Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 AL 3624/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 339/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. September 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Der Kläger ist 1977 geboren worden. Nach einem Studium, das er im Juni 2003 beendete, stand er vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2004 als Assistent der Geschäftsleitung bei der Firma B GmbH (O) in einem in der Arbeitsförderung versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Danach war er in Großbritannien beschäftigt, zunächst aufgrund eines am 1. November 2004 beginnenden und bis zum 31. Oktober 2006 befristeten Anstellungsvertrages, anschließend in weiteren Beschäftigungsverhältnissen; die zuständige britische Behörde bestätigte in einer Bescheinigung E 301 Versicherungszeiten durchgehend vom 4. November 2004 bis zum 4. Juli 2007.
Seit 16. August 2007 war er mit seiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in M (in der Wohnung der Eltern der Ehefrau), später B, mit Hauptwohnung gemeldet; bis dahin war er auch während der Zeit seines Aufenthalts in Großbritannien durchgehend mit Hauptwohnsitz in E in der Wohnung seiner Eltern gemeldet.
Vom 24. August bis zum 23. Oktober 2007 erhielt er Erziehungsgeld für seinen am 24. Oktober 2006 geborenen Sohn, mit dem er nach den Feststellungen des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt in dem Verwaltungsverfahren betreffend das Erziehungsgeld ab dem 16. August 2007 in einem gemeinsamen Haushalt lebte.
Bei der Beklagten meldete sich der Kläger am 8. Oktober 2007 zum 24. Oktober 2007 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Den Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. April 2008 mit der Begründung ab, dass der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe.
Zu seinem Widerspruch reichte der Kläger unter anderem eine Erklärung über seine Gründe für den Aufenthalt in Großbritannien, einen Fragebogen "Auslandsbeschäftigung" der Beklagten (in dem er unter anderem angab, dass während seines Auslandsaufenthalts seine Familie ihren Hausstand in M bzw. E gehabt habe, er in dieser Zeit ca. sechs Mal jährlich nach Deutschland zurückgekehrt sei und seinen Jahresurlaub in Deutschland verbracht habe, er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und Großbritannien gleichermaßen gehabt und im Beschäftigungsland eine 2-Zimmer-Wohnung bewohnt habe - der sowohl von ihm als auch von seiner Lebensgefährtin abgeschlossene Mietvertrag vom 22. November 2004 war beigefügt -) und seinen vom 1. November 2004 bis zum 31. Oktober 2006 dauernden Anstellungsvertrag mit der L M University ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Versicherungszeiten in Großbritannien könnten nicht nach europarechtlichen Vorschriften zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen. Der Kläger habe zum einen nach diesen Versicherungszeiten keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt; die Zeit der Kindererziehung sei nicht versicherungspflichtig gewesen. Zum anderen könne er auch nicht als Grenzgänger angesehen werden. Nach seinen Erklärungen habe der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Großbritannien gehabt.
Seine Klage hat der Kläger - der ab dem 18. August 2008 wieder in einem Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland stand - damit begründet, dass sein Aufenthalt in Großbritannien nur vorübergehenden Charakter gehabt habe. Er habe dort seine Arbeit aufgrund eines von vornherein befristeten Vertrags aufgenommen. Alle Tätigkeiten nach Auslaufen dieses Vertrags hätten dazu gedient, ihm den Lebensunterhalt zu sichern. Wenn er angegeben habe, lediglich ca. sechs Mal im Jahr in Deutschland gewesen zu sein, so müsse das in Relation zur Entfernung und dazu gesehen werden, dass er seinen gesamten Jahresurlaub dafür verwendet habe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 2. September 2009 hat der Kläger auf Befragen des Gerichts weitere Ausführungen zu den Gründen für seine Beschäftigung in Großbritannien und für seine Rückkehr nach Deutschland gemacht.
