L 2 U 430/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 284/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 430/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 162/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch wenn eine Hörminderung, ein Tinnitus oder eine psychische Gesundheitsstörung als Unfallfolgen eines einmaligen Knalltraumas anerkannt sind, ist bei späteren Verschlechterungen dieser Gesundheitsstörungen zu prüfen, ob und inwieweit auch diese Veränderungen noch auf den Unfall als wesentliche (Teil ) Ursache oder auf andere Ursachen zurückzuführen sind.
Eine Verschlechterung des jahrelang konstanten Hörvermögens über 20 Jahre nach einem einmaligen Knalltrauma ist angesichts des zeitlichen Abstandes nach allgemeinen wissenschaftlichen Erfahrungssätzen nicht mehr ursächlich auf das einmalige Knalltrauma zurückzuführen.
Sind für die Verschlechterung der psychischen Verfassung nicht Unfallfolgen oder wesentliche Teilursache, sondern beruht diese auf einer unfallunabhängigen Verschlechterung der Gesundheit oder auf weiteren Belastungsfaktoren, ist die Verschlechterung der psychischen Erkrankung selbst nicht Unfallfolge und kann keine höhere MdE begründen.
Wurde bereits ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt, setzt die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG von einem anderen Sachverständigen auf demselben Fachgebiet besondere Gründe voraus. Dass das Gericht zwischenzeitlich ein Gutachten von Amts wegen nach § 106 SGG eingeholt hat, begründet allein nicht generell eine erneute Anhörung nach § 109 SGG (Anschluss an Keller in Meyer Ladewig/ Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, zu § 109 RdNr. 11b, 10b).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf höhere Verletztenrente als nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. wegen Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.01.1983 hat, insbesondere wegen Verschlechterung der psychischen Beschwerden aufgrund Tinnitus.

Der 1945 in Bosnien geborene Kläger konnte nach dem Grundschulbesuch zunächst aus finanziellen Gründen keine weiterführende Schule besuchen. Er erarbeitete sich zum Teil den Schulstoff im Selbststudium, zog ca. 1960 nach Kroatien zu Bekannten, wo er die Schule - unterbrochen von einer Lungenerkrankung und vom Militärdienst - besuchte und ca. 1970 das Abitur ablegte. Nach einem Aufenthalt in England zog er 1972 nach Deutschland, legte das deutsche Abitur ab und studierte bis 1979 Medizin, wobei er das Studium durch Arbeit selbst finanzierte. 1988 legte er die Facharztprüfung als Internist ab und arbeitete ab 1989 als Oberarzt des Kreiskrankenhauses (KKH) in P ... Nach Umstrukturierungen arbeitete er 2004 noch ca. 2-3 Monate in A-Stadt, bevor er im Dezember 2004 arbeitsunfähig wurde. Seit Dezember 2005 bezieht er vorzeitige Rente. Der Kläger ist seit 1982 verheiratet und hat vier Kinder. Bei der ältesten Tochter ist seit Mai 2004 ein Ewing-Sarkom im Becken- und Oberschenkelbereich bekannt. Operativ wurde ihr das halbe Becken entfernt; es bestand eine Hüftkopfnekrose.

In der Silvesternacht 1982/1983 hatte der Kläger Bereitschaftsdienst als Stationsarzt in der L. Klinik Bad S ... Als er gegen 0.30 Uhr/ 1.00 Uhr vor die Eingangstür trat, um nachzusehen, ob sich dort noch Patienten aufhielten, explodierte links neben ihm ein Knallkörper. Nach seinem Schreiben an die Beklagte vom 17.03.1983 empfand er einen dumpfen Schmerz am linken Ohr, maß dem aber zunächst keine größere Bedeutung und ging in die Klinik zurück. Wie geplant fuhr er am nächsten Tag nach B ... Als sich der Schmerz und die aufgetretene Hörminderung verstärkten und am 02.01.1983 Ohrensausen hinzukam, begab er sich in das Krankenhaus (KH) W. (B.). Dort wurde er vom 02.01. bis 19.01.1983 stationär wegen einer Innenohrschwerhörigkeit links nach Knalltrauma sowie Tinnitus links behandelt. Festgestellt wurde links ein Schallempfindungsverlust von 30 dB im Tiefton- und Hauptsprachbereich, der sich nach Therapie normalisierte (normales Hörvermögen), während der Hochtonabfall ab 6 kHz beidseits fortbestand. Anschließend erfolgen Behandlungen wegen Sinusitis und Septumdeviation.

Über den weiteren Behandlungsverlauf liegen nur wenige Unterlagen vor. Nach Angaben des Klägers, holte er sich als Arzt wegen des Tinnitus von ärztlichen Kollegen Rat und organisierte nach ihren Empfehlungen häufig Medikamente und Infusionen selbst.
Der Hals-Nasen-Ohren (HNO-) Arzt Dr. W. behandelte den Kläger laut Bericht vom 06.08.2001 1986 wegen Spannungsgefühl im linken Ohr mit zeitweiligen, zum Nacken ausstrahlenden Schmerzen und am 1988 wegen Eiterfluss aus der Nase. Als Diagnosen nannte er eine Perceptionsschwerhörigkeit im Hochtonbereich beidseits, links stärker als rechts, sowie eine eitrige Sinusitis maxillaris beidseits bei Zustand nach früherer Kieferhöhlenradikaloperation. Auf die Audiogramme wird Bezug genommen.
Der HNO-Arzt Dr. P. teilte der Beklagten im Bericht vom 27.09.2001 mit, dass ihn der Kläger, den er seit Mitte 1989 kenne, häufiger konsultiert habe und seit 1995 sein Patient sei. Dieser leide unter Schwerhörigkeit und Tinnitus, die zugenommen hätten. Wegen des Tinnitus könne der Kläger kaum schlafen und sei erheblich gereizt und depressiv geworden.

Der Kläger stellte beim Versorgungsamt C-Stadt im Juni 1999 Antrag auf Feststellung einer Behinderung und gab u.a. ausgeprägte Wirbelsäulenveränderungen mit multilokulären Bandscheibenprotrusionen im Hals- und Lendenwirbelsäulen-Bereich an, eine Großzehen- und Fußheberschwäche links sowie eine Coxarthrose rechts. Mit Schreiben vom 19.07.1999 erklärte er, dass der Tinnitus aurium, insbesondere links, ihn seit Jahren (seit dem Hörsturz 1983) zum Wahnsinn treibe; dies sei neben den Beschwerden bei multiloculärem Discusprolaps einer der wichtigsten erschwerenden Faktoren seiner Depression.

Im Klageverfahren beim Sozialgericht Landshut (SG) wegen Schwerbehinderung (Az. S 10 SB 648/99) berichtete der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Dr. A. mit Bericht vom 09.11.2000 über die Behandlung vom 07.12.1998 bis September 2000 ein deutliches depressives Syndrom bei zwanghafter Persönlichkeit, Verdacht auf (V.a.) schizoide Persönlichkeitsstörung sowie ein Lumbalsyndrom mit Wurzelreizung L4/5 links. Der Antrieb sei gemindert bei ängstlichem Affekt; phasenweise würden Beziehungs- und Beeinträchtigungsideen geschildert bei depressiver Stimmungslage und deutlichen Vitalstörungen, deutlichen Rückzugstendenzen, beruflichen Überforderungszeichen sowie latenten Suizidgedanken. Laut Gutachten des Psychiaters Dr. N. vom 10.05.2001 für das SG litt der Kläger unter Wirbelsäulenschmerzen, einer chronischen Sinusitis mit starken Kopfschmerzen, einem zeitweiliger Fötor aus der Nase, einen Tinnitus links seit Knalltrauma 1983 sowie einem seit zwei Jahren bestehender Tinnitus rechts. Aufgrund des Tinnitus und der ständigen Schmerzen bestünden Beeinträchtigungen der Konzentration und vegetative Störungen sowie berufliche Überforderung.

