L 6 SO 4/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 9 SO 25/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SO 4/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 30/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 27. November 2009 aufgehoben, soweit darin der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin ab dem 20. Juni 2007 Leistungen in Höhe von 150,00 EUR monatlich zu zahlen. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für das Verfahren erster und zweiter Instanz keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab dem 20. Juni 2007 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Schulgeld zu gewähren.

Die 1996 geborene Klägerin hat das Down-Syndrom. Bei der Einschulungsuntersuchung am 7. Januar 2002 wurde eine multiple Dyslalie mit Dysgrammatismus und ein globaler Entwicklungsrückstand diagnostiziert. Mit Bescheid des Staatlichen Schulamts vom 10. April 2002 wurde ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt und die Schule für Praktisch Bildbare, B-Stadt als konkrete Schule bestimmt. Auf Antrag der Eltern vom 26. April 2002 auf Bestimmung der D-Schule erklärte das Staatliche Schulamt mit Schreiben vom 3. Mai 2002 sein Einverständnis mit einer Beschulung der Klägerin in dieser staatlich genehmigten Ersatzschule und Schule für praktisch Bildbare, Körperbehinderte, Lernhilfe und Erziehungshilfe auf anthroposophischer Grundlage. Die Eltern der Klägerin entschieden sich gegen die Schule für Praktisch Bildbare, B-Stadt und für die D-Schule, weil diese im Gegensatz zu jener einen strukturierten Tagesablauf, der an der staatlichen Schule gefehlt habe, biete. Sie versprachen sich von dieser Schulwahl, auch wenn sie für sie selbst finanziell ungünstiger war, eine bessere intellektuelle Förderung ihrer Tochter.

In einem undatierten Schulvertrag zwischen den Eltern der Klägerin und dem Verein für heilende Erziehung B-Stadt/BX. e.V., dem Träger der D-Schule, wurde die Klägerin mit Wirkung vom 12. August 2002 in die erste Klasse dieser Schule aufgenommen. Ziffer 6 des Vertrages lautet: "Das Schulgeld wird mit dem Kostenträger vereinbart". In einer "Beitragserklärung" vom 22. Juli 2002 sagten die Eltern gegenüber dem Verein für heilende Erziehung B-Stadt e.V. zu, ein monatliches Schulgeld in Höhe von 150,00 EUR zu zahlen, und erteilten eine entsprechende Einzugsermächtigung.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2007, bei dem Beklagten eingegangen am 20. Juni 2007, beantragte die D-Schule im Namen der Eltern der Klägerin (und der Eltern eines weiteren Kindes) unter Vorlage entsprechender Vollmachten die Übernahme des für die Klägerin (und des weiteren Kindes) entstehenden Schulgeldes in Höhe von monatlich 302,92 EUR [sic] ab sofort gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.

Der Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom 25. November 2008 abgelehnt und den Widerspruch der Klägerin vom 9. Dezember 2008 mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2009 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat am 8. April 2008 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27. November 2009 den Bescheid des Beklagten vom 25. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. März 2009 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab dem 20. Juni 2007 Leistungen in Höhe von 150,00 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei im tenorierten Umfang begründet. Anspruchsgrundlage für die Übernahme des Schulgeldes sei § 53 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII (Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung). Die Klägerin gehöre zum Kreis der Personen die eingliederungshilfeberechtigt seien, denn sie habe eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), die wesentlich ihre Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, einschränke. Die geistigen Fähigkeiten der Klägerin wichen von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab, denn sie leide an einem globalen Entwicklungsrückstand bei Morbus Down. Diese Defizite beeinträchtigten sie in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Die Übernahme des Schulgeldes stelle auch eine mögliche Leistung der Eingliederungshilfe dar. Wie sich schon aus § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII ergebe, gehörten Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung zu den Eingliederungshilfeleistungen. Auch die Übernahme von Schulgeld könne eine solche Leistung sein, sofern die Übernahme des Schulgeldes Voraussetzung für den Besuch einer Schule sei, die dem Betroffenen die entsprechende "angemessenen Schulbildung" vermittele. Der Besuch der D-Schule sei zur Eingliederung der Klägerin in die Gesellschaft geeignet und auch erforderlich. Dass die Schule geeignet sei, den Eingliederungshilfebedarf der Klägerin zu decken, ergebe sich bereits aus dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 3. Mai 2002. Zwar habe das Schulamt im Bescheid vom 10. April 2002 noch festgestellt, dass der sonderpädagogische Förderbedarf der Klägerin in der (staatlichen) Schule für Praktisch Bildbare B-Stadt erfüllt werde. Mit Schreiben vom 3. Mai 2002 habe es dem Besuch der D-Schule jedoch ausdrücklich zugestimmt. An diese schulrechtliche Einstufung sei der Sozialhilfeträger gebunden (Verweis auf BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2007).

