Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 442/06
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KA 8/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Landessozialgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2013 durch
für Recht erkannt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
 
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses wegen der Verordnung des Arzneimittels CellCept® im Quartal III/2003 für ein an Morbus Crohn erkranktes Kind.
Der Kläger ist Facharzt für Kinderheilkunde. Er war im streitigen Quartal in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums E. in H. tätig und nahm im Rahmen einer Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beigeladenen zu 1) teil. Er behandelte unter anderem die 1985 geborene R., die unter einer schweren Verlaufsform des Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, litt. Im Quartal III/2003 verordnete er ihr zweimal das Arzneimittel CellCept®, wobei sich der Wert dieser Verordnungen abzüglich des Apothekenrabatts auf insgesamt EUR 1.475,96 belief. Die Patientin war von Zuzahlungen befreit.
CellCept® enthält den Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil und war im streitigen Quartal ausschließlich in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe einer akuten Transplantatabstoßung bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation zugelassen und ist dies bis heute.
Die Beigeladene zu 2), bei der die Patientin krankenversichert war, stellte am 21. Mai 2004 beim Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung H. den Antrag, die Wirtschaftlichkeit der streitigen Verordnungen zu prüfen. Im Rahmen seiner Anhörung teilte der Kläger mit, die Patientin habe unter einer schweren Verlaufsformen des Morbus Crohn gelitten und auf die konventionellen Therapien nicht ausreichend angesprochen. Es sei daher das Konzept eines Heilversuchs mit Immunsuppressiva entwickelt worden, dessen Ergebnisse als Kongressmitteilung publiziert worden seien. Bei der Patientin habe die Behandlung zu deutlichen Verbesserungen ihres Gesundheitszustandes geführt. Ohne diese Behandlung wären langfristige stationäre Aufenthalte und Operationen erforderlich gewesen, die für die Krankenversicherung deutlich teurer geworden wären.
Der Prüfungsausschuss setzte mit Beschluss vom 31. August 2005 einen Regress in Höhe von EUR 1.475,96 gegen den Kläger fest, da die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Use) nicht gegeben seien. Der therapeutische Ansatz sei zwar grundsätzlich nachzuvollziehen, es fehle jedoch an zuverlässigen, wissenschaftlich nachvollziehbaren Aussagen für das neue Anwendungsgebiet.
Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss vom 5. Juli 2006 – an den Kläger abgesandt am 26. Juli 2006 – zurück und führte aus, dass die Behandlung der Patientin R. im Rahmen einer Pilotstudie erfolgt sei, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren sei.
Mit seiner dagegen am 28. August 2006 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, es habe sich nicht um eine Studie, sondern um einen individuellen Heilversuch für insgesamt sechs Kinder gehandelt. Entsprechend dem Auftrag eines Universitätsklinikums sei dieser für später zu planende Studien ausgewertet worden.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 2. Dezember 2009 – den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 19. März 2010 – abgewiesen und ausgeführt, die streitigen Verordnungen seien unwirtschaftlich, da sie im Rahmen einer Studie erfolgt seien, die nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfalle. Darüber hinaus wären sie aber auch als vertragsärztliche Verordnungen außerhalb einer Studie unwirtschaftlich gewesen, da die Voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use nicht gegeben seien, denn es fehle jedenfalls an einem Konsens der wissenschaftlichen Fachkreise über den voraussichtlichen Nutzen der Behandlung auf Basis von zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen. Es bestehe auch keine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen aufgrund einer etwaigen Seltenheit der Krankheit, denn Morbus Crohn sei mit einer Prävalenz von 150 pro 100.000 Einwohner keine extrem seltene und deshalb praktisch nicht erforschbare Erkrankung.
Der Kläger hat dagegen am 15. April 2010 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht sei zu Unrecht von einer klinischen Studie ausgegangen, denn es habe sich tatsächlich um einen individuellen Heilversuch gehandelt. Zwar seien nicht dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Heilversuche von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht umfasst, hier liege aber ein Ausnahmefall vor, denn es habe ein zulässiger Off-Label-Use vorgelegen. Der Krankheitsverlauf unter konventioneller Therapie seien als therapierefraktär einzustufen gewesen mit der Folge einer schwersten somatischen und psychischen Beeinträchtigung der Patientin. Die bisherige Therapie sei ineffektiv mit ständigen Rezidiven und stationären Behandlungen gewesen. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar gewesen, da die Alternative einer Behandlung mit Infliximab wegen des Risikos der Lymphombildung nicht zu akzeptieren gewesen sei. Es habe auch die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden, da Morbus Crohn zum damaligen Zeitpunkt als Autoimmunerkrankung anerkannt und der Einsatz von neuen und gezielten Immunsuppressiva daher gerechtfertigt gewesen sei. Zur Zeit des Heilversuchs seien zahlreiche Studien bei Erwachsenen gelaufen. Der Behandlungserfolg bei der Patientin habe die Therapie gerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe es sich außerdem um eine seltene Erkrankung gehandelt. Die Prävalenz des Morbus Crohn liege bei 150 pro 100.000 Einwohner, davon machten Kinder unter 18 Jahren 30 % aus. Wenn also 50 Kinder pro 100.000 Einwohner erkrankten, seien davon 2,5 % als therapierefraktär einzustufen, also nur 1,25 pro 100.000 Einwohner. Schließlich sei auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 – Juris) nicht berücksichtigt worden. Die Patientin habe nämlich unter einer lebensgefährlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gelitten, für deren Behandlung eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung gestanden habe und es habe eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2009 und den Beschluss des Beklagten vom 5. Juli 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Beschluss des Prüfungsausschusses vom 31. August 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und hält daran fest, dass es sich jedenfalls anfänglich um eine Studie gehandelt habe, in deren Rahmen der Patientin R. das Medikament Cellcept® verordnet worden sei. Im Übrigen könne dies offen bleiben, da jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use und auch die Voraussetzungen eines Seltenheitsfalles nicht erfüllt seien.
