L 3 U 1997/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 206/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 1997/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04. April 2012 (S 15 U 204/11 sowie S 15 U 206/11) werden zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für die Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellungen der Berufskrankheiten (BK) Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, hier: Anosmie [Verlust des Geruchs-/Geschmackssinns]) und/oder Nrn. 4301 bzw. 4302 (durch allergisierende bzw. durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung mit Unterlassungszwang, bei Nr. 4301 einschließlich der allergischen Rhinopathie).

Der am 07.05.1956 geborene Kläger war von 1979 bis 1983 als Einrichter und Meister und von 1983 bis 1988 nur noch als Meister mit Mitarbeiterverantwortung in der G., Schlosserei und Leiterplattenfertigung, von 1988 bis 2003 als Fertigungsplaner und später als Gefahrgutbeauftragter in der Fertigungsplanung und ab 2007 als Gefahrgutbeauftragter und später als Qualitätsassistent im Qualitätswesen bei der S. AG bzw. ihren Nachfolgeunternehmen in K. erwerbstätig und in dieser Eigenschaft bei einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Nach Schließung der Betriebsstätte schied der Kläger mit dem 30.09.2007 aus dieser Tätigkeit aus.

Der Kläger meldete mit zwei Vordrucken am 11.09.2009 bei der Beklagten den Verdacht auf die genannten BKen. Er trug vor, er habe keinen Geruchs- und Geschmackssinn mehr. Außerdem sei er lungenkrank, habe bei Belastung zu wenig Sauerstoff im Blut, sei kurzatmig und nicht belastbar. Beide Erkrankungen führte er auf Kontakte mit Flosurchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und Ammoniak zurück, die er als Maschinenbediener an Ätz- und Entschich¬tungs¬ma¬schi¬nen gehabt habe.

Die Beklagte forderte Befundberichte der behandelnden Ärzte an. HNO-Arzt Dr. B. teilte unter dem 13.10.2009 mit, er habe den Kläger vom 13.01. bis zum 03.02.2009 behandelt. Der Kläger habe sich wegen einer Hörminderung und einer Anosmie (Verlust des Geruchssinns) vorgestellt. Es sei ein Riechtest durchgeführt worden. Die Anosmie bestehe nach den Angaben des Klägers schon seit 10 bis 15 Jahren. Dr. B. legte auch den Riechtest vor, wegen des Ergebnisses wird auf Bl. 17 der Verwaltungsakte verwiesen. HNO-Arzt Dr. S. teilte unter dem 05.11.2009 als Diagnose u. a. mit, es bestehe eine "chronisch hyperplastische Rhinitis mit Anosmie". Der wegen der Lungenerkrankung angeschriebene Dr. S. antwortete zunächst nicht.

Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 15./25.01.2010 aus, der Kläger sei von 1979 bis Ende der 1980-er Jahre einer unterschiedlich hohen Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe (HKW) ausgesetzt gewesen. Es habe auch eine Exposition gegenüber weiteren Gefahrstoffen wie flüchtigen anorganischen Säuren gegeben. Über die Höhe und die Dauer der Einwirkungen könnten keine genauen Angaben mehr gemacht werden. Wegen des Verbots der offenen Anwendung von HKW ab Anfang der 1990-er Jahre und wegen der veränderten Tätigkeiten ab 1988 sei der Kläger ab ca. diesem Jahr nur noch bei der Begehung von Arbeitsplätzen über die Raumluft einer vergleichsweise geringeren Exposition ausgesetzt gewesen.

Der beratende Arzt Dr. W. hielt in seinen beiden Stellungnahmen vom 05.02.2010 die geltend gemachten BKen für unwahrscheinlich. Zur Anosmie führte er aus, es bestehe aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Zusammenhangswahrscheinlichkeit zwischen Diagnose und Expositionen. Zur Lungenerkrankung meinte er, es gebe bislang keine gesicherte Diagnose, nur eine Symptomnennung des Klägers selbst. Weder die Diagnose noch die Exposition seien bewiesen.

