L 6 SF 471/13 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 14 SF 195/12 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 471/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit kommt es bei der Terminsgebühr vor allem auf die Terminsdauer an. Eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zum Zweck der Beratung eines Verfahrensbeteiligten mit seinem Prozessbevollmächtigten ist dabei nicht abzuziehen.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 7. Februar 2013 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für das Verfahren S 15 R 743/11 auf 575,37 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Meiningen (Az.: S 15 R 743/11) streitig. Der Kläger des Verfahrens erhob am 25. März 2011 selbst Klage und begehrte die Gewährung einer Rente wegen voller Er-werbsminderung. Nach Beiziehung diverser Unterlagen holte das Sozialgericht ein orthopädi-sches Gutachten des Dr. S. vom 12. März 2012 ein, das am 13. März 2012 beim Gericht ein-ging. Am 3. April 2012 zeigte der Beschwerdeführer seine Beauftragung an und beantragte Akteneinsicht sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH). In der mündlichen Ver-handlung vom 23. Mai 2012, die nach der Niederschrift 23 Minuten dauerte und zwecks Be-sprechung des Beschwerdeführers mit dem Kläger für fünf Minuten unterbrochen wurde, ge-währte das Sozialgericht dem Kläger PKH ab 3. April 2012 und ordnete den Beschwerdefüh-rer bei. Auf den richterlichen Hinweis, dass der Kläger nach dem eindeutigen Gutachten des Dr. Schmidt nicht relevant in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei, nahm der Beschwerde-führer die Klage zurück.

In der Kostenrechnung vom 29. Mai 2012 beantragte er die Festsetzung von 575,37 Euro: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 250,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG 200,00 Euro Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV-RVG 13,50 Euro Summe 483,50 Euro Umsatzsteuer 91,87 Euro Gesamtsumme 575,37 Euro

Unter dem 13. Juni 2012 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Betrag auf 218,37 Euro (Verfahrensgebühr 50,00 Euro, Terminsgebühr 100,00 Euro, Post- und Tele-kommunikation 20,00 Euro, Dokumentenpauschale 13,50 Euro, Umsatzsteuer 34,87 Euro) und führte aus, der Beschwerdeführer habe "zum Rechtsstreit" keinen Schriftverkehr gefer-tigt. Damit begründe nur die Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung überhaupt eine anwaltliche Tätigkeit und einen Anspruch auf die Verfahrensgebühr. Angesichts einer 18 Mi-nuten dauernden Verhandlung komme keine höhere Terminsgebühr in Betracht.

Am 3. Juli 2012 hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt und unter anderem ausge-führt, die Höhe der zuerkannten Verfahrensgebühr sei nicht nachvollziehbar. Er habe das Gutachten des Dr. S. und das in der Akte enthaltene Urteil des LSG für das Saarland vom 22. Mai 2005 - L 7 R 62/05 durcharbeiten müssen. Hinsichtlich der Terminsgebühr sei zu berück-sichtigen, dass in der mündlichen Verhandlung auch geklärt werden musste, in welchem Um-fang eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Klageverfahren geltend gemacht werden kann. Bei dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei nicht nur auf die reine Verhandlung abzustellen; zu berücksichtigen sei auch seine Besprechung mit dem Mandanten bei einer Sitzungsunterbrechung. Der Beschwerdegegner hat sich in seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2012 den Ausführungen der Urkundsbeamtin angeschlossen.

Mit Beschluss vom 7. Februar 2013 hat das Sozialgericht die Vergütung auf 218,37 Euro festgesetzt und zur Begründung auf die Ausführungen der Urkundsbeamtin verwiesen. Dass diese zu Unrecht eine Terminsdauer von 18 statt 23 Minuten angenommen habe, führe nicht zu einem unterschiedlichen Ergebnis.

Gegen den am 14. Februar 2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 6. März 2013 Beschwerde eingelegt und seinen erstinstanzlichen Vortrag vertieft.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Meinigen vom 7. Februar 2013 aufzuheben und die aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für das Verfahren S 15 R 743/11 auf 575,37 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Eine Stellungnahme sei nicht erforderlich, weil die Beschwerdebegründung lediglich eine Wiederholung des Vortrags im Erinnerungsverfahren beinhalte.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 11. März 2013) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 10. April 2013 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren dem Senat übertragen.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 21. Januar 2013 - L 6 SF 1578/12 B m.w.N.) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstan-des übersteigt 200,00 Euro. Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass die Rechts-mittelbelehrung im angefochtenen Beschluss fehlerhaft ist. Nach § 33 Abs. 3 S. 3 RVG be-trägt die Beschwerdefrist zwei Wochen (nicht: ein Monat).

Die Beschwerde ist begründet. Insofern waren die Gebühren antragsgemäß festzusetzen.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbar-keit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebüh-ren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskas-se zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Kläger war kostenprivilegierter Beteiligter i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG). Ihm war auch PKH bewilligt worden. An diese Entscheidung ist der Senat bei der Kostenfestsetzung gebunden. Ob sie überzeugend ist, bleibt dahingestellt.