Durch Urteil vom 2. September 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich zunächst auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid bezogen. Darüber hinaus hat es ausgeführt, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderten Lebensumstände einen Lebensmittelpunkt in Großbritannien ergäben. Er habe sich mit Ausnahme von 20 Tagen jährlich durchweg in Großbritannien aufgehalten. Auch sein Familienleben habe dort seinen Schwerpunkt gehabt, da er glaubhaft geschildert habe, dass seine Partnerin - die zuvor ebenfalls zwei Jahre in Großbritannien gelebt habe - sich häufig und für längere Zeit bei ihm aufgehalten habe. Der Umstand, dass seine erste Beschäftigung befristet gewesen sei, führe zu nichts anderem. Danach habe sich der Kläger nur in Großbritannien um Arbeit beworben. Es sei nach der Rückkehr nach Deutschland auch nicht zu einer Versicherungspflicht in der Arbeitsförderung wegen Kindererziehung gekommen. Dabei könne dahinstehen, ob die versicherungspflichtige Beschäftigung in Großbritannien diese Versicherungspflicht auslösen könne. Jedenfalls habe die Erziehung des Kindes mehr als einen Monat nach dem Ende der bescheinigten Versicherungspflicht begonnen und damit nicht unmittelbar im Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger das Anliegen weiter. Er habe nie die Absicht gehabt, sich dauerhaft in Großbritannien niederzulassen. Dafür spreche bereits, dass sich seine jetzige Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Kinder nach Abschluss ihres Studiums in Deutschland nur dort um Arbeit beworben habe. Sie habe zum 1. September 2007 eine Anstellung bei einem Forschungsinstitut in B gefunden, für das sie im August 2007 bereits freiberuflich gearbeitet habe. Sie habe sich im August 2007 noch vollständig am Wohnsitz der Familie in B aufgehalten, danach sei sie zunächst wöchentlich und später halbwöchentlich zu ihrem Arbeitsort in B gependelt. Für die Frage, ob die Kindererziehungszeit unmittelbar im Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung begonnen habe, sei zu berücksichtigen, dass ein Umzug zu organisieren und eine Wohnung zu suchen gewesen sei. Eine gemeinsame Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger über die Zuordnung der Kindererziehungszeiten hätten er und seine Ehefrau nicht abgegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 24. Oktober 2007 bis zum 17. August 2008 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung und ihre Bescheide für zutreffend. Der Kläger könne im besonderen nicht als unechter Grenzgänger angesehen werden.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Gemäß §§ 117 Nr. 1, 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der hier noch anwendbaren, im Zeitpunkt des gewünschten Leistungsbeginns geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2003, BGBl. I S. 2848; im folgenden ohne Zusatz zitiert), setzte der hier streitige Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit voraus, dass Arbeitnehmer (1.) arbeitslos sind, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Der Kläger war im streitigen Zeitraum arbeitslos (s. § 119 SGB III) und auch arbeitslos gemeldet (s. § 122 SGB III). Er erfüllte jedoch nicht die Anwartschaftszeit. Dies setzte voraus, dass er in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist betrug zwei Jahre und begann mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III).
Im vorliegenden Fall reichte die Rahmenfrist somit vom 23. Oktober 2007 bis zum 24. Oktober 2005. In diesem Zeitraum stand der Kläger nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis nach dem SGB III. In Betracht kommt insoweit nur für die Zeit vom 16. oder 24. August bis zum 23. Oktober 2005 ein Versicherungspflichtverhältnis wegen Erziehung eines Kindes, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Voraussetzungen dafür sind nach § 26 Abs. 2a Satz 1 SGB III, dass die erziehenden Personen (1.) unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren, eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt haben, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unterbrochen hat, und (2.) sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten oder bei Aufenthalt im Ausland Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder Bundeskindergeldgesetz (BKGG) haben oder ohne die Anwendung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG haben würden. Haben mehrere Personen ein Kind gemeinsam erzogen, besteht ferner Versicherungspflicht nur für die Person, der nach den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 26a Abs. 2a Satz 3 SGB III i.V. mit § 56 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]).
Der Kläger hat sich mit dem Kind ab dem 16. August 2007 im Inland aufgehalten, sodass die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 SGB III erfüllt ist. Der Senat hat keine Bedenken, den Feststellungen zu folgen, die das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt im Verwaltungsverfahren betreffend das Erziehungsgeld anhand der Angaben des Klägers getroffen hat.