Die staatliche Gewerbeärztin lehnte in ihrer Stellungnahme vom 03.03.2010 die Anerkennung der geltend gemachten BKen ab. Neuere gesicherte medizinische Erkenntnisse, nach denen die Einwirkung von Ammoniak, HKW wie Trichlorethan und Perchlorethan sowie sonstige Gefahrstoffe aus der Galvanik, Leiterplattenfertigung und Lackierung Störungen des Geruchs- oder Geschmackssinns verursachten, gebe es nicht. Auch sei der Kläger gefährlichen Stoffen im Wesentlichen nur von 1979 bis 1988 ausgesetzt gewesen, der schleichende Verlust des Geruchssinns habe sich aber erst ab 1985 bemerkbar gemacht. Unabhängig davon zeige die geltend gemachte Kurzatmigkeit keinen arbeitsabhängigen Verlauf.

Mit Bescheid vom 06.04.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des "schleichenden Verlusts des Geruchs- und Geschmackssinns" als Berufskrankheit, und zwar sowohl als "Listen-BK" nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) als auch als "Wie-BK" nach § 9 Abs. 2 SGB VII ab. Es sei kein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem 1985 begonnenen schleichenden Verlust des Geruchssinns und der 1988 im Wesentlichen beendeten Exposition zu erkennen. Es beständen auch keine neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verursachung einer solchen Erkrankung durch die verwendeten Gefahrstoffe.

Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nrn. 4301 und 4302 der BK-Liste sowie die Gewährung von Leistungen ab, weil kein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang der geklagten Atemwegsbeschwerden mit der beruflichen Tätigkeit erkennbar sei. Diese seien auch nach der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit nicht wieder abgeklungen.

Der Kläger erhob gegen beide Bescheide Widerspruch. Durch die erhebliche Überschreitung der MAK-Werte (maximale Arbeitsplatz-Konzentration) sei es zum Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns und zur Einschränkung der Lungenfunktion (Kurzatmigkeit) gekommen.

Die Beklagte erhob ergänzend die Stellungnahme des Lungenarztes Dr. S. vom 05.05.2010. Dieser teilte mit, der Kläger habe sich ihm zuletzt am 30.12.2008 vorgestellt und legte den Arztbrief vom 02.01.2009 vor, wonach bei dem Kläger eine leichtgradige Belastungshypoxämie (Erniedrigung des Sauerstoffgehalts im Blut), eine Belastungsdyspnoe (Kurzatmigkeit), eine arterielle Hypertonie, eine Sinustachykardie (beschleunigte Herzfrequenz) und eine Adipositas mit einem BMI (Body-Mass-Index) von 28,37 kg/m² beständen. Eine Belastungs-coronarinsuffizienz sei 08/2008 ausgeschlossen worden. In Ruhe und nachts beständen keine Beschwerden. Allergien seien nicht bekannt. Der Kläger habe von 1990 bis 1993 mit 2 bis 3 py (packyears) geraucht. Bei der Lungenfunktionsprüfung habe sich eine sehr grenzgradige, gerade eben noch signifikante, obstruktive Ventilationsstörung ergeben (VCin 79 %, FEV1 80 %, Verhältnis [FEV1/FVCin] 102 % des Sollwerts).

Der Präventionsdienst der Beklagten teilte unter dem 22.06.2010 ergänzend mit, aus den Besichtigungsberichten der früher zuständigen Berufsgenossenschaft gehe hervor, dass an den Arbeitsplätzen des Klägers Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz bereits in den 1970-er und 1980-er Jahren gefordert und umgesetzt worden seien, z. B. die Nutzung persönlicher Schutzausrüstungen und Absaugungen an Arbeitsplätzen mit Gefahrstoff-expositionen. Nach Angaben ehemaliger, inzwischen im Ruhestand befindlicher Mitarbeiter hätten die Arbeitsbedingungen dem Stand der Technik entsprochen, seien eher besser gewesen, an Grenzwertüberschreitungen oder Störfälle habe sich niemand erinnern können.

Der Kläger trat den Ausführungen entgegen. Es seien verschiedenste Chemikalien, auch Gefahrstoffe in geschlossenen und offenen Anlagen, verarbeitet worden. Die vorhandenen Absaugungen seien nur geringgradig wirksam gewesen. Teilweise hätten sich durch Fehlbedienungen oder Defekte Nitrosegase gebildet. Auch als Fertigungsplaner habe er sich, mindestens einmal täglich in der Produktion aufgehalten, häufig ganztags, weil zu seinen Aufgaben das Erstellen von Zeitwirtschaftsstudien, die Planung von Maschinen und die Mitarbeit an der Behebung von Qualitätsproblemen gehört hätten.