Die Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Akte des Beklagten und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. März 2013 hinzugezogenen weiteren Akten des Sozial- und Landessozialgerichts Hamburg Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein der Beschluss des Beklagten vom 5. Juli 2006. Dieser hat den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses ersetzt, da der Beklagte nach seiner Anrufung ausschließlich und endgültig für das weitere Prüfverfahren zuständig geworden ist (BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 13/10 R – Juris, m.w.N.).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneimittelregresses ist § 106 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der Fassung des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3773). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, und zwar entweder im Rahmen von Auffälligkeitsprüfungen oder auf der Grundlage von Stichproben in Zufälligkeitsprüfungen geprüft. Darüber hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Aufgrund dieser Ermächtigung haben die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung und die H. Krankenkassenverbände die ab 1. Januar 1994 geltende Prüfungsvereinbarung vom 3. Februar 1994 geschlossen, welche in der hier maßgeblichen Fassung vom 21. Juni 1999 in § 20 Abs. 1 S. 1 bestimmt, dass auf Antrag unter anderem einer Krankenkasse geprüft wird, ob ein Arzt durch Verordnung insbesondere von Arzneimitteln im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Anträge wegen einzelner Arzneimittel sind danach nur zulässig, wenn die Nettokosten der beanstandeten Mittel insgesamt mehr als 50 DM betragen (§ 20 Abs. 1 S. 2 der Prüfungsvereinbarung). Das Prüfverfahren ist in § 106 Abs. 5 SGB V geregelt. Danach entscheiden die Prüfgremien, ob der Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind (§ 106 Abs. 5 S. 1 SGB V). Nach § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V sollen dabei gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorgehen. Nach § 20 Abs. 3 S. 1 der Prüfungsvereinbarung kann der Prüfungsausschuss einen Regress festsetzen, soweit er feststellt, dass der Arzt im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Die Höhe des Regresses richtet sich nach dem tatsächlich festgestellten oder dem geschätzten Mehraufwand (§ 20 Abs. 3 der Prüfungsvereinbarung).
Es handelt sich bei der vorliegenden Streitigkeit über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneimittelverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress wegen eines "sonstigen Schadens" im Sinne von § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte, denn im Streit steht ein Fehler der Verordnung selbst, nämlich die Verordnung außerhalb der erteilten Zulassung (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris).
In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Regressfestsetzung. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte als Prüfmethode eine (eingeschränkte) Einzelfallprüfung gewählt hat. Diese Prüfmethode ist insbesondere dann sachgerecht, wenn – wie hier – das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 6 KA 44/06 R – Juris).
Auch in der Sache ist der angefochtene Beschluss des Beklagten nicht zu beanstanden, denn die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 der Prüfungsvereinbarung liegen vor. Insbesondere waren die streitbefangenen Verordnungen unwirtschaftlich, denn der Kläger durfte das Arzneimittel Cellcept® nicht zur Behandlung des Morbus Crohn zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, sodass die gleichwohl ausgestellten Verordnungen unwirtschaftlich sind.
Sollten die Verordnungen im Rahmen einer klinischen Studie erfolgt sein, wären sie bereits aus diesem Grunde unwirtschaftlich, da die vertragsärztliche Verordnung von Arzneimitteln für die Zeit der klinischen Prüfung nach §§ 40, 41 Arzneimittelgesetz ausscheidet, denn es ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinische Forschung zu finanzieren (BSG, Urteil vom 08.03.1995 – 1 RK 8/94; BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R; beide Juris). Allerdings bestehen am Vorliegen einer klinischen Studie bereits angesichts der sehr geringen Patientenzahl von nur sechs Kindern erhebliche Zweifel. Dies kann jedoch dahin stehen, da die Verordnungen des streitigen Arzneimittels auch im Rahmen eines individuellen Heilversuchs unzulässig und damit unwirtschaftlich waren.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe der § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 SGB V. Dieser Anspruch unterliegt jedoch den Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist. Ebenso kann ein Arzneimittel auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R; BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 14/06 R; BSG, Urteil vom 27.06.2012 – B 6 KA 72/11 B; alle Juris).
