S 31 KR 93/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 KR 93/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2011 wird festgestellt, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin, Herr O. E., in der Zeit vom 01.04.2007 bis 14.02.2013 bei der Beklagten gesetzlich versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung gewesen ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsvorgänger der Klägerin bei der Beklagten versicherungspflichtig gewesen ist.

Die Klägerin ist die Prozessbevollmächtigte und alleinige Erbin des am 03.06.1914 geborenen und am 14.02.2013 verstorbenen Herrn O. E. (im Folgenden: Rechtsvorgänger).

Mit Schreiben vom 12.11.2008 zeigte die Klägerin der Beklagten die Pflichtversicherung des Rechtsvorgängers nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – an und beantragte dessen Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung der Beklagten, da er über keinen Krankenversicherungsschutz verfügte. Dabei wurde eine von dem Rechtsvorgänger am 24.04.2009 unterschriebene eidesstattliche Versicherung vorgelegt, in der er erklärte, dass er zu früheren Zeiten bei der Beklagten versichert gewesen sei und eine private Krankenversicherung zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen habe. Wann der Rechtsvorgänger bei der Beklagten versichert gewesen ist, könne jedoch nicht mehr nachvollzogen werden. Des Weiteren wurde eine Rentenbezugsbescheinigung vom 16.03.2009 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass der Rechtsvorgänger seit dem 01.07.1979 eine Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland bezogen hat sowie der Versicherungsverlauf, dem zu entnehmen ist, dass in den Jahre 1931 bis 1939 Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.

Die von der Beklagten daraufhin eingeleiteten Recherchen ergaben, dass weder bei der Beklagten noch bei der Krankenkasse für Gartenbau in Kassel, der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung NRW in Düsseldorf und der Techniker Krankenkasse in Kleve, als Rechtsnachfolgerin der Gärtnerkrankenkasse, eine Mitgliedschaft des Rechtsvorgängers festgestellt werden konnte. Auch die Deutsche Rentenversicherung Rheinland erklärte auf Nachfrage der Beklagten, dass keine Unterlagen mehr vorliegen würden, aus denen hervorgehen würde, bei welcher Krankenkasse der Rechtsvorgänger zuletzt versichert gewesen ist.

Mit Anhörungsschreiben vom 28.06.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, die Pflichtversicherung mangels Zuständigkeit abzulehnen. Zur Begründung trug sie vor, dass zuständig für die Prüfung und Durchführung der Versicherungspflicht die Krankenkasse bzw. die Rechtsnachfolgerin der Krankenkasse sei, bei der der letzte Krankenversicherungsschutz bestanden habe. Aus den Mitgliedsunterlagen der Beklagten (ab 1960) habe eine Mitgliedschaft des Rechtsvorgängers zu keiner Zeit festgestellt werden können. Eine solche habe auch bei keiner anderen, von der Beklagten angeschriebenen Krankenkasse festgestellt werden können. Die Deutsche Rentenversicherung habe ebenfalls nicht bestätigen können, dass von der Beklagten als Einzugsstelle zu irgendeinem Zeitpunkt Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung abgeführt worden sind. Außer der eidesstattlichen Versicherung könnten somit keine Nachweise einer früheren Mitgliedschaft bei der Beklagten beigebracht werden.

Hierauf erwiderte der Prozessbevollmächtigte des Rechtsvorgängers mit Schreiben vom 26.07.2010, dass es sein möge, dass es dem Rechtsvorgänger nicht möglich sei, den Nachweis zu erbringen, dass er zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen ist. Versicherungspflicht bestehe aber auch für diejenigen Personen, die bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Jedenfalls liege diese Fallgestaltung vor, wenn dem Rechtsvorgänger entgegengehalten werde, nicht gesetzlich krankenversichert gewesen zu sein und ihm nicht unterstellt werden könne, privat krankenversichert gewesen zu sein. Es bestehe also in jedem Fall eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V.

Mit Bescheid vom 16.08.2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Mitgliedschaft ab 01.04.2007 mangels Zuständigkeit ab. Zur Begründung führte sie an, dass eine frühere Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht festgestellt werden konnte. Die von dem Rechtsvorgänger gezogene Schlussfolgerung, dass er weder privat noch gesetzlich krankenversichert gewesen sei und deshalb eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V bestehe, greife schon deshalb nicht, da nachweislich des Versicherungsverlaufs des Rentenversicherungsträgers Pflichtbeiträge entrichtet worden sind. Insoweit müsse eine gesetzliche Krankenversicherung bestanden haben mit der Schlussfolgerung, dass nur eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V vorliegen könne. Dies habe aber zwangsläufig nicht zur Folge, dass der Rechtsvorgänger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten versichert gewesen sein muss.

Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 31.08.2010 Widerspruch ein. Er vertritt die Auffassung, dass der Rechtsvorgänger gemäß § 173 SGB V ein Wahlrecht habe. Zwar verweise die Beklagte auf § 174 Abs. 5 SGB V, wonach der Rechtsvorgänger lediglich in die Krankenkasse aufgenommen werden könne, bei der er zuletzt versichert gewesen ist. Dies möge zwar grundsätzlich zutreffend sein, berücksichtige allerdings nicht die Besonderheiten des Einzelfalles. Wie sich der Begründung zum Gesetzesentwurf entnehmen lasse, sei es Sinn und Zweck des GKV-WSG gewesen, einen Versicherungsschutz für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall zu ermöglichen. Diese Zielrichtung würde verfehlt, würde durch die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V der Eintritt in eine Krankenkasse verhindert werden, nur weil die frühere Mitgliedschaft einer konkreten Krankenkasse nicht belegbar ist. In diesem Sinne sei § 174 Abs. 5 SGB V auch lediglich als eine Zuständigkeitsverweisung zu verstehen, wenn die Zuständigkeit der letzten Krankenkasse abschließend geklärt ist. § 174 Abs. 5 SGB V diene nicht dem Schutz der Krankenkasse vor nicht lukrativen Mitgliedern, sondern lediglich, um einen willkürlichen Kassenwechsel zu verhindern. Dass eine bei der Beklagten vor 70 Jahren bestandene Mitgliedschaft nicht mehr feststellbar ist, weil der Beklagten dazu keine Unterlagen mehr vorliegen, falle nicht in den Verantwortungsbereich des Rechtsvorgängers und könne nicht zu seinen Lasten gehen. Wenn es dem Rechtsvorgänger nicht möglich ist, den letzten Nachweis dafür zu erbringen, dass er zuletzt bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert gewesen ist, andererseits aber feststeht, dass er zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen ist, dann könne dies nicht dazu führen, dass er schlechter steht, als wäre er nie gesetzlich krankenversichert gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 18.02.2011 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgte der Rechtsvorgänger sein Begehren weiter. Ergänzend hat er vorgetragen, dass er sich von seinem 16. Lebensjahr an bis Ende April 1934 in Berufsausbildung zum Zieh- und Topfpflanzengärtner befunden habe. Die Ausbildung sei seiner Erinnerung nach in dem Betrieb B. A. in Kleve absolviert worden. In diesem Betrieb sei er im Anschluss an seine Ausbildung bis zu seiner Einziehung zum Militärdienst Ende August 1939 weiter berufstätig gewesen. In dieser Zeit sei er bei der Beklagten krankenversichert gewesen. Unterlagen hierzu, welche er damals noch gehabt haben könnte, seien jedenfalls während der Kriegsereignisse verloren gegangen. Zeugen, die dies bestätigen könnten, seien nicht mehr am Leben bzw. nicht bekannt. Nach Kriegsende und nach Rückkehr in den elterlichen Haushalt habe der Rechtsvorgänger zunächst einige Jahre im elterlichen Betrieb mitgeholfen. In dieser Zeit sei weder eine Entlohnung erfolgt noch seien Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung abgeführt worden. Der Vater des Rechtsvorgängers sei selbständig und selbst nicht krankenversichert gewesen. Danach habe sich der Rechtsvorgänger im Rahmen seines erlernten Berufes selbständig gemacht. Auch im Rahmen dieser selbständigen Tätigkeit sei er nicht krankenversichert gewesen. Im 66. Lebensjahr habe er den Betrieb eingestellt und seitdem im Wesentlichen von der Rente gelebt.

Am 14.02.2013 ist der Rechtsvorgänger verstorben. Die Klägerin hat die Klage als Rechtsnachfolgerin fortgeführt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 16.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin, Herr O. E., in der Zeit vom 01.04.2007 bis 14.02.2013 bei der Beklagten gesetzlich versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung und führt ergänzend an, dass sich der Rechtsvorgänger nicht aussuchen könne, nach welcher Alternative des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V er versichert werden kann. Da der Rechtsvorgänger in die Krankenversicherung der Beklagten aufgenommen werden wollte, müsse stichhaltig bewiesen werden, dass er damals dort versichert gewesen ist. Dies sei bislang nicht erfolgt. Zum damaligen Zeitpunkt komme nicht nur die Ortskrankenkasse in Betracht, sondern auch die Gärtnerkrankenkasse.

