S 11 AS 323/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 323/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung eines Mehraufwands wegen kostenaufwändiger Ernährung ab Januar 2010 streitig.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger stellte im Jahr 2006 erstmalig einen Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Hierbei gab er an, er zahle monatlich 250,00 EUR für seine Wohnung an seine Mutter.

Mit Bescheid vom 14.03.2006 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagter) dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.06.2006 Leistungen in Höhe von monatlich 595,00 EUR.

Am 05.04.2006 reichte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung der Dres. Fischer zu den Akten. Nach dieser litt der Kläger bei einem Gewicht von 120 kg und einer Körpergröße von 168 cm unter Hyperlipidämie bei Adipositas, Hyperurikämie bei Adipositas, Hyperzone bei Adipositas und Diabetes Typ IIa.

Für die Zeit ab Eingang der Bescheinigung bewilligte der Beklagte dem Kläger sodann zunächst monatlich weitere Leistungen für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 51,13 EUR.

Der Beklagte gewährte dem Kläger auch für die Folgezeiträume Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 51,13 EUR monatlich. So bewilligte er zuletzt mit Bescheid vom 07.12.2009 dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 660,13 EUR. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus der Regelleistung (jetzt: Regelbedarf) in Höhe von 359,00 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 250,00 EUR sowie dem Mehrbedarf in Höhe von 51,13 EUR.

Am 14.06.2010 beantragte der Kläger die Fortzahlung für die Zeit ab dem 01.07.2010. Hierbei gab er an, er benötige weiterhin einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Mit Bescheid vom 15.06.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2010 in Höhe von monatlich 609,00 EUR (Regelbedarf 359,00 EUR plus 250,00 Kosten für Unterkunft und Heizung). Eine Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung erfolgte nicht.

Auf entsprechenden Folgeantrag vom 02.12.2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 03.12.2010 dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 in Höhe von 609,00 EUR pro Monat wiederum ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs.

Mit Schreiben vom 14.12.2010 wies der Beklagte darauf hin, dass der Mehrbedarf aus rechtlichen Gründen nicht mehr gewährt werden könne. Es habe sich medizinisch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen keinen besonderen Mehrbedarf begründeten.

Gegen dieses Schreiben legte der Kläger am 14.12.2010 Widerspruch ein, welcher vom Beklagten als Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.12.2010 aufgefasst wurde und mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2011 als unbegründet zurück gewiesen wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2011 bewilligte der Beklagte – unter Berücksichtigung der Anhebung der Regelbedarfe ab dem 01.01.2011 – dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 Leistungen in Höhe von monatlich 614,00 EUR. Eine Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung erfolgte weiterhin nicht.

Am 20.06.2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen. Einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung beantragte er hierbei nicht.

Mit Bescheid vom 21.06.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 Leistungen in Höhe von monatlich 614,00 EUR.

Am 02.12.2011 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag, in dem er – unter Hinweis auf einen Beschluss des 7. Senats des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in einem Prozesskostenhilfeverfahren – nunmehr auch wieder einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung beantragte.

Mit Bescheid vom 06.12.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen in Höhe von 624,00 EUR für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2012.

Am 19.12.2011 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Er begehre im Hinblick auf die zu Unrecht erfolgte Verweigerung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung die Überprüfung ab dem 01.01.2010.

Der Kläger reichte eine Bescheinigung der Ärztin Dr. Fischer zu den Akten, wonach er unter Diabetes mellitus leide und eine Diabetikerkost benötige.

Mit Bescheid vom 06.02.2012 teilte der Beklagte mit, dass die Bescheide vom 07.12.2009, 15.06.2010, 03.12.2010, 21.06.2011 und 06.12.2011 unverändert blieben. Die Bewilligung eines Mehrbedarfs komme nicht in Betracht.

