L 18 SO 85/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 SO 22/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 85/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
-Zu den Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs des örtlichen Sozialhilfeträgers gegenüber dem überörtlichen Sozialhilfeträger hinsichtlich der an den Hilfebedürftigen gewährten Leistungen nach dem SGB XII bei dem Hilfebedürftigen bewilligter Eingliederungshilfe als Betreuungs- und Assistenzleistungen (und nicht als aktivierende Pflege)
-Zur Auslegung des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG
-Zur Verurteilung im Erstattungsstreit dem Grunde nach
-Zum Erfordernis der Beiladung des Hilfebedürftigen im Erstattungsstreit
I. Ziffer I. und II. des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 werden wie folgt neu gefasst: Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die für den Zeitraum ab 01.01.2008 bis 21.02.2013 rechtmäßig an Herrn L. F. gewährten Leistungen zu erstatten.

II. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 wird zurückgewiesen.

III. Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten jeweils zur Hälfte.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin oder der Beklagte für die Erbringung von Leistungen der Sozialhilfe an Herrn L. F. (F.) zuständig ist und ob der Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der an F. gewährten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zusteht.

F. leidet unter Multipler Sklerose in fortgeschrittenem Stadium mit Dysarthrie (Sprachkoordinationsstörung mit unverständlicher Sprache bis auf einsilbige Wörter). Er ist schwerst pflegebedürftig und in allen Dingen des Lebens auf fremde Hilfe angewiesen. Hierfür reicht seine Rente in Höhe von 725,96 EUR monatlich bei einer Warmmiete von 378,67 EUR pro Monat nicht aus. Er bezog von der Klägerin Wohngeld in Höhe von 90,00 EUR monatlich und Hilfe zur Pflege. Die Pflege erfolgt ambulant im betreuten Wohnen. Daneben wurde in unterschiedlichem Umfang (zunächst 3 Tage, zuletzt 1 Tag pro Woche) Tagespflege in einer teilstationären Einrichtung in Anspruch genommen. Der tägliche Pflegeaufwand beträgt ca. 9 Stunden. Neben der Hilfe zur Pflege werden seit Februar 2007 Betreuungs- und Assistenzleistungen erbracht, z.B. Spaziergänge, Einkaufsbummel, Besuche von Veranstaltungen, Gaststättenbesuche, Behördengänge, Vorlesen u.a. Hierfür wurde der staatlich anerkannte Erzieher M. S. durch die Betreuerin des Hilfeempfängers vertraglich verpflichtet. Das Gesundheitsamt der Klägerin hat am 21.08.2007 zu dem Bedarf des F. an Leistungen der Eingliederungshilfe Stellung genommen. Es seien zusätzlich zur häuslichen 24-Std.-Pflege 52 Stunden ambulanter Betreuung und 8 Stunden monatlich an koordinativen Leistungen durch den betreuenden staatlich anerkannten Erzieher aufgrund der bekannten Persönlichkeitsstörung (seelischen Behinderung) des Hilfeempfängers erforderlich.

Mit Bescheid vom 19.09.2007 bewilligte die Klägerin dem F. Eingliederungshilfe im Rahmen des betreuten Wohnens für maximal 52 Stunden ambulanter Betreuung monatlich sowie weitere 8 Stunden, beides zusätzlich zu der bereits bewilligten 24-Stunden-Betreuung. Hierbei wurde der Hilfebedürftige nach dem so genannten Arbeitgebermodell durch von ihm beauftragte Pflegekräfte versorgt. Ab April 2008 wurde statt eines Sozialpädagogen eine gerontopsychiatrisch ausgebildete Pflegekraft verpflichtet, um die Leistungen der Eingliederungshilfe zu erbringen.

Ab April 2008 erfolgte die Versorgung des F. im Rahmen eines persönlichen trägerübergreifenden Budgets unter Einbeziehung des Krankenversicherungsträgers.

Nach Auffassung der Klägerin handelt es sich bei diesen Betreuungs- und Assistenzleistungen um Eingliederungshilfe, wohingegen der Beklagte davon ausgeht, dass es sich dabei um aktivierende Pflege handele.

