L 7 SB 33/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 SB 113/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 33/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Der am ... 1948 geborene Kläger beantragte am 23. Januar 2006 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen. Der Beklagte zog den Rehabilitationsbericht B. vom 23. Februar 2006 mit den Diagnosen koronare Drei-Gefäßerkrankung (Infarkt 11/05, Re-Infarkt 12/05, Bypass-Operation 12/05), arterielle Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, Diabetes mellitus Typ 2b (diätetisch eingestellt), Schlafapnoe-Syndrom (CPAP Therapie seit 1991), chronische Niereninsuffizienz Stadium 1 und Penicillinallergie (generalisiertes Ekzem) bei. Nach dem Bericht war die linksventrikuläre Pumpfunktion des Herzens eingeschränkt gewesen (Ejektionsfraktion (EF) 36% bis 39%). Eine Fahrradergometrie habe bis 125 Watt durchgeführt werden können (Abbruch wegen muskulärer Erschöpfung, keine Angina pectoris, keine kardiale Belastungsischämie). Außerdem holte der Beklagte einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 13. April 2006 ein, der über eine instabile Blutdrucksituation mit Werten bis 185/105 mmHg berichtete. Dem Kläger fehle eine gute physische Belastung, die für die Ausübung seines Berufes (Rohrschlosser) benötige. Die Therapie werde weiter optimiert. In Anlage übersandte Dr. K. einen Arztbrief der Fachärztin für HNO-Krankheiten H. vom 9. März 2006, die über eine Hochtonschwerhörigkeit beiderseits und Tinnitus aurium rechts berichtet hat. In der ebenfalls übersandten Epikrise des Kreiskrankenhauses Sch. vom 8. Dezember 2005 sind folgende Diagnosen angegeben worden: Re-Infarkt bei akutem Lungenödem und Stauungspneumonie, obstruktives Schlafapnoesyndrom mit CPAP-Therapie, Penicillinallergie, Zustand nach Appendektomie, arterielle Hypertonie Stadium II, diätetisch geführter Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipoproteinämie und chronische Niereninsuffizienz im Stadium der kompensierten Retention. Schließlich berichtete der Facharzt für Urologie Dr. H. mit Befundschein vom 6. Juni 2006, bei der letzten urologischen Kontrolle im Januar 2006 seien die Laborwerte in Ordnung (Kreatininwert) und der Kläger beschwerdefrei gewesen. Die beteiligte ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. W. schlug in Auswertung der Befunde für die Herzleistungsminderung bei Bluthochdruck und Herzdurchblutungsstörungen und Bypassoperation einen GdB von 20, das Schlafapnoe-Syndrom einen GdB von 20, den Diabetes mellitus einen GdB von 10 sowie einen Gesamt-GdB von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2006 bei dem Kläger einen GdB von 30 fest.