Im Januar 2001 wandte sich der Kläger an die Beklagte wegen Verschlechterung der Unfallfolgen; er sei wegen Schwerhörigkeit und quälenden Tinnitus extrem gereizt und depressiv geworden.

Der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Dr. B. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 09.08.2001 mit, dass der seit Mai 2001 in Behandlung stehende Kläger unter einer schweren Erschöpfungsdepression leide, wobei die depressive Verstimmung durch das körperliche Beschwerdebild genährt werde. Der Kläger habe geschildert, dass er seit Jahren unter Schwerhörigkeit und Hochfrequenzton-Tinnitus leide, größte Probleme habe, laufenden Gesprächen am Arbeitsplatz zu folgen, dass er Vieles nicht mitbekomme, was ihn verunsichere und ihn bei der Arbeit als Oberarzt beeinträchtige. Er habe das Gefühl, dass man teils über ihn lache oder absichtlich leise spreche. Er leide unter innerer Unruhe, Unsicherheit, gedrückter Stimmung, fühle sich kraftlos und zittere und schwitze viel.

Die Beklagte holte Befundberichte und ärztliche Unterlagen ein, u.a. Arztbriefe und Audiogramme von Dr. W., Dr. P., der HNO-Klinik I. vom Mai und Juli 2001 sowie eine Auskunft der Krankenversicherung des Klägers über Vorerkrankungen.

Anschließend holte die Beklagte ein Gutachten der HNO-Ärzte Dres. K. und D. (Klinikum St. E. in S.) vom 27.05.2002 ein. Diese führten aus, dass durch das Unfallereignis ein Knalltrauma mit Innenohrhochtonschaden und chronischem Tinnitus beidseits - rechts bei 8 kHz, links bei 10 kHz - entstanden sei. Das lang bestehende Ohrgeräusch habe aufgrund abnehmender Kompensationsmechanismen zu der Symptomatik des dekompensierten Tinnitus geführt. Für die Hörstörung könne kein Hörverlust und damit keine MdE ermittelt werden. Unter Berücksichtigung des stark beeinträchtigenden Tinnitus betrage die unfallbedingte MdE 5 v. H ...

Die Beklagte holte weiter ein Gutachten der Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten Dres. B. und R. (Bezirksklinikum M.) vom 24.09.2002 ein. Diese führten nach Untersuchung am 30.08.2002 aus, dass der Kläger anamnestisch das eingeschränkte Hochtonhörvermögen und den Tinnitus mit ständigem Teekesselpfeifen zunächst gut kompensieren konnte. Dann hätten aufgrund der - möglicherweise altersbedingt - etwas zunehmenden Beeinträchtigung des Tinnitus die Kompensationsmechanismen versagt, mit Veränderung der Wahrnehmung und Gewichtung des Tinnitus mit erheblichen beruflichen und privaten Einwirkungen (z.B. gestörter Schlaf). Daraus habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt, mit Niedergestimmtheit, Verlust von Energie, Einschränkung der affektiven Schwingungsfähigkeit, erhöhter Reizbarkeit, innerer Unruhe, ständiger Besorgnis, Konzentrations- und Schlafstörungen. Folgen des Arbeitsunfalls seien eine Anpassungsstörung (F. 43.21) und eine depressive Episode (F 32.0); die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die 1998 eingetreten sei, betrage derzeit ca. 20 v.H ...

Dr. K. schätzte unter Berücksichtigung dieses Gutachtens die Gesamt-MdE ab 01.01.1998 mit 20 v. H. in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 11.03.2003 und 04.06.2003.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27.10.2003 einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente ab 01.01.1998 nach einer MdE von 20 v.H. an. Als Folgen des Unfalls wurden ein Hochtonverlust beiderseits, ein pfeifender Tinnitus beiderseits sowie eine depressive Stimmungslage mit Antriebsminderung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, erhöhter Reizbarkeit und sozialen Rückzugstendenzen nach schwerem Knalltrauma mit nachfolgender depressiver Erkrankung festgestellt.

Den Widerspruch vom 13.11.2003 hinsichtlich der Höhe der Gesamt-MdE nahm der Kläger mit Schreiben vom 26.11.2003 zurück.

Mit Schreiben vom 28.11.2004, eingegangen am 06.12.2004, stellte der Kläger bei der Beklagten den streitgegenständlichen Verschlimmerungsantrag. Er könne wegen des Tinnitus nicht mehr schlafen, sei tagsüber sehr gereizt und kaum belastbar, habe keine Kraft mehr, fürchte, schwerwiegende Fehler zu machen und habe richtig Angst.

Die Beklagte holte Befundberichte von Dr. B. und Dr. P. ein, die erneut die Probleme und Ängste des Klägers wegen der Hörprobleme schilderten; nach Angaben des Klägers habe sich der Gesundheitszustand deutlich verschlechtert.

Anschließend holte die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten von Dres. K. und D. vom 19.04.2005 und ein Gutachten des Neurologen und Psychiater Dr. S. (Bezirkskrankenhaus M.) vom 07.06.2005. Im HNO-Gutachten wurde eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen verneint; es bestehe weiterhin eine MdE von 5 v.H. wegen des Tinnitus. Dr. S. stellte eine massive Verschlechterung der affektiven Störung hinsichtlich der Ausprägung fest, so dass derzeit eine schwere depressive Episode vorliege. Die MdE schätzte er auf 60 v.H. seit 15.12.2004, dem Tag der Krankschreibung des Klägers.

Der Neurologe und Psychiater Dr. H. empfahl in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26.07.2005, ein neues Gutachten einzuholen. Er könne Prof. S. weder hinsichtlich der Kausalität noch der MdE-Höhe folgen, zumal an einer Depression verschiedene unfallunabhängige Faktoren beteiligt sein könnten.

Daraufhin holte die Beklagte ein Gutachten des Neurologen und Psychiater Dr. P. vom 03.03.2006 (Untersuchung am 02.03.2006) ein. Dieser wies auf die stationäre Behandlung des Klägers vom 15.07.2005 bis 04.02.2006 in der Psychiatrischen Klinik des Bezirksklinikums A-Stadt hin und die chronifizierte endoreaktive Depression schwerer Ausprägung bei chronischem Tinnitus. Es bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn zwischen Unfallereignis und diesen Gesundheitsstörungen; die ursächliche Mitwirkung unfallunabhängiger Faktoren, einer Vorerkrankung oder Schadensanlage wurde verneint. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage habe nicht stattgefunden. Die MdE schätzte Dr. P. mit 40 v.H ...

