L 1 R 238/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 274/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 238/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2009 wird abgeändert: Der Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2006 wird aufgehoben, soweit die Beitragsforderung einschließlich Säumniszuschläge einen Betrag in Höhe von 50.699,34 EUR übersteigt.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten beider Instanzen trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 47.582,44 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Erhebung von Säumniszuschlägen.

Die 1997 privatisierte Klägerin ging aus dem VEB Elektromotorenwerk (Elmo) W. (3.260 Beschäftigte im Jahr 1989) hervor. Sie ist Herstellerin von Spezialantrieben mit über 500 Arbeitnehmern. Sie gehört zur ...-Gruppe mit insgesamt zirka 1.500 Mitarbeitern.

Die Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) bereits im Jahr 2001 (Prüfzeitraum 1997 bis 2000) durch. Es ergab sich keine Beitragsnachforderung. Anschließend fand im Jahr 2001 eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Hier ergab sich eine Zahlungsnachforderung von 58.137,68 DM. Im Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 19. Oktober 2001, eingegangen bei der Klägerin am 19. November 2001, beanstandete das Finanzamt Q. unter anderem die Nichtversteuerung von Abfindungszahlungen bei Reduzierung der Arbeitszeit in den Jahren 1998 und 1999 sowie die Nichtversteuerung der Übernahme eines gegen den Arbeitnehmer H. verhängten Bußgeldes im Jahr 2000.

Vom 11. April 2005 bis 02. Mai 2005 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV durch. Mit Bescheid vom 01. Juni 2005 forderte die Beklagte insgesamt 50.823,10 EUR nach. In der Nachforderung seien Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV in Höhe von 13.459,19 EUR enthalten. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sich nach den Feststellungen des zuständigen Finanzamtes anlässlich der Lohnsteuer-Außenprüfung Steuernachforderungen ergeben hätten, die auch beitragsrechtliche Konsequenzen auf dem Gebiet der Sozialversicherung nach sich ziehen würden. Nach §§ 14 und 17 SGB IV i. V. m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Ansprüche auf Beiträge würden grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien, verjähren (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Wegen der engen Anknüpfung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an das Steuerrecht gelte bei Beitragsansprüchen auf der Grundlage eines Berichtes/Bescheides der Finanzverwaltung die 30jährige Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Die Klägerin hätte auf Grund des Prüfberichtes/Bescheides der Finanzbehörde Beiträge zahlen oder sich bei der zuständigen Einzugstelle vergewissern müssen, dass eine Beitragspflicht nicht vorgelegen habe. Übernehme ein Arbeitgeber eine Geldstrafe, handele es sich um steuer- und beitragspflichtigen Arbeitslohn. Bei gezahlten Abfindungen aufgrund der Reduzierung der Arbeitszeit handele es sich ebenfalls um beitragspflichtigen Arbeitslohn im Sinne der Sozialversicherung. Der Freibetrag des § 3 Nr. 9 Einkommensteuergesetz (EStG) sei nur bei einer Abfindung wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses anzuwenden. Bei Arbeitnehmerinnen, die eine Altersrente für Frauen ab dem 60. Lebensjahr bezögen, gelte der allgemeine und nicht ermäßigte Beitragssatz.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 29. Juni 2005 Widerspruch ein. Sie trug vor, es habe jedenfalls ein Teilverlust eines Arbeitsplatzes, einhergehend mit der Verringerung der Verdienstmöglichkeit, stattgefunden. Es sei von einer Abfindung als Entschädigung für künftig entfallende Teilverdienstmöglichkeiten auszugehen. Eine Sozialversicherungspflicht bestehe nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dementsprechend nicht. Die Ansprüche seien zumindest verjährt. Von einer vorsätzlich vorenthaltenen Beitragszahlung könne keinesfalls ausgegangen werden. Grundsätzlich treffe den Betriebsprüfer gemäß § 5 Abs. 5 Beitragsüberwachungsverordnung die Pflicht, Bescheide und Prüfungsberichte der Finanzbehörden einzusehen und eine versicherungs- und beitragsrechtliche Auswertung vorzunehmen. Jedoch würden die Prüfungszeiträume überhaupt nicht korrespondieren. Die kurze Verjährungsfrist würde quasi ad absurdum geführt werden. Die Verwaltung habe mit Bescheid vom 21. Mai 2001 Vertrauen geschaffen. Bei Abfindungen sei es durchaus üblich, dass diese zwar ab einer gewissen Höhe der Lohnsteuer unterlägen, dass heiße aber nicht, das sie auch mit der Lohnsteuerpflicht zwingend sozialversicherungspflichtig seien.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2006 erhöhte die Beklagte die Nachforderung auf 50.957,03 EUR. Die Arbeitnehmerin P. sei im Zeitraum vom 01. Januar 1998 bis 31. Dezember 1998 nicht bei der B. Gesundheit, sondern bei der K. versichert gewesen. Daher erhöhe sich die Beitragsnachforderung um 133,93 EUR.