Die Höhe der Gebühren errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Der Rechtsanwalt bestimmt sie bei Rahmengebühren nach § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierig-keit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmen-gebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4). Bei der Festsetzung der Vergütung des im Wege der PKH beigeordneten Beschwerdeführers hatte die Urkundsbeamtin die Billigkeit der geforderten Gebühren von Amts wegen auch ohne Vortrag des Beschwerdegegners nachzuprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2013 - L 6 SF 1578/12 B

Die beantragten Mittelgebühren waren im Ergebnis nicht unbillig. Sie sind grundsätzlich in den Fällen zu Grunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Dabei werden Vereinfachungs- und Zweckmäßigkeitsgründe sowie das verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, gleich liegende Fälle gleich und unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln, berücksichtigt. Im vorliegenden Fall werden bei Verfahrens- und Terminsgebühr der unter-durchschnittliche Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die unterdurchschnittlichen Ein-kommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers durch die überragende Bedeutung der Angelegenheit kompensiert.

Bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG ist durchaus von einem unter-durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Hier wird auf den zeitli-chen Aufwand abgestellt, den der Rechtsanwalt im Vergleich mit den übrigen beim Sozialge-richt anhängigen Verfahren (nicht eingeschränkt auf Verfahren nach dem SGB II) tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv auf die Sache verwenden musste (vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, § 14 Rdnr 15). Entgegen der Ansicht der Urkundsbeamtin kommt es allerdings nicht nur auf die eingereichten drei sehr kurzen Schriftsätze ohne inhaltliches Eingehen auf den Gegenstand des Klageverfahrens an. Vielmehr musste der Beschwerdeführer zusätzlich das Verfahren mit dem Kläger besprechen, diesen beraten und die Verwaltungsentscheidungen sowie die medizinischen Unterlagen, insbesondere das orthopädische Gutachten des Dr. S., lesen. Mangels Rechtsprobleme war eine Rechtsprechungsauswertung nicht erforderlich.

Unter Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wird die Intensität der Arbeit verstanden (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Ausgehend von einem objektiven Maßstab kann sich ein Rechtsanwalt bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken, den Fall mit den einschlägigen Rechtsvorschriften, gegebenenfalls unter Heran-ziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur, zu bearbeiten. Es ist unerheblich, ob er wegen geringer Berufserfahrung Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Aufgabe hat oder auf Grund vertiefter Fachkenntnisse oder Erfahrung das Mandat leichter als andere Rechtsan-wälte bewältigen kann. Das zugrunde liegenden Verfahren beinhaltete eine durchschnittliche tatsächliche Schwierigkeit angesichts der im Klageverfahren notwendigen Auseinanderset-zung mit den vorliegenden medizinischen Fachgutachten (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Eine überdurchschnittliche Schwierigkeit kommt nicht in Betracht; sie hätte eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gutachten erfordert.

Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Kläger erheblich überdurchschnittlich. Abge-stellt wird dabei auf eine unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Bei Streitigkeiten über eine Dauerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist immer eine erheblich überdurch-schnittliche Bedeutung anzunehmen, wenn - wie hier - durch sie das Einkommen in der Hauptsache bestritten werden soll (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschlüsse vom 12. Juli 2004 - L 6 B 41/04 SF, 14. März 2001 - L 6 B 3/01 SF, 3. April 2000 – Az.: L 6 B 1/00 SF).

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind weit unterdurchschnittlich, werden aber durch die erheblich überdurchschnittliche Bedeutung kompensiert. Ein besonde-res Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.

Die Höhe der getrennt zu prüfenden Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG wird entgegen den Ausführungen der Urkundsbeamtin nicht hauptsächlich durch den zeitlichen Umfang des wahrgenommenen Termins bestimmt, denn angesichts des Wortlauts des § 14 Abs. 1 RVG handelt es sich nur um einen von mehreren Gesichtspunkten. Er lag auch mit 23 Minuten deutlich unter der durchschnittlichen Dauer einer sozialgerichtlichen Verhandlung (vgl. Se-natsbeschlüsse vom 4. Juni 2012 - L 6 SF 601/12 B und 5. Juli 2011 - L 6 SF 252/11 B; Baye-risches LSG, Beschluss vom 21. März 2011 - L 15 SF 204/09 B E, nach juris). Bei ihrer Be-rechnung mit 18 Minuten hat die Urkundsbeamtin diese zu Unrecht wegen der Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu kurz angesetzt. Der Senat hält einen solchen Abzug nicht für angebracht. Der Gerichtstermin beginnt nach § 112 Abs. 1 SGG grundsätzlich mit dem Auf-ruf der Sache durch das Gericht (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, Vorb. 3 VV Rdnr. 489) und endet nach § 121 S. 1 SGG mit seiner Schließung. Durch eine Unterbrechung zum Zweck der Beratung eines Verfahrensbeteiligten mit seinem Pro-zessbevollmächtigten wird er gerade nicht geschlossen.

Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, der Schwierigkeit der anwaltli-chen Tätigkeit, der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und des besonderen Haftungs-risikos wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen.

Zusätzlich zu erstatten sind die Dokumentenpauschale, die Entgelte für Post- und Telekom-munikationsdienstleistungen und die Umsatzsteuer.

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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