Hiergegen legte der Kläger am 22.02.2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2012 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Am 12.04.2012 hat der Kläger Klage erhoben und sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2012 zu verurteilen, ihm unter Abän derung der Bescheide vom 07.12.2009, 15.06.2010, 03.12.2010, 26.03.2011, 21.06.2011 und 06.12.2011 für die Zeit ab dem 01.01.2010 weitere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichts der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Fischer nebst ergänzender Stellungnahme sowie eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Verkehrsmedizin Dr. Ohlert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 06.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2012. Mit diesem wurde der Antrag des Klägers vom 19.12.2011 abgelehnt, mit welchem er die Bewilligung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab dem 01.01.2010 begehrt hat. Erfasst von diesem Überprüfungsantrag sind die Bescheide vom 07.12.2009, 15.06.2010, 03.12.2010, 26.03.2011, 21.06.2011 und 06.12.2011 und damit der Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2012. Allerdings ist zu beachten, dass die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist und damit kein eigenständiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein kann (vgl. Bundessozialgericht –BSG – Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R = juris Rn. 12 m.w.N.; BSG Beschluss vom 04.07.2011 - B 14 AS 30/11 B = juris Rn. 4; Landessozialgericht – LSG – Nordrhein Westfalen Urteil vom 27.08.2012 – L 19 AS 191/12 = juris Rn. 26; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 21.03.2013 – L 7 AS 1911/12). Damit ist Streitgegenstand des Verfahrens die Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2012.

Im streitgegenständlichen Zeitraum (01.01.2010 bis 30.06.2012) hat der Kläger die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 SGB II dem Grunde nach erfüllt, insofern er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat und erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II gewesen ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger in dieser Zeit – mit Ausnahme der kurzen Zeit in medizinischer Rehabilitation vom 14.07.2011 bis 04.08.2011 - nicht in der Lage gewesen ist, eine Erwerbstätigkeit mit einer Dauer von mindestens 3 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu verrichten. Der Kläger ist auch hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.3, 9 SGB II in der jeweils geltenden Fassung gewesen. Zur berücksichtigendes Einkommen gemäß § 11 SGB II oder Vermögen gemäß § 12 SGB II ist beim Kläger nicht vorhanden.

Der Beklagte hat den Bedarf des Klägers zutreffend beziffert.

Hierbei ist er von dem jeweils geltenden gesetzlichen Regelbedarf (früher: Regelsatz) und den tatsächlich anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung ausgegangen. Der Beklagte hat danach für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 zu Recht einen Bedarf in Höhe von 359,00 EUR, für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2011 in Höhe von 364,00 EUR und für die Zeit vom 01.01.2012 bis 30.06.2012 624,00 in Höhe von 374,00 EUR als Regelbedarf in Ansatz gebracht. Die Kosten für Unterkunft und Heizung wurden in tatsächlicher Höhe voll übernommen.

Der monatliche Bedarf ist nicht um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zu erhöhen. Nach dieser Norm erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R = juris Rn. 21; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 45; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 04.10.2012 - L 5 AS 15/09 = juris Rn. 23; Behrend in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21 Rn. 55).

Zur Überzeugung der Kammer besteht beim Kläger im streitigen Zeitraum kein erhöhter Bedarf aus medizinischen Gründen. Es lagen und liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die eine von der Vollkost abweichende, besondere Ernährung erfordern. Diese bedingt aber keinen Mehrbedarf (vgl. dazu vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 45 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R = juris Rn. 25; Bayerisches LSG Urteil vom 05.12.2012 - L 16 AS 483/12 = juris Rn. 30 f.). Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2009 dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 51,13 EUR bewilligte erfolgt dies nach Auffassung der Kammer zu Unrecht. Der Kläger ist durch diese zu hohe Bewilligung jedoch nicht beschwert.

Der Kläger litt im streitgegenständlichen Zeitraum unter

1. Diabetes mellitus Typ IIb, mit Metformin behandelt 2. Körperübergewicht 3. Fettstoffwechselstörung 4. Koronarer Herzerkrankung 5. Bluthochdruck-Erkrankung 6. Schilddrüsen-Unterfunktion 7. Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Klageverfahren eingeholten Befundberichte sowie des Gutachtens des Herrn Dr. Ohlert fest.

Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden ist. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Wesentliche Abweichung zu den Feststellungen der behandelnden Allgemeinmedizinerin bestehen ebenfalls nicht. Lediglich umstritten blieb die Frage, ob diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen ernährungsbedingten Mehrbedarf verursachen.

Dies ist auf Grund der überzeugenden und den medizinisch-wissenschaftlichen Stand berücksichtigenden Ausführungen des lege artis erstellen Gutachtens zu verneinen.