Auf den Entlassungsbericht des Bezirksklinikums A-Stadt vom 19.04.2006 wird Bezug genommen. Darin wurde eine schwere depressive Episode des Klägers beschrieben. Nach Versetzung an das KH A-Stadt wegen interner Umstrukturierungsmaßnahmen habe sich die depressive Symptomatik noch einmal deutlich verschlechtert.
Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.07.2006 bemängelt, dass im Gutachten die Vorgeschichte, die berufliche und private Situation zu wenig erhoben worden sei. Unklar bleibe, warum sich die bis 2000 problemlos ertragene Störung plötzlich verschlechtert habe. Das Krankheitsbild im Brief des Klinikums A-Stadt lasse an eine endogene Depression denken. Eine nochmalige Begutachtung wurde empfohlen.

Versuche der Beklagten, den Kläger zu treffen, um in einem persönlichen Gespräch das weitere Vorgehen zu klären, blieben erfolglos. Ein Termin scheiterte, weil der Kläger vor Weihnachten 2006 seine Familie mit gepackter Tasche verlassen hatte, ohne dass diese seinen Aufenthalt kannte. Nach Rückkehr Anfang Januar 2007 teilte der Kläger mit, er wünsche kein Gespräch.

Daraufhin holte die Beklagte ein weiteres HNO-Gutachten von Dr. O. vom 17.04.2007, ein Zusatzgutachten des Dipl.-Psychologen P. vom 18.04.2007 sowie ein Gutachten des Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten Dr. M. vom 17.04.2007 ein.

Dr. O. erklärte, dass als Unfallfolge ein Hochtonabfall ab 6 kHz beidseits mit hochfrequentem Tinnitus verblieben sei. Die seit dem letzten Gutachten eingetretene Verschlechterung des Hörvermögens auf beiden Ohren ab 3 kHz sei dagegen keine Unfallfolge, da das Hörvermögen zuvor 20 Jahre nach dem Knalltrauma gleich geblieben. Während das Ohrgeräusch im Vorgutachten mit 6 kHz angegeben wurde und bei 5 dB über der Hörschwelle verdeckbar war, war es nun zwischen 4 und 8 kHz (mit Hauptfrequenz bei 6 kHz) jeweils 0-15 dB überschwellig. Die MdE schätzte Dr. O. mit 10 v.H. ab dem Tag der Begutachtung, wobei die Folgen weit überwiegend auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet lägen. Die Zunahme der Beschwerden durch den Tinnitus sei nicht ausschließlich auf das Knalltrauma zurückzuführen; es müssten andere Faktoren im psychiatrischen Gebiet hinzukommen.

Der Diplom-Psychologe P. (Untersuchung am 16.04.2007) gab an, dass die Fähigkeiten des Klägers zur Stressverarbeitung wegen fehlender positiver Strategien unterdurchschnittlich seien. Eine Aussage zur tatsächlichen allgemeinen psychophysischen Leistungsfähigkeit könne wegen der geringen Leistungsmotivation nur bedingt gemacht werden. Die festgestellten Leistungseinbrüche könnten eher mit einer affektiven als mit einer kognitiven Störung erklärt werden.

Dr. M. vermochte in seinem Gutachten vom 17.04.2007 keine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen zu erkennen. Die im Arztbrief der Uniklinik A-Stadt erhobenen Befunde seien nicht als eine rein durch den Tinnitus bestehende reaktive depressive Symptomatik nachzuvollziehen. Der Kläger habe berufliche oder private Probleme - z.B. wegen schwerer Erkrankung der Tochter - im Zusammenhang mit der depressiven Symptomatik verneint und die beschriebene Zunahme der depressiven Symptomatik nach Veränderungen am Arbeitsplatz mit Versetzung nach A-Stadt bei der Untersuchung nicht erkannt. Als Grund für das Verlassen der Familie vor Weihnachten erklärte der Kläger, er habe der Familie Weihnachten nicht durch seine Rückzugstendenzen und Reizbarkeit verderben wollen. Konzentration, Auffassung und Gedächtnisleistungen erschienen bei der Begutachtung regelrecht. Nach Dr. M. sei bei Beschwerdeschilderung und neurologischer Untersuchung eine verfahrensbezogene Haltung nicht sicher auszuschließen gewesen. Der Medikamentenspiegel im Blut habe nicht mit den Angaben zur Medikamenteneinnahme übereingestimmt. Ein regelmäßiges Fitnesstraining bis Mitte 2006 hatte der Kläger angegeben.

Im psychologischen Test des Diplom-Psychologen H. für Dr. B. (psychosomatische Klinik A-Stadt) vom 04.04.2007 zeigte der Kläger beim Aufmerksamkeits-Reaktions-Test instabile Ergebnisse und war nach dem dortigen Ergebnis nicht mehr fahrtauglich; zum Teil bestand Verdacht auf suboptimales Leistungsverhalten.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2007 einen Anspruch auf höhere Rente ab. Sie stützte sich auf die Gutachten von Dr. M. und Dr. O ... Zur Begründung des Widerspruchs vom 12.06.2007 wies der damalige Klägerbevollmächtigte auf eine massive Verschlimmerung der depressiven Stimmung mit ständiger fachärztlicher Behandlung und teilweise monatelanger Klinikbehandlung sowie auf die Gutachten von Prof. S. und Dr. P. hin. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2007 zurück.

Mit der am 20.11.2007 beim SG eingelegten Klage hat der Kläger weiter eine höhere Rente begehrt wegen wesentlicher Verschlimmerung der Unfallfolgen, gestützt insbesondere auf das Gutachten von Prof. S ... Das Gutachten von Dr. M. sei parteiisch und unbrauchbar. Der Leidensdruck durch den Tinnitus sei größer geworden, da die altersbedingte Hörschwäche im Hochtonbereich hinzugetreten und mit einzubeziehen sei. Ohne den unfallbedingten Tinnitus könnte der Kläger trotz altersbedingter Schwerhörigkeit im Hochtonbereich Gesprächen, Diskussionen etc. folgen.

Das SG hat eine Aufstellung der Erkrankungen von der privaten Krankenversicherung (Allianz), Röntgenbilder und Befundberichte von Dr. P. und dem KH W. eingeholt sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen.

Anschließend hat das SG von Amts wegen ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. C. vom 07.01.2009 und des Neurologen und Psychiater Dr. K. vom 18.02.2009 eingeholt.

Dr. C. hat den Kläger am 01.12.2008 untersucht und am 10.12.2008 eine Nachuntersuchung durchgeführt, um die Reaktionen ohne den Einfluss dämpfender antidepressiver Medikamente zu testen. Als Unfallfolge hat er einen Innenohrhochtonverlust beidseits bei 6 kHz ohne Beeinträchtigung des Sprachgehörs und einen unfallbedingten Tinnitus beidseits bei 6 kHz in der Nähe der Hörschwelle genannt. Die Verschlechterung des Hörvermögens in den letzten drei Jahren mit Zunahme des Hochtonverlustes nach über 20 Jahren gleichbleibendem Befund sei dagegen nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Das gelte auch für die in den letzten 6 Jahren eingetretene Verschlechterung des Tinnitus, der mittlerweile auf beiden Ohren besteht. Die späte Veränderung des Ohrgeräuschs und Progredienz über 20 Jahre nach dem Knallltrauma widerspreche allgemeiner Erfahrung. Die bei der Untersuchung ermittelte Tinnitus-Verdeckungs-Kurve entspreche nicht mehr dem typischen Befund einer lärmbedingten Tinnitus-Entwicklung. Daher sei die Verschlimmerung aus HNO-ärztlicher Sicht nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Der Hörverlust allein bedinge eine MdE von 0 v.H ... Soweit der Tinnitus ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei, sei die MdE nicht höher als 10 v.H.