Eine zulassungsüberschreitende Anwendung liegt hier vor, da Cellcept® ausschließlich zur Prophylaxe akuter Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen bestimmter Organe zugelassen war und bis heute ist, der Kläger sie aber bei der Patientin R. zur Behandlung des bei ihr bestehenden Morbus Crohn eingesetzt hat.
Der Ausschluss einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) allerdings nicht ausnahmslos, wenn es sich um unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien handelt. Wegen des dargestellten Vorrangs des Arzneimittelrechts muss dies aber auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn es
(1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
(2) keine andere Therapie verfügbar ist und
(3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar dürfte es sich bei Morbus Crohn jedenfalls in der bei der Patientin R. vorliegenden Ausprägung um eine schwerwiegende, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handeln. Ob die anderweitigen Therapiemöglichkeiten im Falle dieser Patientin bereits ausgeschöpft waren, kann dahin stehen, da jedenfalls aufgrund der Datenlage keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Hierfür genügt es nicht, dass die Behandlung der Patientinnen im Einzelfall erfolgreich war. Damit dies angenommen werden kann, müssen vielmehr Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Das ist der Fall, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urteil vom 19.03.2002, a.a.O.; BSG, Urteil vom 26.09.2006, a.a.O.). Dabei muss die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich sein, da es für den Schutz der Patienten gleichgültig ist, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, Urteil vom 26.09.2006, a.a.O.). Es müssen also grundsätzlich alle drei Phasen einer klinischen Prüfung durchlaufen und mit erfolgreichen Studien beendet worden sein.
Derartige Erkenntnisse lagen für die Behandlung von Morbus Crohn bei Kindern mit Cellcept® im streitigen Verordnungszeitraum nicht vor und es gibt sie bis heute nicht. Dies wird auch von dem Kläger letztlich nicht in Abrede gestellt. Dieser hat vielmehr die Behandlung der Patientin R. sowie fünf weiterer Kinder mit schweren Verlaufsformen des Morbus Crohn selbst als "individuelle Heilversuche" bzw. "Pilotstudie" bezeichnet, deren Ergebnisse als Kongressmitteilung veröffentlicht wurden und eine spätere Studie allenfalls vorbereiten sollten. Etwas anderes ergibt sich weder aus den von ihm im Rahmen des Prüfverfahrens eingereichten Veröffentlichungen noch aus der evidenzbasierten Leitlinie "Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) aus dem Jahr 2003. Dort heißt es zwar, dass Mycophenolat-Mofetil in Ausnahmefällen als Medikament der dritten Wahl bei chronisch-aktivem Morbus Crohn mit Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit von Azathioprin, 6-Mercaptopurin und Methotrexat eingesetzt werden könne. Dies ersetzt aber nicht die für einen zulässigen Off-Label-Use erforderliche gesicherte Studienlage. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Erfahrungen mit Kindern nicht vorlägen. Mycophenolat-Mofetil wird außerdem im Zusammenhang mit der Behandlung von bei Morbus Crohn auftretenden Analfisteln erwähnt, aber lediglich als experimentell eingestuft. Die aktuellen Leitlinien (Stand Juni 2008) enthalten bis heute auch für therapierefraktäre Verläufe keine Empfehlung für die Behandlung mit Mycophenolat-Mofetil. Der Kläger mag zwar zu Recht darauf hinweisen, dass insgesamt für die Behandlung von Morbus Crohn-Patienten im Kindesalter keine befriedigende Studienlage existiert, dies ändert aber nichts daran, dass die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use der hier streitigen Arzneimittel nicht erfüllt sind.
Entgegen dem Vortrag des Klägers waren die streitigen Verordnungen auch nicht nach den Grundsätzen eines sogenannten Seltenheitsfalles zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ausnahmsweise ein Anspruch auf Ver¬sor¬gung mit einem arz¬nei¬mit¬tel¬recht¬lich nicht bzw. nicht für die betreffende Indikation zuge¬las¬se¬nen Arz¬nei¬mit-tel zulas¬ten der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen, wenn es um die Behand¬lung einer Krank¬heit geht, die welt¬weit so sel¬ten auf¬tritt, dass ihre sys¬te¬ma¬ti¬sche wis¬sen¬schaft¬li-che Erfor¬schung ein¬schlie߬lich ihrer Behand¬lung mit Arz¬nei¬mit¬teln prak¬tisch aus¬schei¬det und für die andere The¬ra¬piemög¬lich¬kei¬ten als die Ver¬sor¬gung mit dem nicht zuge¬las¬se¬nen Arz¬nei¬mit¬tel nicht zur Ver¬fü¬gung ste¬hen. Erforderlich ist hierfür ein hohes Maß an Gewissheit, dass generelle Aussagen zur Therapie der Krankheit infolge der geringen Zahl an Patienten wirklich so gut wie ausgeschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R; BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 20/10 R; beide Juris). In Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. Nr. L 018 vom 22.01.2000, S. 0001-0005) wird ein Leiden als selten definiert, wenn von ihm nicht mehr als fünf von 10.000 Personen betroffen sind. Nach diesen Maßstäben ist Morbus Crohn keine seltene Erkrankung. Nach der Leitlinie der DGVS - sowohl in der aktuellen Fassung aus 2008 als auch in der Vorgängerfassung aus 2003 - liegt ihre Prävalenz vielmehr bei etwa 120 bis 200 pro 100.000 Einwohner, nach den Angaben des Klägers bei 150 pro 100.000 Einwohner. Vor allem aber ist die Krankheit nicht unerforscht, sondern es existieren bereits seit vielen Jahren und auch im Verordnungszeitraum konventionelle Therapiestandards mit hierfür zugelassenen Arzneimitteln, was schon daraus ersichtlich ist, dass es seit 1997 evidenzbasierte Leitlinien der betreffenden Fachgesellschaft gibt.