Das Gericht konnte ebenfalls nicht ermitteln, bei welcher Krankenkasse der Rechtsvorgänger in der Vergangenheit gesetzlich krankenversichert gewesen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ist zulässig. Die Klägerin, als alleinige Erbin des Rechtsvorgängers und damit Rechtsnachfolgerin, hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob der Rechtsvorgänger in der Zeit vom 01.04.2007 bis 14.02.2013 Pflichtmitglied der Beklagten geworden ist, weil nach Aussage des Prozessbevollmächtigten Behandlungs- und Pflegekosten angefallen sind, die aufgrund einer Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten gegebenenfalls von dieser und nicht aus dem Vermögen des Rechtsvorgängers zu tragen wären. Der streitige Bescheid vom 16.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2011 hat sich auch nicht durch den Tod des Rechtsvorgängers am 14.02.2013 im Sinne des § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch erledigt, da die Ablehnung der Durchführung der Mitgliedschaft bei der Beklagten für den streitigen Zeitraum aufgrund der angefallenen Kosten auch weiterhin gegenüber der Klägerin als Erbin und Rechtsnachfolgerin Wirkung entfaltet. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 16.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht den Antrag des Rechtsvorgängers auf Durchführung der Pflichtmitgliedschaft abgelehnt. Der Rechtsvorgänger war in der Zeit vom 01.04.2007 bis 14.02.2013 bei der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V pflichtversichert.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten mit Schreiben vom 12.11.2008 verfügte der Rechtsvorgänger über keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Rechtsvorgänger jedenfalls in der Zeit vom 31.10.1938 bis 27.08.1939 zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen ist. Ausweislich des Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung Rheinland ist durch die Versicherungskarte 04 nachgewiesen, dass in dieser Zeit Pflichtbeiträge zur Deutschen Rentenversicherung gezahlt worden sind. Hieraus ist zur Überzeugung des Gerichts zu schließen, dass der Rechtsvorgänger in dieser Zeit auch gesetzlich krankenversichert gewesen ist. Hiervon geht auch die Beklagte aus. Insofern ist dem Bescheid vom 16.08.2010 zu entnehmen, dass die Beklagte davon ausgeht, dass nachweislich des Versicherungsverlaufs des Rentenversicherungsträgers Pflichtbeiträge entrichtet worden sind. Insoweit müsse eine gesetzliche Krankenversicherung bestanden haben, mit der Schlussfolgerung, dass nur eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V vorliegen könne.

Aufgrund des Vorgenannten ist damit eine Pflichtversicherung des Rechtsvorgängers gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V ausgeschlossen, da diese Alternative voraussetzt, dass weder eine gesetzliche noch eine private Krankenversicherung bestanden hat. Wie soeben dargestellt, war der Rechtsvorgänger jedoch zuletzt gesetzlich krankenversichert.

Ausschlussgründe nach § 5 Abs. 8 a SGB V sind nicht ersichtlich.

Damit steht fest, dass der Rechtsvorgänger in der streitigen Zeit versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V gewesen ist, da die Versicherungspflicht kraft Gesetzes eintritt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte diese die Durchführung der Pflichtmitgliedschaft des Rechtsvorgängers nicht mit der Begründung ablehnen, dass nicht ermittelt werden könne, dass der Rechtsvorgänger zuletzt bei der Beklagten krankenversichert gewesen ist und damit die Zuständigkeit der Beklagten nicht nachgewiesen ist. Vielmehr ist der Rechtsvorgänger durch Ausübung des besonderen Wahlrechts im Sinne des § 174 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 173 Abs. 1 SGB V Mitglied der Beklagten geworden.

