L 3 SB 2961/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 4179/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2961/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob bei dem Kläger die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.

Bei dem am 20.09.1968 geborenen Kläger, der die deutscher Staatsangehörigkeit besitzt, stellte das Versorgungsamt Stuttgart mit Bescheid vom 15.09.2003 einen GdB von 30 seit dem 08.05.2003 fest. Es berücksichtigte hierbei, entsprechend einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. A. vom 17.07.2003, der die zuvor vom Versorgungsamt beigezogenen Entlassungsberichte der Klinik Markgröningen über die dortige stationäre Behandlung des Klägers vom 05. - 17.02.2003 und die anschließende Rehabilitationsmaßnahme in den Fachkliniken Hohenurach vom 25.02. - 21.03.2003 zu Grunde lagen, als Funktionsbeeinträchtigung einen "operierten Bandscheibenvorfall, Gebrauchseinschränkung des linken Fußes" mit einen Einzel-GdB von 30. Das hieran anschließende Widerspruchsverfahren verlief für den Kläger erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.08.2004). Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG; - S 2 SB 6316/04 -) wurde vom Kläger wieder zurückgenommen.

Ein erstmaliger Antrag auf Erhöhung des GdB wurde vom Landratsamt Böblingen - Versorgungsamt in Stuttgart - (VA) mit Bescheid vom 10.07.2008 (Widerspruchsbescheid vom 07.10.2008) abgelehnt.

Unter der Begründung eines erneuten Bandscheibenvorfalls beantragte der Kläger am 09.11.2010 abermals die Erhöhung des GdB. Das VA forderte daraufhin beim behandelnden Orthopäden Dr. B. eine Befundbeschreibung an. Dr. B. teilte hierzu, unter Vorlage an ihn gerichteter Arztbriefe mit, die letzte MRT-Untersuchung habe einen Rezidiv- Bandscheibenvorfall L 4/5 links ergeben. Aktuell bestünden beim Kläger Beschwerden rechts, so dass von einem Postnukleotomiesyndrom mit Wurzelirritation L 5 links und rechts auszugehen sei. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. C. vom 31.12.2010, der eine wesentliche Veränderung verneinte, lehnte das VA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 19.01.2011 ab. Es führte aus, eine Überprüfung der medizinischen Unterlagen habe ergeben, dass eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes nicht eingetreten sei.

Nachdem der Kläger hiergegen am 28.01.2011 unter der Begründung, die Bewertung des GdB berücksichtige die bei ihm bestehenden anhaltenden Funktionsstörungen nur unzureichend, Widerspruch eingelegt hat, forderte das VA bei den behandelnden Ärzten Befundbeschreibungen an. Dr. D. teilte unter dem 18.03.2011 mit, beim Kläger bestehe ein bekanntes L5-Syndrom links mit vorbestehender Fußheberparese links, ein links-paramedianer Rezidivprolaps im Fach LWK 4/5 mit Pelottierung des Duralschlauchs sowie der Wurzel L 5 links intraspinal sowie ein Zustand nach 2-facher Bandscheibenoperation 2003, 2007. Prof. Dr. Mayfrank übersandte dem VA unter dem 26.05.2011 von ihm verfasste Arztbriefe.

Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. E. am 17.06.2011, der auch unter Berücksichtigung der neu beigezogenen medizinischen Unterlagen keine Verschlimmerung sah, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 zurück. Gegenüber den zuletzt mit Bescheid vom 15.09.2003 festgestellten funktionellen Einschränkungen sei, so der Beklagte, keine Verschlechterung eingetreten. Beim Kläger bestünden schwere funktionelle Einschränkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, die mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet seien. Ein GdB von 50 könne im gegebenen Funktionssystem erst bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule angenommen werden.

Hiergegen hat der Kläger am 19.07.2011 Klage zum SG erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, den behandelnden Fachärzten fehle die medizinische Erklärung für die bei ihm bestehenden Leiden und Schmerzerscheinungen. Auch sei die besondere Schmerzsituation nicht ausreichend berücksichtigt.

Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 12.01.2012 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. G., Allgemeinmediziner, hat unter dem 29.09.2011 ausgeführt, beim Kläger ein bekanntes L5-Syndrom links mit vorbestehender Fußheberparese links und Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation 2003 und 2007, ein chronisches Lumbalsyndrom mit wechselnden, beidseitigen Lumboischialgien bei Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms sowie einen Rezidiv-Bandscheibenvorfall mit Beteiligung L5 links diagnostiziert zu haben. Beim Kläger sei eine Verschlechterung eingetreten, die sich nicht in messbaren Ausfallerscheinungen, sondern in einer Aggravation der Schmerzen niederschlage; es bestünden reaktiv-depressive Zustände. Der Orthopäde H. hat unter dem 06.11.2011 mitgeteilt, es sei seit 2004 zu einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers gekommen, da nunmehr ein chronisches Postnukleotomiesyndrom mit leichter linksseitiger Parese der Fuß- und Zehenheber vorliege und zusätzlich seit ca. Mitte 2009 eine rechtsseitige Ischialgie entlang L5 bestehe. Mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, beim Kläger seit dem 09.11.2010 einen GdB von 40 festzustellen, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehenden Gesundheitsstörungen, ein chronisches Lumbalsyndrom und ein L5-Syndrom mit Fußheberparese sowie ein Rezidiv-Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 (2010) seien als schwer einzustufen und führten dem Grund nach zu einem GdB von 30. Indes gingen die Schmerzen des Klägers über das normale Maß bei Bandscheibenschäden hinaus, weswegen der GdB auf 40 zu erhöhen sei. Eine weitergehende Erhöhung auf 50 sei nicht gerechtfertigt, da eine schwerwiegendere Schmerzbeeinträchtigung, die einen GdB von 50 rechtfertigen könnte, so das SG, weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sei. Der Einschätzung von Dr. G., der einen GdB von 50 für gerechtfertigt hielt, vermochte sich das SG nicht anzuschließen, da dieser mitgeteilt habe, die Einschätzung fuße nicht in messbaren Ausfallerscheinungen, sondern in einer Aggravation der Schmerzen. Da insb. keine nachweisbaren neurologischen Ausfallerscheinungen vorlägen, sei ein GdB von 50 nicht gerechtfertigt.