Die Beklagte wies dann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06. April 2006 zurück. Wegen der engen Anknüpfung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an das Steuerrecht gelte bei Beitragsansprüchen auf der Grundlage eines Berichtes/Bescheides der Finanzverwaltung die 30jährige Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Es komme nicht darauf an, ob bei einer Auszahlung des Arbeitsentgeltes in gutem Glauben von einem nicht beitragspflichtigen Arbeitsentgelt ausgegangen worden sei oder Beiträge wegen eines anderweitigen Versehens nicht gezahlt worden seien. Die Erhebung der Säumniszuschläge sei zwingend. Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 24 SGB IV eine Anpassung an das Steuerrecht vorgenommen. Für Beiträge, die aufgrund einer Betriebsprüfung zu fordern seien, gelte dies nach § 24 Abs. 2 SGB IV nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber unverschuldet keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht gehabt habe. Seien Beiträge aufgrund eines Lohnsteuerhaftungsbescheides des Finanzamtes nachberechnet worden, könne sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, unverschuldet keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht gehabt zu haben. Da im vorliegenden Fall eine beitragsrechtliche Auswertung des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom 14. November 2001 nicht erfolgt sei, seien für die Steuernachforderungen Säumniszuschläge zu erheben, die auch beitragsrechtliche Konsequenzen auf dem Gebiet der Sozialversicherung nach sich ziehen würden, im speziellen Fall für die gezahlten Abfindungsbeträge.

Am 11. Mai 2006 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, dass sie am 10. Juli 1997 einen Sozialplan mit ihrem Betriebsrat aufgrund einer vorangegangenen Betriebsänderung verhandelt habe. Dieser Sozialplan habe Abfindungszahlungen für ausgesprochene Änderungskündigungen vorgesehen. Da ausgesprochene Änderungskündigungen auch immer eine Beendigungskündigung beinhalten würden, nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer das geänderte Arbeitsangebot nicht annehme, sei sie von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass diese Abfindungen partiell steuerfrei seien. Darüber hinaus sei sie von dem Grundsatz ausgegangen, dass Abfindungen niemals der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegen würden. Nach dem bei ihr vorherrschenden Verständnis könnten diese durchaus lohnsteuerbehaftet sein, ohne dass daraus eine irgendwie geartete Beitragspflicht zur Sozialversicherung erwachse. Daher könne sich die Beklagte nicht auf die 30jährige Verjährungsfrist berufen. Der Vorsatz, auf den sich die Beklagte berufe, müsse dargetan werden. Immerhin habe das BSG bis zum 28. Januar 1999 im Rahmen eines Revisionsverfahrens feststellen müssen, dass diese Abfindungen beitragspflichtiges Arbeitsentgelt darstellen würden (B 12 KR 14/98 R). Auch aus dem Lohnsteuerbescheid habe kein Anlass bestanden darauf zu schließen, dass die Abfindungen sozialversicherungspflichtig seien. Der Betriebsprüfungsbescheid habe ebenso keine Feststellungen dazu enthalten. Sie sei erst im Jahr 1997 privatisiert worden, von regelmäßig durchgeführten früheren Betriebsprüfungen könne nicht die Rede sein. Ihr könne nicht zugerechnet werden, dass die Prüfungszeiträume für die Betriebsprüfung und die Lohnsteuer-Außenprüfung überhaupt nicht korrespondierten. Aufgrund der tatsächlichen Prüfungen würden ihr Säumniszuschläge auferlegt, die eigentlich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährt seien.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass die streitigen Abfindungen keine Abfindungen im Sinne des § 3 Nr. 9 EStG gewesen seien. Dies müsse der Klägerin spätestens bei Erhalt und Studium des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom 14. November 2001 bekannt gewesen sein. Das BSG habe im Urteil vom 28. Januar 1999 (B 12 KR 14/98 R) die steuer- und beitragsrechtliche Beurteilung von Änderungskündigungen bestätigt, eine Änderung der Rechtslage sei hierdurch nicht eingetreten. Der Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 14. November 2001 sei von der Klägerin nicht im beitragsrechtlichen Sinne ausgewertet worden. Die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge sei billigend in Kauf genommen worden. Vorliegend greife das Urteil des BSG vom 30. März 2000 (B 12 KR 14/99 R).

