L 3 AS 189/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 AS 3030/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 189/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2012 wird abgelehnt.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Senat weist die Berufung des Klägers gegen das im Tenor genannte Urteil nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurück. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind in dem Erörterungstermin am 21.02.2013 und erneut schriftlich unter dem 06.05.2013 zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

1. Die Berufung ist statthaft. Insbesondere war sie entgegen der Einschätzung des Sozialgerichts Stuttgart (SG) nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig. Der Kläger hat sich in erster Instanz gegen die Bewilligungsbescheide vom 21.10.2011 (Bewilligungsabschnitt Dezember 2011 bis Mai 2012) und vom 25.04.2012 (Juni 2012 bis November 2012) gewendet. Damit griff zwar nicht die Ausnahmeregelung des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG ein, da keine laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr in Streit stehen. Aber die gesamte Beschwer des Klägers lag über EUR 750,00. Der Kläger hat nicht nur für jeden Monat des Streitzeitraums einen um "mindestens EUR 36,00" höheren Regelbedarf geltend gemacht (zusammen also EUR 432,00). Er hat vielmehr zusätzlich auch für den Streitzeitraum dieses Verfahrens - ebenso wie in den Parallelverfahren - einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung geltend gemacht. Dies ergibt sich ausreichend deutlich z.B. aus seinem Schriftsatz vom 10.12.2012 (Bl. 41 ff., 43 SG-Akte). Dort hat der Kläger ausdrücklich auf einen angeblichen "Mehrbedarf für Ernährung" wegen "Magen-Darm-Krankheit" hingewiesen. Bei der Auslegung seines Begehrens war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger während des Streitzeitraums dieses Verfahrens die neue ärztliche Bescheinigung eines Mehrbedarfs vom 04.10.2012 durch Dr. L. und im weiteren Verlauf ein entsprechendes Attest von Dr. K. vom 04.01.2013 vorgelegt hat. Den geltend gemachten Mehrbedarf hat der Kläger nicht beziffert. Selbst aber wenn man lediglich den in den Richtlinien des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vorgesehenen niedrigsten Bedarf von 10 % des jeweiligen Regelbedarfs zu Grunde legt, hier also EUR 38,20 im Monat, kommen für den zwölfmonatigen Streitzeitraum EUR 458,40 hinzu. Die gesamte Beschwer beträgt daher mindestens EUR 890,40.

2. Die Berufung ist auch sonst zulässig. Wegen der unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung in dem angegriffenen Urteil betrug die Einlegungsfrist ein Jahr.

3. Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) des Klägers abgewiesen.

a) Zutreffend hat das SG die Klage, soweit sie den Zeitraum vom 01.12.2011 bis zum 31.05.2012 betrifft, als unzulässig abgewiesen. Insoweit fehlt das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren. Der Kläger hatte gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.10.2011 keinen Widerspruch erhoben. Insbesondere betrafen die für diesen Zeitraum allein aktenkundigen Schreiben des Klägers vom 28.11.2011, 19.12.2011 und 31.01.2012 gesundheitliche Fragen und einen stationären Krankenhausaufenthalt.

b) Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Für den gerichtlich überprüfbaren Zeitraum von Juni bis November 2012 steht dem Kläger kein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld II zu.

An der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 und Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), der im Dezember 2011 noch EUR 364,00 und in den übrigen Monaten des Streitzeitraums EUR 374,00 betrug, zweifelt der Senat nicht (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urt. vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 R).

Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II liegen nicht vor. Nachdem der Kläger - auch in dem Erörterungstermin am 21.02.2012 - nicht konkret hat angeben können, an welcher Art Erkrankungen er leidet, hat der Senat insoweit die behandelnden Ärzte angehört. Es liegen demnach - neben einer urologischen Erkrankung - eine chronische Diarrhoe, nämlich eine Durchfallerkrankung ohne organisches Substrat, sowie eine wiederkehrende Speiseröhrenerkranung im Sinne einer Refluxösophagitis vor. Hieraus folgt jedoch kein Ernährungsmehrbedarf. Ein solcher Mehrbedarf liegt vor, wenn ein besonderer Bedarf an bestimmten, ggfs. teureren Nahrungsmitteln oder aber ein allgemein höherer Kalorienbedarf besteht. Bei der Beurteilung dieser Punkte können die Gerichte grundsätzlich auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zurückgreifen, unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob diese Empfehlungen als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind, denn jedenfalls können die Empfehlungen als Orientierungshilfe dienen, sodass weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich sind, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so BSG, Urt. v. 10.05.2011, B 4 AS 100/10 R, Juris Rn. 23). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Erkrankungen des Klägers sind in den Empfehlungen des Deutschen Vereins nicht aufgeführt. Insbesondere liegt im Bereich des Darms kein Morbus crohn und keine Colitis ulcerosa vor, wie die gehörten Ärzte bestätigt haben. Und für einen Kalorienmehrbedarf setzen die Empfehlungen ein Untergewicht mit einem Body-Mass-Index von 18,5 oder weniger oder eine erhebliche Abmagerung in den letzten drei Monaten voraus. Der Kläger ist jedoch nach übereinstimmender Aussage aller gehörten Ärzte und nach seinem Erscheinungsbild im Erörterungstermin nicht untergewichtig, sondern wiegt nach eigenen Angaben 70 kg bei einer Körpergröße von 167 cm (BMI 24,0). Daher kann auch nicht Dr. L. Annahme gefolgt werden, es könne "im weitesten Sinne" ein Mehrbedarf an Kalorien bestehen. Diese Überprüfung an Hand der Empfehlungen deckt sich mit den Angaben der Ärzte. Dr. L. hat angegeben, sie habe den Vordruck MEB "auf Drängen" des Klägers unterschrieben, obwohl keine der dort genannten Erkrankungen vorliege. Sie hat ferner angegeben, außer Alkohol, für den im Regelbedarf ohnehin keine Anteile enthalten sind, müsse kein Nahrungsmittel gemieden werden. Ferner hat sie auf einen leichten Eisenmangel verwiesen, der aber mit Eisentabletten behandelt werde. Dr. K. hat lediglich ausgeführt, fetthaltige Nahrung solle gemieden werden. Im Übrigen hat er darauf hingewiesen, es könne ein Mehrbedarf an Vitamin B12 bestehen. Dieser Bedarf kann jedoch im Rahmen einer normalen Ernährung durch Vollkost gedeckt werden, dieses Vitamin ist nicht nur in Fleisch und Fisch, sondern z.B. auch in Milchprodukten enthalten.

Weitere Mehrbedarfe hat der Kläger nicht geltend gemacht, sie sind auch nicht ersichtlich. Die gelegentlichen Hinweise des Klägers auf seine Behinderung (Grad der Behinderung 30, Gleichstellung durch die Bundesagentur für Arbeit) erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II.

Die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II berücksichtigt der Beklagte vollständig.

Einkommen wird nicht angerechnet, die Rente wegen Erwerbsminderung erhält der Kläger erst seit dem 01.12.2012; seitdem bezieht er entsprechend auch keine Leistungen des Beklagten mehr.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

II.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) war nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen. Bereits im Zeitpunkt seiner Entscheidungsreife (Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim SG am 14.01.2013) fehlten der Berufung des Klägers hinreichende Erfolgsaussichten. Die Ermittlungen durch den Senat, insbesondere die Anhörung der behandelnden Ärzte, dienten in erster Linie dazu, den Vortrag des Klägers schlüssig zu machen, da die Erkrankungen nicht genau benannt werden konnten, und hielten sich daher im Rahmen des § 118 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ZPO.

III.

Soweit der Senat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 177 SGG). Hinsichtlich der Zurückweisung der Berufung gilt die folgende Rechtsbehelfsbelehrung.
Rechtskraft
Aus
Saved