L 7 EG 1/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 EG 26/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 EG 1/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 2 Abs. 9 Abs. 3 BEEG greift auch dann ein, wenn neben einem Einkommen aus selbstständiger Arbeit ein dieses übersteigendes Erwerbseinkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit erzielt wird, da dem Begriff der "Zusätzlichkeit" i. S. der genannten Vorschrift kein quantitatives Element innewohnt (Anschluss an BSG, Urteil vom 03.12.2009 - B 10 EG 10 2/09 R).

2. § 2 Abs. 9 BEEG verstößt in der durch das BSG mit Urteil vom 05.04.2012 bestätigten Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht.

3. Im Falle einer vorzeitigen Geburt eines Kindes ist auch das vor dem erwarteten Geburtstermin gezahlte Mutterschaftsgeld auf das Elterngeld anzurechnen (Anschluss an HessLSG, Urteil vom 26.11.2011 - L 6 EG 4/09, Juris, RdNr. 21)

4. Die Anrechnung des (verlängerten) Mutterschaftsgeldes bei Mehrlingsgeburten auf das Elterngeld ist nicht verfassungswidrig.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. November 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), das der Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) für ihre beiden am 27.08.2007 geborenen Kinder E und C zusteht.

Die Klägerin erzielte im Zeitraum von Januar 2006 bis Juli 2007 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, und zwar in der Zeit vom Januar bis Dezember 2006 i.H.v. 12.074,01 EUR und im Zeitraum vom Januar 2007 bis Juli 2007 i.H.v. 12.398,00 EUR brutto. Weiter erzielte sie nach der Einnahmeüberschussrechnung für 2006 einen Jahresüberschuss i.H.v. 261,87 EUR aus selbständiger Tätigkeit. Im Zeitraum von Januar 2007 bis Juni 2007 erzielte sie aus der gleichen Tätigkeit 2.893,36 EUR.

Nach der Geburt ihrer beiden Kinder am 2007 beantragte sie am 19.11.2007 Elterngeld bei dem Amt für Familie und Soziales Chemnitz. Nach der Bescheinigung über Mutterschaftsgeld erhielt die Klägerin im Zeitraum vom 07.08.2007 bis 11.12.2007 je 13,00 EUR kalendertäglich. Weiter wurde ihr für den Zeitraum vom 28.07. bis 11.12.2007 ein arbeitgeberseitiger Zuschuss zum Mutterschaftsgeld i.H.v. 31,42 EUR kalendertäglich gezahlt.

Mit Bescheid vom 04.01.2008 bewilligte das Amt für Familie und Soziales C der Klägerin für den Zeitraum vom 27.08.2007 bis 26.10.2008 Elterngeld i.H.v. monatlich 752,20 EUR. Für den Zeitraum vom 27.08.2007 bis 26.11.2007 errechnete sich nach Anrechnung des Mutterschaftsgeldes inklusive Arbeitgeberzuschuss hierzu einen Zahlbetrag von 0, da die anzurechnende Leistung höher war als das zustehende Elterngeld. Für den Zeitraum vom 27.11. bis 26.12.2007 wurde ein Zahlbetrag von 376,10 EUR unter Anrechnung der vorgenannten Leistungen für die Zeit bis zum 11.12.2007. Für den übrigen Zeitraum bis einschließlich 26.10.2008 wurden monatlich 752,20 EUR bewilligt.