Der Besuch der D-Schule sei darüber hinaus auch eingliederungshilferechtlich erforderlich. Die Erforderlichkeit entfalle nicht dadurch, dass der Klägerin im Zeitpunkt der Einschulung die Möglichkeit offen gestanden habe, die schulgeldfreie Schule für Praktisch Bildbare B-Stadt zu besuchen. Ob eine für den Sozialhilfeträger kostenmäßig günstigere Eingliederungshilfemaßnahme, auf die der Leistungsempfänger zulässigerweise verwiesen werden dürfe, zur Verfügung stehe, sei unter Heranziehung des § 9 Abs. 2 SGB XII zu prüfen. Nach S. 1 dieser Vorschrift "soll" der Träger Wünschen, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprechen, soweit sie "angemessen" seien. Den Wünschen "soll" gemäß § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII "in der Regel" nicht entsprochen werden, wenn ihre Erfüllung mit "unverhältnismäßigen Mehrkosten" verbunden sei. Der Auffassung des Beklagten, § 9 Abs. 2 SGB XII komme gar nicht zur Anwendung, weil der Besuch der D-Schule nicht Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne von § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII und - wegen der Möglichkeit des Besuchs einer schulgeldfreien Schule - auch nicht erforderlich sei, vermöge sich die Kammer nicht anzuschließen.

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Dezember 2009 und dem Beklagten am 16. Dezember 2009 zugestellt worden.

Die Klägerin hat am 29. Dezember 2009 und der Beklagte hat am 15. Januar 2010 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Die Klägerin hat ihre Berufung am 13. September 2010 zurückgenommen.