Grundsätzlich haben Versicherungspflichtige gemäß § 173 Abs. 1 SGB V ein Wahlrecht, bei welcher Krankenkasse sie Mitglied werden möchten, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Eine solche abweichende Bestimmung enthält § 174 Abs. 5 SGB V. Dieser regelt, dass abweichend von § 173 SGB V Versicherungspflichtige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse werden, bei der sie zuletzt versichert waren, andernfalls werden sie Mitglied der von ihnen nach § 173 Abs. 1 SGB V gewählten Krankenkasse; § 173 gilt. § 174 Abs. 5 SGB V regelt somit, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung der Personen zuständig ist, die bisher ohne Absicherung im Krankheitsfall gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unterliegen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 158). Diese Regelung wird in der wohl überwiegenden Rechtsprechung und Literatur dahingehend verstanden, dass Versicherungspflichtige, die zuletzt gesetzlich krankenversichert waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V) Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse werden, bei der sie zuletzt Mitglied oder familienversichert waren, wobei die Zuweisung zur früheren Krankenkasse zwingend sei, mithin dem Betroffenen die allgemeinen Wahlrechte nach § 173 SGB V nicht offenstehen, was sich aus der Formulierung "abweichend von § 173 SGB V" ergebe. Für Versicherungspflichtige, die vorher weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V), gelte das allgemeine Krankenkassenwahlrecht nach § 173 Abs. 1 SGB V. Sie werden bei Eintritt der Versicherungspflicht Mitglied der von ihnen gewählten, nach § 173 Abs. 2 SGB V wählbaren Krankenkasse (LSG NRW, Urteil vom 11.03.2010 – L 16 KR 41/09; SG Landshut, Beschluss vom 14.09.2009 – S 4 KR 129/09 ER, abrufbar unter juris; Sonnhoff in Hauck/Noftz, SGB V, 4. Band, § 174 Rdnr. 11; Baier in Krauskopf, Stand Mai 2009, § 174 Rdnr. 8; Peters in KassKomm, Stand April 2009, § 174 Rdnr. 7; Just in Becker/Kingreen, 3. Aufl. 2012, § 174 Rdnr. 4 f; Hänlein in LPK-SGB V, 4. Aufl., § 174 Rdnr. 23; Eichenhofer/Wenner/Wiegand, SGB V, 2013, § 174 Rdnr. 13 ff.; aA wohl Blöcher, jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 174 Rdnr. 9 f.). Nicht ausdrücklich erwähnt wird dabei jedoch der vorliegende Fall, in dem die letzte gesetzliche Krankenkasse nicht mehr ermittelt werden kann.

Ein solches Verständnis der Regelung, dass das Wahlrecht allein den Versicherungspflichtigen zusteht, die zuvor weder gesetzlich noch privat krankenversichert gewesen sind, hätte aber zur Folge, dass – wie hier – bei den Personen, bei denen feststeht, dass sie zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, die Voraussetzungen der Versicherungspflicht somit erfüllt sind, diese gleichwohl nicht durchgeführt werden kann, wenn nicht zu ermitteln ist, bei welcher Krankenkasse die Person zuletzt versichert gewesen ist. Dieses Ergebnis wäre jedoch unvereinbar mit der gesetzgeberischen Intention bei Einführung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V als "Auffang- bzw. Bürgerversicherung", dass für alle Einwohner in Deutschland ohne Absicherung im Krankheitsfall ein Versicherungsschutz bestehen soll (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 94). Die Ablehnung der Durchführung der Versicherungspflicht allein deswegen, weil die zuständige Krankenkasse nicht ermittelt werden kann, obwohl feststeht, dass Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V besteht, widerspricht dieser gesetzgeberischen Intention. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V vorliegen, dann kann deren Durchführung vor dem Hintergrund des Rechtsgüterschutzes des Grundgesetzes nicht durch eine Zuständigkeitsnorm zu Lasten des Versicherungspflichtigen verhindert werden.

Um die gesetzgeberische Intention mit Einführung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auch voll umfänglich umsetzen zu können, spricht somit Vieles dafür, § 174 Abs. 5 SGB V dahingehend (weiter) zu verstehen, dass das besondere Wahlrecht auch den Personen zusteht, die zwar zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, jedoch nicht ermittelt werden kann, bei welcher Krankenasse die Pflichtversicherung zuletzt bestanden hat. Nach Auffassung der Kammer wäre eine solche Auslegung des § 174 Abs. 5 SGB V durchaus vom Wortlaut erfasst, da sich die Regelung allgemein auf § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bezieht und keine Einschränkung dahingehend enthält, dass ausschließlich Versicherungspflichtige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V ein Wahlrecht nach § 173 Abs. 1 SGB V haben und den Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V auch dann kein Wahlrecht zusteht, wenn die letzte gesetzliche Krankenkasse nicht mehr ermittelt werden kann.

Ob § 174 Abs. 5 SGB V in diesem Sinne – weiter – auszulegen ist, kann jedoch dahinstehen, da den Personen, bei denen feststeht, dass sie zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, jedoch nicht ermittelt werden kann, bei welcher Krankenkasse, wie im Fall des Rechtsvorgängers, jedenfalls das besondere Wahlrecht in analoger Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V zusteht. Insoweit schließt sich das Gericht der Auffassung des Sozialgerichts Landshut in seiner Entscheidung vom 14.09.2009 (S 4 KR 129/09 ER, aaO) an, das die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Regelung in einem solchen Fall als gegeben ansieht.

Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt zum einen eine planwidrige Regelung voraus, zum anderen eine gleichartige Interessenlage. Der lückenhaft geregelte Sachverhalt muss dem Geregelten so ähnlich sein, dass der Gesetzgeber ihn, hätte er die Regelungslücke erkannt, in gleicher Weise geregelt hätte (BSGE 89, 199; 107, 217). Das Sozialgericht Landshut geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V eine unbeabsichtigte lückenhafte Regelung darstelle, da es davon ausgeht, dass der Fall, bei dem feststeht, dass eine Person zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen ist, aber die frühere gesetzliche Krankenkasse oder der Rechtsnachfolger der Krankenkasse nicht ermittelt werden kann, von dieser Regelung nicht erfasst ist. Bei einem solchen Verständnis des § 174 Abs. 5 SGB V schließt sich das Gericht der Auffassung an, dass für diesen Fall eine Regelungslücke besteht.

Diese Regelungslücke entspricht auch nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Der gesetzgeberische Zweck der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist, dass in Deutschland niemand ohne Schutz im Krankheitsfall sein soll. Hierzu wurde mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall Versicherungsschutz in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung gewährleistet. Dabei werden der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, sowie solche Personen, die zuletzt weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren, aber zu dem Personenkreis gehören, der seinem Status nach der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist. Der Gesetzesbegründung des § 174 Abs. 5 SGB V ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber regeln wollte, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung der Person zuständig ist, die bisher ohne Absicherung im Krankheitsfall gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unterliegen (SG Landshut, aaO unter Verweis auf BT-Drs. 16/3100 S. 94, 158). Den Gesetzesmaterialien ist die Wertentscheidung zu entnehmen, dass mit der Versicherungspflicht nach den §§ 5 Abs. 1 Nr. 13 a, 174 Abs. 5 SGB V Schutz im Krankheitsfall für die gesamte Bevölkerung in Deutschland gewährleistet werden soll und der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen werden, die zuletzt krankenversichert gewesen sind. Von der Gesetzessystematik her ist das besondere Wahlrecht als Annex zu verstehen, denn es regelt lediglich die Kassenzuständigkeit für den Auffangversicherungsschutz der Bürgerversicherung. Würden von dieser Regelung die Fälle nicht erfasst, in denen der Versicherungspflichtige zuletzt gesetzlich krankenversichert war, aber aufgrund der schon viele Jahre zurückliegenden Mitgliedschaft die frühere Krankenkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr ermittelt werden kann, würde es bei Nichtanwendung dieser Regelung zu einer systemwidrigen Belastung des betroffenen Versicherungspflichtigen kommen, da die gesetzgeberische Intention darin bestand, den Krankenversicherungsschutz und die Zuständigkeit der Krankenkasse umfassend zu regeln. Damit liegt eine planwidrige Regelungslücke vor (SG Landshut, aaO).

Die Interessenlage der vorher weder gesetzlich noch privat Krankenversicherten und die der zuletzt gesetzlich Krankenversicherten, bei denen die frühere Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ermittelt werden kann, ist gleichartig. Beide Personengruppen befinden sich in der Situation, dass sie auf keine letzte Krankenversicherung zurückgreifen können, entweder weil sie nie krankenversichert waren oder weil die frühere Krankenkasse nicht ermittelt werden kann. Zudem besteht im Hinblick auf die gesetzgeberische Intention kein sachlicher Grund für eine Differenzierung der Zuständigkeit im Fall derjenigen, die vorher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren und denjenigen, bei denen feststeht, dass sie zuletzt gesetzlich krankenversichert waren, jedoch nicht ermittelt werden kann, bei welcher Krankenkasse.

Hätte der Gesetzgeber die Regelungslücke erkannt, hätte er die Kassenzuständigkeit und das besondere Wahlrecht bei Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V, bei denen nicht ermittelt werden kann, bei welcher Krankenkasse sie zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind, mutmaßlich ähnlich geregelt, wie bei vorher weder gesetzlich noch privat Krankenversicherten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V. Deshalb ist eine analoge Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V gerechtfertigt (SG Landshut, aaO).

Die Versicherungspflicht des Rechtsvorgängers bestand vom 01.04.2007, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bis zu seinem Tod am 14.02.2013 (§ 190 Abs. 1 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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