Hiergegen legte die Klägerin am 06.02.2008 Widerspruch ein und meinte, der Berechnung sei der 12-Monatszeitraum vor dem Monat der Geburt der Zwillinge sowie der Gewinn aus dem Jahre 2006 zu Grunde zu legen. § 2 Abs. 9 Satz 3 BEEG sei nicht anwendbar, da vorliegend nicht zusätzlich zu den Einkünften aus Gewerbe Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt worden sei, sondern es sei umgekehrt. Die Anrechnung des gemäß § 2 Abs. 6 BEEG um 300,00 EUR erhöhten Elterngeldes auf das Mutterschaftsgeld sehe das Gesetz nicht vor. Das Gesetz gehe vom Normalfall, nämlich einem Kind aus. Sie habe auch nicht aufgrund der Zwillingsgeburt erhöhtes Mutterschaftsgeld bekommen. Das aufgrund der Mehrlingsgeburt um 4 Wochen länger gezahlte Mutterschaftsgeld sei ebenfalls anrechnungsfrei. Bei einer Anrechnung sei eine finanzielle Benachteiligung gegenüber Müttern mit nur einem Kind gegeben, die nicht vom Gesetzgeber gewollt sein könne. Da die Zwillinge 22 Tage vor dem errechneten Geburtstermin auf die Welt gekommen seien, sei das für diese Zeit gezahlte Mutterschaftsgeld nicht anzurechnen. Wären ihre Zwillinge zum errechneten Geburtstermin am 18.09.2007 gekommen, so hätte sie die vollen 6 Wochen vor der Geburt das Mutterschaftsgeld ohne Anrechnung bekommen. Auch dies sei eine von Gesetzgeber nicht gewollte Benachteiligung.

Nachdem die Klägerin die Gehaltsbescheinigungen für Januar bis Juli 2006, monatliche betriebswirtschaftliche Auswertungen für den Zeitraum August 2006 bis Juli 2007 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 20.12.2007 (Bl. 42 ff. Leistungsakte (LA)) vorgelegt hatte, aus dem sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 261,00 EUR und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 19.029,00 EUR ergaben, errechnete der Beklagte und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Beklagter) unter Zugrundelegung der im Jahre 2006 erzielten Einkünfte ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 1.006,17 EUR aus nichtselbständiger Tätigkeit und hiermit ein grundsätzlich zustehendes Elterngeld i.H.v. 688,75 EUR, welches zuzüglich des Mehrgeburtenzuschlags von 300,00 EUR zu einem Anspruch von 988,75 EUR führte. Mit Änderungsbescheid vom 05.06.2008 setzte er den Anspruch entsprechend fest. Der Beklagte setzte als Einkünfte im Bemessungszeitraum aus nichtselbständiger Arbeit 17.490,99 EUR brutto an und zog hiervon Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung i.H.v. 3.755,05 EUR, Steuern i.H.v. 741,93 EUR sowie die Werbungskostenpauschale von 920,00 EUR ab. Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigte er i.H.v. 261,87 EUR, sodass sich ein zu berücksichtigendes Einkommen von jährlich 12.335,88 EUR ergab, das zu einem zu berücksichtigenden durchschnittlichen Einkommen von monatlich 1.027,99 EUR führte. Auf das Elterngeld sei das Mutterschaftsgeld von täglich 13,00 EUR sowie der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld i.H.v. 31,42 EUR täglich anzurechnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008 wies der Kommunale Sozialverband Sachsen (KSV) den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht abgeholfen worden war. Gemäß § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG gelte abweichend von den Vorschriften der § 2 Abs. 7 und 8 BEEG als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus dieser Erwerbstätigkeit der durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn, wie er sich aus dem für den Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergebe, wenn die Erwerbstätigkeit sowohl des gesamten für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes maßgeblichen Zeitraums als auch während des gesamten letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraums ausgeübt worden sei. Sei in dem für die Einkunftsermittlung vor der Geburt des Kindes maßgeblichen Zeitraum zusätzlich Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt worden, gelte als vor der Geburt durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen nach § 2 Abs. 7 BEEG das in dem Veranlagungszeitraum nach § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG zu Grunde liegenden Gewinnermittlungszeitraum durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin habe sowohl die nichtselbständige Arbeit als auch die selbständige Arbeit während des gesamten maßgeblichen 12 Monaten vor der Geburt der Kinder liegenden als auch im gesamten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum – dem Kalenderjahr 2006 – ausgeübt, sodass auf das Einkommen des Kalenderjahres 2006 abzustellen gewesen sei. Gemäß § 3 Abs. 1 BEEG werde Mutterschaftsgeld für die Zeit ab dem Tag der Geburt mit Ausnahme des Mutterschaftsgeldes nach § 13 Abs. 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG) auf das ihr zustehende Elterngeld angerechnet. Das gleiche gelte für Mutterschaftsgeld, das der Mutter im Bezugszeitraum des Elterngeldes für die Zeit vor dem Tag der Geburt eines weiteren Kindes zusteht. Dies gelte auch für den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG. Stünden die Leistungen nur für einen Teil des Lebensmonats des Kindes zu, seien sie nur auf den entsprechenden Teil des Elterngeldes anzurechnen. Die Anrechnung sei entsprechend den vorgelegten Bescheinigungen von 27.08.2007 bis 11.12.2007 vorzunehmen gewesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 01.12.2009 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben. Sie hat zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Mit Urteil vom 12.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 2 Abs. 9 BEEG lägen vor. Die Klägerin habe sowohl im gesamten letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum des Zeitraumes 2006 als auch während der gesamten maßgeblichen 12 Monaten vor der Geburt ihrer Kinder Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und auch selbständiger Tätigkeit erzielt. Auch die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes einschließlich des Zuschusses des Arbeitgebers hierzu i.H.v. 44,42 EUR kalendertäglich im Zeitraum vom 27.08.2007 bis 26.11.2007 sei nicht zu beanstanden.