Der Beklagte weist darauf hin, dass das staatliche Schulamt die Klägerin nicht der D Schule zugewiesen habe. Die durch den Besuch der Privatschule entstehenden erheblichen Mehrkosten könnten einzig dann übernommen werden, wenn eine angemessene Schuldbildung durch die an sich zuständige Schule nicht zu erlangen sei. Zwar gehörten zu den Eingliederungshilfeleistungen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei aber lediglich die Hilfeleistung zu einer angemessenen Schulbildung. Damit könne nicht jedwede Hilfeleistung, insbesondere keine nach den Vorstellungen des Hilfeempfängers bzw. seiner Erziehungsberechtigten bestmögliche Schulbildung als Eingliederungshilfe verlangt werden (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Mai 2010 L 20 B 168/08 SO ER, juris). Eine angemessene Schulbildung sei für die Klägerin auch durch den Besuch der staatlichen Schule zu erlangen. Insbesondere unterschieden sich die Unterrichtsform und die Klassengrößen nicht erheblich. Auch habe die Privatschule keinen integerativen Mehrwert wie Schulen, die von behinderten und nicht behinderten Kindern besucht würden. Nicht zu folgen sei der Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. August 2010 (L 6 SO 5/10), die das elterliche Wahlrtecht überbewerte. Auf das Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 26. Oktober 2007 (5 C 35/06), in dem es um einen Anspruch auf Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers für den Besuch einer integrativ unterrichtenden Grundschule gegangen sei, könne sich die Klägerin nicht berufen. Der Beklagte beruft sich weiter auf den Nachrang der Sozilahilfe.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 27. November 2009 aufzuheben, soweit darin der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin ab dem 20. Juni 2007 Leistungen in Höhe von 150,00 EUR monatlich zu zahlen, und auch insoweit die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt zuletzt vor, das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. November 2012 (B 8 SO 10/11 R, juris) trage zur Klärung der bestehenden Streitfragen nichts bei. Das Bundessozialgericht stelle richtig fest, dass der (unentgeltliche) Unterricht zum Kernbereich der schulischen Maßnahmen gehöre, für den Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich nicht in Betracht kämen. Die Schlussfolgerung aber, dass das streitgegenständliche Schulgeld den Unterricht für die Schüler finanziere, sei nicht zutreffend. Es möge Privatschulen geben, in denen das Schulgeld auch die Personalkosten der den Unterricht durchführenden Pädagogen abdecke und diese auf staatliche Zuwendungen nicht angewiesen sein. In Hessen sei es nicht Aufgabe der Schulträger (seien sie öffentlich oder privat), Personalkosten für Lehrpersonal zu tragen. Diese Aufgabe sei dem Land zugewiesen. Staatlich anerkannten Ersatzschulen würden nach § 5 des Ersatzschulfinanzierungsgesetzes die Bezüge der Lehrkräfte erstattet. Die D-Schule benötige das Schulgeld nicht zur Finanzierung der Kosten ihres Lehrpersonal und damit zur Finanzierung des Unterrichts. Die Schule verwende Mittel nicht für solche Zwecke. Auch die kommunalen Schulträger achteten streng darauf, dass die von ihnen eingesetzten Steuergelder - hier finde das Schulgeld, das private Schulen erheben müssten, seine Entsprechung - nicht für Unterrichtszwecke verwendet würden. Die vom Schulträger (ob öffentlich oder privat) zu finanzierenden Aufgaben fielen unabhängig davon an, ob der schulische Bildungsauftrag der Schule erfüllt werde (Personalkosten des nicht pädagogischen Personals, Betriebskosten, Bauunterhaltung und vieles andere mehr). Diese Aufgaben müssten (etwa auch in der unterrichtsfreien Zeit) erledigt werden, damit die Erfüllung des schulischen Bildungsauftrages erfolgen könne. Die Aufgabenwahrnehmung durch den jeweiligen Schulträger leiste danach Hilfe dazu, dass eine angemessene Schulbildung vermittelt werden könne, sei aber selbst keine angemessene Schulbildung. Es bestehe allgemeine Schulpflicht. Ohne Schulgeld zu zahlen, bliebe die Klägerin außen vor. Sie würde - auch räumlich - nicht an den Ort gelangen, an dem schulische Kernaufgaben, nämlich der Unterricht stattfinden. Dazu bedürfe sie der Hilfe, hier in Form der Übernahme von Schulgeld, die ihr den Zugang zur Schule und damit einer angemessenen Ausbildung überhaupt erst ermöglichten. Sie habe einen Anspruch darauf, wenn die Übernahme des Schulgeldes angemessen und erforderlich sei. Ob und wann diese Voraussetzungen vorlägen, sei unterschiedlicher Beurteilung zugänglich, wie die unterschiedliche Rechtsprechung des Neunten Senats und des Sechsten Senats des Hessischen Landessozialgerichts zeigten.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. April 2013 verwiesen. Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie des Staatlichen Schulamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die allein noch anhängige Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht binnen der Monatsfrist des § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Die Berufung des Beklagten ist auch begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. März 2009 (§ 95 SGG) über die Ablehnung der Übernahme des Schulgelds für den Besuch der D-Schule. Zulässige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 i.V.m. § 56 SGG).