Dr. K. hat im Vergleich zu den Verhältnissen von 2003 keine wesentliche, auf den Unfall zurückzuführende Verschlimmerung der Unfallfolgen festgestellt. Die MdE betrage nicht mehr als 20 v.H ... Der Kläger habe bei der Untersuchung einen mäßig depressiven Eindruck gemacht; eine schwere depressive Symptomatik wie 2005 von der Uniklinik A-Stadt beschrieben habe nicht bestanden. Die Progredienz des Tinnitus sei nicht mehr auf den Unfall zurückzuführen. Die Verschlechterung der depressiven Symptomatik sei mit hinreichender Sicherheit nicht unfallbedingt, sondern auf andere belastende Ereignisse zurückzuführen, wie Wirbelsäulenbeschwerden, Probleme am Arbeitsplatz, die nicht unfallbedingte Verschlimmerung des Tinnitus und die schwere Erkrankung der Tochter.

Der Klägerbevollmächtigte die Einholung weiterer Gutachten beantragt. Die Gutachter hätten nicht beachtet, dass sich der Tinnitus wie ein Phantomschmerz verselbständigen und verlagern könne und das Ausmaß der psychischen Erkrankung durch das ständige Zischen als Ohrgeräusch verkannt. Der Tinnitus-Schweregrad hätte mit Fragebögen ermittelt werden müssen.

Beide Sachverständige haben in ihren ergänzenden Stellungnahmen an ihrer Einschätzung festgehalten und darauf hingewiesen, dass die genannten Fragebögen als Selbstbeurteilungsbögen für die Therapie entwickelt worden seien, aber nicht für die objektive Begutachtung geeignet seien. Dr. C. hat dargelegt, dass zur Beurteilung vorrangig die Ergebnisse der Nachuntersuchung am 10.12.2008 herangezogen worden seien, um Verfälschungen durch Medikamente auszuschließen. Die Ausprägung der Ohrgeräusche mit einer für eine Lärmschädigung untypischen Tinnitus-Verdeckungskurve spreche für eine zentrale Ursache. Auch die nun bestehende Verarbeitungsstörung der Ohrgeräusche sei auf Veränderungen der letzten Jahre zurückzuführen, die nicht durch das einmalige Trauma verursacht worden seien.

Der Klägerbevollmächtigte hat sich mit Schreiben vom 11.09.2009 auf einen Aufsatz von Dr. H. (Med. Sach. 100, 2004) berufen und ausgeführt, als Folge einer Tinnituserkrankung trete eine Verselbständigung von Krankheitsbildern - hier der psychischen Erkrankung - ein. Die Vermutung einer zentralen Störung liege neben der Sache. Das Zeitmoment spreche nicht gegen die Ursächlichkeit, denn das Ohrgeräusch erlange erst Krankheitswert, wenn die Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten nicht mehr ausreichten. Der Kläger hat beide Gutachter für eine weitere Begutachtung wegen fehlender Sachkompetenz abgelehnt. Auf den Aufsatz von Dr. H. wird Bezug genommen.

Das SG hat weitere ergänzende Stellungnahmen der Sachverständigen eingeholt. Dr. C. hat ausgeführt, dass HNO-ärztlich zwischen cochleären Innenohrschädigungen, wie sie durch äußere Lärmeinwirkungen hervorgerufen werden können, und Störungen in der zentralen Hörverarbeitung zu differenzieren sei. Angesichts der für eine Lärmschädigung untypischen Tinnitusverdeckungskurve könne dieser nicht ausschließlich als äußere Lärmschädigung der Sinneszellen im Innenohr gewertet werden. Eine wesentliche, unfallbedingte Verschlimmerung auf HNO-ärztlichem Gebiet sei nicht eingetreten.
Dr. K. hat ausgeführt, dass in den ersten Jahren nach dem Unfall keine psychischen Beschwerden dokumentiert seien. Die erstmals 1999 angegebene Depression habe der Kläger selbst zum Teil auf den Tinnitus, zum Teil aber auf ständige Schmerzen zurückgeführt. Dieser Verlauf spreche gegen einen Unfallzusammenhang der Verschlechterung der psychiatrischen Befunde im Unfallzusammenhang, zumal Aggravationstendenzen des Klägers vorlägen. Dies ergebe sich aus dem testpsychologischen Gutachten und der Diskrepanz zwischen der Angabe der eingenommenen Medikamente und dem fehlenden Wirkspiegel. Es bestünden schon Zweifel daran, dass die seelische Störung- wie von der Verwaltung anerkannt - Unfallfolge sei.

Den Antrag des Klägers auf Ablehnung der Kammervorsitzenden mit Schreiben vom 05.10.2009 wegen Besorgnis der Befangenheit hat das LSG mit Beschluss vom 22.12.2009 abgelehnt. Anträge auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. C. und Dr. K. wegen Befangenheit, weil sie sich nicht mit anerkannten neuen Erkenntnisse zu den Folgen einer Tinnituserkrankung und der Verselbständigung des Krankheitsbildes auseinandergesetzt hätten, hat das SG mit Beschluss vom 27.05.2010 abgelehnt.

Auf Antrag des Klägers hat das SG ein Gutachten des Neurologen und Psychiater Dr. H. vom 16.03.2010 gemäß § 109 SGG eingeholt.
Dieser hat als Unfallfolgen einen chronischen, komplexen dekompensierten Tinnitus links vom Grad IV nach Knalltrauma mit chronifizierter, sekundärer depressiver Entwicklung, derzeit vom Grad einer mittelgradigen depressiven Episode genannt. Eine Verschlimmerung von Unfallfolgen seit dem Bescheid vom 27.10.2003 sei spätestens seit Untersuchung durch Prof. S. am 07.06.2005 eingetreten, angesichts des stationären Aufenthalts des Klägers in der Uniklinik A-Stadt. Die Verschlimmerung lasse sich damit erklären, dass anfangs noch bestehende Kompensationsmechanismen mit zunehmendem Lebensalter nicht mehr tragfähig gewesen seien. Da sich der Tinnitus ganz erheblich beruflich und privat auswirke, sei rückblickend allein für ihn eine MdE von 10 v.H. gerechtfertigt. Unabhängig davon sei die mittelgradige depressive Episode mit einer MdE von 40 v.H. zu bewerten. Die Gesamt-MdE hat Dr. H. ab 07.06.2005 mit 50 v.H. geschätzt. Hinweise für eine "vorbestehende" seelische Störung ergäben sich aus der Biographie des Klägers nicht. Eine Aggravation habe er bei seiner Untersuchung nicht festgestellt. Dr. M. habe nicht aufgezeigt, welche anderen Faktoren er für die Verschlimmerung konkret annehme.

Die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme vom 29.04.2010 das Gutachten von Dr. H. für nicht überzeugend gehalten. Auch bei Bewertung des kausalen Zusammenhangs der Verschlimmerung sei die Zeitspanne zu berücksichtigen. Zudem stütze Dr. H. die Einschätzung der Verschlimmerung auf Selbstbeurteilungsbögen, deren Stellenwert für eine Begutachtung bezweifelt werde. Die gesonderte Bewertung des Tinnitus sollte dem HNO-Gutachter überlassen werden.