Gegen das ihr am 11.12.2009 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 08.01.2010 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen ist. Die Klägerin wiederholt ebenfalls ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.11.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Amtes für Familie und Soziales C vom 04.01.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides des vom 05.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kommunalen Sozialverbandes Sachsen vom 29.10.2008 dahin abzuändern, dass ihr Elterngeld für ihre am 27.08.2007 geborene Zwillinge ausgehend von den im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.07.2007 erzielten Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit zzgl. des im Jahr 2006 erzielten Gewinne aus Gewerbebetrieb errechnet wird, sowie dass für den Zeitraum vom 18.09.2007 bis 26.08.2007 gezahltes Elterngeld anrechnungsfrei verbleibt und ebenfalls, dass im Zeitraum vom 27.08.2007 bis 11.12.2007 weitere 300,00 EUR des Elterngeldes anrechnungsfrei verbleiben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes sei zutreffend erfolgt. Die Einkommensberechnung sei ebenfalls korrekt. § 2 Abs. 9 BEEG sei anzuwenden. Diese Vorschrift unterscheide nicht danach, ob und aus welcher der beiden Einkommensarten der überwiegende Anteil der Einnahme erzielt wird. Insofern missverstehe die Klägerin den Wortlaut des Gesetzes, dass davon spreche, dass " zusätzlich" zu den Einnahmen aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt werden müssten.

Der Senat hat die Klägerin zu Art und Umfang ihrer im 12-Monatszeitraum vor der Geburt der Kinder und während des Veranlagungszeitraums 2006 befragt. Wegen des Ergebnisses dieser Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.10.2012 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Beklagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Zur Begründung wird zunächst auf die im Ergebnis zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Bei Selbstständigen - wie der Klägerin - ist das zu berücksichtigende Erwerbseinkommen entweder nach Maßgabe des § 2 Abs. 8 BEEG oder nach Maßgabe des § 2 Abs. 9 BEEG zu ermitteln. Die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung geschaffene Sonderregelung des § 2 Abs. 9 BEEG (hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2009 – B 10 EG 2/09 R, Juris, RdNr. 23 ff) enthält nur Bestimmungen für die Ermittlung des hier maßgeblichen vorgeburtlichen Einkommens. § 2 Abs. 8 BEEG enthält den Grundsatz, dass als Einkommen aus selbstständiger Arbeit "der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Gewinn zu berücksichtigen" ist. Danach ist Grundlage der Einkommensermittlung bei Selbstständigen der Gewinn, der sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs. 3 BEEG entsprechenden Berechnung ergibt, also der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. Abweichend von 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 8 BEEG bestimmt § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit den durchschnittlich monatlich erzielten Gewinn, wie er sich aus dem für dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergibt, wenn die dem zu berücksichtigenden Einkommen zugrunde liegende Erwerbstätigkeit sowohl während des gesamten für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes maßgeblichen Zeitraums als auch während des gesamten letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraums ausgeübt worden ist. Diese Fiktion des Bemessungszeitraumes tritt dann nicht ein, wenn im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 2 Abs. 7 Satz 5 oder Satz 6 BEEG vorgelegen haben, also Elterngeld für ein älteres Kind oder Mutterschaftsgeld bezogen worden ist und/oder Einkommen aus Erwerbstätigkeit wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung ganz oder teilweise weggefallen ist, was vorliegend nicht der Fall ist.

