L 4 KR 1908/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1255/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1908/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. April 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt, ihm vorläufig Krankengeld über den 27. März 2013 hinaus zu zahlen.

Der Antragsteller ist seit 1. Juli 2011 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Krankenversicherung versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin. Seit 29. September 2011 ist er arbeitsunfähig erkrankt und bezog im Anschluss an die Leistungsfortzahlung der Agentur für Arbeit ab 10. November 2011 Krankengeld von der Antragsgegnerin. Mit Bescheid vom 7. Februar 2013 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sein Anspruch auf Krankengeld am 27. März 2013 erschöpft sei. Darüber hinaus könne keine Krankengeldzahlung erfolgen. Auf die Höchstbezugsdauer des Krankengeldanspruch seien die Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 29. September 2011 bis 27. März 2013, insgesamt 546 Tage, anzurechnen. Seit 28. März 2013 erhält der Antragsteller erneut Arbeitslosengeld.

Gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2013 erhob der Antragsteller unter dem 5. März 2013 Widerspruch, den er insbesondere (unter anderem mit Verweis auf Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 12. November 2010 und 16. März 2012) damit begründete, dass ihm Krankengeld von Anfang an unbefristet auf Dauer bewilligt worden sei und die Antragsgegnerin diese Bewilligung nicht - auch nicht konkludent - aufgehoben habe sowie ihn vor Erlass des Bescheides vom 7. Februar 2013 nicht angehört habe. Über den Widerspruch hat die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden.

Am 8. April 2013 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG), festzustellen, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe, hilfsweise die Antragsgegnerin durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm über den 27. März 2013 hinaus Krankengeld zu zahlen. Er wiederholte die Begründung seines Widerspruchs und legte die Auszahlscheine für Krankengeld des Orthopäden Dr. L. vom 6. März und 8. April 2013, in denen Dr. L. jeweils wegen der bekannten Diagnosen Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis auf weiteres bescheinigte, vor.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Da dem Antragsteller innerhalb der vom 29. September 2011 bis 28. September 2014 laufenden Blockfrist für 78 Wochen Krankengeld gezahlt worden sei, ende der Anspruch auf Krankengeld am 27. März 2013. Die finanzielle Absicherung des Antragstellers sei nahtlos sichergestellt. Der Widerspruch habe im Hinblick auf die abschnittsweise Gewährung des Krankengelds keine aufschiebende Wirkung.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 17. April 2013 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Für einen Antrag auf gerichtliche Feststellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7. Februar 2013 fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Die Feststellung oder Anordnung würde die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Antragstellers nicht verbessern. Denn dies führe wegen der typischerweise abschnittsweise erfolgenden Bewilligung von Krankengeld nicht ohne weiteres zur Zahlung von Krankengeld ab dem 28. März 2013. Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin einen ausdrücklichen Bescheid über die Bewilligung von Krankengeld über den 27. März 2013 hinaus erlassen habe. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf vorläufige Zahlung von Krankengeld ab dem 28. März 2013. Es liege kein Anordnungsanspruch vor, da die Anspruchsdauer von 78 Wochen erschöpft sei. Außerdem bestehe aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld auch kein Anordnungsgrund.

Am 24. April 2013 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Er wiederholt erneut sein bisheriges Vorbringen und vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass die Rechtsanwendung gegen Artikel 3 und 14 Grundgesetz (GG) sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße.

Der Antragsteller beantragt sachgerecht gefasst,

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. April 2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 5. März 2013 gegen den Bescheid vom 7. Februar 2013 festzustellen, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufig ab 28. März 2013 Krankengeld zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Beschluss des SG an. Der Anspruch auf Krankengeld ende nach Erreichen der gesetzlichen Höchstbezugsdauer von 78 Wochen kraft Gesetzes.

Zur weiteren Darstellung auch des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verwaltungsakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 173 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn der Antragsteller begehrt die weitere Zahlung von Krankengeld auf unbestimmte Zeit.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, nach § 86b Abs. 1 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 7. Februar 2013 festzustellen bzw. anzuordnen (hierzu 1.). Der Antragsteller kann auch nicht im Wege des einstweiligen Anordnung im Sinne einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG die Zahlung von Krankengeld von der Antragsgegnerin verlangen (hierzu 2.).

1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7. Februar 2013 nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG scheitert bereits daran, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Februar 2013 gemäß § 86a Abs. 1 SGG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Die Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 SGG, wonach die aufschiebende Wirkung entfällt, liegen nicht vor.