Das SG hat mit Urteil vom 16.06.2010 die Klage abgewiesen. Eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten; die Unfallfolgen seien mit einer MdE um 20 v.H. ausreichend bewertet. Das SG hat sich im Wesentlichen auf die Gutachten von Dr. C. und Dr. K. gestützt. Die Verschlechterung des Hörvermögens sowie die Verstärkung und Verlagerung der Frequenzen des Tinnitus seien nicht auf den Unfall zurückzuführen, angesichts des zeitlichen Abstandes der Verschlechterung zum Knalltrauma und der Tinnitusverdeckungskurve im Dezember 2008, die nicht den typischen Befund einer lärmbedingten Tinnitusentwicklung zeige. Die Verschlechterung der depressiven Symptomatik wegen des Tinnitus sei nicht unfallbedingt, weil die Verschlechterung des Ohrgeräusches unfallunabhängig sei. Außerdem bestünden nach Dr. K. noch andere Belastungsfaktoren; so spiele die schwere Erkrankung der Tochter im Jahr 2004 für die akute Verschlechterung 2005 eine Rolle. Der Kläger selbst habe im Schwerbehindertenverfahren 2001 seine Depression zum Teil auch auf Wirbelsäulenbeschwerden zurückgeführt. Dr. H. habe nicht erläutert, weshalb die eingetretene Verschlechterung der psychischen Erkrankung wesentlich auf den Unfall zurückzuführen sei.

Gegen das am 06.09.2010 zugestellte Urteil hat der Klägerbevollmächtigte am 23.09.2010 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und sich auf das Gutachten von Dr. H. gestützt. Dieser habe deutlich abgegrenzt zwischen anderen Ursachen für die psychische Erkrankung und dem Unfallereignis und die MdE zutreffend bewertet. Dr. K. habe sich mit dem Gutachten von Dr. M. nicht auseinandergesetzt, weil sie in einer gemeinsamen Praxis arbeiteten.

Das LSG hat von Amts wegen ein Gutachten der Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. D. vom 18.08.2011 eingeholt. Sie hat beim Kläger als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, zurzeit mittelschwer (ICD 10 F 33.1), bei überwiegend sensitiv zwanghafter Persönlichkeitsakzentuierung genannt, einen Tinnitus, erhebliche degenerative Veränderungen von HWS und LWS, eine hypertone Blutdruckregulationsstörung, rezidivierende Sinusitiden und einen Zustand nach Sarkoidose. Folge des Unfalls sei retrospektiv ein Tinnitus gewesen, der deutliche psychovegetative Begleiterscheinungen mit sich gebracht habe. Eine wesentliche Verschlimmerung in den Unfallfolgen sei nicht eingetreten. Die Verschlechterung der psychischen Verfassung des Klägers könne nicht auf den Unfall zurückgeführt werden. Denn nach den HNO-ärztlichen Gutachten sei eine Tinnitus-Verschlimmerung als Unfallfolge dezidiert abgelehnt worden und nur das Bindeglied "Tinnitus" könne theoretische Ursache für eine Verschlechterung sein. Den Gutachten von Dres. S., P. und H. könne nicht gefolgt werden, zumal diese die konkurrierenden Faktoren nicht diskutiert hätten. Eine höhere MdE als 20 v.H. sei für einen Tinnitus mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen nicht anzusetzen.
Beigefügt war ein Arztbrief der Uniklinik A-Stadt über den Aufenthalt des Klägers vom 11.06.2010 bis 30.09.2010 zur Behandlung einer rezidivierenden depressiven Störung gegenwärtig schwerer Episode und Tinnitus aurium. Beschrieben wurde eine ausgeprochene Leistungsorientierung des Klägers, der selbst seinen unrealistisch hohen Ansprüchen nicht mehr nachkommen könne, was zwangsläufig Unzufriedenheit bzw. Depression zur Folge habe.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 14.11.2011 das Gutachten wegen schwerwiegender Mängel als unbrauchbar bezeichnet, weshalb ein anderer Gutachter zu beauftragen sei. Moniert wurde im Wesentlichen, dass die Sachverständige sich mit der Alltagsgestaltung des Klägers beschäftige, seine Kniebeschwerden erwähne, die Erkrankung der Tochter im Jahr 2004 als ursächlich für die psychische Erkrankung ansehe, dass die Zitate "guttenberg`schem Niveau" entsprächen, nach Uexküll eine Geschlechterprävalenz nicht bestehe und dass die Gutachterin die Wirbelsäulenbeschwerden trotz des dokumentierten Knalltrauma als Ursache herausgreife, obwohl der Bandscheibenvorfall erst 1998 aufgetreten sei.

Dr. D. hat mit Stellungnahme vom 27.09.2012 klargestellt, dass nicht bestritten worden sei, dass das Knalltrauma einen Tinnitus ausgelöst habe. Zu klären sei aber, ob eine Verschlimmerung des Tinnitus Ursache für eine Verstärkung psychischer Beschwerden sein könne. Das schädigende Ereignis selbst sei nicht geeignet gewesen sei, unmittelbar eine psychische Störung hervorzurufen, so dass ein Zusammenhang der psychischen Erkrankung zum Unfall nur über das Bindeglied Tinnitus denkbar sei. Im Gutachten habe sie Faktoren diskutiert, die zu einer Verschlimmerung der subjektiven TInnituswahrnehmung hätten führen können. Dass Tinnitusbetroffene deutliche psychische Folgeerscheinungen entwickeln könnten, werde nicht bestritten. Wenn aber die Intensitätsveränderung des Tinnitus nicht auf das Jahrzehnte zurückliegende schädigende Ereignis zurückzuführen sei, könnten auch nicht die psychische Auffälligkeiten darauf zurückgeführt werden. Eine wesentliche Verschlimmerung des Tinnitus könne hier nicht mehr auf den Unfall zurückgeführt werden.

Das LSG hat den Beteiligten mit Schreiben vom 12.11.2012 mitgeteilt, dass die Ermittlungen von Amts wegen abgeschlossen und der Fall zur Sitzung vorgesehen ist unter Fristsetzung zur Stellungnahme an den Klägerbevollmächtigten bis 17.12.2012.
Mit Schreiben vom 17.12.2012, eingegangen am 18.12.2012, hat der Klägerbevollmächtigte die Ausführungen von Dr. D. kritisiert und erklärt, dass der Kläger keine Verschlimmerung des Tinnitus behaupte, sondern eine erhebliche Verschlechterung der psychischen Beschwerden aufgrund des unfallbedingten Tinnitus mit Verschlechterung der Kompensationsmechanismen. Zu fragen sei, ob die Tinnitus-Erkrankung, soweit sie unfallbedingt sei, zu einer Verschlechterung der unfallbedingten psychischen Erkrankung des Klägers beigetragen hat und inwieweit die Tinnitus-Erkrankung, wie sie jetzt beim Kläger vorliege, auch wenn sie nicht in diesem Ausmaß auf den Unfall zurückzuführen sei, zu einer Verschlechterung der MdE geführt habe. Anerkannt sei, dass ein Vorschaden für die MdE-Schätzung erhebliche Bedeutung habe. Der Bevollmächtigte hat die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens begehrt und um Beauftragung von Prof. Dr. W. oder Prof. Dr. Dr. H. K. ersucht.