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2009 der Klage überwiegend stattgegeben und die Bescheide aufgehoben, soweit die Beitragsnachforderung einschließlich Säumniszuschläge einen Betrag in Höhe von 3.374,59 EUR übersteige. Die Beitragsforderung sei überwiegend verjährt. Der Klägerin könne ein vorsätzliches Verhalten oder bedingter Vorsatz nicht unterstellt werden.

Gegen den am 24. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24. Juli 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall die 30jährige Verjährungsfrist gelte, da die Klägerin innerhalb der regelmäßigen 4jährigen Verjährungsfrist durch den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 14. November 2001 bösgläubig geworden sei. Die Beiträge für die gezahlten Abfindungen im Zeitraum 01. Dezember 1998 bis 31. März 1999 seien nicht verjährt. Bedingter Vorsatz sei ausreichend. Nach dem BSG reiche es aus, wenn der Zahlungspflichtige die Nichtabführung des Beitrags als mögliche Folge seines Handelns oder Unterlassens erkannt und diesen Erfolg billigend in Kauf genommen habe. Folgende Indizien sprächen gegen die Klägerin. Es handele sich um typisches Arbeitsentgelt. Zwischen der steuerlichen und beitragsrechtlichen Behandlung bestehe eine bekannte und ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung, z. B. bei verbreiteten Nebenleistungen. Die Entgeltabrechnung werde von fachkundigem Personal (eigenes Personal oder Steuerberater) vorgenommen. Die Klägerin gehöre zur ...-Gruppe mit weit mehr als 1000 Beschäftigten. Es stehe eine eigene Lohnbuchhaltung mit fachkundigen, qualifizierten Mitarbeitern zur Verfügung. Es gebe Entgeltsachbearbeiter, die das SAP-Abrechnungsprogramm fachkundig bedienen könnten. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin über grundlegende steuer- und beitragsrechtliche Detailkenntnisse verfüge. Laut dem Urteil des BSG vom 28. Januar 1999 (B 12 KR 14/98 R) handele es sich bei Abfindungen um Arbeitsentgelt, wenn sie bei Fortsetzung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses als Gegenleistung für die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gezahlt werde. Es seien zwei BSG-Rechtsprechungen zu dieser Problematik ergangen. Das BSG-Urteil vom 28. Januar 1999 (B 12 KR 14/98 R) sei hinreichend in der Presse und in Fachzeitschriften publiziert worden. Im Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 14. November 2001 sei ausgeführt worden, dass der Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG nur bei einer vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung des Dienstverhältnisses anzuwenden sei. Spätestens hier hätten der Klägerin Zweifel an der Richtigkeit der beitragsrechtlichen Behandlung der Abfindungen kommen müssen. Der Bescheid habe die Klägerin in die Lage versetzt, eine Parallelbewertung zwischen vergleichbaren steuerrechtlichen und beitragsrechtlichen Tatbeständen vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2009 zurückzuweisen.

Sie führt aus, dass sie nicht bösgläubig im Sinne der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung sei. Sie sei immer von dem Grundsatz ausgegangen, dass Abfindungen auch dann nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterlägen, wenn Einkommen- oder Lohnsteuer abgeführt werden müssten. Diesen Grundsatz habe sie in einer Vielzahl von geführten Kündigungsschutzprozessen erlebt. Bei keinem einzigen Fall hätten bei Abfindungszahlungen Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden müssen. In vielen Fällen sei gleichwohl Einkommen- oder Lohnsteuer abgeführt worden. Auch das SAP-System habe keinen Hinweis auf eine Sozialversicherungspflicht gegeben. Das bundessozialgerichtliche Urteil vom 21. Februar 1990 (12 RK 20/88) habe den vorliegenden Fall noch nicht behandelt, sonst wäre das Urteil vom 28. Januar 1999 auch überflüssig gewesen. Es sei üblich, dass Urteile nicht sofort am Verkündigungstag mit Gründen abgesetzt und von der Fachpresse besprochen würden.