Nicht erfüllt ist dagegen die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 SGB III. Insoweit kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die als Zeit der Versicherungspflicht vor der Kindererziehung allein in Betracht kommende, in Großbritannien zurückgelegte Versicherungszeit, deren Dauer der britische Träger für die Beklagte und das Gericht bindend bescheinigt hat (EuGH, Urteil vom 11. November 2004, C-372/02 - Adanez-Vega), auf der Grundlage des hier noch anwendbaren Art. 67 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 und Art. 1 Buchst. r und s VO (EWG) 1408/71 zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dem Grunde nach beitragen könnte. Selbst dann könnte die britische Versicherungszeit nur unter den gleichen Voraussetzungen anspruchsbegründend herangezogen werden, unter denen auch eine inländische Versicherungszeit gleicher Dauer und zeitlicher Lage zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen könnte. Die bis zum 4. Juli 2007 dauernde Versicherungszeit in Großbritannien lag im Sinne des § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 SGB III aber nicht "unmittelbar" vor der (frühestens) am 16. August 2007 beginnenden Zeit der Kindererziehung im Inland.
Wie der Begriff der Unmittelbarkeit zu verstehen ist, ist streitig. Teils wird davon ausgegangen, dass am Tag vor Beginn der Erziehung Versicherungspflicht bestanden haben müsse (Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 Rn 103), teils jedenfalls ein die Anschlussversicherung wahrender Unterbrechungszeitraum von nahezu zwei Monaten als auch von Verfassungs wegen nicht geboten angesehen, wenn der Beginn des Zeitraums außerhalb der Sechswochen-Schutzfrist des § 3 Abs. 2 Mutterschutzgesetz liegt (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 16. Dezember 2011 - L 3 AL 20/10 - Revision anhängig zum Aktenzeichen B 11 AL 3/12 R). Der Senat folgt indessen der Auffassung, dass eine Frist von einem Monat gilt (umfangreiche Nachweise dazu - und zur Frage, wie der "Monat" zu berechnen ist - beim Hessischen LSG, Urteil vom 15. Juli 2011 - L 9 AL 125/10 -, das seinerseits eine kurzzeitige Überschreitung der Monatsfrist für unschädlich gehalten hat; die zugelassene Revision wurde nicht eingelegt). Es gibt keinen Grund, den Begriff hier anders auszulegen als in dem gleichartig formulierten § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III, wo die "Unmittelbarkeit" der Vorversicherung den Zugang zur Pflichtversicherung auf Antrag eröffnet (s. insoweit die Darstellung des Meinungsstandes in BSG, Urteil vom 30. März 2011 - B 12 AL 1/10 R - SozR 4-4300 § 28a Nr. 2 Rn 19). Besonderheiten, die daher rühren, dass der Kläger aus Großbritannien zurück nach Deutschland gezogen war, rechtfertigen keine Verlängerung dieser Frist. Die Notwendigkeit, eine Wohnung aufzulösen und an einem anderen Ort einen Hausstand zu begründen, muss bei einem Zuzug aus dem EU-Ausland nicht notwendig mehr Zeit beanspruchen als ein Wechsel des Wohnortes innerhalb des Inlandes.
Darüber hinaus scheitert eine Versicherungspflicht wegen Kindererziehung auch daran, dass die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III nicht vorliegt. Der Kläger und seine spätere Ehefrau haben die gemeinsamen Kinder jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem der Kläger unter einer gemeinsamen Anschrift mit ihnen und seiner späteren Ehefrau gemeldet war (16. August 2007) im Sinne des Gesetzes gemeinsam erzogen. Hierfür reicht es aus, dass die Elternteile einvernehmlich und zeitgleich an der Erziehung mitwirken; in welchem Ausmaß sie einen Beitrag zur Erziehung leisten, ist insoweit ohne Belang (s. zu der in § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III in Bezug genommenen Vorschrift des § 56 Abs. 2 [Satz 1] SGB VI etwa Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 56 SGB VI Rn 26). Angesichts dessen ergibt sich eine gemeinsame Erziehung vorliegend bereits daraus, dass die Eltern und die Kinder in häuslicher Gemeinschaft lebten. Keine Bedeutung hat, ob und in welchem Umfang die Mutter der Kinder sich eventuell berufsbedingt an einem anderen Ort aufgehalten hat, selbst wenn dies zu zusammenhängenden Abwesenheitszeiten von mehreren Tagen Dauer geführt hätte. Der Kläger erfüllt in der Folge die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III deshalb nicht, weil ihm nach § 56 Abs. 2 SGB VI die Kindererziehungszeit nicht zuzuordnen ist: Eine gemeinsame Erklärung über die Zuordnung der Versicherungszeit im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VI haben er und seine Ehefrau nicht abgegeben. Damit gilt die Zuordnungsregel des § 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI, wonach die Kindererziehungszeit bei der Mutter liegt.