Schließlich bestimmt § 2 Abs. 9 Satz 3 1. Halbsatz BEEG, dass dann, wenn in dem für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes maßgeblichen Zeitraum zusätzlich Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt worden ist, Satz 1 dieser Vorschrift (Zugrundelegung des letzten steuerlichen Veranlagungszeitraums) nur anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 auch für die dem Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit zugrunde liegende Erwerbstätigkeit erfüllt sind. In diesen Fällen gilt als vor der Geburt durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen nach § 2 Abs. 7 BEEG das in dem dem Veranlagungszeitraum nach Abs 9 Satz 1 zugrunde liegenden Gewinnermittlungszeitraum durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 2 Abs. 9 Satz 3 2. Halbsatz BEEG). Auch wenn das Erwerbseinkommen der Klägerin vor der Geburt des Kindes ganz überwiegend aus nichtselbstständiger Arbeit stammt, ist dieses Entgelt neben dem Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit i.S. d. § 2 Abs. 9 Satz 3 BEEG "zusätzlich" erzielt worden. Dem Begriff der Zusätzlichkeit wohnt kein quantitatives Element in dem Sinne inne, dass ein zusätzlich erzieltes Einkommen nur vorliegen kann, wenn es geringer als das zunächst maßgebliche Einkommen ist. Das Wort "zusätzlich" in § 2 Abs. 9 Satz 3 BEEG muss vielmehr vor dem rechtlichen Hintergrund gesehen werden, dass § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG (aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung) allgemein auf das Einkommen aus dem letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum abstellt (BSG, Urteil vom 03.12.2009 – B 10 EG 2/09 R), sobald der Elterngeldberechtigte ein positives Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit erzielt hat, und zwar unabhängig von dessen Höhe. Dieses Verständnis des Wortlauts wird durch eine systematische Betrachtung der Abs. 7, 8 und 9 des § 2 BEEG erhärtet. Abs. 7 enthält ausschließlich Regelungen zur Bestimmung des Einkommens aus nichtselbstständiger Arbeit. Die Abs. 8 und 9 Satz 1 und Satz 2 regeln die Ermittlung des Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit. Abs. 9 Satz 3 schließlich bestimmt die Rechtslage bei Zusammentreffen von Einkünften aus selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit, wobei er wegen seines Aufbaus und der Bezeichnung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als "zusätzliches" Einkommen den Einkünften aus selbstständiger Arbeit den maßgebenden Vorrang einräumt. Dieses Einkommen ist das für die Art und Weise der Einkommensermittlung primär maßgebende. Da im Rahmen des § 2 Abs. 9 Satz 3 BEEG keinerlei Größenvorgaben gemacht werden, ist zwingend davon auszugehen, dass ein "zusätzlich" erzieltes Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit auch erheblich höher sein kann, als das Einkommen aus selbstständiger Arbeit. Greift danach vorliegend § 2 Abs. 9 Satz 3 BEEG grundsätzlich ein, so sind auch dessen weitere Tatbestandsmerkmale gegeben. Die Klägerin hat ihre selbstständige Tätigkeit und ihre nichtselbstständige Arbeit sowohl während des vor der Geburt des Kindes maßgeblichen 12-Monatszeitraums als auch während des letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraums (hier: das Jahr 2006) in gleichem Umfang ausgeübt, wie sie in der mündlichen Verhandlung am 23.10.2012 erklärt hat. Das BSG hat für den Fall von Elterngeldberechtigten, die in den beiden Vergleichszeiträumen ausschließlich selbstständig tätig waren, aber wegen eines unterschiedlichen zeitlichen Umfangs dieser Tätigkeit voneinander abweichende Gewinne erzielt hatten, entschieden (Urteile v.17.2.2011 – B 10 EG 1/10 R und B 10 EG 2/10 R -), dass für die Höhe des Elterngeldes der sich aus dem Steuerbescheid des letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraums ergebende durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn aus selbstständiger Arbeit nur dann zugrunde gelegt werden darf, wenn die im maßgeblichen 12-Monatszeitraum vor der Geburt des Kindes und die im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum durchgängig ausgeübte (selbstständige) Erwerbstätigkeit ihrer Art nach übereinstimmt und das Einkommen von derselben Person bei etwa gleichem Zeitaufwand erzielt wird. Die Grenzen einer ansonsten nach Art. 3 Abs. 1 GG zulässigen Typisierung werden danach eingehalten, wenn der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit in den in Rede stehenden Bemessungszeiträumen um weniger als 20 % voneinander abweicht. Die Klägerin hat hierzu erklärt, dass die Tätigkeiten in den jeweiligen Vergleichszeiträumen im gleichen zeitlichen Umfang ausgeführt worden seien.