Das Gericht hat in den nichtöffentlichen Sitzungen am 11. November 2010 und 20. September 2012 die Zeugen B., O., H., P. und B. vernommen. Hinsichtlich der Ergebnisse der Beweisaufnahmen wird auf die Sitzungsniederschriften verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten hat überwiegend Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2006 ist nur insoweit rechtswidrig, als die Beklagte Beitragsforderungen einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von mehr als 50.699,34 EUR gegenüber der Klägerin geltend macht. Nur in Höhe eines Betrages von 257,69 EUR ist die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat der Klage zu Unrecht überwiegend stattgegeben.

I.

In formellrechtlicher Hinsicht ist der angefochtene Bescheid vom 01. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Januar 2006 rechtmäßig, da der Verfahrensmangel der vor Erlass des Bescheides vom 01. Juni 2005 versäumten Anhörung der Klägerin nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) durch Nachholung gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist. Die Klägerin hatte die Möglichkeit, sich im Rahmen des Widerspruchsverfahrens in Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Der Bescheid vom 01. Juni 2005 hat alle entscheidungserheblichen Tatsachen benannt und auf diese Weise der Klägerin Gelegenheit gegeben, umfassend Stellung zu nehmen. Die Beklagte musste zudem keine erneute Anhörung aufgrund der Verböserung im Bescheid vom 25. Januar 2006 durchführen. Eine erneute Anhörung ist nur dann geboten, wenn der Betroffene ansonsten an einer sachgerechten Rechtsverteidigung gehindert ist. Eine nochmalige Anhörung ist nur dann erforderlich, wenn die Verwaltung auf Grund des Vorbringens des Beteiligten oder aus anderen Gründen neu ermittelt und sie sich infolge der durchgeführten Ermittlungen auf neue erhebliche Tatsachen stützen will, wenn die Widerspruchsbehörde ihrer Entscheidung einen anderen Sachverhalt zu Grunde legen will als die Ausgangsbehörde oder wenn die Behörde die beabsichtigte Maßnahme in dem eingreifenden Verwaltungsakt gegenüber dem bisher geplanten und angekündigten Inhalt nicht unerheblich ändert oder den Wesensgehalt des Verwaltungsakts abwandelt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15. August 2002 – B 7 AL 38/01 R – juris). Vorliegend erfolgte mit Änderungsbescheid vom 25. Januar 2006 lediglich die korrekte Zuordnung der Arbeitnehmerin P. zur KKH. Dies erfolgte auf telefonischen Hinweis einer Mitarbeiterin der Klägerin. Eine erhebliche Änderung fand damit nicht statt.

II.

Auch in materiellrechtlicher Hinsicht ist der Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2005 in der Fassung des Bescheides vom 25. Januar 2006 überwiegend rechtmäßig.

Die Beklagte ist als Trägerin der Rentenversicherung gemäß § 28p SGB IV befugt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflicht oder ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach Abs.1 Satz 5 dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

1.

Gemessen an diesen Vorgaben ist der hier streitige Beitragsbescheid der Beklagten vom 02. Juni 2005 in der Fassung des Bescheides vom 25. Januar 2006 überwiegend nicht zu beanstanden.

Einwendungen hinsichtlich der Höhe der Beitragsnachforderung sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht mehr geltend gemacht.

2.