Es ist auch nicht zulässig, allein auf die Prävalenz von Morbus Crohn bei Kindern abzustellen, denn es handelt es sich insoweit nicht um ein eigenständiges Krankheitsbild, auf das generell andere Therapien als bei Erwachsenen anzuwenden wären. Vielmehr gelten die konventionellen Therapiestandards für Kinder mit Morbus Crohn grundsätzlich – unter Umständen mit gewissen Besonderheiten – ebenso wie für Erwachsene (S. 1113 der Leitlinie der DGVS, Stand 2008) und wurden bei der Patientin R. auch angewandt. Auch ist der Beginn einer Morbus Crohn-Erkrankung im Kindesalter nicht ungewöhnlich, denn aus der Leitlinie der DGVS (Stand 2008) ergibt sich, dass die höchste altersspezifische Inzidenz bei den 15 bis 34jährigen besteht und bei 15 bis 25 % der Patienten die ersten Symptome bereits vor dem 20. Lebensjahr auftreten. Erst recht kann entgegen der Auffassung des Klägers ein Seltenheitsfall nicht dadurch konstruiert werden, dass ausschließlich die 2,5 % der an Morbus Crohn erkrankten Kinder in den Blick genommen werden, die als therapierefraktär einzustufen sind, denn es gibt bei fast jeder Krankheit eine mehr oder weniger große Anzahl von Patienten, die auf die konventionellen Therapien nicht ansprechen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Krankheit insgesamt als unerforschbar anzusehen wäre, zumal dadurch die Vorgaben des Arzneimittelrechts grundsätzlich unterlaufen würden.
Es ist schließlich auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und sie daher verneint wird, wenn ein Arzneimittel nicht bzw. nicht für die betreffende Indikation zugelassen ist (BVerfG, Beschluss vom 05.03.1997 – 1 BvR 1071/95 – Juris). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.), wonach es mit dem Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, der unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten ärztlichen Behandlung auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der in Betracht kommenden Regelungen nur, wenn nach den konkreten Umständen des Falles anzunehmen ist, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG, Urteil vom 28.02.2008, a.a.O.; BSG, Urteil vom 27.03.2007 – B 1 KR 17/06 R - Juris). Dass dies bei der Patientin R. im Verordnungszeitraum der Fall war, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Nichts anderes folgt aus § 2 Abs. 1a SGB V, der mit Wirkung zum 1. Januar 2012 in das SGB V eingefügt worden ist und damit insoweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in geltendes Gesetzesrecht übernommen hat. Denn die in dieser Regelung bestimmten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch entsprechen den vom Bundesverfassungsgericht formulierten und ermöglichen keinen vereinfachten Zugang zu abweichenden Leistungen.
Eine Beratung musste der Festsetzung der Regresse jeweils nicht vorangehen. Für Prüfungen der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise ist eine vorgängige Beratung gemäß § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V dann nicht erforderlich, wenn einzelne Fälle gänzlich unzulässiger Verordnungen in Frage stehen, wenn also dem Arzt zum Beispiel – wie hier – ein unzulässiger-Off Label-Use angelastet wird (BSG, Urteil vom 03.02.2010 – B 6 KA 37/08 R – Juris; BSG, Urteil vom 05.11.2008 – B 6 KA 63/07 R; jeweils m.w.N.).
Unerheblich ist, ob dem Kläger bezüglich der unzulässigen Verordnungen ein Verschulden anzulasten ist, da Verordnungsregresse gemäß § 106 SGB V kein Verschulden des Vertragsarztes voraussetzen (BSG, Urteil vom 03.02.2010, a.a.O.).
Auch eine Ermessensausübung des Beklagten war nicht erforderlich. Bei Regressen, denen unzulässige Verordnungen zugrunde liegen, kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden. Es ist somit auch kein Grund ersichtlich, nur einen Teil der Unwirtschaftlichkeit abzuschöpfen. Eine Gegenrechnung der hypothetischen Kosten einer anderen zulässigen Therapie findet ebenfalls nicht statt (BSG, Urteil vom 03.02.2010, a.a.O.).
Bezüglich der Höhe des Regresses, der den Nettokosten der streitigen Verordnungen entspricht, bestehen auch im Übrigen keine Bedenken. Den Apothekenrabatt hat der Beklagte abgezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Ihre außergerichtlichen Kosten sind aus den gleichen Gründen nicht erstattungsfähig (§ 197a SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO).