Nicht Streitgegenstand sind Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII, auch nicht im Rahmen des sog. Meistbegünstigungsprinzips. Erwägungen zur Bedürftigkeit der Klägerin spielen demzufolge keine Rolle bei Prüfung eines Anspruchs der Klägerin auf Übernahme von Schulgeld. Gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB XII sind Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Hilfeempfängers zu erbringen.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. November 2012 – B 8 SO 10/11 R – juris, in dem es in einem Parallelverfahren um die Übernahme von Schulgeld für den Besuch der D-Schule ging, gilt für einen Anspruch auf Übernahme von Schulgeld nach § 54 SGB XII Folgendes:

Nach § 53 Abs 1 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung i. S. von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

Anders als in der der Entscheidung des Bundessozialgerichts zugrundeliegenden Fallgestaltung, in der das Bundessozialgericht Zweifel äußerte, ob der dort beklagte überörtliche Träger der Sozialhilfe für den streitigen Anspruch auf Übernahme des Schulgeldes als Leistung der Eingliederungshilfe sachlich zuständig sei, ist vorliegend mit dem Landkreis der örtliche Träger der Sozialhilfe i. S. von § 1 Abs. 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (HAG) verklagt.

Der Beklagte ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HAG sachlich zuständig für Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und damit auch für Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII. Eine Ausnahme besteht nur gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 HAG (bis 31. Juni 2006 in der nach § 13 Abs 3 HAG bestimmten Fassung), wenn die Leistung in einer stationären oder teilstationären Betreuung oder in einer betreuten Wohnmöglichkeit für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII gewährt wird. Die D-Schule ist nicht als eine solche Einrichtung zur stationären oder teilstationären Betreuung im Sinne des § 13 SGB XII zu qualifizieren. Eine (teilstationäre) "Einrichtung" im Sinne des § 13 SGB XII ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BSG, aaO, juris Rn. 11 m.w.N.). Die D-Schule erbringt jedoch nicht Leistungen der Sozialhilfe, sondern bietet als Ersatz(förder)schule als Leistung die Beschulung des schulpflichtigen und nach § 53 SGB XII förderberechtigten Personenkreises.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf die im Streit stehende Leistung.

Allerdings erfüllt die Klägerin die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Die Voraussetzungen für eine Behinderung nach § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Die Klägerin hat das Down-Syndrom. Die geistige und sprachliche Behinderung der Klägerin ist wesentlich i. S. des § 2 Eingliederungshilfe-VO, wonach eine wesentliche Behinderung vorliegt, wenn infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Dies richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls und hängt deshalb von sehr unterschiedlichen, durch die individuelle Behinderung geprägten Umständen ab. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie bei der Prüfung der Behinderung auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten, insbesondere an den Auswirkungen für die Eingliederung in die Gesellschaft. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt.

Bei der Einschulungsuntersuchung am 7. Januar 2002 wurde eine multiple Dyslalie mit Dysgrammatismus und ein globaler Entwicklungsrückstand diagnostiziert. Damit standen hier die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme der Klägerin am Unterricht in einer allgemeinen (Grund-)Schule entgegen. Ihre geistige und sprachliche Behinderung bedingte einen sonderpädagogischen Förderbedarf, um die mögliche Vermittlung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen. Die Behinderung der Klägerin ist daher wesentlich im Sinne des § 2 Eingliederungshilfe-VO. Die Klägerin gehört danach zu dem leistungsberechtigten Personenkreis nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII.

Jedoch scheitert ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds daran, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15. November 2012 – B 8 SO 10/11 R, juris) es sich bei der Übernahme zu zahlenden Schulgeldes nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Mit dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht die Vorinstanz (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. November 2010 – L 9 SO 7/09, juris) nur im Ergebnis bestätigt, aber einen anderen Begründungsweg gewählt.

Nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Erfasst sind von dem Wortlaut der Vorschrift ("Hilfen") allerdings nur Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern.

