L 3 U 268/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 3 U 124/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 268/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Mai 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt gegenüber der Beklagten die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Die 1949 geborene Klägerin war als Angestellte beim Bezirksamt, beschäftigt. Als sie am 16. Februar 2007 von ihrer Arbeitsstelle mit dem eigenen Pkw zu sich nach Hause nach E fahren wollte, blinkte ihren eigenen Angaben zufolge die Reservetankanzeige auf. Sie suchte mit dem Pkw die Tankstelle in der Hstraße auf und tankte dort 7,98 Liter Kraftstoff für 10,05 EUR. Als sie den Kraftstoff bezahlen und hierzu das Tankstellengeschäft betreten wollte, stolperte sie und zog sich hierdurch eine subcapitale Humeruskopffraktur rechts zu, welche operativ behandelt wurde.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. mai 2007 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil der direkte versicherte Weg von der Dienststelle nach Hause durch das Tanken unterbrochen worden sei. Hiergegen erhob die Klägerin am 24. Mai 2007 Widerspruch, welchen sie mit Schriftsatz vom 19. Juni 2007 dahingehend begründete, gezwungen gewesen zu sein zu tanken, um den Heimweg mit dem Pkw zurücklegen zu können. Die Tatsache, dass sie lediglich eine geringe Kraftstoffmenge getankt habe, schließe das Tanken als eigenwirtschaftliche Tätigkeit aus. Aufgrund ihrer Vorerkrankung (Mamma-Karzinom) und der medizinischen Nachbehandlungen bzw. Therapien habe sie vom Arbeitgeber eine Sonderparkgenehmigung für den dienststellennahen Parkraum erhalten, weil sie aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen sei, Wege nach oder von dem Ort ihrer versicherten Tätigkeit mit dem Pkw zurückzulegen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2007 zurück. Selbst wenn zugunsten der Klägerin angenommen würde, dass für sie am Unfalltag das Nachtanken während der Fahrt von der Arbeit zur Wohnung unvorhergesehen notwendig geworden sei, weil sie für die Fortsetzung des Arbeitsheimweges erstmals den Inhalt des Reservetanks hätte in Anspruch nehmen müssen, fehle es an der Tatsache, dass die Betankung des Pkw unerwartet erforderlich geworden wäre. Denn bei angemessener Sorgfalt hätte sie sich schon im eigenen Interesse vor Antritt der Fahrt zur Arbeitsstätte vergewissern müssen, ob der vorhandene Kraftstoff noch ausreichend gewesen sei, um zur Arbeit und zurück zu gelangen.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 20. September 2007 zum Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat an ihrem bisherigen Vorbringen festgehalten und ist der Meinung gewesen, dass sie beim Unfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Die von der Beklagten eingeforderte Sorgfaltspflicht sei überzogen. Die Tankstelle in der Hstraße sei die nächstgelegene Tankstelle gewesen. Sie hat darauf verwiesen, dass grundsätzlich ihr Ehemann für das Betanken des Pkw zuständig sei und den Pkw so betankt habe, dass der Kraftstoff grundsätzlich für eine Woche gereicht habe. Auf der Hinfahrt zur Dienststelle habe die Reservetankanzeige noch nicht geleuchtet. Sie habe für nur 10,05 EUR getankt, weil sie nicht mehr Bargeld dabei gehabt habe. Sie habe nur so viel tanken wollen, dass sie würde nach Hause kommen können. Die Beklagte ist der Klage im Wesentlichen mit ihrem vorprozessualen Vorbringen entgegen getreten.

Das SG hat mit Urteil vom 26. Mai 2011 unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2007 festgestellt, dass das Ereignis vom 16. Februar 2007 ein Arbeitsunfall war. Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zwar das Auftanken eines zur Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzten Fahrzeugs grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzuordnen. Eine andere rechtliche Beurteilung sei hier allerdings gerechtfertigt, weil das Nachtanken während der Fahrt von der Arbeitsstätte unvorhergesehen notwendig geworden sei, damit der restliche Weg habe zurückgelegt werden können. Als brauchbarer Anhaltspunkt und allgemeinen Maßstab für die Notwendigkeit des Tankens habe das BSG auch zur Vermeidung einer zu starken Kasuistik angesehen, dass sich entweder während oder aber auch schon bei Antritt der Fahrt die Notwendigkeit ergebe, den Inhalt des Reservetanks in Anspruch zu nehmen. Dementsprechend habe auch vorliegend Versicherungsschutz bestanden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. Oktober 2011 zugestellte Urteil am 22. November 2011 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrem bisherigen Vorbringen fest.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 31. Januar und 22. Februar 2013 einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Das Ereignis vom 16. Februar 2007 war kein Arbeitsunfall.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs. 1 S. 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R -, zitiert nach juris Rn. 16 f.).

Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Allgemeine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines Pkw sind als Vorbereitungshandlungen unversichert, also z.B. Tanken, Inspektionen, Reparaturen usw., auch wenn sie letztlich mit einer auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (BSG, Urteil vom 04. September 2007 - B 2 U 24/06 R -, zitiert nach juris Rn. 17). Bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung ist ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes zu bejahen, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (z.B. zu Fuß) möglich ist, die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind. Die angeführten Kriterien, Unvorhergesehenheit sowie Relation des noch zurückzulegenden Weges zu den ergriffenen Maßnahmen, sind geeignet, der Entscheidung über die Handlungstendenz des Versicherten zugrunde gelegt zu werden, zumal die aus Erklärungen des Versicherten abgeleitete Handlungstendenz durch derartige objektive Umstände bestätigt bzw. widerlegt werden kann. Auch aus der Länge des restlichen Weges und der Möglichkeit, ihn auf andere Weise zurückzulegen, sind Rückschlüsse auf die Handlungstendenz des Verletzten möglich. Wenn der Versicherte sich für ein bestimmtes Fortbewegungsmittel, wie vorliegend seinen PKW, entschieden hat und ein bestimmte Störung auftritt, die er meint, umgehend beheben zu können, kann nicht gefolgert werden, er habe seine auf die versicherte Tätigkeit gerichtete Handlungstendenz aufgegeben (BSG, a.a.O., Rn. 18 ff.). Hiervon ausgehend ist das Auftanken eines zur Fahrt nach oder von dem Ort der Tätigkeit benutzten Kraftfahrzeuges grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen. Denn es handelt sich dabei um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangeht, der Betriebsarbeit aber zu fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnt ist, zuzurechnen wäre. Eine andere rechtliche Beurteilung ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann. Als brauchbaren Anhaltspunkt für die Notwendigkeit des Tankens hat es der Senat dabei angesehen, dass sich entweder während oder aber auch schon bei Antritt der Fahrt die Notwendigkeit ergibt, den Inhalt des Reservetanks in Anspruch zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1998 – B 2 U 29/97 R -, zitiert nach juris Rn. 18). Unter Berücksichtigung der restriktiven Auslegung des Umfanges des Versicherungsschutzes bei Vorbereitungshandlungen ist von einem unvorhergesehenen Auftanken eines Kraftfahrzeuges nur dann zu sprechen, wenn der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige geht, etwa weil wegen einer Verkehrsumleitung oder wegen eines Staus der Kraftstoffverbrauch so stark ansteigt, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeitsstelle bzw. seine Wohnung nicht mehr erreichen kann (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03. November 2011 – L 3 U 7/09 -, zitiert nach juris Rn. 31).

Hiervon ausgehend lässt sich ein unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehender Unfall im Ereignis vom 16. Februar 2007 nicht erkennen. Die Klägerin hat zwar vorgetragen und dies im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG ergänzt, dass ihr bei Fahrtantritt nicht ersichtlich gewesen sei, dass sie ihren Pkw werde betanken müssen, sondern dass die Reservelampe erst unmittelbar nach Antritt der Rückfahrt aufgeleuchtet habe, so dass sie allenfalls noch eine Wegstrecke von wenigen Kilometern hätte zurücklegen können. Auch erscheint das Aufleuchten der Reservetankleuchte als brauchbarer Anhaltspunkt für die Notwendigkeit des Tankens. Aber selbst dies zugrunde gelegt, kann der Tankvorgang gleichwohl nicht als unausweichlich im Sinne der obigen Rechtsprechung angesehen werden. Nach den vorstehenden Maßstäben war der Tankvorgang nicht unerwartet bzw. unvorhersehbar. Für einen Motorschaden oder kraftstoffintensivere überraschende Verkehrsstauungen hat die Klägerin nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich. Dass sie möglicherweise stärkerem, kraftstoffintensiverem Verkehrsaufkommen während des Feierabendverkehrs vorbeugen wollte, reicht hierfür nicht aus. So ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin am Unfalltag vom Aufleuchten der Reservelampe völlig überrascht worden wäre. Vielmehr erscheint das Aufleuchten der Reservetankleuchte als gewöhnlicher, gerade nicht in den Risiken des Heimwegs angelegter und damit nicht mehr dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfallender Tatbestand. Vor diesem Hintergrund verhilft der Klage auch der Umstand nicht zum Erfolg, dass der Umfang des nachgetankten Kraftstoffs noch in einem sachgerechten Verhältnis zur noch zurückzulegenden Wegstrecke gestanden haben dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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