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2013 durch
für Recht erkannt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
 
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses wegen der Verordnung des Arzneimittels CellCept® im Quartal III/2003 für ein an Morbus Crohn erkranktes Kind.
Der Kläger ist Facharzt für Kinderheilkunde. Er war im streitigen Quartal in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums E. in H. tätig und nahm im Rahmen einer Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beigeladenen zu 1) teil. Er behandelte unter anderem die 1985 geborene R., die unter einer schweren Verlaufsform des Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, litt. Im Quartal III/2003 verordnete er ihr zweimal das Arzneimittel CellCept®, wobei sich der Wert dieser Verordnungen abzüglich des Apothekenrabatts auf insgesamt EUR 1.475,96 belief. Die Patientin war von Zuzahlungen befreit.
CellCept® enthält den Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil und war im streitigen Quartal ausschließlich in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe einer akuten Transplantatabstoßung bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation zugelassen und ist dies bis heute.
Die Beigeladene zu 2), bei der die Patientin krankenversichert war, stellte am 21. Mai 2004 beim Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung H. den Antrag, die Wirtschaftlichkeit der streitigen Verordnungen zu prüfen. Im Rahmen seiner Anhörung teilte der Kläger mit, die Patientin habe unter einer schweren Verlaufsformen des Morbus Crohn gelitten und auf die konventionellen Therapien nicht ausreichend angesprochen. Es sei daher das Konzept eines Heilversuchs mit Immunsuppressiva entwickelt worden, dessen Ergebnisse als Kongressmitteilung publiziert worden seien. Bei der Patientin habe die Behandlung zu deutlichen Verbesserungen ihres Gesundheitszustandes geführt. Ohne diese Behandlung wären langfristige stationäre Aufenthalte und Operationen erforderlich gewesen, die für die Krankenversicherung deutlich teurer geworden wären.
Der Prüfungsausschuss setzte mit Beschluss vom 31. August 2005 einen Regress in Höhe von EUR 1.475,96 gegen den Kläger fest, da die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Use) nicht gegeben seien. Der therapeutische Ansatz sei zwar grundsätzlich nachzuvollziehen, es fehle jedoch an zuverlässigen, wissenschaftlich nachvollziehbaren Aussagen für das neue Anwendungsgebiet.
Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss vom 5. Juli 2006 – an den Kläger abgesandt am 26. Juli 2006 – zurück und führte aus, dass die Behandlung der Patientin R. im Rahmen einer Pilotstudie erfolgt sei, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren sei.
Mit seiner dagegen am 28. August 2006 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, es habe sich nicht um eine Studie, sondern um einen individuellen Heilversuch für insgesamt sechs Kinder gehandelt. Entsprechend dem Auftrag eines Universitätsklinikums sei dieser für später zu planende Studien ausgewertet worden.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 2. Dezember 2009 – den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 19. März 2010 – abgewiesen und ausgeführt, die streitigen Verordnungen seien unwirtschaftlich, da sie im Rahmen einer Studie erfolgt seien, die nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfalle. Darüber hinaus wären sie aber auch als vertragsärztliche Verordnungen außerhalb einer Studie unwirtschaftlich gewesen, da die Voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use nicht gegeben seien, denn es fehle jedenfalls an einem Konsens der wissenschaftlichen Fachkreise über den voraussichtlichen Nutzen der Behandlung auf Basis von zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen. Es bestehe auch keine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen aufgrund einer etwaigen Seltenheit der Krankheit, denn Morbus Crohn sei mit einer Prävalenz von 150 pro 100.000 Einwohner keine extrem seltene und deshalb praktisch nicht erforschbare Erkrankung.
Der Kläger hat dagegen am 15. April 2010 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht sei zu Unrecht von einer klinischen Studie ausgegangen, denn es habe sich tatsächlich um einen individuellen Heilversuch gehandelt. Zwar seien nicht dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Heilversuche von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht umfasst, hier liege aber ein Ausnahmefall vor, denn es habe ein zulässiger Off-Label-Use vorgelegen. Der Krankheitsverlauf unter konventioneller Therapie seien als therapierefraktär einzustufen gewesen mit der Folge einer schwersten somatischen und psychischen Beeinträchtigung der Patientin. Die bisherige Therapie sei ineffektiv mit ständigen Rezidiven und stationären Behandlungen gewesen. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar gewesen, da die Alternative einer Behandlung mit Infliximab wegen des Risikos der Lymphombildung nicht zu akzeptieren gewesen sei. Es habe auch die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden, da Morbus Crohn zum damaligen Zeitpunkt als Autoimmunerkrankung anerkannt und der Einsatz von neuen und gezielten Immunsuppressiva daher gerechtfertigt gewesen sei. Zur Zeit des Heilversuchs seien zahlreiche Studien bei Erwachsenen gelaufen. Der Behandlungserfolg bei der Patientin habe die Therapie gerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe es sich außerdem um eine seltene Erkrankung gehandelt. Die Prävalenz des Morbus Crohn liege bei 150 pro 100.000 Einwohner, davon machten Kinder unter 18 Jahren 30 % aus. Wenn also 50 Kinder pro 100.000 Einwohner erkrankten, seien davon 2,5 % als therapierefraktär einzustufen, also nur 1,25 pro 100.000 Einwohner. Schließlich sei auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 – Juris) nicht berücksichtigt worden. Die Patientin habe nämlich unter einer lebensgefährlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gelitten, für deren Behandlung eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung gestanden habe und es habe eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2009 und den Beschluss des Beklagten vom 5. Juli 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Beschluss des Prüfungsausschusses vom 31. August 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und hält daran fest, dass es sich jedenfalls anfänglich um eine Studie gehandelt habe, in deren Rahmen der Patientin R. das Medikament Cellcept® verordnet worden sei. Im Übrigen könne dies offen bleiben, da jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use und auch die Voraussetzungen eines Seltenheitsfalles nicht erfüllt seien.