Auf Verjährung oder Verwirkung der Beitragsansprüche kann sich die Klägerin nicht berufen.

a)

Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Beitragsansprüche für die Arbeitnehmerin N. aufgrund der Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes im Rahmen der vorgezogenen Altersrente für Frauen sind nicht verjährt. Die Beklagte macht Beitragsansprüche ab 01. Mai 2002 geltend. Eine Verjährung wäre somit erst am 01. Januar 2006 eingetreten. Die Beiträge für die Abfindungszahlungen im Dezember 1998, Januar und März 1999 wären nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV i. V. m. § 23 Abs. 1 SGB IV in der Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3845) am 01. Januar 2004 sowie die Beiträge für das Bußgeld für den Arbeitnehmer H. am 01. Januar 2005 verjährt. Vorliegend greift jedoch § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein. Danach verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsätzlich werden Beiträge vorenthalten, wenn der Zahlungspflichtige in Kenntnis seiner Beitragspflicht bewusst und gewollt keine Beiträge an den Versicherungsträger abführt. Dabei ist es im Sinne des sogenannten bedingten Vorsatzes ausreichend, wenn der Zahlungspflichtige die Nichtabführung des Beitrags als mögliche Folge seines Handelns oder Unterlassens erkannt und diesen Erfolg billigend in Kauf genommen hat (vgl. Udsching, in Hauck/Haines, SGB IV, Stand August 2012, § 25 Rdnr. 4). Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30. März 2000 – B 12 KR 14/99 R – juris) muss der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge noch nicht bei Eintritt der Fälligkeit vorgelegen haben. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren wird auch dann angenommen, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der 4jährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (so auch schon BSG, Urteil vom 26. Mai 1977 – 12/3 RK 68/75 –, SozR 2200 § 29 Nr. 9 S. 21 ff.; BSG, Urteil vom 13. August 1996 – 12 RK 76/94 –, SozR 3 – 2400 § 25 Nr. 6 S. 26; sowie Seewald in Kasseler Kommentar § 25 SGB IV Rdnr. 6).

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung, da eine anfänglich vorhandene Gutgläubigkeit keinen Vertrauensschutz begründen kann, wenn noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt. Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV wird auf die Fälligkeit der Beiträge nur abgestellt, um den Beginn der Verjährungsfrist auf das Kalenderjahr nach Eintritt der Fälligkeit festzulegen. Die Vorschrift besagt demgegenüber nicht, dass die Beiträge bereits bei Beginn der Fälligkeit vorsätzlich vorenthalten worden sein müssen. Vielmehr sind Beiträge auch dann vorsätzlich vorenthalten, wenn der Schuldner von einer bereits früher entstandenen und fällig gewordenen Beitragsschuld erfährt oder diese erkennt, und er dennoch die Entrichtung der rückständigen Beiträge willentlich unterlässt (vgl. Udsching, in Hauck/Haines, SGB IV, a. a. O.).

Die anfängliche Gutgläubigkeit im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht und der Fälligkeit der Beiträge wird nicht bezweifelt. Fraglich ist allein, ob zu einem späteren Zeitpunkt bedingter Vorsatz eingetreten ist. Nach Auffassung des Senats liegt bei der Klägerin ab Kenntnis des Berichtes über die Lohnsteuer-Außenprüfung und des Bescheides des Finanzamtes W. vom 14. November 2001, per Fax erhalten am 19. November 2001, bedingter Vorsatz vor, da sie die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Den Steuerbescheid hat die Klägerin der Beklagten nicht zeitnah zur sozialversicherungsrechtlichen Auswertung vorgelegt und damit nicht ihren Mitwirkungspflichten als Arbeitgeber genügt. Zudem fand auch in der Fachabteilung der Klägerin keine Auswertung des Bescheides statt. Sie hat sich damit wissentlich einer Beitragserhebung entziehen wollen. Dies steht für den Senat fest, da die Klägerin neben der Beanstandung bezüglich der gezahlten Abfindungen auch hinsichtlich des Bußgeldes für den Arbeitnehmer H. keine Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet hat. Vorliegend hat die Klägerin eine eigene Personalabteilung und eine Abteilung Rechnungswesen. Sie verfügt über eigenes Fachpersonal. Nach den Einlassungen der Zeugin H., der Personalreferentin der Klägerin, gab diese den Bescheid des Finanzamtes an die Zeugin B. weiter, damit die Änderungen im SAP-Programm eingegeben werden konnten. Zudem wurden die Abfindungszahlungen nach der Lohnsteuer-Außenpüfung auch nicht individuell buchungstechnisch bearbeitet, da die Geschäftsführung beschlossen hatte, die Lohnsteuer für die Mitarbeiter zu übernehmen. An eine beitragsrechtliche Auswertung konnte sich die Zeugin H. nicht erinnern. Die Zeugin B. gab in der nichtöffentlichen Sitzung am 20. September 2012 an, dass ihr der Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung nicht vorgelegt wurde. Sie sei jeweils nur angewiesen worden, welche Buchungen im Programm einzutragen seien. Dass keine beitragsrechtliche Auswertung des Bescheides/Berichtes des Finanzamtes stattfand, lässt sich nur mit einer bedingten Vorsatz ausfüllenden Haltung erklären, wonach die Klägerin hinnahm, dass die beitragsrechtlichen Forderungen unerfüllt blieben.