Mit Bescheid vom 02.07.2012 hat das VA in Ausführung des Gerichtsbescheides vom 15.06.2012 beim Kläger einen GdB von 40 seit dem 09.11.2010 festgestellt.

Gegen den am 20.06.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.07.2012 Berufung eingelegt. Hierzu bringt er vor, die Einschätzung des SG sei ihm nicht nachvollziehbar, er sei der nachhaltigen und unverrückbaren Auffassung, dass er als schwerbehinderter Mensch anzuerkennen sei. Zu weiteren Begründung hat der Kläger einen Arztbrief des Arztes für diagnostische Radiologie, Dr. I., vom 15.08.2012 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2011 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 09. November 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages trägt der Beklagte vor, die Entscheidung des SG sei außerordentlich günstig für den Kläger. Für eine noch höhere Bewertung bestehe auch in Ansehung der bildgebenden Befunde vom 15.08.2012 kein Anhalt.

Mit Schriftsatz vom 23.04.2013 hat der Beklagte, mit solchem vom 02.05.2013 der Kläger jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die beim Beklagten für den Kläger geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Der Bescheid vom 02.07.2012 ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, da er lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung dem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Rechnung trägt und insofern keine Regelung i.S.d. § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) trifft (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 06.01.2003 - B 9 V 77/01 B; Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B -; Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 76/04 R - jeweils veröffentlicht in juris). Der Bescheid wird hinfällig wenn der Gerichtsbescheid, auf dem er beruht, aufgehoben wird (BSG, Beschluss vom 21.02.1959 - 11 RV 724/58 - veröffentlicht in juris). Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, wonach über den Ausführungsbescheid auf Klage hin zu entscheiden sei (u.a. Urteil des erkennenden Senats vom 19.01.2011 - L 3 SB 3158/09 - n.v.), nicht mehr fest.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, den GdB des Klägers unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 ab dem 09.11.2010 mit 40 festzustellen. Der wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers ist durch die Feststellung eines GdB von 40 zureichend Rechnung getragen.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 50 festzustellen sind. Das SG hat die rechtlichen Grundlagen der GdB-Bewertung ausführlich und zutreffend dargelegt, es ist anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen ferner zur der nicht zu beanstandenden Einschätzung gelangt, dass ein GdB von 50 für die beim Kläger bestehenden Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule nicht gerechtfertigt ist. Der Senat schließt sich der Einschätzung des SG nach eigener Überprüfung an und sieht von einer (weiteren) Begründung seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG ab.

Ergänzend und wiederholend ist lediglich auszuführen, dass beim Kläger nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme eine funktionelle Einschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt, der Lendenwirbelsäule, vorliegt. Die dortigen Funktionseinschränkungen sind, mit dem SG, als schwer einzustufen. Der hierfür nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen anzusetzende GdB- Wert von 30 ist wegen der infolge des Postnukleotomiesyndroms bestehenden außergewöhnlichen Schmerzbeteiligung auf 40 zu erhöhen (vgl. Ziff. 18.9 [S.107] der Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Teil B der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]). Eine (noch) weitergehende Berücksichtigung der Schmerzbelastung ist nach Teil A 2 Buchs. i der Anlage zur VersMedV nur im Fall einer speziellen ärztlichen Behandlung möglich. Da der Kläger indes im Rahmen der von ihm im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Liste der behandelnden Ärzte keinen Schmerztherapeuten benannt hat, besteht für den Senat kein Anhalt dafür, dass sich der Kläger in schmerztherapeutischer Behandlung befindet.

Soweit Dr. G. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 29.09.2011 ausgeführt hat, beim Kläger bestünden reaktiv-depressive Zustände, vermag der Senat hierin keine zu einer Funktionsbeeinträchtigung führende Gesundheitsstörung zu erkennen. Klägerseits wurde bereits nicht vorgetragen, dass diesbezüglich eine fachspezifische Behandlung durchgeführt wird. Auch die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Liste der behandelnden Ärzte beinhaltet keinen Neurologen und Psychiater. Da überdies in keiner der vorliegenden medizinischen Unterlagen von einer entsprechenden Behandlung berichtet wird, vermag der Senat bereits das Vorliegen einer Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis nicht zu erkennen. Überdies beinhalten die vorliegenden medizinischen Unterlagen keinen Anhalt auf maßgebliche psychopathologische Befunde.

Der Bescheid vom 19.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 15.06.2012 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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