Auch eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung kommt nicht in Betracht. Zwar kann das Gericht auf Antrag durch deklaratorischen Beschluss aussprechen, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 15). Es fehlt jedoch am Rechtsschutzbedürfnis für diese Feststellung. Denn es ergäbe sich kein Anspruch des Antragstellers, auch ab dem 28. März 2013 von der Antragsgegnerin Krankengeld zu erhalten.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Der Antragsteller war ab 29. September 2011 arbeitsunfähig. Der Dreijahreszeitraum läuft damit vom 29. September 2011 bis 28. September 2014. Innerhalb dieses Zeitraums bezog der Antragsteller für 78 Wochen (= 546 Kalendertage) Krankengeld, nämlich vom 29. September 2011 bis 27. März 2013. Der Zeitraum vom 29. September bis 9. November 2011, in welchem der Antragsteller Leistungsfortzahlung von der Agentur für Arbeit erhielt und deshalb der Anspruch auf Krankengeld ruhte (§ 49 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 SGB V), ist bei der Berechnung der Leistungsdauer zu berücksichtigen (§ 48 Abs. 3 Satz 1 SGB V).

Mit dem Bescheid vom 7. Februar 2013 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab 28. März 2013 ab. Es handelt sich mithin um eine Leistungsablehnung. Ein gegen die Ablehnung einer Sozialleistung gerichteter Widerspruch hat nicht die Folge, dass der Leistungsträger zunächst die begehrte Sozialleistung zu zahlen oder gewähren hätte.

Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, die Antragsgegnerin habe ihm Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, sogar über die gesetzliche Höchstdauer von 78 Wochen, bewilligt, und diese Bewilligung nicht nach den Vorschriften der §§ 45 oder 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben. Seine Ausführungen zur Notwendigkeit der Aufhebung eines Bewilligungsbescheids gehen deshalb ins Leere. Eine solche Bewilligung hat der Antragsteller - wie bereits das SG im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat - lediglich behauptet, jedoch nicht belegt. Er hat keinen Bescheid der Antragsgegnerin mit der Verfügung, er erhalte Krankengeld für die gesamte Dauer der Arbeitsunfähigkeit, insbesondere auch über die gesetzliche Höchstgrenze von 78 Wochen hinaus - was rechtswidrig wäre -, vorgelegt. Eine solche Bewilligung ist auch nicht wahrscheinlich. Eine Bewilligung von Krankengeld nicht nur abschnittsweise, sondern auch auf unbestimmte Zeit ist zwar denkbar; in der Praxis kommen derartige Fälle indessen nur ausnahmsweise und nur in atypischen Konstellationen vor. Vielmehr wird Krankengeld typischerweise abschnittsweise bewilligt, und es ist für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils neu zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 22/04 R -, in juris).

2. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein. Geht es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums, ergeben sich aus Artikel 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Ist das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, in juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 2 BvR 311/03 -, in juris). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das die Antragsteller mit ihrem Begehren verfolgen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzubeziehen.

a) Wie das SG im angefochtenen Beschluss dargelegt und zutreffend entschieden hat, fehlt dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin. Wie unter 1.) dargelegt hat der Kläger ab 28. März 2013 keinen Anspruch auf Krankengeld mehr, weil er innerhalb von drei Jahren für 78 Wochen Krankengeld erhalten hat (§ 48 Abs. 1 SGB V).

Verfassungsrechtliche Bedenken drängen sich - unabhängig davon, dass eine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht angezeigt ist - nicht auf. Die Regelung des § 48 Abs. 1 SGB V will sicherstellen, dass die gesetzliche Höchstbezugsdauer bei Arbeitsunfähigkeit sowohl bei identischen Krankheiten als auch bei bestimmten unterschiedlichen und wechselnden Krankheitsbildern nicht überschritten wird, weil es in erster Linie der gesetzlichen Rentenversicherung obliegt, bei dauerhaft eingetretener Erwerbsminderung des Versicherten Entgeltersatzleistungen zur Verfügung zu stellen, während die gesetzliche Krankenversicherung typischerweise nur für den Ausgleich des entfallenden laufenden Arbeitsentgelts bei vorübergehenden, das heißt behandlungsfähigen Gesundheitsstörungen eintritt (BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B 1 KR 27/04 R -, in juris).

b) Dem SG folgend verneint der Senat auch einen Anordnungsgrund. Dem Antragsteller entstehen durch die Weigerung der Antragsgegnerin keine schweren und unzumutbaren Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr in der Lage wäre. Denn der Antragsteller erhält seit 28. März 2013 Arbeitslosengeld.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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