Der Kläger, der somit nach den in Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten bis zur Arbeitslosmeldung in der Bundesrepublik Deutschland keine Zeiten der Versicherungspflicht zurückgelegt hat, kann die Anwartschaftszeit durch die in Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten nicht als sogenannter "echter" Grenzgänger im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe a) Ziffer ii) VO (EWG) 1408/71 erfüllen. Bereits nach seiner eigenen Darstellung kann er diesem Personenkreis nicht zugeordnet werden, weil er weder täglich, noch zumindest in kurzen zeitlichen Abständen von seinem im EU-Ausland liegenden Arbeitsort zu seinem im Inland liegenden Wohnort zurückgekehrt ist. Er gehört aber auch nicht zum Personenkreis der sogenannten "unechten" Grenzgänger im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b) Ziffer ii) VO (EWG) 1408/71. Dies sind Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren. Sie erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Allein dadurch, dass der Kläger nach dem Ende der Beschäftigungen in Großbritannien wieder seinen alleinigen Wohnsitz in Deutschland genommen hat, konnte er nicht den Status eines unechten Grenzgängers begründen (s. BSG SozR 4-6050 Art. 71 Nr. 2). Vielmehr (s. BSG SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 2) sind für die gebotene eigenständige Auslegung des Begriffs "Wohnen" einerseits die Beziehung zum Arbeitsmarkt des Staates, der als Wohnstaat für Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen wird, und andererseits der Zweck der Auslandstätigkeit die in erster Linie bedeutsamen Kriterien. Zwar soll Art. 71 VO (EWG) 1408/71 sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer die Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter den für die Arbeitssuche günstigsten Voraussetzungen gewährt werden. Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b Ziffer ii EWG-VO 1408/71 soll aber nicht alle Fälle erfassen, in denen ein Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung aufnimmt und seine Bindungen zu seinem bisherigen Wohnort aufrecht erhält. Es ist nicht gerechtfertigt, den Wohnstaat, der keine Beitragsleistungen erhalten hat, durch allzu großzügige Auslegungen in großem Umfang zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Deshalb gilt die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, dort auch wohnt. Im einzelnen sind die Dauer und der Zweck der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen; eine Höchstdauer für den Aufenthalt im Ausland ergibt sich aus dem EU-Recht jedoch nicht (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2). Die Zuständigkeit des Wohnlandes bleibt nur dort erhalten, wo die Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt, die sich nach ihrem Zweck und ihrer Dauer bestimmt, durch entsprechend stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt ausgeglichen wird. Mit anderen Worten steigen die Anforderungen an die Inlandsbindung, je stärker sich der Arbeitnehmer einem ausländischen Arbeitsmarkt zuwendet.
Diese Kriterien berücksichtigend, kann der Kläger nicht als unechter Grenzgänger angesehen werden. Zwar hat er eine Bindung an das Inland dadurch aufrecht erhalten, dass er nach seiner Darstellung seinen gesamten Jahresurlaub darauf verwendet hat, ihn in Deutschland mit seiner Lebenspartnerin und den gemeinsamen Kindern zu verbringen. Dies wird aber dadurch aufgewogen, dass er selbst angegeben hat, dass sich seine Lebenspartnerin und sein(e) Kind(er) in erheblichem zeitlichem Umfang auch in Großbritannien aufgehalten haben, während er dort beschäftigt war, und dass er sich nach dem Ende des ersten Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls zunächst weiter dem britischen Arbeitsmarkt zugewendet hatte. Ob er die Absicht hatte, auf unabsehbare Dauer in Großbritannien zu bleiben oder nach Deutschland zurückzukehren, hat keine Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG). Der Kläger kann einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Art. 67 Abs. 1 und 3 VO (EWG) 1408/71 erworben haben. Dafür ist von Bedeutung, ob die Vorbeschäftigungszeiten in Großbritannien herangezogen werden können und ob der Kläger die Voraussetzungen für ein Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs. 2a SGB III erfüllt.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Der Kläger ist 1977 geboren worden. Nach einem Studium, das er im Juni 2003 beendete, stand er vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2004 als Assistent der Geschäftsleitung bei der Firma B GmbH (O) in einem in der Arbeitsförderung versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Danach war er in Großbritannien beschäftigt, zunächst aufgrund eines am 1. November 2004 beginnenden und bis zum 31. Oktober 2006 befristeten Anstellungsvertrages, anschließend in weiteren Beschäftigungsverhältnissen; die zuständige britische Behörde bestätigte in einer Bescheinigung E 301 Versicherungszeiten durchgehend vom 4. November 2004 bis zum 4. Juli 2007.