Dagegen legte der Kläger am 24. Juli 2006 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend: Für die Herzerkrankung sei ein Einzel-GdB von 20 bis 40 und die Bluthochdruckerkrankung von wenigstens 40 anzusetzen. Des Weiteren seien der Diabetes mellitus Typ 2b, das Schlafapnoesyndrom und die chronische Niereninsuffizienz Stadium I zu berücksichtigen. Darüber hinaus bestehe eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, die seine Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einschränke. Daher sei ein GdB von wenigstens 50 festzustellen. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2007 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Dagegen hat der Kläger am 16. Mai 2007 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und zur Begründung vorgetragen: Für die Nierenerkrankung sei ein Einzel-GdB von 20 bis 30 zu berücksichtigen. Außerdem seien jeweils ein Einzel-GdB für die Hörstörung und das Schlafapnoesyndrom festzustellen. Der Kläger hat eine vorläufige Epikrise des Klinikums Sch. vom 10. November 2009 mit folgenden Diagnosen vorgelegt: Schwindel bei hypotoner Dysregulation, Dreigefäß-Koronare Herzkrankheit (aktuelle EF 40%), chronisches Vorhofflimmern – orale Antikoagulation, arterieller Hypertonus Stadium II nach WHO, Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipoproteinämie, obstruktives Schlafapnoesyndrom mit CPAP-Maskenbeatmung, Zustand nach Appendektomie und bekannte Penicillinallergie.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Der Chirurg Dr. M. hat am 27. März 2010 über die einmalige Behandlung des Klägers am 10. Dezember 2008 wegen Schmerzen in beiden Daumen berichtet. Die Röntgenuntersuchung habe eine deutliche Verschleißerscheinung (Arthrose) an beiden Daumensattelgelenken gezeigt. Operative Maßnahmen wünsche der Kläger nach Beendigung seines Berufslebens. Die Rhizarthrose verursache Schmerzen beim Zugreifen und eine schmerzbedingte Kraftminderung der Hand. Mit Befundbericht vom 19. März 2010 hat Dr. H. über eine Blasenentleerungsstörung (häufiges Urinlassen/Harndrang) berichtet, die die Leistungsfähigkeit leicht einschränke. Der Urinbefund und die Sonografie seien unauffällig gewesen. Die chronische Niereninsuffizienz sei im Stadium der kompensierten Retention. Die Fachärztin für Innere Medizin J. hat in ihrem Befundbericht vom 29. März 2010 eine cardiopulmonal altersentsprechend ausreichende Belastbarkeit mitgeteilt. Der Diabetes mellitus werde mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhten. In Anlage hat sie einen Arztbrief der Internistin/Kardiologin Dr. R. vom 17. September 2007 übersandt, wonach der Blutdruck bei 134/89 mmHg gelegen habe. Die Fahrradergometrie vom 13. September 2007 sei bei 150 Watt wegen Erreichen der Ausbelastungsherzfrequenz abgebrochen worden. Mit Befundbericht vom 19. April 2010 hat Dr. R. berichtet, die Fahrradergometrie vom 4. März 2009 sei bei 150 Watt wegen Erreichen der Ausbelastungsherzfrequenz (regelrechtes Blutdruckverhalten, kein Ischämienachweis) abgebrochen worden. Die Echokardiografie vom 8. September 2009 habe einen normalgroßen linken Ventrikel, einen grenzwertig vergrößerten linken Hof und eine mittelgradig reduzierte Pumpfunktion (EF 40%) gezeigt. Außerdem leide der Kläger an chronischem Vorhofflimmern. Der Diabetes mellitus Typ 2 sei tablettenpflichtig (Metformin). Aus den vorgezeigten Einschränkungen resultiere eine Belastungsluftnot. Zudem nehme der Kläger ständig Falithrom ein und trage eine Schlafmaske. Die Bluthochdruckerkrankung hat Dr. R. als schwere Form (Linksherzhypertrophie, chronisches Vorhofflimmern) eingeschätzt. Außerdem liege eine Herzerkrankung mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung auf Grund der eingeschränkten Pumpfunktion vor. Der Facharzt für HNO Dipl.-Med. O. hat mit Befundbericht vom 20. April 2010 mitgeteilt, er habe den Kläger wegen des Schlafapnoesyndroms behandelt. Zur Schwerhörigkeit und zum Tinnitus könne er keine Aussagen machen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie Dipl.-Med. M. hat mit Befundschein vom 7. April 2010 berichtet, der Diabetes mellitus werde mit Metformin behandelt und der Blutzucker werde einmal pro Woche gemessen. Der letzte HbA1c-Wert habe bei 6,5% gelegen. Den Bluthochdruck hat sie als mittelschwere Form auf Grund des chronischen Vorhofflimmerns, des Fundus hypertonicus, der teilweise Ödeme, der konzentrierten Wandhypertrophie und der mittelgradig reduzierten Pumpfunktion bewertet. Die Herzrhythmusstörungen und die Herzerkrankung bestünden ohne andauernde Leistungsbeeinträchtigung. In Anlage hat sie einen Arztbrief des Fachkrankenhauses V. vom 14. Januar 2010 übersandt, wonach beim Kläger eine Lumboischialgie rechts bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Osteochondrose/Spondylarthrose und eine mittelgradige Coxarthrose beidseitig vorliegen. Folgender Befund war erhoben worden: Schober 10/13 cm, Retroflexion 20° schmerzhaft, Seitneige rechts/links 20/0/20° nach der Neutral-Null-Methode, Fingerbodenabstand 40 cm. Bezüglich der Hüften war eine Innenrotationsaufhebung links und eine Begrenzung rechts auf 10° bei ansonsten freier Beweglichkeit festgestellt worden. Zudem hat Dipl.-Med. M. einen Arztbrief von Dr. H. vom 10. April 2010 (einschließlich Audiogramm vom 7. April 2010) übersandt, in dem diese über eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit und einen beidseitigen Tinnitus aurium berichtete hatte. Außerdem hat das SG den Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 14. Mai 2010 eingeholt, die aus nervenärztlicher Sicht Funktionsstörungen oder Einschränkungen verneint hat. Ohrgeräusche des Klägers seien ihr nicht bekannt.