Die Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Akte des Beklagten und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. März 2013 hinzugezogenen weiteren Akten des Sozial- und Landessozialgerichts Hamburg Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein der Beschluss des Beklagten vom 5. Juli 2006. Dieser hat den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses ersetzt, da der Beklagte nach seiner Anrufung ausschließlich und endgültig für das weitere Prüfverfahren zuständig geworden ist (BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 13/10 R – Juris, m.w.N.).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneimittelregresses ist § 106 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der Fassung des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3773). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, und zwar entweder im Rahmen von Auffälligkeitsprüfungen oder auf der Grundlage von Stichproben in Zufälligkeitsprüfungen geprüft. Darüber hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Aufgrund dieser Ermächtigung haben die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung und die H. Krankenkassenverbände die ab 1. Januar 1994 geltende Prüfungsvereinbarung vom 3. Februar 1994 geschlossen, welche in der hier maßgeblichen Fassung vom 21. Juni 1999 in § 20 Abs. 1 S. 1 bestimmt, dass auf Antrag unter anderem einer Krankenkasse geprüft wird, ob ein Arzt durch Verordnung insbesondere von Arzneimitteln im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Anträge wegen einzelner Arzneimittel sind danach nur zulässig, wenn die Nettokosten der beanstandeten Mittel insgesamt mehr als 50 DM betragen (§ 20 Abs. 1 S. 2 der Prüfungsvereinbarung). Das Prüfverfahren ist in § 106 Abs. 5 SGB V geregelt. Danach entscheiden die Prüfgremien, ob der Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind (§ 106 Abs. 5 S. 1 SGB V). Nach § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V sollen dabei gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorgehen. Nach § 20 Abs. 3 S. 1 der Prüfungsvereinbarung kann der Prüfungsausschuss einen Regress festsetzen, soweit er feststellt, dass der Arzt im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Die Höhe des Regresses richtet sich nach dem tatsächlich festgestellten oder dem geschätzten Mehraufwand (§ 20 Abs. 3 der Prüfungsvereinbarung).
Es handelt sich bei der vorliegenden Streitigkeit über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneimittelverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress wegen eines "sonstigen Schadens" im Sinne von § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte, denn im Streit steht ein Fehler der Verordnung selbst, nämlich die Verordnung außerhalb der erteilten Zulassung (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010 – B 6 KA 48/09 R – Juris).
In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Regressfestsetzung. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte als Prüfmethode eine (eingeschränkte) Einzelfallprüfung gewählt hat. Diese Prüfmethode ist insbesondere dann sachgerecht, wenn – wie hier – das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 6 KA 44/06 R – Juris).
Auch in der Sache ist der angefochtene Beschluss des Beklagten nicht zu beanstanden, denn die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 der Prüfungsvereinbarung liegen vor. Insbesondere waren die streitbefangenen Verordnungen unwirtschaftlich, denn der Kläger durfte das Arzneimittel Cellcept® nicht zur Behandlung des Morbus Crohn zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, sodass die gleichwohl ausgestellten Verordnungen unwirtschaftlich sind.
Sollten die Verordnungen im Rahmen einer klinischen Studie erfolgt sein, wären sie bereits aus diesem Grunde unwirtschaftlich, da die vertragsärztliche Verordnung von Arzneimitteln für die Zeit der klinischen Prüfung nach §§ 40, 41 Arzneimittelgesetz ausscheidet, denn es ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinische Forschung zu finanzieren (BSG, Urteil vom 08.03.1995 – 1 RK 8/94; BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R; beide Juris). Allerdings bestehen am Vorliegen einer klinischen Studie bereits angesichts der sehr geringen Patientenzahl von nur sechs Kindern erhebliche Zweifel. Dies kann jedoch dahin stehen, da die Verordnungen des streitigen Arzneimittels auch im Rahmen eines individuellen Heilversuchs unzulässig und damit unwirtschaftlich waren.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe der § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 SGB V. Dieser Anspruch unterliegt jedoch den Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist. Ebenso kann ein Arzneimittel auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R; BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 14/06 R; BSG, Urteil vom 27.06.2012 – B 6 KA 72/11 B; alle Juris).