Bis zum 31.12.2007 erbrachte die Klägerin für F. Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in eigener Zuständigkeit. Daneben gewährte der Beklagte seit 01.01.2005 teilstationäre Hilfe zur Pflege (Tagespflege bis zu 3 Tage wöchentlich in der Sozialstation "helfende Hände"). Seit 01.01.2008 ist nach klägerischer Auffassung der Beklagte aufgrund der Neufassung des Art. 82 AGSG für alle Leistungen nach dem 6. Kapitel SGB XII zuständig und somit auch für sämtliche an F. erbrachten Leistungen.

Mit Schreiben vom 14.03.2008, 09.04.2008 und 18.08.2008 lehnte der Beklagte seine Zuständigkeit ab. Nach Meinung des Beklagten handele es sich bei den für F. erbrachten Leistungen nicht um Eingliederungshilfe, sondern ausschließlich um Hilfe zur Pflege. Aufgrund des hohen Unterstützungsbedarfes in der Behandlungs- und Grundpflege stehe bei F. eindeutig die Pflege im Vordergrund. Ein darüber hinausgehender bedeutsamer Bedarf an Eingliederungshilfe könne daher nicht festgestellt werden.

Mit Schreiben vom 31.03.2008 und 20.05.2008 stellte die Klägerin ihre abweichende rechtliche Beurteilung dar; insbesondere wies sie auf den gesetzgeberischen Willen hin, wonach die Hilfe aus einer Hand per Änderung des Art. 82 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzes, GVBl Nr. 26 vom 08.12.2006, S. 942 in der Fassung des zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze, GVBl Nr. 29 vom 27.12.2007, S. 979 (AGSG) im Vordergrund stand. Tätigkeiten und Hilfestellungen für F. seien in nicht unerheblichem Umfang der Eingliederungshilfe zuzuordnen.

Unter dem 18.03.2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Sie hat die Klage insbesondere damit begründet, dass Hilfe zur Pflege in jedem Falle einen pflegerischen Bezug der Verrichtung erfordere; gehe es ausschließlich um eine Maßnahme der allgemeinen Unterhaltung und Zerstreuung, den im gleichen Umfang auch gesunde Leistungsempfänger haben, seien nicht die §§ 61 ff SGB XII, sondern vielmehr die Eingliederungshilfe gemäß § 54 ff SGB XII einschlägig.

Der Beklagte hat ausgeführt, dass nicht die Milderung der Behinderung oder die Eingliederung in die Gesellschaft als Leistungen für F. im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Hilfe zur Pflege. Es seien auch keine weitergehenden Ziele der Eingliederungshilfe mehr erreichbar, als sie mit Maßnahme der aktivierenden Pflege nicht auch erreicht werden könnten. Zudem könne keine Eingliederungshilfe vorliegen, wenn eine Besserung des Zustandes unerreichbar sei. Zudem müsse auf den Schwerpunkt der Maßnahmen abgezielt werden, so dass im vorliegenden Fall eindeutig Hilfe zur Pflege geleistet werde.

Mit Urteil vom 24.03.2010 hat das SG den Beklagten verpflichtet, der Klägerin die für den Zeitraum ab 01.01.2008 bis zur rechtskräftigen Entscheidung für F. gewährten Leistungen nach dem SGB XII zu erstatten und ab 01.07.2008 in Höhe von 4 v. H. zu verzinsen. Des Weiteren hat es den Beklagten verpflichtet, ab Rechtskraft der Entscheidung die Leistungen nach dem SGB XII für F. in eigener Zuständigkeit zu erbringen.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er macht weiterhin geltend, der Hilfeempfänger erhalte nicht Eingliederungshilfe, sondern Hilfe zur Pflege. Auch habe sich sein Zustand verschlechtert, so dass davon auszugehen sei, dass die Pflege im Verhältnis zu anderen Betreuungs- und Assistenzleistungen an Gewicht gewonnen habe. Die vom Sozialgericht zugrunde gelegten Aktivitäten seien der aktivierenden Pflege zuzuordnen und ein Bedarf an Eingliederungshilfe sei nicht nachgewiesen beziehungsweise spezifiziert. Zur Hilfe zur Pflege gehöre auch die psychosoziale Betreuung. Außerdem bezweifelt die Beklagte, dass der Hilfeempfänger am betreuten Wohnen teilnehme. Das sei nur der Fall, wenn der Hilfeempfänger die wichtigsten Alltagsverrichtungen allenfalls mit sporadischer Unterstützung und ansonsten selbstständig vornehmen könne. Außerdem sei aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu folgern, dass betreutes Wohnen nicht vorliege, wenn vorliegend medizinische oder pflegerische Betreuung erfolge.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei § 108 SGB X nicht auf Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern anwendbar. Das SG habe daher zu Unrecht Verzugszinsen zugesprochen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 zurückzuweisen.