In Auswertung der Befunde hat die ärztliche Gutachterin des Beklagten S. das Herz-Kreislauf-Leiden mit 20 bewertet, da der Bluthochdruck zu Augenhintergrundsveränderungen und einer Linksherzhypertrophie geführt habe. Die Herzdurchblutungsstörung begründe bei einer Ergometriebelastung bis 150 Watt einen Einzel-GdB von 10. Daneben bestünden Herzrhythmusstörungen mit der Notwendigkeit der dauerhaften Behandlung mit blutverdünnenden Mitteln mit einem Einzel-GdB von 10. Das Schlafapnoesyndrom rechtfertige einen GdB von 20 und der Diabetes mellitus Typ 2, der mit Metformin behandelt werde, einen GdB von 10. Nach dem Tonaudiogramm bestehe rechts ein Hörverlust von 38% und links von 33%, was einen Einzel-GdB von 15 rechtfertige. Das für die versorgungsmedizinische Bewertung notwendige Sprachaudiogramm fehle. Da es aber ein besseres Ergebnis erwarten lasse, sei eine GdB-beeinflussende Hörminderung nicht anzunehmen. Der beidseitige Tinnitus rechtfertige einen Einzel-GdB von 10, ebenso wie das Wirbelsäulenleiden. Eine radikuläre Läsion liege nicht vor. Da bei Laboruntersuchungen der Kreatininwert immer im Normbereich gelegen habe (nur 2/2010 einmalig ein erhöhter Wert), lasse sich daraus kein GdB für eine Nierenerkrankung ableiten. Eine Arthrose der Daumensattelgelenke bei freier Beweglichkeit der Gelenke rechtfertige keinen GdB, sodass weiterhin ein Gesamt-GdB von 30 vorliege.

Schließlich hat das SG durch die Fachärztin für Innere Medizin Dr. H. das Gutachten vom 23. Februar 2011 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 8. Oktober 2010 erstatten lassen. Die Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:

Herzinsuffizienz NYHA II bis III

durch leichtgradig eingeschränkte Pumpfunktion bei Koronarsklerose mit belastungsabhängiger Durchblutungsstörung des Herzmuskels und Zustand nach Herzinfarkt 11/2005 + 12/2005 mit Lungenödem.

Bluthochdruck mit Linksherzhypertrophie und Fundus hypertonicus.

Mittelschnelles Vorhofflimmern durch absolute Arrhythmie, Dauerantikoagulation.

Diabetes mellitus, mit Metformin kompensiert.

Chronisches Lendenwirbelsyndrom bei Spondylose, Osteochondrose und Spondylarthrose ohne neurologische Ausfälle.

Prostatahypertrophie und Pollakisurie.

Schlafapnoe-Syndrom, mit CPAP-Gerät versorgt.

Hochtonschwerhörigkeit und Tinnitus beidseits.

Daumensattelgelenkarthrose beidseits.

Koxarthrose.

Gonarthrose.

Periarthritis humeroscapularis rechts.