Unter dem 17.08.2010 nahm der Präventionsdienst erneut Stellung. Die Angaben des Klägers stimmten zum Teil mit seinen, des Präventionsdienstes, Feststellungen überein. Nicht nachvollziehbar sei es, dass sich der Kläger als Fertigungsplaner, der sehr unterschiedliche Projekte betreut habe, auch ab 1991 täglich in der Produktion aufgehalten habe.

Die Beklagte zog noch das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von seiner Krankenkasse bei, das u. a. in den Jahren 1990 bis 2007 mehrfach grippale Infekte und Migräne und ab 2007 ausschließlich Anpassungsstörungen im Sinne mittelgradiger depressiver Episoden enthielt.

Mit zwei getrennten Widerspruchsbescheiden vom 15.12.2010 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Anosmie verwies sie auf die Ausführungen im Ablehnungsbescheid. Hinsichtlich der Lungenerkrankung führte sie ergänzend aus, Dr. S. habe keine Atemwegs-obstruktion beschrieben. Die angegebenen Erkrankungen seien anlagebedingt. Da der Kläger seit 2007 nicht mehr beruflich tätig sei, könnten seine fortdauernden Atemwegsbeschwerden nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden.

Am 13.01.2011 hat der Kläger zwei Klagen zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben (S 15 U 204/11 betreffend die Anosmie, S 15 U 206/11 betreffend die BKen 4301 und 4302). Er hat Unterlagen vorgelegt über eine Grundwasserverschmutzung auf dem Betriebsgelände seiner früheren Firma aus dem Frühjahr 1983, über eine Bodensanierung im Jahre 1993 und über Maßnahmen betreffend umweltrelevante Baumaßnahmen aus dem Jahre 2004, an denen auch er - der Kläger - beteiligt war.

Mit Urteilen auf Grund mündlicher Verhandlung vom 04.04.2012 hat das SG die Klagen abgewiesen. Zu der wegen der Anosmie in der Verhandlung allein geltend gemachten BK Nr. 1302 hat es ausgeführt: Zwar habe der Präventionsdienst eine Exposition gegenüber HKW bestätigt. Jedoch sei eine berufliche Verursachung der Anosmie nicht hinreichend wahrscheinlich. Eine zeitliche Parallelität von schädigender Einwirkung und Erkrankung sei nicht zu erkennen. Die Erkrankung sei überhaupt erst nach Wegfall der Einwirkung erstmals ärztlich diagnostiziert worden und halte auch nach dem Ende der Exposition weiter an. Ferner spreche gegen einen Zusammenhang, dass die Erkrankung nach eigenen Angaben des Klägers erst Mitte bis Ende der 1980-er Jahre aufgetreten sei und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Exposition erheblich abgenommen habe. Zur den BKen 4301 und 4302 hat das SG zur Begründung vorgebracht, es sei bereits zweifelhaft, ob bei dem Kläger überhaupt eine obstruktive Atemwegserkrankung vorliege, nachdem Dr. S. lediglich eine grenzgradige, eben noch signifikante obstruktive Ventilationsstörung erhoben habe. Darüber hinaus sei es nicht ausreichend wahrscheinlich, dass die Atemwegsbeschwerden auf berufliche Einwirkungen im Sinne der beiden BKen zurückzuführen seien. Der Präventionsdienst habe zwar eine Einwirkung lungenschädlicher Stoffe bejaht. Dies reiche jedoch für die Annahme einer Kausalität nicht aus. Gegen einen Zusammenhang spreche, dass die vom Kläger geklagte Kurzatmigkeit keinen arbeitsabhängigen Verlauf aufweise. Die Erkrankung sei auch erst nach Wegfall der Exposition erstmals diagnostiziert worden. Auch sei die Erkrankung erst Mitte bis Ende der 1980-er Jahre aufgetreten und damit zu einem Zeitpunkt, als die Exposition erheblich abgenommen habe. Ob und inwieweit berufsfremde Einflüsse, etwa der 2 bis 3 packyears umfassende Zigarettenkonsum des Klägers, Ursache der Atemwegserkran¬kung seien, könne daher nicht mehr ermittelt werden. Darüber hinaus sei ihm Hinblick auf die geringe Schwere der Erkrankung nicht erkennbar, dass ein Zwang zur Arbeitsaufgabe bestanden habe. Der Kläger selbst habe nach Auftreten der Symptome noch viele Jahre weiter gearbeitet, ohne dass Arztkonsultationen wegen solcher Beschwerden dokumentiert seien.