Der Beklagte ziehe aus den zitierten Urteilen die falschen Schlussfolgerungen. Vielmehr sei es so, dass das Landessozialgericht Baden-Württemberg die vom Beklagten zitierten Anforderungen ausdrücklich bezweifle und die Auffassung der Klägerin vertrete. Auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts trage nicht die Auffassung des Beklagten. Hauptziel und vorrangiger Zweck der Maßnahme sei nämlich die Erhaltung und Förderung der Selbstbestimmung des Hilfeempfängers und seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es treffe nicht zu, dass ein pflegerischer Bedarf die Möglichkeit des betreuten Wohnens ausschließe.

Der Senat hat die Sozialhilfeakten der Klägerin beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Soweit das SG den Beklagten verpflichtet hat, ab Rechtskraft der Entscheidung die Leistungen nach dem SGB XII für F. in eigener Zuständigkeit zu erbringen und die zu erstattenden Leistungen ab 01.07.2008 in Höhe von 4 v. H. zu verzinsen, ist das Urteil vom 24.03.2010 gegenstandslos, denn die Klägerin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2013 ihre Klage zurückgenommen.

Einer Beiladung des F. bedurfte es nicht. Einer Beiladung der Versicherten bedarf es im Rahmen eines Erstattungsstreits nach dem SGB X nicht, wenn sie ihre Leistungen erhalten haben und sie diese weder nochmals fordern können noch in Betracht kommt, dass sie deren Wert zu erstatten haben (BSG vom 10.05.2005, B 1 KR 20/04 R). Das ist hier der Fall. Die Rechte des F. werden durch den Erstattungsstreit nicht berührt (vgl. dazu allgemein auch Becker, SGb 2011, 84 ff).

Soweit das Urteil vom 24.03.2010 nicht gegenstandslos geworden ist, ist die Berufung nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Beklagten verpflichtet, der Klägerin die für F. gewährten Leistungen nach dem SGB XII zu erstatten.

Die auf Verpflichtung zur Kostenerstattung nur dem Grunde nach gerichtete Klage war in Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz, dass Erstattungsansprüche im Wege der Leistungsklage geltend zu machen sind, statthaft und zulässig, denn bei öffentlichen Trägern, die der Gesetzbindung der Verwaltung unterliegen, kann davon ausgegangen werden, dass sie ein rechtskräftiges Urteil befolgen und eine Vollstreckung der Entscheidung deshalb nicht erforderlich ist, so dass es unschädlich ist, dass der Urteilstenor nicht vollstreckungsfähig ist, weil ohne weitere Ermittlungen nicht bestimmt werden kann, welchen Betrag der Beklagte schuldet (vgl. BSG vom 02.07.1965, 5 RKn 20/63). Darüber hinaus ist der Beklagte, der allein Berufungsführer ist, nicht dadurch beschwert, dass das SG ihn nicht zur Zahlung eines bezifferten Geldbetrags verurteilt hat.

Die Klägerin hat nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anspruch auf Erstattung ihrer rechtmäßig an den Hilfeempfänger erbrachten Sozialhilfeleistungen. § 105 Abs. 1 SGB X ist auch auf Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialhilfeträgern anwendbar (BVerwG vom 02.06.2005, 5 C 30/04). Die gegenüber dem zweiten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB X als speziellere Vorschriften vorrangig anzuwendenden §§ 106 bis 111 SGB XII sind für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Landesrechtliche Sonderregelungen nach § 112 SGB XII bestehen hinsichtlich des geltend gemachten Erstattungsanspruchs nicht. Ein Fall des § 102 SGB X liegt nicht vor, denn die Klägerin hat nicht vorläufig auf Grund gesetzlicher Vorschriften Leistungen an den Hilfeempfänger erbracht, vielmehr ist im laufenden Leistungsfall aufgrund § 1 Nr. 4 a) und § 2 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (GVBl Nr. 29 vom 27.12.2007, S. 979) zum 01.01.2008 ein Zuständigkeitswechsel eingetreten. Mangels besonderer landesrechtlicher Übergangsvorschriften erfasst dieser Zuständigkeitswechsel auch laufende Leistungsfälle.