Seit 16. August 2007 war er mit seiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in M (in der Wohnung der Eltern der Ehefrau), später B, mit Hauptwohnung gemeldet; bis dahin war er auch während der Zeit seines Aufenthalts in Großbritannien durchgehend mit Hauptwohnsitz in E in der Wohnung seiner Eltern gemeldet.
Vom 24. August bis zum 23. Oktober 2007 erhielt er Erziehungsgeld für seinen am 24. Oktober 2006 geborenen Sohn, mit dem er nach den Feststellungen des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt in dem Verwaltungsverfahren betreffend das Erziehungsgeld ab dem 16. August 2007 in einem gemeinsamen Haushalt lebte.
Bei der Beklagten meldete sich der Kläger am 8. Oktober 2007 zum 24. Oktober 2007 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Den Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. April 2008 mit der Begründung ab, dass der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe.
Zu seinem Widerspruch reichte der Kläger unter anderem eine Erklärung über seine Gründe für den Aufenthalt in Großbritannien, einen Fragebogen "Auslandsbeschäftigung" der Beklagten (in dem er unter anderem angab, dass während seines Auslandsaufenthalts seine Familie ihren Hausstand in M bzw. E gehabt habe, er in dieser Zeit ca. sechs Mal jährlich nach Deutschland zurückgekehrt sei und seinen Jahresurlaub in Deutschland verbracht habe, er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und Großbritannien gleichermaßen gehabt und im Beschäftigungsland eine 2-Zimmer-Wohnung bewohnt habe - der sowohl von ihm als auch von seiner Lebensgefährtin abgeschlossene Mietvertrag vom 22. November 2004 war beigefügt -) und seinen vom 1. November 2004 bis zum 31. Oktober 2006 dauernden Anstellungsvertrag mit der L M University ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Versicherungszeiten in Großbritannien könnten nicht nach europarechtlichen Vorschriften zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen. Der Kläger habe zum einen nach diesen Versicherungszeiten keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt; die Zeit der Kindererziehung sei nicht versicherungspflichtig gewesen. Zum anderen könne er auch nicht als Grenzgänger angesehen werden. Nach seinen Erklärungen habe der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Großbritannien gehabt.
Seine Klage hat der Kläger - der ab dem 18. August 2008 wieder in einem Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland stand - damit begründet, dass sein Aufenthalt in Großbritannien nur vorübergehenden Charakter gehabt habe. Er habe dort seine Arbeit aufgrund eines von vornherein befristeten Vertrags aufgenommen. Alle Tätigkeiten nach Auslaufen dieses Vertrags hätten dazu gedient, ihm den Lebensunterhalt zu sichern. Wenn er angegeben habe, lediglich ca. sechs Mal im Jahr in Deutschland gewesen zu sein, so müsse das in Relation zur Entfernung und dazu gesehen werden, dass er seinen gesamten Jahresurlaub dafür verwendet habe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 2. September 2009 hat der Kläger auf Befragen des Gerichts weitere Ausführungen zu den Gründen für seine Beschäftigung in Großbritannien und für seine Rückkehr nach Deutschland gemacht.