Gegen diese Urteile, die seinen Prozessbevollmächtigten am 12.04.2012 zugestellt worden sind, hat der Kläger am Montag, dem 14.05.2012, Berufungen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Der Senat hat beide Berufungsverfahren mit Beschluss vom 31.10.2012 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04. April 2012 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 06. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2010 zu verurteilen, den bei ihm bestehenden Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns als Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufs¬krank¬heitenverordnung anzuerkennen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2010 zu verurteilen, seine Atemwegserkran¬kung als Berufskrankheit nach Nr. 4301 oder 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständig Zeugen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Aussagen des Lungenarztes Dr. S. vom 20.11.2012, des Internisten Dr. K. vom 26.11.2012 und des HNO-Arztes Dr. S. vom 20.12.2012 verwiesen. Ferner hat auf Bitte des Senats der Arbeits- und Umweltmediziner Dr. R. vom Betriebsärztlichen Dienst der S. AG die dort noch vorhandenen medizinischen Unterlagen über den Kläger (Ergebnisse regelmäßiger betriebsärztlicher Untersuchungen ab 04.07.1972 bis zum 08.08.1997 sowie Unterlagen über die Bereitstellung eines ergonometrischen Stuhls) vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Nach Eingang der Aussage von Dr. S. hat der Senat unter dem 31.01.2013 bei dem Kläger angefragt, bei welchem Lungenarzt er sich gegenwärtig in Behandlung befinde. Eine Antwort ist nicht erfolgt.

Unter dem 15.03.2013 hat der Senat die Beteiligten unterrichtet, dass er erwäge, ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu entscheiden, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.04.2013 gegeben. Stellungnahmen sind nicht erfolgt.

II.

Der Senat konnte über die Berufungen nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufungen einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Es liegt kein Fall des § 105 Abs. 1 SGG vor.

1. Die zulässigen Berufungen des Klägers sind unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klagen abgewiesen.

Zwar waren die kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässig. Insbesondere bestand für den Kläger kein Zwang, unmittelbar auf gerichtliche Feststellung nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG zu klagen. Ferner war das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden. Über die geltend gemachten Berufskrankheiten Nrn. 4301 und 4302 der BK-Liste hatte die Beklagte in dem Bescheid vom 13.04.2010 ausdrücklich entschieden. In dem Bescheid vom 06.04.2010 hatte sie dagegen die Anerkennung der Erkrankung des Geruchssinns beim Kläger als BK insgesamt abgelehnt, ohne hierbei bestimmte BKen aus der BK-Liste zu nennen, außerdem hatte sie darin die Anerkennung als "Wie-BK" abgelehnt. Es war dem Kläger daher möglich, in erster Instanz sein Klagebegehren insoweit auf die BK Nr. 1302 zu beschränken und insbesondere nicht weiterhin die Anerkennung einer "Wie-BK" zu verfolgen. Die Beklagte hatte auch über diese bestimmte BK mit entschieden.

Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf behördliche Feststellung der geltend gemachten BKen zu.

Wegen der Begründung hierfür, insbesondere der rechtlichen Voraussetzungen der Ansprüche, verweist der Senat nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den angegriffenen Urteilen. Die ergänzende Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz hat ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die geltend gemachten BKen bei dem Kläger vorliegen. Hierzu ist ergänzend im Einzelnen auszuführen:

a) Zu den Atemwegsbeschwerden:

aa) Eine BK nach Nr. 4302 der BK-Liste besteht schon nach den medizinischen Voraussetzungen nicht. Es konnte bereits nicht festgestellt werden, dass bei dem Kläger eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne dieser speziellen BK vorliegt.