Eine zulassungsüberschreitende Anwendung liegt hier vor, da Cellcept® ausschließlich zur Prophylaxe akuter Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen bestimmter Organe zugelassen war und bis heute ist, der Kläger sie aber bei der Patientin R. zur Behandlung des bei ihr bestehenden Morbus Crohn eingesetzt hat.
Der Ausschluss einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) allerdings nicht ausnahmslos, wenn es sich um unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien handelt. Wegen des dargestellten Vorrangs des Arzneimittelrechts muss dies aber auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn es
(1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
(2) keine andere Therapie verfügbar ist und
(3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar dürfte es sich bei Morbus Crohn jedenfalls in der bei der Patientin R. vorliegenden Ausprägung um eine schwerwiegende, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handeln. Ob die anderweitigen Therapiemöglichkeiten im Falle dieser Patientin bereits ausgeschöpft waren, kann dahin stehen, da jedenfalls aufgrund der Datenlage keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Hierfür genügt es nicht, dass die Behandlung der Patientinnen im Einzelfall erfolgreich war. Damit dies angenommen werden kann, müssen vielmehr Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Das ist der Fall, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urteil vom 19.03.2002, a.a.O.; BSG, Urteil vom 26.09.2006, a.a.O.). Dabei muss die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich sein, da es für den Schutz der Patienten gleichgültig ist, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, Urteil vom 26.09.2006, a.a.O.). Es müssen also grundsätzlich alle drei Phasen einer klinischen Prüfung durchlaufen und mit erfolgreichen Studien beendet worden sein.
Derartige Erkenntnisse lagen für die Behandlung von Morbus Crohn bei Kindern mit Cellcept® im streitigen Verordnungszeitraum nicht vor und es gibt sie bis heute nicht. Dies wird auch von dem Kläger letztlich nicht in Abrede gestellt. Dieser hat vielmehr die Behandlung der Patientin R. sowie fünf weiterer Kinder mit schweren Verlaufsformen des Morbus Crohn selbst als "individuelle Heilversuche" bzw. "Pilotstudie" bezeichnet, deren Ergebnisse als Kongressmitteilung veröffentlicht wurden und eine spätere Studie allenfalls vorbereiten sollten. Etwas anderes ergibt sich weder aus den von ihm im Rahmen des Prüfverfahrens eingereichten Veröffentlichungen noch aus der evidenzbasierten Leitlinie "Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) aus dem Jahr 2003. Dort heißt es zwar, dass Mycophenolat-Mofetil in Ausnahmefällen als Medikament der dritten Wahl bei chronisch-aktivem Morbus Crohn mit Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit von Azathioprin, 6-Mercaptopurin und Methotrexat eingesetzt werden könne. Dies ersetzt aber nicht die für einen zulässigen Off-Label-Use erforderliche gesicherte Studienlage. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Erfahrungen mit Kindern nicht vorlägen. Mycophenolat-Mofetil wird außerdem im Zusammenhang mit der Behandlung von bei Morbus Crohn auftretenden Analfisteln erwähnt, aber lediglich als experimentell eingestuft. Die aktuellen Leitlinien (Stand Juni 2008) enthalten bis heute auch für therapierefraktäre Verläufe keine Empfehlung für die Behandlung mit Mycophenolat-Mofetil. Der Kläger mag zwar zu Recht darauf hinweisen, dass insgesamt für die Behandlung von Morbus Crohn-Patienten im Kindesalter keine befriedigende Studienlage existiert, dies ändert aber nichts daran, dass die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use der hier streitigen Arzneimittel nicht erfüllt sind.
Entgegen dem Vortrag des Klägers waren die streitigen Verordnungen auch nicht nach den Grundsätzen eines sogenannten Seltenheitsfalles zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ausnahmsweise ein Anspruch auf Ver¬sor¬gung mit einem arz¬nei¬mit¬tel¬recht¬lich nicht bzw. nicht für die betreffende Indikation zuge¬las¬se¬nen Arz¬nei¬mit-tel zulas¬ten der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen, wenn es um die Behand¬lung einer Krank¬heit geht, die welt¬weit so sel¬ten auf¬tritt, dass ihre sys¬te¬ma¬ti¬sche wis¬sen¬schaft¬li-che Erfor¬schung ein¬schlie߬lich ihrer Behand¬lung mit Arz¬nei¬mit¬teln prak¬tisch aus¬schei¬det und für die andere The¬ra¬piemög¬lich¬kei¬ten als die Ver¬sor¬gung mit dem nicht zuge¬las¬se¬nen Arz¬nei¬mit¬tel nicht zur Ver¬fü¬gung ste¬hen. Erforderlich ist hierfür ein hohes Maß an Gewissheit, dass generelle Aussagen zur Therapie der Krankheit infolge der geringen Zahl an Patienten wirklich so gut wie ausgeschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R; BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 20/10 R; beide Juris). In Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. Nr. L 018 vom 22.01.2000, S. 0001-0005) wird ein Leiden als selten definiert, wenn von ihm nicht mehr als fünf von 10.000 Personen betroffen sind. Nach diesen Maßstäben ist Morbus Crohn keine seltene Erkrankung. Nach der Leitlinie der DGVS - sowohl in der aktuellen Fassung aus 2008 als auch in der Vorgängerfassung aus 2003 - liegt ihre Prävalenz vielmehr bei etwa 120 bis 200 pro 100.000 Einwohner, nach den Angaben des Klägers bei 150 pro 100.000 Einwohner. Vor allem aber ist die Krankheit nicht unerforscht, sondern es existieren bereits seit vielen Jahren und auch im Verordnungszeitraum konventionelle Therapiestandards mit hierfür zugelassenen Arzneimitteln, was schon daraus ersichtlich ist, dass es seit 1997 evidenzbasierte Leitlinien der betreffenden Fachgesellschaft gibt.