Mit Schreiben vom 20.12.2012 hat das LSG nochmals mitgeteilt, dass die Einholung weiterer Gutachten nach § 106 SGG nicht erfolgt, was der Klägerbevollmächtigte mit Fax vom 21.12.2012 zur Kenntnis genommen hat. Mit Fax vom 04.01.2013 hat er Antrag auf Einholung eines Gutachtens des Neurologen, Psychiater, Psychotherapeuten und Arzt für Psychosomatik Prof. Dr. H. K., A-Stadt, gemäß § 109 SGG gestellt. Das LSG hat mit Schreiben vom 14.01.2013 darauf hingewiesen, dass der Antrag nicht innerhalb der gesetzten Frist zur Stellungnahme gestellt worden ist und bereits ein Gutachten nach § 109 SGG auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eingeholt worden war. Daher sei die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG nicht beabsichtigt.
Mit Fax vom 31.01.2013 hat der Klägerbevollmächtigte gestützt auf Krasney/Udsching vorgetragen, nach Ansicht in der Literatur könne ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG auch dann beantragt werden, wenn zwischenzeitlich ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG - hier von Dr. D.- eingeholt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2013 hat der Senat die Gutachten mit den Beteiligten erörtert. Der Klägerbevollmächtigte hat seinen Antrag gemäß § 109 SGG auf Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. K. ausdrücklich aufrechterhalten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.06.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ab Antragstellung vom 06.12.2004 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, die Akten des SG und des LSG sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG ist zulässig, aber unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente (VR) nach einer höheren MdE von 20 v.H ... Eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 01.01.1983, der dadurch verursachten MdE und damit der Höhe der Verletztenrente im Vergleich zum Bescheid vom 27.10.2003, mit dem die Beklagte eine VR nach einer MdE von 20 v.H. festgestellt hatte, ist beim Kläger nicht eingetreten.

Gemäß § 48 Absatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer Änderung ist dann auszugehen, wenn sich die anerkannten Unfallfolgen im weiteren Verlauf durch Verschlimmerung, Heilung oder Besserung verändern oder weitere Unfallfolgen hinzutreten. Mit Blick auf die Verletztenrente ist eine Änderung der MdE nur wesentlich im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt; außerdem muss die Veränderung der MdE bei Renten auf unbestimmte Zeit, wie sie hier vorliegt, länger als drei Monate andauern (vgl. § 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII).

Der Senat vermag sich angesichts der vorliegenden Unterlagen und Gutachten nicht davon zu überzeugen, dass beim Kläger seit der Feststellung der Rente mit Bescheid vom 27.10.2003 eine wesentliche Erhöhung der MdE um mehr als 5 v.H. eingetreten ist, die ursächlich auf das Unfallereignis, auf den Gesundheitserstschaden oder die Unfallfolgen zurückzuführen ist.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 27.10.2003 als Folgen des Arbeitsunfalls einen Hochtonverlust beiderseits, einen pfeifenden Tinnitus beiderseits sowie eine depressive Stimmungslage mit Antriebsminderung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, erhöhter Reizbarkeit und sozialen Rückzugstendenzen anerkannt.

Zwar haben sich die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf HNO-ärztlichem und psychischem bzw. psychiatrischem Fachgebiet zwischenzeitlich geändert mit Zunahme der Beschwerden. Diese Änderungen der Gesundheitsstörungen sind aber keine Unfallfolgen, weil für ihr Entstehen oder für ihre Verschlimmerung weder das Unfallereignis selbst noch die Gesundheitserst- oder -folgeschäden (Unfallfolgen) wesentliche (Teil-) Ursachen waren.

Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden und weiteren Gesundheitsschäden als Unfallfolgen einschließlich Verschlimmerungen gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris RdNr. 12), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache für das Entstehen eines neuen bzw. die Verschlimmerung eines bereits bestehenden Gesundheitsschadens wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris RdNr. 12) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 17). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 16).

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Ist jedoch eine Ursache - allein oder gemeinsam mit anderen Ursachen - gegenüber anderen Ursachen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245). Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist, kann auch als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 15 m.w.N.).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheits(erst) schadens bzw. eines Gesundheitsfolgeschaden (Unfallfolgen) im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserst- bzw. - folgeschaden die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (vgl. BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R - Juris RdNr. 16)

Das SG hat zutreffend entschieden, dass die eingetretene Verschlechterung des Hörvermögens und die Verlagerung und Verstärkung des Tinnitus unfallunabhängig sind. Dr. O. und Dr. C. haben in ihren Gutachten schlüssig dargelegt, dass als Unfallfolge ein Hochtonabfall ab 6 kHz beidseits mit hochfrequentem Tinnitus bei 6 kHz verblieben war. Denn in den zeitnah nach dem Unfall erstellten Unterlagen wurde ein Verlust von 30 dB im Tiefton- und Hauptsprachbereich links mit Hochtonabfall beiderseits ab 6 kHz geschildert. Während sich nach Therapie das Hörvermögen im Tiefton- und Hauptsprachbereich normalisierte, wurde die Hochtonsenke bei circa 6 kHz beiderseits durch Audiogramme vom Oktober 1986 sowie Juli 1988 belegt, wie Dr. C. ausgeführt hat. In den audiologischen Befunden vom 11.04.2002 wurden die Vorbefunde weitgehend bestätigt und der Tinnitus wurde beiderseits nahe der Hörschwelle im Hauptschädigungsbereich angegeben; ferner wurde bei der Untersuchung am 19.04.2005 das Hörvermögen im tiefen bis mittelhohen Frequenzbereich als normal, der Hochtonverlust von 75 dB rechts und 80 dB links bei 6 kHz beschrieben und der Tinnitus nahe der Hörschwelle im hohen Frequenzbereich lokalisiert.

Demgegenüber haben sowohl Dr. O. als auch Dr. C. im Audiogramm vom 03.04.2007 bei weiterhin normalem Sprachgehör eine Verschlechterung des Hörvermögens auf beiden Ohren im Hochtonbereich ab 3 kHz festgestellt, die beide Gutachter nicht als Unfallfolge, sondern als schicksalhafte, endogene Entwicklung beurteilt haben. Der Senat folgt ihrer Einschätzung, dass - nachdem das Hörvermögen über 20 Jahre im Wesentlichen gleich geblieben war - die nun eingetretene Verschlechterung des Hörvermögens angesichts des zeitlichen Abstandes nach allgemeinen wissenschaftlichen Erfahrungssätzen nicht mehr ursächlich auf das einmalige Knalltrauma vom 01.01.1983 zurückgeführt werden kann. Daher hat Dr. C. überzeugend auch die im Dezember 2008 von ihm festgestellte weitere Verschlechterung des Hörvermögens im mittelhohen Frequenzbereich zwischen 2 und 4 kHz sowie den deutlichen Abfall der Hochtonsenke auf über 85 dB beidseits als unfallunabhängig beurteilt.