Die beim Kläger vorliegende Zuckerkrankheit wird derzeit mit Metformin behandelt. Diese Medikation stellt jedoch bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ IIb lediglich einen Pfeiler dar. Entscheidend ist vielmehr körperliche Aktivität sowie eine Gewichtsreduktion. Insbesondere für Letzteres ist jedoch – entsprechend den überzeugenden Feststellungen des Gutachters Dr. Ohlert keine spezielle Kost erforderlich. Weder ist es sinnvoll, eine andere Kost als normale Vollkost (etwa kalorienreduzierte oder sog. "light"-Produkte) zu sich zu nehmen, noch sind spezielle, in der allgemeinen Ernährung ungebräuchliche Produkte, erforderlich. Die früher ernährungswissenschaftliche Auffassung, bei Diabetes sei die Kohlehydratemenge zu Gunsten von einem relativ hohen Fett- und Eiweißanteil reduziert zu reduzieren, ist, worauf der Gutachter verweiset, in der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion der Ansicht gewichen, dass eine ganz normale Zusammensetzung der Nahrung, verbunden mit einer gewissen Mengenreduktion erforderlich ist. Dies führt eher zu einer Verringerung als zu einer Erhöhung der Kosten. Die – u.U. landläufig verbreitete – Vorstellung nur teure Nahrungsmittel hätten einen niedrigen Kaloriengehalt trifft nicht zu. Insbesondere pflanzliche Produkte sind, bei saisonal und regional angepasstem Einkauf, mitnichten besonderes teuer.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters ist für die Deckung des Ernährungsbedarfs des Klägers im Hinblick auf den Diabetes die bereits 2004 von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung im sog. Rationalisierungsschema beschrieben (normalen) Vollkost für die allgemeine Bevölkerung ausreichend. Bei diese Vollkost handelt es sich aber nicht um eine Krankenkost, sondern um eine Ernährungsweise, die sich am Leitbild des gesunden Menschen orientiert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 45 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R = juris Rn. 25; Bayerisches LSG Urteil vom 05.12.2012 - L 16 AS 483/12 = juris Rn. 30 f.).

Die Ausführungen des Sachverständigen stimmen auch mit den Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe des Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (Mehrbedarfsempfehlungen 2008) überein, auf die sich der Gutachter ausdrücklich bezieht. Diese sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Orientierungshilfe für Beurteilung des Vorliegens eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II heranzuziehen (BSG Urteil vom 10.05.2011 B 4 AS 100/10 R = juris Rn. 16 f.; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R= juris Rn 23; vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 47 f.).

Auch im Hinblick auf das beim Kläger bestehende Körperübergewicht (BMI bei Untersuchung durch den Sachverständigen: ca. 38kg/m2) ist eine kostenaufwändige Ernährung nicht erforderlich. Es ist, wie der Gutachter überzeugend darlegt, vielmehr eine mäßig kalorienreduzierte Ernährung zu wählen. Hierfür sind – wie bereits oben dargelegt – keine besonderen Diätprodukte erforderlich. Vielmehr sollte die Gesamtfettzufuhr reduziert (v.a. tierischer Fette) und insbesondere auf zuckerhaltige Produkte verzichtet werden. Besonders negativ in der Energiebilanz wirkt sich beim Kläger überdies aus, dass er nach eigenen Angaben auch derzeit weiterhin etwa eine Kiste Bier und eine Flasche Schnaps pro Woche konsumiert. Gerade Alkohol ist aber besonders kalorienreich. Eine zur Reduzierung des Körpergewichts notwendige Diät verursacht nach alledem keine Mehrkosten. Auch insoweit verweist der Gutachter zutreffend und überzeugend auf den derzeitigen Stand der Ernährungswissenschaften sowie auch auf die Feststellungen in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 (vgl. hierzu auch etwa LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 28.02.2012 - L 9 AS 585/08 = juris Rn. 34 f.)