Grundsätzlich ist "Obstruktive Atemwegserkrankung" der Sammelbegriff für Krankheiten des bron¬cho-pul¬mo¬na¬len Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergehen. Darunter fallen demnach die allergische Rhinopathie als Erkrankung der oberen und das Asthma bronchiale und die chronische obstruktive Bronchitis bzw. chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) als Erkrankungen der unteren Atemwege. Die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität ist kein eigenstän¬diges Krankheitsbild in diesem Sinne, sondern Ausdruck der gesteigerten Bereitschaft der unteren Atemwege, mit Obstruktion zu reagieren (Mehrtens/Branden¬burg, Die Berufskrankheiten¬ver¬ord¬nung, M 4301 S. 7, Lfg. 2/11). Fehlt es bei einer Krankheit des Versicherten an der Obstruktion, liegen die Voraussetzungen einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht vor (Mehrtens/Bran¬den¬burg, a.a.O. m.w.N.). Eine obstruktive Ventilationsstörung entsteht durch eine Verringerung des Atemwegsquerschnitts, der die gesamte Atem¬wegs¬geometrie umfasst. Die Folge ist die Atemstrombegrenzung in der Ausatemphase (exspiratorische Atemstrombegrenzung). Es wird zwischen zentralen und peripheren obstruktiven Ventilationsstörungen unterschieden (zu allem Schönberger/Mehr-tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 995 f.). Während Asthma bronchiale und allergische Rhinopathie im Wesentlichen symptombezogen zu diagnostizieren sind, ist der für die Diagnose einer COPD maßgebliche Wert der Lungenfunktionsprüfung, insbesondere der Spirometrie, die Einsekundenkapazität (FEV1). Nach ihrer Einschränkung wird die COPD in vier Schweregrade eingeteilt: I bis IV (FEV1 &8805; 80 %: I; 50 bis unter 80 %: II; 30 bis unter 50 %: III; unter 30 %: IV; vgl. Schönberger/Mehr¬tens/Va¬len¬tin, a.a.O., S. 997). Die Einstufungen der internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10, hier zitiert nach www.dimdi.de) weichen hiervon nur in Einzelpunkten ab (ICD-10 Nr. J44-0 ff.). Die Vitalkapazität (VC) hingegen ist bei einer primären obstruktiven Lungenerkrankung nicht eingeschränkt. Die Diagnose einer obstruktiven Erkrankung setzt daher auch voraus, dass die Einsekundenkapazität im Verhältnis zur Vitalkapazität nennenswert herabgesetzt wird. So setzen alle Stufen der COPD voraus, dass das Verhältnis FEV1/VC ( 70 % beträgt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 997). Weitere, klinische Indizien für eine obstruktive Lungenerkrankung im Sinne der drei genannten Beispiele Asthma, COPD und allergische Rhinopathie sind asthmatische Symptome, Husten mit Auswurf, Atembeklemmungen, ein Giemen der Lungen und ggfs. eine Hyperreagibilität, nachgewiesen durch unspezifische Provokationen der Lunge (Mehrtens/Schönber¬ger/Va¬len¬tin, a.a.O., S. 1054).

Im Rahmen der beiden BKen Nr. 4301 und 4302 ist aber zu berücksichtigen, dass nur die BK Nr. 4301 auch die allergische Rhinopathie erfasst (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 4302, S. 5 m.w.N.), während entsprechend Nr. 4302 auf die beiden anderen Formen der obstruktiven Atemwegserkrankung beschränkt ist. Dies ergibt sich deutlich aus dem bei Nr. 4301 hinzugefügten Klammerzusatz. Dass Nr. 4302 allergische Erkrankungen nicht erfassen kann, ist auch offensichtlich, denn nur Nr. 4301 betrifft überhaupt Einwirkungen durch allergisierende Stoffe. Es ist sogar anerkannt, dass eine Rhinopathie, selbst wenn sie durch chemisch-irritative oder toxische Stoffe verursacht worden ist, nicht unter Nr. 4302 fällt (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O.).