Es ist auch nicht zulässig, allein auf die Prävalenz von Morbus Crohn bei Kindern abzustellen, denn es handelt es sich insoweit nicht um ein eigenständiges Krankheitsbild, auf das generell andere Therapien als bei Erwachsenen anzuwenden wären. Vielmehr gelten die konventionellen Therapiestandards für Kinder mit Morbus Crohn grundsätzlich – unter Umständen mit gewissen Besonderheiten – ebenso wie für Erwachsene (S. 1113 der Leitlinie der DGVS, Stand 2008) und wurden bei der Patientin R. auch angewandt. Auch ist der Beginn einer Morbus Crohn-Erkrankung im Kindesalter nicht ungewöhnlich, denn aus der Leitlinie der DGVS (Stand 2008) ergibt sich, dass die höchste altersspezifische Inzidenz bei den 15 bis 34jährigen besteht und bei 15 bis 25 % der Patienten die ersten Symptome bereits vor dem 20. Lebensjahr auftreten. Erst recht kann entgegen der Auffassung des Klägers ein Seltenheitsfall nicht dadurch konstruiert werden, dass ausschließlich die 2,5 % der an Morbus Crohn erkrankten Kinder in den Blick genommen werden, die als therapierefraktär einzustufen sind, denn es gibt bei fast jeder Krankheit eine mehr oder weniger große Anzahl von Patienten, die auf die konventionellen Therapien nicht ansprechen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Krankheit insgesamt als unerforschbar anzusehen wäre, zumal dadurch die Vorgaben des Arzneimittelrechts grundsätzlich unterlaufen würden.
Es ist schließlich auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und sie daher verneint wird, wenn ein Arzneimittel nicht bzw. nicht für die betreffende Indikation zugelassen ist (BVerfG, Beschluss vom 05.03.1997 – 1 BvR 1071/95 – Juris). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.), wonach es mit dem Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, der unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten ärztlichen Behandlung auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der in Betracht kommenden Regelungen nur, wenn nach den konkreten Umständen des Falles anzunehmen ist, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG, Urteil vom 28.02.2008, a.a.O.; BSG, Urteil vom 27.03.2007 – B 1 KR 17/06 R - Juris). Dass dies bei der Patientin R. im Verordnungszeitraum der Fall war, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Nichts anderes folgt aus § 2 Abs. 1a SGB V, der mit Wirkung zum 1. Januar 2012 in das SGB V eingefügt worden ist und damit insoweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in geltendes Gesetzesrecht übernommen hat. Denn die in dieser Regelung bestimmten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch entsprechen den vom Bundesverfassungsgericht formulierten und ermöglichen keinen vereinfachten Zugang zu abweichenden Leistungen.
Eine Beratung musste der Festsetzung der Regresse jeweils nicht vorangehen. Für Prüfungen der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise ist eine vorgängige Beratung gemäß § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V dann nicht erforderlich, wenn einzelne Fälle gänzlich unzulässiger Verordnungen in Frage stehen, wenn also dem Arzt zum Beispiel – wie hier – ein unzulässiger-Off Label-Use angelastet wird (BSG, Urteil vom 03.02.2010 – B 6 KA 37/08 R – Juris; BSG, Urteil vom 05.11.2008 – B 6 KA 63/07 R; jeweils m.w.N.).
Unerheblich ist, ob dem Kläger bezüglich der unzulässigen Verordnungen ein Verschulden anzulasten ist, da Verordnungsregresse gemäß § 106 SGB V kein Verschulden des Vertragsarztes voraussetzen (BSG, Urteil vom 03.02.2010, a.a.O.).
Auch eine Ermessensausübung des Beklagten war nicht erforderlich. Bei Regressen, denen unzulässige Verordnungen zugrunde liegen, kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden. Es ist somit auch kein Grund ersichtlich, nur einen Teil der Unwirtschaftlichkeit abzuschöpfen. Eine Gegenrechnung der hypothetischen Kosten einer anderen zulässigen Therapie findet ebenfalls nicht statt (BSG, Urteil vom 03.02.2010, a.a.O.).
Bezüglich der Höhe des Regresses, der den Nettokosten der streitigen Verordnungen entspricht, bestehen auch im Übrigen keine Bedenken. Den Apothekenrabatt hat der Beklagte abgezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Ihre außergerichtlichen Kosten sind aus den gleichen Gründen nicht erstattungsfähig (§ 197a SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO).
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
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