L 4 AS 93/13 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 AS 3987/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 93/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Werden durch Verwaltungsakt Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II getroffen, handelt es sich regelmäßig um einen teilbaren, teils belastenden, teils begünstigenden Verwaltungsakt, bei dem hinsichtlich des belastenden Teils nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens die Anfechtungsklage eröffnet wird, bei nicht hinreichender Leistungsgewährung aber die Verpflichtungsklage.

2. Um mit Mitteln des Verwaltungszwangs sofort durchsetzbare Verpflichtungen handelt es sich bei den in dem angegriffenen Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Obliegenheiten zur Beschäftigungssuche nicht; die im Gesetz vorgesehenen und selbständig anfechtbaren Sanktionen (§§ 31 ff. SGB II) stellen keine Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung dar. Gleichwohl ist der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, da § 39 Nr. 1 SGB II in der seit Anfang 2009 geltenden Fassung eine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auch im Falle solcher Obliegenheiten ausdrücklich ausschließt und damit implizit die Möglichkeit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage eröffnet.

3. Sollten die ihrem Charakter nach einen Vorteil gewährenden Regelungen des Eingliederungsverwaltungsaktes zur Bewerbungskostenerstattung nicht das Maß dessen erreichen, was der Betroffene an Kostenübernahme meint beanspruchen zu können, so wäre dies keine Frage einer Belastung, sondern einer nicht hinreichenden Begünstigung, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls über eine einstweilige (Regelungs-)Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu erstreiten wäre.
Tatbestand:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Februar 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Entscheidungsgründe:

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz wegen eines eine Eingliederungs-vereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts des Antragsgegners, mit welchem ihm ins-besondere Bewerbungspflichten auferlegt werden. Die nach den Vorschriften des SGG zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Februar 2013 hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antragsteller in Bezug auf den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 19. Dezember 2012 bzw. 1. Februar 2013 einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, kann die Aufhebung der Vollziehung angeordnet werden (Satz 2). Das SGG hat dabei zwar in Anlehnung an § 80 Abs. 5 VwGO insbesondere die-jenigen Konstellationen im Sinn, in denen ein Verwaltungsakt von Gesetzes wegen oder aufgrund besonderer Anordnung schon vor seiner Bestandskraft "sofort vollziehbar" ist. Um mit Mitteln des Verwaltungszwangs sofort durchsetzbare Verpflichtungen handelt es sich bei den dem Antragsteller in der angegriffenen Verfügung auferlegten Obliegenheiten im Zusammenhang mit der Eingliederung in Arbeit allerdings nicht; die im Gesetz vorgesehenen und selbständig anfechtbaren Sanktionen (§§ 31 ff. SGB II) stellen keine Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung dar. Gleichwohl ist hier der Antrag des Antragstellers nach § 86b Abs. 1 SGG statthaft, da § 39 Nr. 1 SGB II in der seit Anfang 2009 geltenden Fassung eine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auch im Falle solcher Obliegenheiten ausdrücklich ausschließt und damit implizit die genannte Rechtsschutzmöglichkeit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage eröffnet. Dies bezieht sich freilich nur auf diejenigen ¬– belastenden – Elemente einer behördlichen Entscheidung, die überhaupt Gegenstand der Anfechtungsklage sein können. Werden aber, wie hier, durch Verwaltungsakt Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II getroffen, handelt es sich regelmäßig um einen teilbaren, teils belastenden, teils begünstigenden Verwaltungsakt, bei dem hinsichtlich des belastenden Teils nach Durch-führung des Widerspruchsverfahrens die Anfechtungsklage eröffnet wird, bei nicht hinreichender Leistungsgewährung aber die Verpflichtungsklage (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 15 Rn. 61; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 4.4.2012, L 15 AS 77/12 B ER). Dies vorausgeschickt, kommen zur Beurteilung des vorliegenden Antrages nur die den Antragsteller verpflichtend belastenden Teile der Verfügung in Betracht, nämlich insbesondere, sich durch ernsthafte Bewerbungen in bestimmter Form um den Erhalt einer Beschäftigung zu bemühen, solche Bewerbungen nachzuweisen und eine angebotene zumutbare Beschäftigung aufzunehmen und auszuführen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Dass der Antragsgegner in diesem Zusammenhang vom Antragsteller etwas rechtlich nicht Zulässiges fordere, vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr präzisieren die verfügten Obliegenheiten lediglich die ohnehin bestehende gesetzliche Pflicht, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen und aktiv an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitzuwirken (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II). Die geforderte Zahl von mindestens fünf Bewerbungen monatlich erscheint dabei eher gering. Dass dem Antragsteller, der die Kosten der Beschäftigungssuche grundsätzlich selbst zu tragen hat (Berlit, a.a.O, § 15 Rn. 26), dadurch im Sinne einer Belastung gleichzeitig ein unzumutbares Kostenrisiko aufgebürdet werde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 21.6.2012, L 19 AS 1045/12 B ER u.a.; Berlit, a.a.O), vermag der Senat nicht zu sehen, zumal er, soweit bei Bewerbungsvorschlägen des Amtes nicht eine bestimmte Bewerbungsart vorgegeben ist, nach dem Eingliederungsverwaltungsakt zwischen schriftlicher, telefonischer und persönlicher Bewerbung wählen kann und die Kosten schriftlicher Bewerbungen jedenfalls für die Zahl der von ihm hier geforderten Bewerbungen pauschal übernommen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Auch liegt der Einwand des Antragstellers neben der Sache, der Antragsgegner erschwere durch seine formalen Vorgaben die Bewerbung auf bestimmte Angebote und schränke so die Zahl der Stellen ein, auf die er sich bewerben könne. Die Freiheit des Antragstellers, sich – in welcher Form auch immer – auf beliebige (weitere) Stellen zu bewerben, wird durch den Eingliederungsverwaltungsakt ebenso wenig berührt wie durch die vom Antragsteller monierten Regelungen zur Bewerbungskostenerstattung. Sollten diese ihrem Charakter nach einen Vorteil gewährenden Regelungen nicht das Maß dessen erreichen, was der Antragsteller an Kostenübernahme meint beanspruchen zu können, so wäre dies keine Frage einer der Anfechtungsklage unterliegenden Belastung, sondern die Frage einer nicht hinreichenden Begünstigung, die nur mit einer Leistungsklage und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls über eine einstweilige (Regelungs-)Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu erstreiten wäre. Für eine solche sähe der Senat hier schon deswegen keinen Anlass, weil der Antragsteller bei ihm konkret für bestimmte Bewerbungen anfallende Kosten nicht zur Sprache gebracht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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