Eine solche Maßnahme, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich ist, kann etwa die Stellung eines Integrationshelfers sein. Weist etwa die Schulbehörde ein behindertes Kind im Rahmen ihres schulrechtlichen Wahl- und Bestimmungsrechts einer Regelschule zu, so hat wegen der Tatbestandswirkung dieser Entscheidung für den Träger der Sozialhilfe dieser dann einen Integrationshelfer für den Besuch der Regelschule zu finanzieren, der bei dem Besuch einer Sonderschule nicht notwendig geworden wäre (BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 – 5 C 20/04, juris).

Die Auslegung des § 54 SGB XII im Sinne nur von Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung stehen, nicht aber im Sinne einer Finanzierung der angemessenen Schulbildung selbst, wird nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. November 2012 durch § 12 Eingliederungshilfe-VO bestätigt, der seinerseits nur von "Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung" spricht. Die von § 12 Eingliederungshilfe-VO (auch) erfassten Regelbeispiele betreffen dementsprechend nur die Schulbildung begleitende heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen und Hilfen. Deshalb kommt etwa die Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie bei einem schwer behinderten Kind als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i. S. von § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 EinglHV als Leistung der Eingliederungshilfe in Betracht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 7 SO 1246/10 – juris).

Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, bestimmt sich gemäß dem genannten Urteil des Bundessozialgerichts nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen. Die so bestimmte Schulbildung obliegt allein den Schulträgern. Mit dieser Auslegung des § 54 SGB XII i.V.m. § 12 Eingliederungshilfe-VO hat das Bundessozialgericht einer Gesetzesauslegung eine Absage erteilt, wonach die Förderung des Schulbesuchs an einer privaten Förderschule durch Übernahme von Schulgeld eine "erforderliche Maßnahme" i.S. des § 12 Eingliederungshilfe-VO sein kann (so noch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. August 2010 – L 6 SO 5/10). Die Übernahme von Schulgeld würde die Eltern des Klägers, soweit sie überhaupt dem Trägerverein der D-Schule gegenüber zur Zahlung von Schulgeld verpflichtet sind, zwar finanziell entlasten. Der Beklagte würde damit nach Auffassung des Bundessozialgerichts aber den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der D-Schule finanzieren und keine den Schulbesuch nur begleitenden Maßnahmen, Therapien und Hilfen.

Im Ergebnis ist damit der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule den Regelungen über die Eingliederungshilfe entzogen und die Finanzierung des Schulbesuchs der D-Schule als Ersatzschule über das Sozialhilferecht ausgeschlossen.

Die schulrechtlichen Verpflichtungen bestehen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. August 1992 - 5 C 70/88 - juris ausgeführt, dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Grundschulen seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nachkomme und die Schulgeldfreiheit aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialhilferechts gefunden habe, sodass für einen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs Aufnahmebeiträge und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung nicht zu übernehmen seien. Dabei ist das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die erforderliche Hilfe nicht von einer nach Maßgabe des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe zu lösenden Anspruchskonkurrenz, sondern von einem Verhältnis der "Spezialität" ausgegangen, wobei es eine Ausnahme von diesem Grundsatz für möglich hielt, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (z. B. wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Auf diese Rechtsprechung, der sich das Bundessozialgericht angeschlossen hat, hatte vorliegend der Beklagte auch bereits erstinstanzlich hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung für Leistungen der Eingliederungshilfe bestätigt (Beschluss vom 2. September 2003 - 5 B 259/02, juris) und ausdrücklich ausgeführt, dass ein nachrangiges Eintreten der Sozialhilfe (nur) für solche Bedarfe nicht ausgeschlossen sei, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestünden, sondern damit lediglich mehr oder weniger eng - zusammenhingen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen.

Auch eine jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe nach § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XII soll die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass dem Kind ein erfolgreicher Schulbesuch ermöglicht wird. Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule wird - unabhängig von seiner exakten Bestimmung - von der Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilfe wie nach dem Jugendhilferecht nicht erfasst (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 – 5 C 21/11, juris Rn. 37). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat das Schulgeld in der mündlichen Verhandlung als "Eintrittsgeld" in die Schule bezeichnet. Dies bringt treffend zum Ausdruck, dass mit dem Schulgeld Zugang zur Hauptleistung der Schule Unterricht und pädagogische Betreuung – erkauft wird, nicht aber flankierende Maßnahmen zur Ermöglichung des Schulbesuchs finanziert werden.

Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch das von der Klägerin begehrte Schulgeld unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme des Schulgelds die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht der Klägerin an dieser Schule, ermöglicht. Das Schulgeld dient dem Zugang zur schulischen Bildung selbst und stellt keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung dar.

Dem Vortrag der Klägerin, das Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. November 2012 – B 8 SO 10/11 R trage zur Klärung der bestehenden Streitfragen nichts bei, ist nicht zu folgen. Zunächst trifft es nicht zu, dass das Land die Personalkosten der Ersatzschule komplett erstatte. Vielmehr wird den Ersatzförderschulen nach § 2 Hessisches Ersatzschulfinanzierungsgesetz ein Prozentsatz von 90 % der Personalkosten, die je Schüler der öffentlichen Schulen der entsprechenden Schulformen und –stufen aufgewendet werden, als Jahresbeihilfen geleistet. Lediglich anstelle der Beihilfen können nach § 5 Abs. 1 Hessisches Ersatzschulfinanzierungsgesetz den als Ersatzschule genehmigten Förderschulen zu Lasten von Planstellen Lehrer des Landes unter Fortzahlung der Bezüge zur Verfügung gestellt oder die Bezüge anderer Lehrkräfte erstattet werden. Wenn die Klägerin außerdem vorträgt, das Schulgeld diene gar nicht der schulischen Kernaufgabe Unterricht, sondern zur Deckung der Personalkosten des nicht pädagogischen Personals, der Betriebskosten, Bauunterhaltung der Schule und vielem anderen mehr, so ist nicht ersichtlich wie diese Beschreibung der Verwendung des Schulgeldes durch die D-Schule einen Anspruch der Klägerin im Rahmen des § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII ("Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung") gegen den Beklagten begründen soll. Die Verwendung von Schulgeld für die allgemeine Aufrechterhaltung des Betriebs der Schule steht in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen konkreten Maßnahmen oder Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, die nach § 53 SGB XII leistungsberechtigten Personen zugute kämen. Die Betrachtungsweise der Klägerin vermengt den Betrieb der Förderschule, die sich nach den Schulgesetzen richtet, mit der dem behinderten Menschen individuell zukommenden Hilfe nach § 54 SGB XII.

Soweit die Klägerin vorträgt, es bestehe allgemeine Schulpflicht, ohne Schulgeld zu zahlen, bliebe sie außen vor, sie würde - auch räumlich - nicht an den Ort gelangen, an dem schulische Kernaufgaben, nämlich der Unterricht stattfinden, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Mutter der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Marburg erklärt, da sie in A-Stadt wohnten, sei die Schule für Praktisch Bildbare in B-Stadt die räumlich zuständige staatliche Schule. Die Mutter hat diese Schule wie auch die gleichfalls in B-Stadt gelegene D-Schule besucht und sich nicht aus Gründen der Erreichbarkeit, sondern wegen des strukturierten Tagesablaufs, der an der staatlichen Schule gefehlt habe, für die D-Schule entschieden.

Wie die Entscheidung des Schulamts, die Klägerin der Schule für Praktisch Bildbare, B Stadt zuzuweisen, zugleich aber das Einverständnis mit einer Beschulung in der D Schule zu erklären, auszulegen ist und inwieweit sie auch für den Beklagten Bindungswirkung entfaltet, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ohne Belang. Es spielt nach dieser Rechtsprechung in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sich der Beklagte mit der Beschulung in die D-Schule einverstanden erklärt hat. Auch die Ausübung eines elterlichen Wahlrechts, welche Schule besucht wird, hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger ein etwaiges Schulgeld zahlen müsste.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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