Bei dem Kläger bestehen aber keine COPD und auch kein Asthma. Der Kläger befand sich, wie Dr. S. in seiner Zeugenaussage vom 20.11.2012 nochmals bestätigt hat, lediglich kurzzeitig (zwei Termine) in lungenfachärztlicher Behandlung. Dr. S. hat in jener Zeugenaussage auf Nachfrage des Senats ausdrücklich verneint, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung bestehe. Bereits in seinem Arztbrief an Dr. K. vom 02.01.2009 hatte er unter den Diagnosen keine obstruktive Lungenerkrankung aufgeführt, sondern lediglich bei der (einmaligen) Lungenfunktionsprüfung eine sehr leichtgradige, gerade eben noch signifikante obstruktive Ventilationsstörung festgestellt. Die von ihm dort gemessenen Werte reichen aber nicht aus, um z. B. die Diagnose einer COPD zu stellen. Zwar war der FEV1 leicht auf 80 % des Sollwerts erniedrigt. Aber der Tiffeneau-Wert betrug 102 % des Sollwerts und lag daher maßgeblich über der Grenze von 70 %. Dies beruhte darauf, dass auch die Vitalkapazität des Klägers erniedrigt war, schließt aber damit die Diagnose einer COPD aus. Und für ein Asthma, das daher auch Dr. S. ebenfalls nicht diagnostiziert hat, fehlen Anhaltspunkte. Die genannten Symptome wie etwa Husten mit Auswurf, hat der Kläger nicht angegeben. Diesen Einschätzungen hat sich auch Internist Dr. K. angeschlossen, der in seiner Zeugenaussage - gestützt auf den Arztbrief von Dr. S. - ausgeführt hat, ein Asthma und eine COPD seien ausgeschlossen, und gemeint hat, es habe sich um eine unspezifische Erkrankung gehandelt.

bb) Dagegen kann die BK Nr. 4301 nicht nach den medizinischen Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Anders als Nr. 4302 erfasst diese BK, wie ausgeführt, auch die allergische Rhinopathie.

Diese Erkrankung liegt aber bei dem Kläger vor. Dr. S. hat in seiner Zeugenaussage vom 20.12.2012 eine entsprechende Diagnose gestellt. Er hat ferner bekundet, dass der Kläger - auch - eine Behandlung mit Antiallergika durchführe und eine Hyposensibilisierung geplant gewesen sei.

Eine berufliche Verursachung dieser Rhinopathie kann jedoch aus arbeitstechnischen Gründen ausgeschlossen werden. Die Stoffe, denen der Kläger während seiner Berufstätigkeit auch nach den Feststellungen des Präventionsdienstes ausgesetzt war, sind keine allergisierenden Stoffe im Sinne der BK Nr. 4301. Allergisierende Stoffe im Sinne dieser BK sind im Wesentlichen pflanzliche Allergene (Staub von Mehl und Kleie aus Getreide, Stäube verschiedener Holzarten, Rizinusbohnenstaub, Rohkaffeebohnenstaub, Kakaobohnenstaub, Lykopodiumstaub, algen¬haltige Aerosole, Schalenstaub und Saft von Zwiebeln der Narzisse und der Tulpe, Futter-mittelstaub wie Luzerne, Staub von Jute oder Kapok) und tierische Allergene (z. B. Insekten-staub, Federnstaub, Haarstaub, Rohseidenstaub, Perlmuttstaub, Ascarisgeruchsstoffe). Hinzu kommen nur einige wenige sonstige Allergene, nämlich Arzneimittel wie Antibiotika, Sulfonamide, Salvarsan und einige Proteasen (vgl. im Einzelnen Mehrtens/Bran¬denburger, a.a.O., M 4301, S. 1 f.). Entsprechend diesen schädigenden Stoffen tritt die BK Nr. 4301 im Wesentlichen auch nur bei Arbeitern in der Nahrungsmittelindustrie auf und in einigem Umfang noch bei Arbeitern im Gesundheitsdienst und im Friseurhandwerk (a.a.O., S. 8). In diesen Bereichen hat der Kläger nicht gearbeitet. Er führt seine Beschwerden im Gegenteil auf Einwirkungen durch HWK und ggfs. Ammoniak zurück, also Stoffen, die nicht unter die BK Nr. 4301 fallen. Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass die bei ihm bestehende Rhinopathie durch eines der genannten pflanzlichen, tierischen oder sonstigen Allergene im Sinne der BK Nr. 4301 verursacht ist. Dr. S. hat auch den Pricktest vom 01.02.2010 übersandt, aus dem sich ergibt, dass der Kläger im Wesentlichen (++) auf Gräser und Roggen und eingeschränkt (+) auch auf Birke, Erle, Buche pp, Beifuß pp, Hunde-, Katzen- und Meerschwein¬chen¬haare sowie einige Pilze und Milben allergisch reagiert. Dieses Verursachungsbild entspricht eher einem klassichen "Heuschnupfen" mit Haar- und Milbenallergie.