In Bezug auf die beim Kläger bestehende Fettstoffwechselstörung ist eine besondere, mit höheren Kosten als (normale) Vollkost entsprechend dem Rationalisierungsschema nicht erforderlich (vgl. hierzu etwa auch LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 25.07.2012 - L 5 AS 436/10 = juris Rn. 33 ff.). Als evidenzbasierte therapeutische Maßnahme kommt bei Fettstoffwechselstörungen eine medikamentöse Behandlung mit dem Wirkstoff Statin (etwa Simvastatin der Pravastatin) in Betracht. Eine besondere "lipidsenkende" Kost ist nach aktuellem Stand der Ernährungswissenschaft nicht erforderlich. Vor dem Hintergrund, dass eine Feststoffwechselerkrankung aber das Risiko für das Eintreten bzw. beim Kläger das Fortschreiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, sollte die Ernährung insbesondere daran angepasst sein, die übrigen Risikofaktoren, insbesondere das Übergewicht, zu reduzieren. Auch ist pflanzlichen Fetten der Vorrang vor tierischen Fetten einzuräumen. Dass hierfür keine erhöhten Kosten entstehen wurde bereits oben ausführlich dargelegt. Soweit die Mehrbedarfsempfehlungen 1997 noch einen Mehrbedarf auswiesen, ist dies – dem aktuellen Stand der Erkenntnisse angepasst – in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nicht mehr der Fall. Das Gleiche gilt für die beim Kläger bereits bestehende koronare Herzerkrankung. Hier sind die beim Kläger bestehenden Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Übergewicht, Fettstoffwechselstörung) zu verringern bzw. zu beseitigen. Wie oben bereits dargelegt ist hierfür eine kostenaufwändige Ernährung nicht erforderlich. Entsprechend den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 ist auch bei arterieller Hypertonie eine Ernährung mit Vollkost ausreichend. Hierbei sollte aber auf eine sparsame Verwendung von Kochsalz geachtet werden. Mehrkosten entstehen hierdurch – so überzeugend auch der Gutachter – nicht.

Soweit der Kläger unter einer Schilddrüsen-Unterfunktion leidet, wird diese mit Hormonsubstitution (L-Thyroxin 125) behandelt. Eine spezielle – gar kostenaufwändige – Ernährung ist in diesem Zusammenhang nach den Feststellungen des Gutachters, denen sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt – nicht erforderlich.

Schließlich ist auch im Hinblick auf die degenerativen Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates eine Gewichtsreduktion medizinisch angezeigt. Wie bereits mehrfach dargelegt, entstehen hierdurch – in Übereinstimmung mit den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 und den Feststellungen des Gutachters Dr. Ohlert – keine Mehrkosten.

Soweit der Kläger höhere Leistungen wegen kostenaufwändiger Ernährung seit dem 01.01.2010 geltend macht, sei er darauf verwiesen, dass ihm bis zum 30.06.2010 diese Leistungen vom Beklagten bewilligt wurden. Zur Überzeugung der Kammer stand ihm auch bereits in diesem Zeitraum ein entsprechender höherer Leistungsanspruch nicht zu. Eine Verböserung zu Lasten des Klägers (reformatio in peius) kommt allerdings nicht in Betracht. Aus der Tatsache, dass der Beklagte – trotz des Vorliegens neuerer medizinischer Erkenntnisse durch die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 – noch bis zum 30.06.2010 einen Mehrbedarf bewilligte hatte, kann der Kläger auf der anderen Seite aber auch keinen Rechtsanspruch für eine – ungerechtfertigte Weitergewährung – herleiten (so zutreffend auch Bayerisches LSG Urteil vom 05.12.2012 - L 16 AS 483/12 = juris Rn. 33).

Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Mehrbedarfs nach den übrigen Regelungen des § 21 SGB II, der durch die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1 /09 - geschaffenen Härtefallregelung oder eines Sonderbedarfs nach § 23 Abs. 3 SGB II i.d.F bis zum 31.12.2010 (a. F.) sind vom Kläger weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich (vgl. dazu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 49). Ebenso hat beim Kläger im streitigen Zeitraum keine atypische Bedarfslage bestanden (vgl. zu den Ansprüchen bei atypischen Bedarfslagen: BSG Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 13/10 R; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 1237/11 = juris Rn. 49). Weder nach Aktenlage noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich Hinweise auf eine solche Bedarfslage.

Die Kammer konnte die Streitsache auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden, ohne seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) zu verletzen. Der Kläger war auf diese Möglichkeit in der Ladung zum Termin hingewiesen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Aachen, Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-aachen.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Aachen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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