b)

Der Anspruch der Beklagten ist ebenfalls nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) sowie der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (ständige Rechtsprechung, grundlegend BSG, Urteil vom 30. November 1978 – 12 RK 6/76 – juris).

Die Betriebsprüfung im Jahr 2001 begründet keinen Vertrauenstatbestand. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt vor der hier streitgegenständlichen Betriebsprüfung in Bescheiden konkrete Aussagen zur Beitragsfreiheit von Abfindungszahlungen wegen Reduzierung der Arbeitszeit getroffen. Allein aus dem Umstand, dass eine Betriebsprüfung im Jahr 2001 für den Prüfzeitraum 1997 bis 2000 stattfand, die nicht zu Beanstandungen geführt hat, kann die Klägerin kein schützenswertes Vertrauen ableiten. Betriebsprüfungen haben nur eine Kontrollfunktion, nämlich einerseits Beitragsausfälle zu verhindern, andererseits die Sozialversicherungsträger davor zu bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie sollen insbesondere nicht eine Schutzfunktion gegenüber Arbeitgebern erfüllen oder diesen gar "Entlastung" erteilen (BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R – juris). Nur wenn im Nachforderungsbescheid ausdrücklich eine Einzelfallregelung dahingehend getroffen wird, dass es mit der verfügten Nachforderung für den Prüfzeitraum sein Bewenden haben und eine weitere Nachforderung nicht stattfinden soll, kann anderes gelten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. April 2011 – L 5 R 1004/10 – juris). Dies ist vorliegend nicht erfolgt.

3.

Die Bescheide sind jedoch rechtswidrig, soweit die Beklagte Säumniszuschläge von mehr als 13.201,50 EUR von der Klägerin fordert. Die Erhebung von Säumniszuschlägen vor dem 01. Januar 2002 ist ausgeschlossen, weil die Klägerin bis zum Erhalt des Prüfberichtes/Bescheides des Finanzamtes am 19. November 2001 unverschuldet säumig war.

Rechtsgrundlage für die Forderung von Säumniszuschlägen ist § 24 SGB IV. Nach § 24 Abs. 2 SGB IV ist in dem Fall, in dem eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird, ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Die Vorschrift des § 24 Abs. 2 SGB IV berücksichtigt den Umstand, dass Beitragsforderungen regelmäßig bereits mit Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes entstehen und aufgrund gesetzlicher Regelungen fällig werden, dem Beitragsschuldner aber unter Umständen die Unkenntnis der Beitragspflicht nicht vorgeworfen werden kann. Der unverschuldeten Unkenntnis von der Zahlungspflicht steht sowohl fahrlässiges wie auch vorsätzliches Verhalten im Sinne von § 276 BGB entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – 12. Februar 2004 – B 13 RJ 28/03 R – juris Rdnr. 34). Wie das Gericht bereits oben ausgeführt hat, liegt ab Kenntnis des Prüfberichtes/Prüfbescheides des Finanzamtes bedingter Vorsatz vor. Ab dem 01. Januar 2002 sind somit Säumniszuschläge zu erheben. Fehlerhaft hat die Beklagte für die Beiträge der KKH Säumniszuschläge bereits ab Januar 1999 erhoben. Bis November 2001 hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts jedoch glaubhaft gemacht, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Für die Beitragssumme der KKH in Höhe von 14.625,70 EUR ergibt sich bei 39 Monaten ein Säumniszuschlag von 5.694,00 EUR. Insgesamt hat die Klägerin damit Säumniszuschläge in Höhe von 13.201,50 EUR zu zahlen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Aufgrund des nur geringen Obsiegens der Klägerin hält der Senat eine vollständige Kostentragung durch diese für angemessen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Erster Halbsatz SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus der streitigen Beitragsforderung einschließlich der Säumniszuschläge.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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