Durch Urteil vom 2. September 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich zunächst auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid bezogen. Darüber hinaus hat es ausgeführt, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderten Lebensumstände einen Lebensmittelpunkt in Großbritannien ergäben. Er habe sich mit Ausnahme von 20 Tagen jährlich durchweg in Großbritannien aufgehalten. Auch sein Familienleben habe dort seinen Schwerpunkt gehabt, da er glaubhaft geschildert habe, dass seine Partnerin - die zuvor ebenfalls zwei Jahre in Großbritannien gelebt habe - sich häufig und für längere Zeit bei ihm aufgehalten habe. Der Umstand, dass seine erste Beschäftigung befristet gewesen sei, führe zu nichts anderem. Danach habe sich der Kläger nur in Großbritannien um Arbeit beworben. Es sei nach der Rückkehr nach Deutschland auch nicht zu einer Versicherungspflicht in der Arbeitsförderung wegen Kindererziehung gekommen. Dabei könne dahinstehen, ob die versicherungspflichtige Beschäftigung in Großbritannien diese Versicherungspflicht auslösen könne. Jedenfalls habe die Erziehung des Kindes mehr als einen Monat nach dem Ende der bescheinigten Versicherungspflicht begonnen und damit nicht unmittelbar im Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger das Anliegen weiter. Er habe nie die Absicht gehabt, sich dauerhaft in Großbritannien niederzulassen. Dafür spreche bereits, dass sich seine jetzige Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Kinder nach Abschluss ihres Studiums in Deutschland nur dort um Arbeit beworben habe. Sie habe zum 1. September 2007 eine Anstellung bei einem Forschungsinstitut in B gefunden, für das sie im August 2007 bereits freiberuflich gearbeitet habe. Sie habe sich im August 2007 noch vollständig am Wohnsitz der Familie in B aufgehalten, danach sei sie zunächst wöchentlich und später halbwöchentlich zu ihrem Arbeitsort in B gependelt. Für die Frage, ob die Kindererziehungszeit unmittelbar im Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung begonnen habe, sei zu berücksichtigen, dass ein Umzug zu organisieren und eine Wohnung zu suchen gewesen sei. Eine gemeinsame Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger über die Zuordnung der Kindererziehungszeiten hätten er und seine Ehefrau nicht abgegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 24. Oktober 2007 bis zum 17. August 2008 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung und ihre Bescheide für zutreffend. Der Kläger könne im besonderen nicht als unechter Grenzgänger angesehen werden.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Gemäß §§ 117 Nr. 1, 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der hier noch anwendbaren, im Zeitpunkt des gewünschten Leistungsbeginns geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2003, BGBl. I S. 2848; im folgenden ohne Zusatz zitiert), setzte der hier streitige Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit voraus, dass Arbeitnehmer (1.) arbeitslos sind, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Der Kläger war im streitigen Zeitraum arbeitslos (s. § 119 SGB III) und auch arbeitslos gemeldet (s. § 122 SGB III). Er erfüllte jedoch nicht die Anwartschaftszeit. Dies setzte voraus, dass er in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist betrug zwei Jahre und begann mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III).
Im vorliegenden Fall reichte die Rahmenfrist somit vom 23. Oktober 2007 bis zum 24. Oktober 2005. In diesem Zeitraum stand der Kläger nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis nach dem SGB III. In Betracht kommt insoweit nur für die Zeit vom 16. oder 24. August bis zum 23. Oktober 2005 ein Versicherungspflichtverhältnis wegen Erziehung eines Kindes, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Voraussetzungen dafür sind nach § 26 Abs. 2a Satz 1 SGB III, dass die erziehenden Personen (1.) unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren, eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt haben, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unterbrochen hat, und (2.) sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten oder bei Aufenthalt im Ausland Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder Bundeskindergeldgesetz (BKGG) haben oder ohne die Anwendung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG haben würden. Haben mehrere Personen ein Kind gemeinsam erzogen, besteht ferner Versicherungspflicht nur für die Person, der nach den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 26a Abs. 2a Satz 3 SGB III i.V. mit § 56 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]).
Der Kläger hat sich mit dem Kind ab dem 16. August 2007 im Inland aufgehalten, sodass die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 SGB III erfüllt ist. Der Senat hat keine Bedenken, den Feststellungen zu folgen, die das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt im Verwaltungsverfahren betreffend das Erziehungsgeld anhand der Angaben des Klägers getroffen hat.