Zu Recht ist das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte allein gemäß Art. 82 Abs. 2 AGSG für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII an den Hilfeempfänger F. zuständig ist. Dies ergibt sich sowohl aus der grammatikalischen als auch der teleologischen und der historischen Auslegung dieser Vorschrift.

Nach dem Gesetzeswortlaut gilt § 97 Abs. 4 SGB XII entsprechend, wenn Eingliederungshilfe an Behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen im Sinn des § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen erbracht wird. Nach § 97 Abs. 4 SGB XII umfasst die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind, sowie für eine Leistung nach § 74 SGB XII. Da für stationäre Leistungen der überörtliche Träger zuständig ist, das heißt in Bayern der örtlich zuständige Bezirk (Art. 82 Abs. 1 S. 1 Nr 2 AGSG i.V.m. Art. 81 Abs. 1 AGSG), erstreckt sich nach dem eindeutigen Wortsinn die Allzuständigkeit des überörtlichen Trägers auch auf die Fälle, in denen Eingliederungshilfe an Behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen in betreutem Einzelwohnen erbracht wird. Wie die Klägerin zu Recht ausführt, lässt sich dem Wortlaut keine Differenzierung dahingehend entnehmen, es komme darauf an, welche Hilfeart den Schwerpunkt der Maßnahme darstellt.

Die teleologische Auslegung führt zu dem gleichen Ergebnis. Der Gesetzeszweck liegt offenbar darin, Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden und Leistungen aus einer Hand zur Verfügung zu stellen. Der Gesetzeszweck wäre infrage gestellt, wenn es darauf ankäme, in welchem Umfang Leistungen der Eingliederungshilfe, der Hilfe zur Pflege, der sozialen Pflegeversicherung und gegebenenfalls der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, um zu bestimmen, welcher Sozialhilfeträger für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII zuständig ist, zumal der anteilige Bedarf in Folge von Änderungen im Gesundheitszustand des Hilfebedürftigen zeitlich variieren kann.

Auch die historische Auslegung rechtfertigt das gefundene Ergebnis. Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der amtlichen Begründung zu dem Gesetzesentwurf der bayerischen Staatsregierung vom 10.09.2007 (Drucksache 15/8865, S. 12) die Zuständigkeit für ausnahmslos alle Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung auf die Bezirke als überörtliche Träger der Sozialhilfe übertragen werden sollte mit der Folge, dass die Bezirke neben ihrer Zuständigkeit für die teilstationäre und stationäre auch die Zuständigkeit für die gesamte ambulante Eingliederungshilfe erhalten sollten. Hinsichtlich der ursprünglich vorgesehenen Fassung des Art. 82 Abs. 2 AGSG wurde ausgeführt, die Änderung resultiere zum einen aus der Neufassung von Abs. 1, zum anderen werde damit die bisher nur für seelisch Behinderte statuierte umfassende Zuständigkeit der Bezirke auf körperlich und geistig Behinderte ausgedehnt, wenn diese in den genannten ambulanten Wohnformen betreut würden. Eine weitere Ausdehnung erfahre die Vorschrift zudem durch den ersatzlosen Wegfall des bisherigen Satzes zwei, was bedeute, dass die Zuständigkeit der Bezirke in den von Abs. 2 genannten Fällen auch die Leistungen der Grundsicherung einschließe. Zudem werde auf das einschränkende Merkmal der "ambulanten psychiatrischen" Betreuung verzichtet. Hieraus geht in eindeutiger Weise hervor, dass der hauptsächliche Regelungszweck darin bestand, für den Hilfeempfänger eine einheitliche Zuständigkeit zu schaffen. Bei der Annahme des Gesetzes ist der Landtag auch dem Änderungsantrag vom 04.12.2007 (Drucksache 15/9458) gefolgt, der aus dem ursprünglichen Gesetzeswortlaut die Worte "therapeutischen" und "vergleichbar intensiv" gestrichen hat, um Schwierigkeiten beim Vollzug der Neufassung des Art. 82 Abs. 2 AGSG vorzubeugen. Die beiden gestrichenen Begrifflichkeiten seien zwar im Bereich der Menschen mit seelischen Behinderungen hinreichend etabliert, im Bereich der Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen aber bisher nicht. Um hier nicht unnötig Abgrenzungs- und Zuständigkeitsfragen aufzuwerfen, sollten diese Begriffe gestrichen werden. Damit sei eine substantielle Ausdehnung der Sonderzuständigkeit der Bezirke nicht verbunden, denn von der Regelung würden nur ambulante Wohnformen erfasst, in denen eine Betreuung erfolge. Das lässt erkennen, dass eine klare und eindeutige Zuständigkeitsregelung gewünscht war, die keinen Anlass für Rechtsstreitigkeiten über ihre Auslegung bietet. Letzteres wäre aber der Fall, wenn es darauf ankäme, welchen Anteil die Leistungen aus dem Bereich der Eingliederungshilfe gegenüber dem sonstigen Bedarf des Hilfebedürftigen haben.