Dr. H. hat ausgeführt, eine wesentliche Änderung sei in den gesundheitlichen Verhältnissen seit der Antragstellung am 17. Januar 2006 nicht eingetreten. Der Bluthochdruck neige nicht zur Dekompensation unter Alltagsbedingungen und es hätten keine manifesten kardiopulmunalen Insuffizienzzeichen bestanden. Im Belastungstest habe der Kläger unter adäquater Blutdruckregulation 100 Watt ohne Zeichen koronarer Durchblutungsstörungen erreicht. Außerdem sei eine Retinopathia hypertonica bekannt. Es handele sich zusammengefasst um eine mittelschwere Form der Hypertonie, die wegen der Linksherzhypertrophie und Augenhintergrundsveränderung mit einem GdS von 20 zu bewerten sei. Für die Koronarsklerose, bei ergometrisch unauffälligem Befund und nachgewiesener leichtgradiger Pumpfunktionsstörung mit Angina pectoris und Atemnot unter mindest mittelschwerer Anforderung sei ein GdS von 10 festzustellen. Trotz der im Juli 2007 hinzugekommenen Herzrhythmusstörung sei die Belastbarkeit bei 125 bis 150 Watt geblieben. Die etwas geringere Leistung von 100 Watt im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung habe 65% der submaximalen Soll-Leistung betragen. Hinweise für eine Belastungskoronarinsuffizienz hätten sich wiederum nicht ergeben. Damit könne eine Dauerbelastbarkeit für leichte bis mittelschwere körperliche Anforderungen unterstellt werden. Farbdopplerechokardiografisch gleichbleibend sei eine leicht- bis mittelschwer eingeschränkte systolische Linksherzfunktion zu bestätigen. Die Herzleistungsminderung sei die Summe aus den Folgen der Rhythmusstörungen und der koronaren Herzkrankheit, deren Ausmaß mit Ergometrie und Echokardiografie erfasst sei und deshalb keine höheren GdS rechtfertige. Lediglich die Dauerantikoagulation mit Notwendigkeit von Laborkontrollen und erforderlicher Vorsicht bei Handlungen mit Verletzungsgefahren könne mit einem GdS von 10 berücksichtigt werden. Die Herzleistungsminderung bei mehr als mittelschwerer Belastung in Folge Hypertonie, belastungsabhängiger koronarer Durchblutungsstörung und mittelschneller Rhythmusstörung sei insgesamt mit einem Gesamt-GdS von 20 zu bewerten. Der Diabetes mellitus sei mit Metformin kompensiert. Das Medikament besitze keine Hypoglykämieneigung. Solche Zustände habe der Kläger auch verneint. Der Therapieaufwand sei gering, denn die Blutzuckerwerte würden einmal monatlich selbst und daneben bei der Hausärztin bestimmt. Diabetische Folgeerkrankungen lägen nicht vor, so dass ein GdS von 10 gerechtfertigt sei. Das chronische Wirbelsäulensyndrom sei mit degenerativen Veränderungen zu erklären. Die Beweglichkeit der Gesamtwirbelsäule sei leicht beeinträchtigt gewesen. Sensomotorische Ausfälle lägen nicht vor, so dass für das leichte chronische Wirbelsäulensyndrom ein GdS von 10 vorliege. Die schlafbezogene Atmungsstörung werde kontinuierlich mit nasaler Überdruckbeatmung ausgeglichen, so dass dafür ein GdS von 20 gerechtfertigt sei. Die Schwerhörigkeit sei nach dem letzten Tonaudiogramm des behandelnden HNO-Arztes vom April 2010 geringgradig und ergebe einen GdS von 15 für das rechte bzw. linke Ohr. Auch der Tinnitus liege mit einem GdS von 10 im Ermessensspielraum, da keine erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen bestünden. Harndrang und gesteigerte Blasenentleerungsfrequenz bei gutartig vergrößerter Vorsteherdrüse seien nicht berücksichtigungsfähig, da keine Rückwirkung auf die Nierenfunktion oder eine Harninkontinenz vorliege. Die geringen Funktionsstörungen an Hüft- und Kniegelenken, Daumensattelgelenken und rechtem Schultergelenk seien nicht berücksichtigungsfähig. Der Gesamt-GdS betrage 30 ab Antragstellung, da eine wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht eingetreten sei. Im Vordergrund stehe die Herzleistungsminderung bei mehr als mittelschwerer Belastung. Daneben werde der Behinderungsgrad durch das behandlungsbedürftige Schlafapnoe-Syndrom erhöht. Die leichtgradigen Folgen der weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen wirkten sich nicht erhöhend aus.

Mit Urteil vom 18. April 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf sei ein GdB von 20 angemessen, wie auch die Sachverständige eingeschätzt habe. Der Kläger habe gegenüber seinen behandelnden Ärzten allgemeines Wohlbefinden und eine gute Belastbarkeit geäußert. Eine wesentliche Einschränkung der Nierenfunktion bestehe nicht, denn die Kreatininwerte lägen im Normbereich. Das Schlafapnoesyndrom sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Weitere geringfügige Funktionseinschränkungen (Diabetes mellitus, Wirbelsäulensyndrom und Hörminderung mit Tinnitus), die keinen GdB von mindestens 20 bedingten, wirkten sich auf die Höhe des Gesamt-GdB nicht aus. Der vom Beklagten festgesetzte Gesamt-GdB von 30 sei nicht zu beanstanden und entspreche der Einschätzung im internistischen Gutachten vom Februar 2011.