Nicht erfüllt ist dagegen die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 SGB III. Insoweit kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die als Zeit der Versicherungspflicht vor der Kindererziehung allein in Betracht kommende, in Großbritannien zurückgelegte Versicherungszeit, deren Dauer der britische Träger für die Beklagte und das Gericht bindend bescheinigt hat (EuGH, Urteil vom 11. November 2004, C-372/02 - Adanez-Vega), auf der Grundlage des hier noch anwendbaren Art. 67 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 und Art. 1 Buchst. r und s VO (EWG) 1408/71 zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dem Grunde nach beitragen könnte. Selbst dann könnte die britische Versicherungszeit nur unter den gleichen Voraussetzungen anspruchsbegründend herangezogen werden, unter denen auch eine inländische Versicherungszeit gleicher Dauer und zeitlicher Lage zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen könnte. Die bis zum 4. Juli 2007 dauernde Versicherungszeit in Großbritannien lag im Sinne des § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 SGB III aber nicht "unmittelbar" vor der (frühestens) am 16. August 2007 beginnenden Zeit der Kindererziehung im Inland.
Wie der Begriff der Unmittelbarkeit zu verstehen ist, ist streitig. Teils wird davon ausgegangen, dass am Tag vor Beginn der Erziehung Versicherungspflicht bestanden haben müsse (Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 Rn 103), teils jedenfalls ein die Anschlussversicherung wahrender Unterbrechungszeitraum von nahezu zwei Monaten als auch von Verfassungs wegen nicht geboten angesehen, wenn der Beginn des Zeitraums außerhalb der Sechswochen-Schutzfrist des § 3 Abs. 2 Mutterschutzgesetz liegt (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 16. Dezember 2011 - L 3 AL 20/10 - Revision anhängig zum Aktenzeichen B 11 AL 3/12 R). Der Senat folgt indessen der Auffassung, dass eine Frist von einem Monat gilt (umfangreiche Nachweise dazu - und zur Frage, wie der "Monat" zu berechnen ist - beim Hessischen LSG, Urteil vom 15. Juli 2011 - L 9 AL 125/10 -, das seinerseits eine kurzzeitige Überschreitung der Monatsfrist für unschädlich gehalten hat; die zugelassene Revision wurde nicht eingelegt). Es gibt keinen Grund, den Begriff hier anders auszulegen als in dem gleichartig formulierten § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III, wo die "Unmittelbarkeit" der Vorversicherung den Zugang zur Pflichtversicherung auf Antrag eröffnet (s. insoweit die Darstellung des Meinungsstandes in BSG, Urteil vom 30. März 2011 - B 12 AL 1/10 R - SozR 4-4300 § 28a Nr. 2 Rn 19). Besonderheiten, die daher rühren, dass der Kläger aus Großbritannien zurück nach Deutschland gezogen war, rechtfertigen keine Verlängerung dieser Frist. Die Notwendigkeit, eine Wohnung aufzulösen und an einem anderen Ort einen Hausstand zu begründen, muss bei einem Zuzug aus dem EU-Ausland nicht notwendig mehr Zeit beanspruchen als ein Wechsel des Wohnortes innerhalb des Inlandes.
Darüber hinaus scheitert eine Versicherungspflicht wegen Kindererziehung auch daran, dass die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III nicht vorliegt. Der Kläger und seine spätere Ehefrau haben die gemeinsamen Kinder jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem der Kläger unter einer gemeinsamen Anschrift mit ihnen und seiner späteren Ehefrau gemeldet war (16. August 2007) im Sinne des Gesetzes gemeinsam erzogen. Hierfür reicht es aus, dass die Elternteile einvernehmlich und zeitgleich an der Erziehung mitwirken; in welchem Ausmaß sie einen Beitrag zur Erziehung leisten, ist insoweit ohne Belang (s. zu der in § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III in Bezug genommenen Vorschrift des § 56 Abs. 2 [Satz 1] SGB VI etwa Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 56 SGB VI Rn 26). Angesichts dessen ergibt sich eine gemeinsame Erziehung vorliegend bereits daraus, dass die Eltern und die Kinder in häuslicher Gemeinschaft lebten. Keine Bedeutung hat, ob und in welchem Umfang die Mutter der Kinder sich eventuell berufsbedingt an einem anderen Ort aufgehalten hat, selbst wenn dies zu zusammenhängenden Abwesenheitszeiten von mehreren Tagen Dauer geführt hätte. Der Kläger erfüllt in der Folge die Voraussetzung nach § 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III deshalb nicht, weil ihm nach § 56 Abs. 2 SGB VI die Kindererziehungszeit nicht zuzuordnen ist: Eine gemeinsame Erklärung über die Zuordnung der Versicherungszeit im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VI haben er und seine Ehefrau nicht abgegeben. Damit gilt die Zuordnungsregel des § 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI, wonach die Kindererziehungszeit bei der Mutter liegt.
