L 7 AS 742/13 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 60 AS 1133/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 742/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 09.04.2013 dahingehend geändert, dass die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet wird, den Regelbedarf für den Monat März 2013 ab dem 14.03.2013 zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin dem Grunde nach.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet, ganz überwiegend aber unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).

Diese Voraussetzungen liegen hier ab dem 14.03.2013 vor. Soweit das Sozialgericht (SG) die Antragsgegnerin verpflichtet hat, den Regelbedarf ab 13.03.2013 zu gewähren, war der Beschluss zu korrigieren. Denn der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ging beim SG am 14.03.2013 ein. Daher konnte die Leistung erst ab dem 14.03.2013 gewährt werden.

Im Ergebnis zu Recht hat das SG dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Zwar bestehen nach bisheriger summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im einstweiligen Anordnungsverfahren Zweifel am Vorliegen des Anordnungsanspruchs. Die Feststellung der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nach §§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1, 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bedarf - sowohl in Kenntnis der Ermittlungen der Antragsgegnerin seit Januar 2012 als auch der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen und des Bildmaterials - weiterer Sachaufklärung.

Der Senat hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG daher auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung entschieden. Entscheidend für den Senat war zum einen die Tatsache, dass die Antragsgegnerin vorliegend ihrer Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, - entgegen ihrer Einschätzung - keinesfalls nachgekommen ist. Beispielhaft sei nur darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 05.04.2013 gegenüber dem SG "zur Klärung der Sachlage beantragt hat, zwei Mitarbeiter des Außendienstes, eine Mitarbeiterin des Jobcenters, die beiden Söhne der Antragstellerin N M und U C und einen weiteren Mieter im Haus der Antragstellerin als Zeugen zu hören". Des Weiteren hat die Antragsgegnerin beantragt, da sie es bisher unterlassen hat, Herrn Q, mit dem die Antragstellerin - wofür einiges spricht - eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II bilden könnte, zu vernehmen.

Zudem weist der Senat darauf hin, dass auch nach Bejahung einer Einstandsgemeinschaft nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass damit die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin negiert werden kann. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Die Antragsgegnerin wäre aufgrund der Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, gehalten gewesen, nach § 60 SGB II gegenüber Herrn Q vorzugehen, um feststellen zu können, ob die Antragstellerin hilfebedürftig ist.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass noch erhebliche Zweifel daran bestehen, ob die Antragstellerin tatsächlich in den Räumen einer ehemaligen Bäckerei wohnt. Dies führt indessen zunächst nur dazu, dass ggf. keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung gewährt werden. Insoweit ist - dies sei nur am Rande angemerkt - von Bedeutung, dass es sich um Gewerberäume, die in dieser Funktion aktuell auch zur Vermietung angeboten werden, handelt. Entscheidend ist jedoch, dass unter Berücksichtigung des widersprüchlichen Verhaltens und Vortrages aller in das Verfahren involvierten Personen die Antragstellerin im Nordring 51 in Brilon wohnt - nur eben ggf. nicht im Erdgeschoss, sondern in der Wohnung von Herrn Q. Ermittlungen zu der Frage, über welches Einkommen oder Vermögen Herr Q verfügt und ob die Hilfebedürftigkeit auszuschließen ist, fehlen. Diese sind von der Antragsgegnerin nach § 60 SGB II durchzuführen.

Zur Überzeugung des Senats müssen die noch nicht ausgeräumten Zweifel hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin der Klärung in dem Widerspruchsverfahren gegen die Ablehnung der Gewährung von Grundsicherung (Bescheid aus Februar 2013) bzw. dem anhängigen Klageverfahren (S 60 AS 4411/12) vorbehalten bleiben. Unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II und der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei nicht möglicher abschließender Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Folgenabwägung war der Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Ausschöpfung des Rahmens des § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II, d.h. für den Zeitraum vom 14.03.2013 bis zum 31.05.2013 gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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