S 30 R 851/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 851/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2012 verurteilt, dem Klä-ger eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nach Maßgabe von § 14 SGB IX i.V.m. § 23 SGB V zu erbringen. II. Die Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten sind Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Der Kläger ist geboren am XX.XX.1958. Er übte den Beruf eines Elektrikers aus. Seit einem Unfall vom 25.09.1995 ist er behindert durch ein komplettes Querschnittssyndrom nach BWK9-Fraktur durch Motorradunfall. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den in den Schwerbehindertenausweis einzutragenden Merkzeichen H und G ist anerkannt. Am 02.11.2011 beantragte er über die örtliche Dienststelle der AOK Bayern bei der Beklagten Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Mit Bescheid vom 13.04.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden könne. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2012 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger weist auf seine immer stärker angeschlagene Gesundheit durch verkrümmte Wirbelsäule, Schwitzattacken und zu-nehmend stärker werdenden Spasmus hin. Das Gericht holte einen Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums B-Stadt- ein, dem u.a. Berichte über Operationen vom 16.04.2010 und 05.07.2010 beigefügt waren, mit denen Wirbelsäule und Becken des Klägers an die erzwungene dauernde Sitzhaltung angepasst werden sollten. Der Kläger erläuterte in der mündlichen Verhandlung in sehr sachlicher und ruhiger Form sein Anliegen einer Maßnahme der Rehabilitation zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Abwendung seiner Pflegebedürftigkeit.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2012 zur Gewährung einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Die Beklagte hat zur Beurteilung ihrer Zuständigkeit zutreffend auf den Regelungsgehalt des § 10 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) Bezug genommen. Für Leistungen zur Teilhabe sowohl im Sinne medizinischer Rehabilitation als auch berufsfördernder Maßnahmen fordert § 10 Abs. 1 Nr. 1 als persönliche Voraussetzung die erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung. Nr. 2 der Vorschrift fordert zugleich die begründete Aussicht, dass dieser Zustand durch die begehrten Maß-nahmen behoben werden kann. Ebenfalls zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die begehrten Maßnahmen nicht mehr hergestellt werden kann. Die Beklagte hat jedoch die Vorschrift des § 14 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) übersehen. Hiernach durfte sie sich nicht mit der Feststellung begnügen, dass nach dem für sie gülti-gen Leistungsgesetz SGB VI kein Anspruch bestand. Vielmehr hätte sie prüfen müssen, ob ein anderer Leistungsträger aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage zur Erbringung der Leistung verpflichtet sein könnte. Vorliegend musste sich der Gedanke aufdrängen, dass es dem Kläger nach seiner realistischen eigenen Einschätzung nicht um eine Rückkehr ins Arbeitsleben gehen konnte, sondern um die Abwendung einer weiteren Verschlimmerung seines Leidens oder des Beginns oder der Verschärfung einer Pflegebedürftigkeit. Für eine Leistung mit diesen Zielsetzungen ist die Gesetzliche Krankenversicherung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Sozialgesetzbuch V (SGB V) zuständig. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX hätte die Beklagte die Zuständigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb von zwei Wochen prüfen und angesichts der vorhandenen medizinischen Dokumentation auch bejahen müssen. Sodann wäre es nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX ihre Pflicht gewesen, den Antrag an die zuständige Krankenkasse weiterzuleiten. Nachdem diese Weiterleitung nicht erfolgt ist, hätte die Beklagte nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX selbst den Rehabilitationsbedarf feststellen müssen. Sie muss, nachdem der grundsätzliche Bedarf des Klägers nach einer stationären Leistung der medizinischen Rehabilitation unstrittig ist, nun auch selbst die Leistung erbringen. Es bleibt ihr überlassen, nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX anschließend eine Erstattung der Kosten bei der AOK geltend zu machen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialge-richt, Ludwigstraße 15, 80539 B-Stadt, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Mün-chen, Richelstraße 11, 80634 B-Stadt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbe-amten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig-ten beigefügt werden. Knipping
Rechtskraft
Aus
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