bestätigt, und im Rentenverfahren als auch wegen der Ausführungen des Sachverständigen Dr. U in seinem Gutachten vom 10.10.2007, insbesondere wegen der beigefügten Auflistung der Einsatzstellen jüdischer Arbeiter - überzeugt, dass die Klägerin die von ihr geltend gemachte Tätigkeit verrichtet hat. Der Senat hält es jedoch nach seiner Gesamtwürdigung der Beweismittel ebenso wie das Sozialgericht nicht für glaubhaft, dass die Klägerin - zu welchem Zeitpunkt auch immer - aus freiem Willensentschluss ihre Beschäftigung(en) aufgenommen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auch insoweit Bezug auf die erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG.

Eine Glaubhaftmachung ist der Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht gelungen.

Glaubhaft ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken soll, überwiegend wahrscheinlich ist, § 1 Abs. 2 ZRBG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 WGSVG. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als an die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (u.a. Beschluss des BSG vom 08.08.2001, B 8 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Auch die im Berufungsverfahren vorgelegten Erklärungen der Klägerin, die im Wesentlichen ihre vorherigen Angaben im Rentenverfahren wiederholten, vermochten den Senat vor dem Hintergrund ihrer Angaben im Entschädigungsverfahren und auch der Angaben der Zeugen im Entschädigungsverfahren nicht von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer aus freiem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung zu überzeugen. Allgemein und auch im vorliegenden Einzelfall geht der Senat vor dem Hintergrund der Art der Tätigkeit und des Einsatzortes (Außenarbeiten im Winter) davon aus, dass es nicht die freiwillige Bestrebung der jüdischen Bevölkerung - hier der damals 19jährigen Klägerin - war, an den Bahngleisen zu arbeiten. Prof. Dr. H führt insofern in seinem vom Senat beigezogenen Urteil aus: "Von den Straßenbau- und Gleisbauarbeiten gibt es unterschiedliche Informationen. Einerseits war die Arbeit schwer, andererseits wurden nach einer Übergangsphase im Winter 1941/1942 die physischen Arbeiter wenigstens manchmal krafterhaltend ernährt. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich kaum jemand freiwillig zu diesen physischen Arbeiten gemeldet haben dürfte" (Bl. 47 seines Gutachtens). Der Senat sieht sich damit in seiner Auffassung durch die Ausführungen des Historikers bestätigt. Der Senat stützt im Übrigen seine Auffassung, dass es sich bei der von der Klägerin verrichteten Arbeit um - Leistungen nach dem ZRBG ausschließende - Zwangsarbeiten gehandelt hat, auch auf die Angabe der Klägerin, dass die Arbeit im ZAL "fast dieselbe" wie im Ghetto war und sie selbst wesentlich unterschiedliche Arbeitsbedingungen nicht beschrieben hat. Diese Formulierung zeigt ebenso wie ihre Wortwahl im Entschädigungsverfahren, auf die das Sozialgericht zurecht hingewiesen hat, dass die Klägerin ihre Arbeit(en) nicht freiwillig aufgenommen hat. Es legt zumindest auch die - eine die Glaubhaftmachung ausschließende - Vermutung (Möglichkeit) nahe, dass bei den während ihres Aufenthalts im Ghetto einerseits und während ihres Aufenthalts im ZAL andererseits um zumindest ähnliche Arbeitsbedingungen gehandelt hat. Nach der Gesamtwürdigung des Senats lassen die von der Klägerin und der Zeugen einerseits geschilderten Umstände und die Darlegungen des Sachverständigen Dr. U keinen Raum für die Annahme, dass noch ein zumindest geringes Maß an Entscheidungsfreiheit bei der Aufnahme und Durchführung der Beschäftigungen an den Bahngleisen bestanden hat, womit selbst unter Zurundelegung der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des 4. Senats des BSG nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1a) ZRBG erfüllt sind.

Soweit die Klägerin - auf die Widersprüche zwischen ihren Angaben im Entschädigungs- und nunmehr im Rentenverfahren hingewiesen - einräumt, bewusst ungenaue oder gar falsche Angaben gemacht zu haben, um im Entschädigungsverfahren eine Besserstellung zu erreichen, wirft dies zwangsläufig die Frage auf, welche Gründe dafür sprechen sollen, dass den im jetzigen Rentenverfahren gemachten Angaben ein höherer Wahrhaftigkeitswert zukommen soll als den im Entschädigungsverfahren dokumentierten Erklärungen, zumal diese viel zeitnäher gemacht wurden und nach aller Lebenserfahrung mit dem Ablauf der Zeit auch detaillierte Erinnerungen an Geschehnisse eher verblassen. Auch und gerade unter Berückichtigung des schweren Schicksals der Juden aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ist es bei dieser Sachlage jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin (auch) im jetzigen Rentenverfahren zweckgerichtete Angaben macht, um einen Anspruch durchzusetzen, der ihr nicht zusteht.

Der Senat sieht im vorliegenden Verfahren auch keine Veranlassung, dem Hilfsantrag stattzugeben und die Klägerin in Israel anzuhören. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist im Gegensatz zu anderen Gerichtsbarkeiten eine Parteivernehmung als förmliches Beweismittel nicht vorgesehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Rd.-Nr. 12 zu § 103 m.w.N.) und weder auf Antrag noch von Amts wegen zulässig (Beschluss des BSG vom 18.02.2003 - B 11 AL 273/02 B -, vom 24.11.1990 - 1 BA 45/90 - und vom 10.02.1998 - B 2 U 2/98 B -, im Anschluss daran auch LSG NRW, Urteil vom 27.01.2006 - L 4 RJ 126/04). Auch eine Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin zur mündlichen Verhandlung war nicht geboten. Die Klägerin hatte im gesamten Verfahren (Antrags-, Widerspruchs- wie auch Klage und Berufungsverfahren) hinreichend Gelegenheit, sich über ihren Prozessbevollmächtigten bzw. - was sie auch getan hat - durch Vorlage eigener schriftlicher Erklärungen zum Streitgegenstand zu äußern, zumal sie im Verfahren durch einen sach- und rechtskundigen Rechtsbeistand vertreten wurde. Für den Senat bestanden keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Klägerin unter Zuhilfenahme ihres Bevollmächtigten nicht in der Lage war, zur Sachverhaltsaufklärung im schriftlichen Verfahren beizutragen, sodass zumindest im vorliegenden Rechtsstreit eine persönliche Anhörung der Klägerin nicht erforderlich war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG - wie oben dargestellt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 - und Vorlagebeschluss vom 20.12.2007 - B 4 R 85/06 R) - nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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