cc) Ferner meint auch der Senat, dass ein Verursachungszusammenhang zwischen den Atem-wegs¬be¬schwerden des Klägers und der beruflichen Einwirkung nicht überwiegend wahrscheinlich ist, wie schon das SG ausgeführt hat. Der zeitliche Ablauf und der Fortbestand der Erkrankung auch nach Verlassen des gefährdenden Arbeitsplatzes sprechen dagegen. Dass der Kläger während seines Berufslebens keine Atemwegsprobleme hatte bzw. kein Arzt solche diagnostiziert hat, ergibt sich nicht nur aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse, das schon die Beklagte beigezogen hatte, sondern auch aus den Unterlagen des Betriebsarztes Dr. R. über die Untersuchungen des Klägers von 1972 bis 1997. Im Bereich der Lungen ist dort nur - am 12.03.1979 - eine Trichterbrust verzeichnet, wobei die Atembewegungen als seitengleich beschrieben wurden. Ansonsten standen orthopädische Beschwerden im Vordergrund.

dd) Ferner sind die BKen Nr. 4301 und 4302 auch deshalb ausgeschlossen, weil kein Unterlassungszwang bestand. Der Kläger war nicht wegen seiner Atemwegserkrankung gezwungen, die angeschuldigte Tätigkeit aufzugeben. Dazu sind die Auswirkungen der Erkrankung zu gering. Dr. S. hat im Wesentlichen nur eine leichtgradige Belastungsdyspnoe beschrieben und Beschwerden in Ruhe und während des Schlafs ausgeschlossen. Diese Einschränkungen stehen der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit des Klägers nicht entgegen.

b) Bei dem Kläger liegt auch keine Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe nach Nr. 1302 der BK-Liste vor.

Bei dem Kläger besteht keine Anosmie, also kein vollständiger Verlust des Geruchssinns, sondern eine Hyposmie, ein entsprechend unvollständiger Verlust. Dies hat nicht nur Dr. B. in seinem von Dr. K. vorgelegten Arztbrief vom 03.02.2009 diagnostiziert. Auch die Ergebnisse des Riechtests vom 13.01.2009, den bereits die Beklagte beigezogen hatte, zeigen, dass der Kläger noch auf beiden Seiten volles Riechvermögen für Schwefel hat und das Riechvermögen für Bienenwachs, Birkenteer und Ammoniak ein- bzw. beidseitig nur eingeschränkt war.

Es ist allerdings nicht überwiegend wahrscheinlich, dass diese Erkrankung durch HKW verursacht worden ist. Nach den Feststellungen des Präventionsdienstes, die der Kläger nicht substanziiert in Zweifel gezogen hat, kann eine regelmäßige bzw. erhebliche Einwirkung nur bis 1988 bestanden haben, weil ab dann der offene Umgang mit HKW untersagt war dies nach den weiteren Ermittlungen des Präventionsdienstes bei dem früheren Arbeitgeber des Klägers auch umgesetzt wurde, und der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Produktion tätig war. Beeinträchtigungen des Riechvermögens sind aber erst zwanzig Jahre später, nämlich erst ab 2008, ärztlicherseits diagnostiziert worden. Dr. K., der den Kläger seit 1998 behandelt, hat in seiner Zeugenaussage auch ausgeführt, erstmals 2008 habe der Kläger über Störungen des Riechvermögens geklagt. Das Vorerkrankungsverzeichnis und die Unterlagen des Betriebsarztes sind insoweit leer.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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