Auch die Veränderungen des Tinnitus sind nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. C. nicht auf den Arbeitsunfall oder dessen Unfallfolgen als wesentliche Teilursache zurückzuführen. Während der Tinnitus 2002 rechts bei 8 kHz und links bei 10 kHz nahe der Hörschwelle lag, verschob er sich 2005 und 2007 auf 6 kHz und lag 2007 15 dB über der Hörschwelle. Dr. C. hat für den Senat schlüssig ausgeführt, dass ein einmaliges akustisches Trauma nicht zu einer progredienten Läsion Jahrzehnte nach dem Ereignis führt und darüber hinaus die im Dezember 2008 festgestellte Tinnitusverdeckungskurve vom Divergenztyp nicht den typischen Befund einer lärmbedingten Tinnitusentwicklung zeigt. Diese Einschätzung steht in Einklang mit der Literatur, wonach bei einem durch Lärm verursachten Tinnitus die Verdeckungskurve zumeist einem sog. Konvergenztyp entspricht (vgl. Feldmann / Brusis, Das Gutachten des HNO-Arztes, 7. Auflage 2012 S. 361).

Ergänzend weist der Senat mit Blick auf die Kritik des Klägerbevollmächtigten darauf hin, dass nach Begutachtungsliteratur die Verwendung von Selbstbeurteilungsbögen für Tinnitus (z.B. strukturierte Tinnitus-Fragebögen nach Goebel und Hiller), wie sie bei der Therapie zum Einsatz kommen, in der Begutachtung als nicht angebracht erachtet werden (vgl. so Feldmann / Brusis, a.a.O. S. 359). Die entsprechenden Ausführungen von Dr. C. sind daher nicht zu beanstanden.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass neben die unfallbedingte Hochtonabsenkung des Klägers bei 6 kHz und den unfallabhängigen, lärmbedingten Tinnitus unfallunabhängig eine Hörminderung im mittelhohen Frequenzbereich, ein weiterer Hochtonabfall sowie ein unfallunabhängiger Tinnitus getreten ist. Während der unfallbedingte Hochtonabfall bei 6 kHz das Sprachgehör des Klägers noch nicht wesentlich einschränkte, betrifft der mittlerweile eingetretene, unfallunabhängige Hörverlust im Bereich zwischen 2 und 4 kHz stärker den Hauptsprachbereich der menschlichen Stimme.

Soweit seit 2003 eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit des Klägers eingetreten ist, ist der Senat angesichts der vorliegenden Gutachten und ärztlichen Unterlagen der Überzeugung, dass diese Verschlechterung nicht durch das Unfallereignis oder Unfallfolgen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich mitverursacht worden ist. Vielmehr ist diese Verschlechterung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode so wesentlich auf unfallunabhängige Ursachenbeiträge zurückzuführen, dass weder der unfallbedingte Tinnitus im Hochtonfrequenzbereich noch die daraus resultierende, als Unfallfolge anerkannte depressive Stimmungslage (mit Antriebsminderung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, erhöhter Reizbarkeit und sozialen Rückzugstendenzen) wesentliche Teilursachen dafür sind.

Zutreffend hat Dr. D. dargelegt, dass die Verschlechterung der psychischen Verfassung nicht als Unfallfolge anzusehen ist, soweit sie auf der Verschlimmerung des Tinnitus beruht, weil - wie dargelegt - die von den HNO-Gutachtern festgestellte Veränderung des Tinnitus seit 2003 ihrerseits keine Unfallfolge ist.

Der Senat ist aber der Überzeugung, dass sowohl die unfallunabhängige Entwicklung des Tinnitus mit Verstärkung und Frequenzverlagerung als auch die unfallunabhängige Hörminderung, insbesondere im mittelhohen Frequenzbereich, eine wesentliche Ursache für die Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des Klägers waren. So führt der Kläger selbst seine psychischen Beschwerden auf zunehmende Beeinträchtigungen durch den Tinnitus mit entsprechenden Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, zunehmender Gereiztheit und Rückzugstendenzen zurück sowie auf Probleme, Gesprächen anderer - insbesondere bei Störgeräuschen - zu folgen. Gerade das Gefühl, nicht Alles zu verstehen und deshalb nicht ernst genommen zu werden in Beruf oder Familie, ist nach Aussage des Klägers wesentlich für die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Wie bereits dargelegt, beeinträchtigt aber gerade der mittlerweile eingetretene, nicht auf den Unfall zurückzuführende Hörverlust und die unfallunabhängige Verschlechterung des Tinnitus zunehmend das Verstehen des Klägers von menschlicher Sprache in Unterhaltungen. Demgegenüber beeinträchtigt der unfallbedingte Hochtonabfall und der unfallbedingte Anteil des Tinnitus das Sprachgehör nur unwesentlich. Daher ist als überragende Ursache für die fortschreitenden Verständigungsprobleme gerade nicht der Unfall bzw. Unfallfolgen, sondern eine unfallunabhängige Erkrankung des Klägers anzusehen.

Vor diesem Hintergrund überzeugen die Ausführungen von Dr. H. nicht, der die weitere Verschlechterung der psychischen Symptomatik seit 2003 (nur) darauf zurückgeführt hat, dass Kompensationsmechanismen, über die der Kläger früher verfügt hatte, auch noch über 2003 hinaus weiter abgenommen haben. Bereits Dr. B. hatte als eine Ursache für ein Versagen der Kompensationsmechanismen, die zur Wahrnehmungsveränderung und Veränderung der subjektiven Gewichtung der Schwere des Tinnitus geführt hatten, die Zunahme des Tinnitus genannt.

Darüberhinaus haben nach Ansicht des Senats weitere unfallunabhängige Belastungsfaktoren einen Ursachenbeitrag im Sinne einer conditio sine qua non für die gesundheitliche Verschlechterung des Klägers gesetzt. Von besonderer Bedeutung ist dabei das 2004 bei der ältesten Tochter diagnostizierte Ewing-Sarkom, das dazu führte, dass die Hälfte des Beckens entfernt werden mussten und sie nur mit zwei Krücken gehen kann. Ewing-Sarkome sind maligne Knochentumore mit früher hämatogener Metastasierung (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Auflage). Dass diese Erkrankung den Kläger, der selbst Mediziner ist, psychisch extrem belastet hat und weiterhin beschäftigt, ist ohne Weiteres nachvollziehbar und lässt sich auch seinen eigenen Angaben gegenüber den Sachverständigen entnehmen. So hatte er gegenüber Dr. K. 2009 angegeben, dass er weder mit der Tochter über ihre Erkrankung reden könne noch an diese denken dürfe, weil er dadurch zu belastet sei. Gegenüber Dr. H. hatte er eingeräumt, dass ihm die Erkrankung naturgemäß große Sorgen bereitet habe.

Im selben Jahr hatte er wegen Umstrukturierungsmaßnahmen die Arbeitsstelle wechseln müssen, Auch wenn der Kläger zum Teil gegenüber den Gutachtern den Stellenwechsel von P. nach A-Stadt als vorteilhaft geschildert hatte, weil sie dort mehrere Oberärzte gewesen seien, war dieser Wechsel auch ein weiterer Belastungsfaktor für ihn. Denn im Rahmen von Umstrukturierungen entsteht regelmäßig die erhöhte Notwendigkeit, Abläufe neu zu klären, insbesondere wenn man sich nun mit mehreren Kollegen abstimmen muss. Dementsprechend wurde im Abschlussbericht der Uniklinik A-Stadt über den Aufenthalt des Klägers vom 15.07.2005 bis 04.02.2006 ausgeführt, die depressive Symptomatik habe sich nach einer Versetzung an das Krankenhaus A-Stadt noch einmal deutlich verschlechtert. Zuvor hatte sich der Kläger 2003 um eine Stelle im BKH M. beworben, um "sein eigener Chef zu sein" - so seine Angabe gegenüber Dr. D.; daher wurde nach Ansicht des Senats insgesamt die berufliche Umbruchsituation zutreffend von den Gutachtern Dr. K. und Dr. D. als Belastungsfaktor eingeschätzt.