Gegen das ihm am 27. April 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. April 2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und sich zur Begründung auf das Vorbringen im Verwaltungs- und im Klageverfahren bezogen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. April 2011 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, beim ihm ab 23. Januar 2006 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte sieht sich durch das Gutachten von Dr. H. und die erstinstanzliche Entscheidung des SG bestätigt.

Am 11. Mai 2012 hat eine nichtöffentliche Sitzung vor dem LSG stattgefunden, in der die Beteiligten darauf hingewiesen worden sind, dass von Amts wegen keine weiteren Ermittlungen beabsichtigt seien. Mit Schreiben vom 22. November 2012 hat sich der Kläger und mit Schreiben vom 12. Dezember 2012 der Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte ergänzend verwiesen. Diese waren Gegenstand der Beratung des Senates und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten und das Urteil des SG Magdeburg vom 18. April 2011 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.

Die Klage gegen den Bescheid vom 23. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2007 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R - SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22).

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäben entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich nahezu unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2005 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind im Wesentlichen nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Die Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 19)).

Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 33) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 33).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers ein GdB von 30 ab der Antragstellung bis zum jetzigen Zeitraum festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten der Dr. H., den Reha-Entlassungsbericht B. sowie auf die Berichte der behandelnden Ärzte des Klägers nebst Anlagen und die Bewertung dieser medizinischen Unterlagen durch die Versorgungsärzte des Beklagten.

1.

Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem Herz-Kreislauf. Die Herzinsuffizienz NYHA II bis III durch die eingeschränkte Pumpfunktion bei Koronarsklerose mit belastungsabhängiger Durchblutungsstörung des Herzmuskels und Zustand nach Herzinfarkten und Bypass-Operation, Bluthochdruck mit Linksherzhypertrophie und Fundus hypertonicus, das Vorhofflimmern durch absolute Arrhythmie und die Dauerantikoagulation rechtfertigen für das Funktionssystem insgesamt einen GdB von 20 seit der Antragstellung am 23. Januar 2006.

Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B, Nr. 9, S. 46) kommt es bei Herz-Kreislauferkrankungen nicht auf die Art der Erkrankung, sondern auf die jeweilige konkrete Leistungseinbuße an. Daher lassen die Vielzahl der kardiologischen Diagnosen keinen Rückschluss auf die bestehenden Funktionseinschränkungen des Klägers zu. Bei der Beurteilung des Behinderungsgrads ist zunächst von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen dabei lediglich Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil B, Nr. 9, S. 46).

Nach Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 51) ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen, mit einem GdB von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grads (Augenhintergrundsveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung. Das nach den medizinischen Unterlagen als übereinstimmend mit WHO II eingeordnete Bluthochdruckleiden haben die Sachverständige Dr. H. als auch behandelnde Ärztin Dipl.-Med. M. als mittelschwere Form im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bewertet. Beim Kläger liegen eine Linksherzhypertrophie und damit eine Organbeteiligung des Herzens sowie Augenhintergrundveränderungen vor, die eine Bewertung mit einem GdB von 20 rechtfertigen. Ein mittelschweres Bluthochdruckleiden eröffnet nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen zwar auch eine Bewertungsmöglichkeit mit 30 bzw. 40. Der Bewertungsrahmen kann hier aber nicht weiter ausgeschöpft werden, denn weitere Organbeeinträchtigungen sind nicht erkennbar und die Leistungsfähigkeit aufgrund der Bluthochdruckerkrankung ist trotz der Herzbeteiligung nicht wesentlich eingeschränkt. Außerdem ist kein diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung des Klägers nachgewiesen. Des Weiteren hat Dr. H. darauf hingewiesen, der Bluthochdruck neige nicht zur Dekompensation unter Alltagsbedingungen und es lägen keine manifesten kardiopulmunalen Insuffizienzzeichen vor. Im Belastungstest habe der Kläger unter adäquater Blutdruckregulation 100 Watt ohne Zeichen koronarer Durchblutungsstörungen erreicht. Auch nach den Ausführungen von Dr. R. (Befundbericht vom 19. April 2010) ist die Fahrradergometrie bis 150 Watt bei regelrechtem Blutdruckverhalten und ohne Ischämienachweis durchgeführt worden. Im Übrigen dokumentieren die Feststellungen der linksventrikulären Funktion mit einer Ejektionsfraktion von 40 % (Echokardiographie vom 8. September 2009) nach den Ausführungen von Dr. H. nur eine leichtgradige Beeinträchtigung der Pumpfunktion des Herzens (normal 55 %, mittelschwer unter 39%, schwer unter 30%). Daher hat Dr. H. auch eine Dauerbelastbarkeit für leichte bis mittelschwere Arbeiten unterstellt und auch die Fachärztin für Innere Medizin J. in ihrem Befundbericht vom 29. März 2010 eine cardiopulmonal altersentsprechend ausreichende Belastbarkeit mitgeteilt. Unter Berücksichtigung dieser nur leichten Einschränkungen ist die Einordnung der Bluthochdruckerkrankung durch Dr. R. als schwere Form nicht mit dem Bewertungsmaßstab der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vereinbar. Schließlich können die Ausführungen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 13. April 2006 über eine instabile Blutdrucksituation mit Werten bis 185/105 mmHg und fehlende gute physische Belastbarkeit unmittelbar nach den Herzinfarkten und der Bypass-Operation nicht als dauerhafte Funktionsstörung bewertet werden. Zu diesem Zeitpunkt war noch von einem Behandlungsleiden auszugehen, da auch Dr. K. darauf hingewiesen hatte, dass die Therapie weiter optimiert werden müsse. Derartige Einschränkungen sind in der Folgezeit auch nicht mehr berichtet worden.