Bei einer Elterngeldberechtigten wie der Klägerin, die in beiden Vergleichszeiträumen sowohl selbstständig als auch nichtselbstständig tätig war, sind die gleichen Maßstäbe anzulegen. Die Art der ausgeübten Tätigkeit als Angestellte und als Praxisvertreterin ist durchgängig gleich geblieben. Auch hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten ergeben sich unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) keine relevanten Abweichungen, die eine Anwendung des § 2 Abs. 9 BEEG und damit die Zugrundelegung des Einkommens aus dem Jahr 2006 ausschlössen. § 2 Abs. 9 BEEG in der dargelegten Auslegung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (BSG, Urt. v. 05.04.2012 – B 10 EG 4/11 R, Juris).

Im Falle einer vorzeitigen Geburt des Kindes wird auch das vor dem errechneten Geburtstermin gezahlte Mutterschaftsgeld auf das zustehende Elterngeld angerechnet. Eine Verkürzung der Dauer des Bezugs von Elterngeld aufgrund der Verlängerung der nachgeburtlichen Schutzfrist ist weder verfassungsrechtlich noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (Urteil vom 26.11.2011 – L 6 EG 4/09, Juris, RdNr. 21; hiergegen ist eine Revision beim Bundessozialgericht unter dem Az. B 10 EG 19/11 R anhängig.) an. Auch ist es nicht verfassungswidrig, wenn bei Mehrlingsgeburten die Anrechnung des (verlängerten) Mutterschaftsgeldes erfolgt, denn auch bei einem nicht zeitgleichen Geburtsfall wäre Mutterschaftsgeld bewilligt und angerechnet worden. Ein verfassungsrechtliches Gebot, das den Gesetzgeber zwingen könnte, eine solche Anrechnungsfreiheit zu normieren, ist angesichts des im Bereich der im Sinne einer gesetzgeberischen Wohltat gewährenden Leistungsgesetzgebung weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung (Anrechnung des Mutterschaftsgeldes bei vorzeitiger Geburt/Mehrlingen) zuzulassen.

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Wagner Weinholtz (zugleich für den wegen der Beendigung der Abordnung an das Sächsische Landessozialgericht an der Unterschrift gehinderten Richter am Sozialgericht Czarnecki)
Rechtskraft
Aus
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