Im Übrigen hatte der Kläger selbst im Schwerbehindertenverfahren 1999 neben dem Tinnitus auch seine Wirbelsäulenbeschwerden als (Teil-)Ursache für seine Depression bezeichnet und der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B. hatte 2001 angegeben, dass die depressive Verstimmung durch das körperliche Beschwerdebild genährt werde.

Die Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. P. vermögen den Senat nicht zu überzeugen; diese haben den familiären und beruflichen Hintergrund nicht ausreichend eruiert, so dass sie weder die schwere Erkrankung der Tochter im Jahr 2004 noch die im Entlassungsbericht der Uniklinik A-Stadt geschilderten Umstrukturierungsmaßnahme zur Kenntnis genommen, geschweige denn als mögliche (Teil-) Ursachen für die weitere psychische Verschlechterung diskutiert haben.

Wie das SG bereits zutreffend dargelegt hat, sind auch die Ausführungen von Dr. H. nicht überzeugend. Dieser hat eine Verschlimmerung der Unfallfolgen auf psychiatrischem Gebiet damit begründet, dass die depressive Symptomatik bereits als Unfallfolge anerkannt sei und eine Verschlimmerung durch den 7-monatigen stationären Aufenthalt in der Klinik für Psychiatrie in A-Stadt belegt sei. Obwohl Dr. H. selbst einräumt, dass die komplexen Zusammenhänge zwischen Tinnitus und psychischen Störungen weitgehend ungeklärt sind und Konkurrenzursachen von den Vorgutachtern diskutiert worden waren, begründet er nicht, weshalb die weitere Verschlechterung auf den Unfall zurückzuführen sein soll bzw. weshalb die von ihm angenommene progrediente Dekompensation im Zusammenhang mit dem Unfall zu sehen sein soll. Mit den von Dr. K. genannten Konkurrenzursachen für die Verschlechterung setzt er sich mit keinem Wort auseinander.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Einschätzung der MdE mit 60 durch Prof. S. den Senat schon deswegen nicht überzeugt, weil dieser die MdE ab den Tag der Krankschreibung, also der Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Ebensowenig überzeugt die Schätzung der Gesamt-MdE mit 50 v.H. durch Dr. H ... Sofern er die Einzel-MdE für den Tinnitus auf 10 v.H. wegen der beruflichen und privaten Auswirkungen - also den damit verbundenen psychischen Einschränkungen - schätzt, überschneidet sich dies gerade mit der mittelgradigen depressiven Episode (F 32.1 nach ICD 10), wofür er eine MdE von 40 v.H. angesetzt und damit den Bewertungsspielraum nach der Begutachtungsliteratur ausgeschöpft hat, der eine MdE bis 40 v.H. vorsieht (vgl. Schönberger / Mehrtens / Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Auflage S. 156 mit Verweis auf Foerster Med. Sach 2007 S. 52).

Soweit der Kläger ausgeführt hat, dass bei unfallunabhängigen Vorschäden die MdE abweichend zu ermitteln sei, ist darauf hinzuweisen, dass die sich erst nach dem Unfall entwickelnden Gesundheitsstörungen keine Vor-, sondern Nachschäden sind.

Vor diesem Hintergrund ist der Senat nach kritischer Würdigung der Gutachten der Überzeugung, dass sich seit Feststellung der Verletztenrente im Bescheid vom 27.10.2003 die MdE nicht aufgrund der Verschlimmerung oder dem Hinzutritt von Unfallfolgen um mehr als 5 v.H. geändert hat.

Der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG des Neurologen, Psychiater, Psychotherpeuten und Arzt für Psychosomatik Prof. H. K. war abzulehnen. Im Verfahren war bereits ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten gemäß § 109 SGG eingeholt worden, nämlich von Dr. H. in der ersten Instanz. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG setzt voraus, dass besondere Gründe vorliegen (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer , Kommentar zum SGG, 10. Auflage, zu § 109 RdNr. 11b, 10b). Solche besonderen Gründe liegen nicht vor. Ein wiederholter Antrag nach § 109 SGG ist auch nicht deswegen zuzulassen, weil zwischenzeitlich ein Gutachten gemäß § 106 SGG von Dr. D. eingeholt worden war (a.A. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage, S.99), sondern nur dann, wenn sich zwischenzeitlich entscheidende Gesichtspunkte ergeben haben, zu denen sich der Gutachter nach § 109 SGG - also Dr. H.- noch nicht hatte äußern können (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., zu § 109 RdNr. 10 b). Solche neuen Gesichtspunkte liegen aber nicht vor. Insbesondere hat die Sachverständige Dr. D. dieselben Aspekte herausgearbeitet und gewürdigt, die bereits die Vorgutachter, insbesondere Dr. K. und Dr. M., erörtert hatten; dazu hatte sich Dr. H. aber in seinem Gutachten äußern können. Dass die Verschlimmerung des Tinnitus HNO-ärztlich nicht unfallbedingt ist, hat Dr. D. den bereits Dr. H. bekannten HNO- Gutachten entnommen. Insoweit waren ihre Hinweise, welche anderen möglichen Ursachen für eine Tinnitus-Verschlechterung nach medizinischen Erfahrungssätzen in Betracht kommen (z.B. HWS-Veränderungen) für ihre gutachterliche Wertung nicht ausschlaggebend.

Daneben stützt der Senat seine Ablehnung auf § 109 Abs. 2 SGG, denn die Einholung eines weiteren Gutachtens würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern und der Antrag ist erst am 04.01.2013 gestellt worden, obwohl das LSG bereits mit Schreiben vom 12.11.2012 unter Gewährung einer Schriftsatzfrist mitgeteilt hatte, dass die Ermittlungen von Amts wegen abgeschlossen sind und der Fall zur Sitzung vorgemerkt ist. Mit weiterem Schreiben vom 10.12.2010 hat das LSG nochmals auf die baldige Terminierung hingewiesen und die Schriftsatzfrist bis 17.12.2012 verlängert. Trotzdem hat der Klägerbevollmächtigte nicht innerhalb der Frist Antrag nach § 109 SGG beim LSG gestellt. Selbst der am 18.12.2012 beim LSG eingegangene Schriftsatz enthielt keinen Antrag nach § 109 SGG, sondern ersuchte das LSG um Einholung eines erneuten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens wegen nach Ansicht des Klägers bestehender Mängel im Gutachten von Dr. D., wobei zwei mögliche Gutachter zur Auswahl des Gerichts benannt wurden. Die nochmalige Mitteilung des LSG, dass die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen nicht erfolgt, hat der Klägerbevollmächtigte laut Fax am 21.12.2012 zur Kenntnis genommen und erst am 04.01.2013 - also über sechs Wochen nach dem Hinweis auf den Abschluss der Ermittlungen von Amts wegen und über zwei Wochen nach Fristablauf - Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG beim LSG gestellt. Vor diesem Hintergrund ist der Antrag nach § 109 SGG nach Überzeugung des Senats aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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