Die Voraussetzungen der im vorgenannten Sinn ausgelegten Rechtsgrundlagen liegen im Falle des F. zur vollen Überzeugung des Senats vor. Zunächst ist festzuhalten, dass der F. im betreuten Wohnen Leistungen nach dem SGB XII erhalten hat. Zwar ist der Begriff "betreutes Wohnen" nicht durch den Normgeber definiert, seine Bedeutung ergibt sich jedoch sowohl aus seinem Wortlaut als auch aus der gesellschaftlichen Realität, ohne dass hier Auslegungsschwierigkeiten bestünden. Wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 25.08.2011 (BSG vom 25.08.2011, B 8 SO 7/10 R) darlegt, sind ambulante betreute Wohnmöglichkeiten im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII im Gesetz nicht näher definiert, die Auslegung hat sich allerdings an dem Verweis in § 54 Abs. 1 SGB XII an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (d.h. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten) zu orientieren. Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch auf die landesrechtliche Norm des Art. 82 Abs. 2 AGSG nicht übertragen, da diese (unabhängig vom abweichenden Wortlaut) einen anderen Regelungszweck verfolgt. Im Rahmen des § 98 Abs. 5 SGB XII geht es nämlich um den Schutz des für den Einrichtungsort zuständigen örtlichen Trägers, während die landesrechtliche Regelung eine einheitliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers völlig unabhängig von der Regelung des § 98 Abs. 5 SGB XII bezweckt. Anknüpfungspunkt ist deshalb nicht das Vorhalten von spezialisierten Diensten der Eingliederungshilfe, sondern das praktische Bedürfnis, möglichst Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden und dann, wenn zumindest auch eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für einzelne Leistungen besteht, die Zuständigkeit bei diesem zu vereinigen. Dabei entspricht es der Praktikabilität, nicht auf den Schwerpunkt der Maßnahme abzustellen, zumal diese sich im Krankheitsverlauf ändern kann. Lediglich dann, wenn überhaupt keine Leistungen der Eingliederungshilfe zu erbringen sind, ist der Anwendungsbereich des Art. 82 Abs. 2 AGSG nicht eröffnet.