Für die Koronarsklerose, bei ergometrisch unauffälligem Befund bis 100 bzw. 150 Watt und nachgewiesener leichtgradiger Pumpfunktionsstörung mit Angina pectoris und Atemnot unter mindest mittelschwerer Anforderung ist nach den Ausführungen von Dr. H. ein GdB von 10 festzustellen. Dieser Einschätzung folgt der Senat, denn dies entspricht den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B, Nr. 9.1.1, S. 63 ff). Danach ist bei einer Krankheit des Herzens und einer Einschränkung der Herzleistung ein GdB von 0 bis 10 festzustellen, wenn keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z.B. sehr schnelles Gehen, schwere körperliche Arbeit) und keine Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung vorliegen. Erst eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen, mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastungen mit 75 Watt (wenigstens zwei Minuten) rechtfertigen einen Einzel-GdB von 20 bis 40. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, denn der Kläger hat nach dem Bericht der Rehabilitationsklinik B. vom 23. Februar 2006 einen Ergometriestufenbelastungstest bis 125 Watt ohne Auftreten pathologischer Messdaten durchführen können (Abbruch wegen muskulärer Erschöpfung, keine Angina pectoris, keine kardiale Belastungsischämie). Auch die Fahrradergometriebelastungen vom 13. September 2007 und 4. März 2009 waren nach den Bericht von Dr. R. bei 150 Watt wegen Erreichen der Ausbelastungsherzfrequenz (regelrechtes Blutdruckverhalten, kein Ischämienachweis) abgebrochen worden. Da schließlich auch Dipl.-Med. M. in ihrem Befundbericht vom 7. April 2010 eingeschätzt hat, dass die Herzerkrankung ohne andauernde Leistungsbeeinträchtigung vorliegt, kann für die Herzerkrankung maximal eine Einzel-GdB von 10 angenommen werden.

Für die Dauerantikoagulation mit Notwendigkeit von Laborkontrollen und erforderlicher Vorsicht bei Handlungen mit Verletzungsgefahren ist nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. ein GdS von 10 anzunehmen. Auch diese Einschätzung entspricht den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (B 16.10, S. 96).