Der Kläger, der somit nach den in Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten bis zur Arbeitslosmeldung in der Bundesrepublik Deutschland keine Zeiten der Versicherungspflicht zurückgelegt hat, kann die Anwartschaftszeit durch die in Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten nicht als sogenannter "echter" Grenzgänger im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe a) Ziffer ii) VO (EWG) 1408/71 erfüllen. Bereits nach seiner eigenen Darstellung kann er diesem Personenkreis nicht zugeordnet werden, weil er weder täglich, noch zumindest in kurzen zeitlichen Abständen von seinem im EU-Ausland liegenden Arbeitsort zu seinem im Inland liegenden Wohnort zurückgekehrt ist. Er gehört aber auch nicht zum Personenkreis der sogenannten "unechten" Grenzgänger im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b) Ziffer ii) VO (EWG) 1408/71. Dies sind Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren. Sie erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Allein dadurch, dass der Kläger nach dem Ende der Beschäftigungen in Großbritannien wieder seinen alleinigen Wohnsitz in Deutschland genommen hat, konnte er nicht den Status eines unechten Grenzgängers begründen (s. BSG SozR 4-6050 Art. 71 Nr. 2). Vielmehr (s. BSG SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 2) sind für die gebotene eigenständige Auslegung des Begriffs "Wohnen" einerseits die Beziehung zum Arbeitsmarkt des Staates, der als Wohnstaat für Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen wird, und andererseits der Zweck der Auslandstätigkeit die in erster Linie bedeutsamen Kriterien. Zwar soll Art. 71 VO (EWG) 1408/71 sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer die Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter den für die Arbeitssuche günstigsten Voraussetzungen gewährt werden. Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b Ziffer ii EWG-VO 1408/71 soll aber nicht alle Fälle erfassen, in denen ein Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung aufnimmt und seine Bindungen zu seinem bisherigen Wohnort aufrecht erhält. Es ist nicht gerechtfertigt, den Wohnstaat, der keine Beitragsleistungen erhalten hat, durch allzu großzügige Auslegungen in großem Umfang zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Deshalb gilt die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, dort auch wohnt. Im einzelnen sind die Dauer und der Zweck der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen; eine Höchstdauer für den Aufenthalt im Ausland ergibt sich aus dem EU-Recht jedoch nicht (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2). Die Zuständigkeit des Wohnlandes bleibt nur dort erhalten, wo die Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt, die sich nach ihrem Zweck und ihrer Dauer bestimmt, durch entsprechend stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt ausgeglichen wird. Mit anderen Worten steigen die Anforderungen an die Inlandsbindung, je stärker sich der Arbeitnehmer einem ausländischen Arbeitsmarkt zuwendet.
Diese Kriterien berücksichtigend, kann der Kläger nicht als unechter Grenzgänger angesehen werden. Zwar hat er eine Bindung an das Inland dadurch aufrecht erhalten, dass er nach seiner Darstellung seinen gesamten Jahresurlaub darauf verwendet hat, ihn in Deutschland mit seiner Lebenspartnerin und den gemeinsamen Kindern zu verbringen. Dies wird aber dadurch aufgewogen, dass er selbst angegeben hat, dass sich seine Lebenspartnerin und sein(e) Kind(er) in erheblichem zeitlichem Umfang auch in Großbritannien aufgehalten haben, während er dort beschäftigt war, und dass er sich nach dem Ende des ersten Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls zunächst weiter dem britischen Arbeitsmarkt zugewendet hatte. Ob er die Absicht hatte, auf unabsehbare Dauer in Großbritannien zu bleiben oder nach Deutschland zurückzukehren, hat keine Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG). Der Kläger kann einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Art. 67 Abs. 1 und 3 VO (EWG) 1408/71 erworben haben. Dafür ist von Bedeutung, ob die Vorbeschäftigungszeiten in Großbritannien herangezogen werden können und ob der Kläger die Voraussetzungen für ein Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs. 2a SGB III erfüllt.
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