Nach diesen Maßgaben nimmt F. an einer Maßnahme des betreuten Wohnens teil. Er wird nämlich in einer selbst angemieteten Wohnung ambulant betreut, wobei diese Betreuung auch Maßnahmen der Eingliederungshilfe umfasst. Wie zur Überzeugung des Senats bereits auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht Würzburg eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. J. vom 13.01.2003, das im Wege des Urkundsbeweises verwertbar ist, feststeht, leidet der Kläger nicht nur an den mit seiner Erkrankung einhergehenden körperlichen Einschränkungen, insbesondere Bewegungs- und Koordinationsstörungen, sondern an einer organischen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 07.0), die bei ihm auch zu einer erheblichen seelischen Behinderung geführt hat. Deshalb sind ihm Umstellungen seiner Lebensbedingungen krankheitsbedingt erschwert, seine Kommunikationsfähigkeit ist eingeschränkt. Wenn auf dieser Grundlage und nach persönlicher Untersuchung Dr. K. in seiner Eigenschaft als Facharzt für das öffentliche Gesundheitswesen unter sehr kritischer Würdigung einen sozialpädagogischen Hilfebedarf von 52 Stunden pro Monat und zusätzlich acht Stunden pro Monat für koordinative Leistungen festgestellt hat, überzeugt dieses angesichts der geschilderten Persönlichkeitsstörung des Hilfeempfängers ohne weiteres. Auf der Grundlage der seelischen Erkrankung des Klägers lässt sich nämlich ein Verhalten beobachten, das ein Leben in der Gemeinschaft aufgrund des aggressiven Verhaltens des Leistungsempfängers nahezu unmöglich macht, während durch die Dokumentation der mit Bescheid vom 19.09.2007 bewilligten Eingliederungshilfe nachgewiesen ist, dass der Hilfeempfänger von diesen Leistungen in der Art und Weise profitiert, dass er in seiner Gemütslage stabilisiert wird und dadurch zur sozialen Interaktion, auch der Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und anderen Elementen des Lebens in der Gemeinschaft befähigt wird. Der Senat hat deshalb keinen Zweifel daran, dass die mit Bescheid vom 19.09.2007 und den nachfolgenden Bescheiden bewilligte Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht erfolgt ist. Da die Eingliederungshilfe im Rahmen des so genannten Arbeitgebermodells durch eine gerontopsychiatrisch fortgebildete Pflegefachkraft erfolgt, wird die Rechtmäßigkeit der bewilligten Eingliederungshilfe auch nicht durch eine zweckwidrige Mittelverwendung infrage gestellt. Vielmehr ergibt sich aus den Berichten der Pflegekraft und dem gesamten Akteninhalt, dass der Hilfeempfänger tatsächlich Leistungen der Eingliederungshilfe erhält und davon auch profitiert.

Soweit der Beklagte einwendet, die Klägerin habe bei den Verhandlungen über ein trägerübergreifendes persönliches Budget die gesetzliche Bindung an Weisungen des Beklagten nicht beachtet, trifft das nicht zu. Da der Beklagte seine Zuständigkeit für den Leistungsfall verneint hatte, blieb der Klägerin nichts anderes übrig, als bis zur Klärung der Zuständigkeit die Sozialleistungen in eigener Verantwortung zu erbringen, da sie letztlich auch bis zum rechtlichen Abschluss dieses Verfahrens die rechtliche und finanzielle Verantwortung für die Leistungserbringung zu übernehmen hatte. Lediglich wenn die Klägerin im Auftrag des Beklagten Leistungen erbracht hätte, was nicht der Fall war, wäre sie an dessen Weisungen gebunden gewesen.

Einer erneuten Begutachtung des Hilfeempfängers bedurfte es nicht, da nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Prof. Dr. J. und des Dr. K. mit einer Besserung der seelischen Behinderung des Hilfeempfängers nicht zu rechnen ist. Auch lässt sich aus den in der Sozialhilfeakte enthaltenen Berichten entnehmen, dass der Hilfeempfänger noch ausreichend verständnis- und kommunikationsfähig ist, damit Maßnahmen der Eingliederungshilfe ihren Zweck erfüllen können. Anders als der Beklagte meint, scheiden Maßnahmen der Eingliederungshilfe nicht schon dann aus, wenn mit einer Besserung des Zustandes des Hilfebedürftigen nicht zu rechnen ist. Dies ergibt sich aus dem Ziel der Eingliederungshilfe, die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).

Die als weitere Voraussetzung für den Erstattungsanspruch notwendige Kenntnis des Beklagten von dem Leistungsfall (BVerwG vom 02.06.2005, 5 C 30/04, Leitsatz) war zur Überzeugung des Senats bereits vor dem 01.01.2008 gegeben, denn zum Einen war dem Beklagten der Leistungsfall spätestens seit 01.01.2005 aufgrund der Gewährung von teilstationären Leistungen bekannt, zum Anderen hat die Klägerin noch vor dem 01.01.2008 den Beklagten auf insgesamt 8 Leistungsfälle, bei denen ein Zuständigkeitswechsel in Betracht kam, darunter auch den des Hilfeempfängers, ausdrücklich unter Schilderung des konkreten Sachverhalts hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 VwGO.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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