Da Einzelbehinderungen im Funktionssystem Herz-Kreislauf vorliegen, ist ein Gesamtgrad für das Funktionssystem zu bilden. Dabei ist zu beachten, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A, Nr. 3 ee, S. 10) leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Behinderungsgrad von 10 bedingen, grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung führen. Auch beim Kläger ist dieser Grundsatz anzuwenden, da Dr. H. darauf hingewiesen hat, dass die Herzleistungsminderung die Summe aus den Folgen der Rhythmusstörungen und der koronaren Herzkrankheit ist, deren Ausmaß mit Ergometrie und Echokardiografie erfasst ist und deshalb keine höheren GdS rechtfertigt. Dem entspricht die Einschätzung von Dipl.-Med. M. in ihrem Befundbericht vom 7. April 2010, wonach die Herzerkrankung und die Herzrhythmusstörung ohne andauernde Leistungsbeeinträchtigung vorliegen. Eine erneute Bewertung von Herzerkrankung und Rhythmusstörung neben der Bluthochdruckerkrankung ohne eigene Funktionsbeeinträchtigung wäre in diesem Fall eine unzulässige Doppelbewertung, da bereits im Rahmen der Herzbeteiligung aufgrund der Bluthochdruckerkrankung eine Bewertung der damit verbundenen eingeschränkten Pumpfunktion erfolgt ist. Auch der Einzel-GdB von 10 für die Behandlung mit Falithrom kann den Behinderungsgrad für das Funktionssystem nicht erhöhen, da die damit verbundenen Einschränkungen die Herzleistungsminderung nicht weiter verstärkt werden, sondern lediglich einen erhöhten Therapieaufwand durch Laborkontrollen und Vorsichtsmaßnahmen bei Handlungen mit Verletzungsgefahren erfordern.

2.

Darüber hinaus ist im Funktionssystem Atmung ein GdB von 20 aufgrund des Schlaf-Apnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überdruckbeatmung festzustellen. Auch diese Bewertung durch Dr. H. entspricht den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 8.6, S. 62).

3.

Außerdem ist ein GdB von 20 für das Funktionssystem Ohren anzunehmen. Nach den Berichten von Dr. H. und dem Tonaudiogramm vom April 2010 leidet der Kläger beidseits an geringgradiger Schwerhörigkeit, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 5.2.3, S. 52) mit einem GdB von 15 zu bewerten ist. Der ebenfalls durch Dr. H. diagnostizierte Tinnitus ist nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 5.4, S. 54) mit einem GdB von 10 zu bewerten, weil er beidseitig vorhanden ist. Eine höhere Bewertung kann nicht erfolgen, denn dies setzt erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen voraus, die nach dem Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 14. Mai 2010 nicht vorliegen. Dr. W. hat aus nervenärztlicher Sicht Funktionsstörungen oder Einschränkungen verneint. Die Ohrgeräusche des Klägers waren ihr nicht einmal bekannt. Aus den Einzelbehinderungen von 15 und 10 ist für das Funktionssystem Ohren ein Gesamt-GdB von 20 zu bilden. Zwar erhöht ein GdB von 10 regelmäßig nicht den Gesamt-GdB für das Funktionssystem. Im vorliegenden Fall ist die Bildung des GdB von 20 aber sachgerecht, da dieser Wert nicht aus zwei 10er Werten, sondern einem 15er und einer 10er Wert gebildet wird und dadurch das Gesamtausmaß durch die Schwerhörigkeit und den Tinnitus angemessen erfasst wird.

4.

Schließlich ist ein Einzelbehinderungsgrad von 10 für die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule im Funktionsbereich Rumpf festzustellen. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 18.9, S. 107) rechtfertigen Funktionsstörungen geringeren Grades einen Einzel-GdB von 10. Erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, bedingen einen Einzel-GdB von 20. Nach dem Arztbrief des Fachkrankenhauses V. vom 14. Januar 2010 leidet der Kläger an eine Lumboischialgie rechts bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der LWS mit Osteochondrose/Spondylarthrose betont L4/5 rechtsseitig mit Facettendegeneration. Die erhobenen Befunde zeigen aber keine (Schober 10/13 cm) bzw. nur geringgradige Einschränkungen (Seitneige rechts/links 20°/0/20° - normal 30°-40°/0/30°-40°; Fingerbodenabstand 40 cm). Da auch keine sensomotorischen Ausfälle bestehen, kann allenfalls - wie auch von Dr. H. vorgeschlagen - eine Bewertung als geringe Funktionseinschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt (LWS) mit einem GdB von 10 erfolgen.

5.

Weitere Funktionseinschränkungen, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, liegen nicht vor.

Der von Dr. H. vorgenommenen Bewertung des Diabetes mellitus im Funktionssystem Innere Sekretion und Stoffwechsel mit einem GdB von 10 kann für die Zeit ab der Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (22. Juli 2010) nicht mehr gefolgt werden. Danach gilt Folgendes (B 15.1): Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämien auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Da der Diabetes mellitus des Klägers mit Metformin behandelt wird, also einem Medikament, das keine Hypoglykämien auslösen kann, der Therapieaufwand gering ist (Blutzuckerwerte werden einmal monatlich selbst und daneben bei der Hausärztin bestimmt) und diabetische Folgeerkrankungen nicht vorliegen, ist kein GdB dafür festzustellen.

Auch liegt kein Einzel-GdB im Funktionssystem Harnorgane vor. Eine relevante Nierenfunktionsstörung hat Dr. H. nicht feststellen können. Im Bericht des Krankenhauses Sch. vom 8. Dezember 2005 ist von einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium der kompensierten Retention berichtet worden. Der Urologie Dr. H. hat am 6. Juni 2006 mitgeteilt, die Laborwerte seien unauffällig (Kreatininwert) und der Kläger beschwerdefrei gewesen. Auch der Harndrang und die gesteigerte Blasenentleerungsfrequenz bei gutartig vergrößerter Vorsteherdrüse sind nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. H. nicht berücksichtigungsfähig, da keine Rückwirkung auf Nierenfunktion oder eine Harninkontinenz vorlägen. Die durch Dr. H. mitgeteilte Blasenentleerungsstörung mit häufigem Urinlassen und Harndrang schränkt nach seinen Ausführungen die Leistungsfähigkeit nur leicht ein, sodass auch daraus kein Einzel-GdB abgeleitet werden kann.

Schließlich rechtfertigen die geringen Funktionsstörungen an den Hüft- und Kniegelenken, Daumensattelgelenken und im rechten Schultergelenk keinen GdB. Auch insoweit folgt der Senat den gutachtlichen Ausführungen von Dr. H. Zwar hat der Chirurg Dr. M. am 27. März 2010 über die einmalige Behandlung des Klägers im Dezember 2008 wegen Schmerzen in beiden Daumen berichtet und aufgrund der Röntgenuntersuchung eine deutliche Verschleißerscheinung (Arthrose) an beiden Daumensattelgelenken diagnostiziert. Die damit verbundenen Einschränkungen (Schmerzen beim Zugreifen und eine schmerzbedingte Kraftminderung der Hand) erreichen aber nicht das Ausmaß einer für den Behinderungsgrad relevanten Funktionsstörung. Nach dem Arztbrief des Fachkrankenhauses V. vom 14. Januar 2010 liegt beim Kläger zwar auch eine mittelgradige Coxarthrose beidseitig vor, doch konnten keine wesentliche Bewegungseinschränkungen festgestellt werden (Innenrotationsaufhebung links und eine Begrenzung rechts auf 10° bei ansonsten freier Beweglichkeit), die eine Bewertung mit einem GdB von 10 rechtfertigen. Letztlich führen auch die Hyperlipoproteinämie und die Penicillinallergie zu keinen Funktionseinschränkungen, die einen Einzel-GdB bedingen.

6.

Da beim Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 22) anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach ist von dem Behinderungsgrad von 20 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf seit der Antragstellung auszugehen. Diesen hat der Beklagte aufgrund der mit einem Behinderungsgrad von 20 bewerteten Behinderungen im Funktionssystem Atmung (Schlaf-Apnoe-Syndrom) erhöht und einen GdB von 30 gebildet. Ob zwischen den verschiedenen Funktionsstörungen tatsächlich Wechselwirkungen bestehen, die auch das Gesamtausmaß der Behinderung erhöhen, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls führen die Beeinträchtigungen im Funktionssystem Ohren, die ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, zu keiner weiteren Erhöhung. Das Gesamtausmaß der Behinderung wird durch diese - nach den Versorgungsmedizischen Grundsätzen (A 4, S. 23) noch als leichte Funktionseinschränkung zu bewertende Behinderung - nicht größer, weil diese unabhängig von den anderen Funktionsstörungen besteht.

Letztlich widerspräche die vom Kläger begehrte Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft dem nach A 3 (S. 22) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. In Nr. 19 Abs. 2 der Anhaltspunkte, Ausgabe 2008 (S. 25) wird insoweit erläuternd ausgeführt, dass die Schwerbehinderteneigenschaft nur angenommen werden kann, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Derartig schwere Funktionsstörungen liegen bei dem Kläger nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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