Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SF 65/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 104/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Bewilligt das Prozessgericht Prozesskostenhilfe nur in Höhe der Selbstbeteiligung zu den Leistungen einer vorhandenen Rechtsschutzversicherung, dann ist dies zwar Ausdruck des Einsatzes von Vermögen, gestaltet aber das prozesskostenhilferechtliche Leistungssystem um.
2. Die Staatskasse hat dann in jedem Fall für die Deckungslücke in Höhe der Selbstbeteiligung aufzukommen; ob eine Deckungslücke besteht, darf sie nicht nach ihren eigenen Vergütungsberechnungen ermitteln.
3. Eine relevante Änderung der Verhältnisse im Sinn von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO liegt nur dann vor, wenn die Deckungslücke geringer ausfällt, nicht aber schon dann, wenn der von der Rechtsschutzversicherung tatsächlich ausgezahlte Betrag höher ist als erwartet.
4. Der Staatskasse ist es verwehrt, auf die an den beigeordneten Rechtsanwalt zu erbringenden Leistungen in Höhe der Selbstbeteiligung Zahlungsansprüche gegen die Partei anzurechnen.
2. Die Staatskasse hat dann in jedem Fall für die Deckungslücke in Höhe der Selbstbeteiligung aufzukommen; ob eine Deckungslücke besteht, darf sie nicht nach ihren eigenen Vergütungsberechnungen ermitteln.
3. Eine relevante Änderung der Verhältnisse im Sinn von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO liegt nur dann vor, wenn die Deckungslücke geringer ausfällt, nicht aber schon dann, wenn der von der Rechtsschutzversicherung tatsächlich ausgezahlte Betrag höher ist als erwartet.
4. Der Staatskasse ist es verwehrt, auf die an den beigeordneten Rechtsanwalt zu erbringenden Leistungen in Höhe der Selbstbeteiligung Zahlungsansprüche gegen die Partei anzurechnen.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. März 2012, auf die Erinnerung wird die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am Sozialgericht Bayreuth vom 2. März 2012 aufgehoben.
Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu leistende Vergütung wird auf 300 EUR (Umsatzsteuer eingeschlossen) festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdeführer vertrat den damaligen Kläger in einem rentenversicherungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth (S 16/17 R 639/09), wobei er diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet worden war. Der Kläger war rechtsschutzversichert, musste aber nach den Versicherungsbedingungen eine Selbstbeteiligung von 300 EUR leisten. Im PKH-Bewilligungsbeschluss vom 12.07.2010 beschränkte das Prozessgericht die PKH auf die Übernahme der Selbstbeteiligung sowie auf die Übernahme der Terminsauslagen gemäß Nr. 7003 ff. VV RVG.
Nach Erledigung des Klageverfahrens zahlte die Rechtsschutzversicherung dem Beschwerdeführer 892,50 EUR (u.a. Verfahrensgebühr 250 EUR, Terminsgebühr 200 EUR, Einigungsgebühr 280 EUR) abzüglich der Selbstbeteiligung von 300 EUR, insgesamt also 592,50 EUR. Die Urkundsbeamtin errechnete demgegenüber einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse von nur 547,40 EUR; dabei setzte sie keine Terminsgebühr und die Einigungsgebühr nur in Höhe von 190 EUR an. Die Zahlung der Selbstbeteiligung lehnte die Urkundsbeamtin mit der Begründung ab, die Rechtsschutzversicherung habe ohnehin mehr gezahlt, als dem Beschwerdeführer nach ihrer Berechnung zustehe (Regelung vom 02.03.2012). Die Erinnerung des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg (Beschluss der Kostenrichterin vom 15.03.2012).
Gegen den Beschluss der Kostenrichterin richtet sich die Beschwerde (eingelegt am 02.04.2012). Zur Begründung hat der Beschwerdeführer vorgetragen, die Nichtzahlung der 300 EUR würde praktisch eine Abänderung des PKH-Bewilligungsbeschlusses bedeuten; dies sei aber unzulässig. Der Kläger habe die Selbstbeteiligung ja tatsächlich zu leisten. Dem Sozialgericht stehe es nicht zu, seine Berechnung der Vergütung nach §§ 45 ff. RVG auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und ihm, dem Beschwerdeführer, zum Maßstab zu machen. Selbst wenn er keine Terminsgebühr beanspruchen könne, so der Beschwerdeführer, sei es der Staatskasse verwehrt, die Zuvielzahlung seitens der Rechtsschutzversicherung als einzusetzendes Vermögen zu behandeln; denn diese habe er der Rechtsschutzversicherung zu erstatten.
Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 16/17 R 639/09 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist größten Teils begründet. Dem Beschwerdeführer steht in der Tat die Zahlung von 300 EUR inklusive Mehrwertsteuer gegen die Staatskasse zu (vgl. dazu im Folgenden 1.). Er hat jedoch keinen Anspruch auf Verzinsung (vgl. dazu im Folgenden 2.).
1. Selbstbeteiligung
Die Staatskasse vertritt sinngemäß den Standpunkt, was die Rechtsschutzversicherung ausgezahlt habe, sei als Vermögen einzusetzen. Dabei zieht sie als prozesskostenhilferechtlichen "Bedarf" den Betrag heran, den sie selbst ermittelt hat, d.h. ohne Terminsgebühr und mit wesentlich niedrigerer Einigungsgebühr. Das einzusetzende Vermögen in Höhe von 592,50 EUR, so die Staatskasse weiter, übersteige aber den "Bedarf", den sie auf insgesamt 547,40 EUR beziffert. Da sie sich dazu berechtigt sieht, die Zahlungen der Rechtsschutzversicherung auf den auf diese Weise von ihr ermittelten Bedarf anzurechnen, kommt die Staatskasse zum Ergebnis, dem Beschwerdeführer stünde kein Zahlungsanspruch gegen sie zu.
Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
a) Er geht allerdings mit dem Sozialgericht und der ganz herrschenden Meinung insoweit konform, dass die vorliegende Problematik, dass zwar einerseits eine Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung vorliegt, dass aber andererseits der Kläger eine Selbstbeteiligung zu erbringen hat, grundsätzlich auf der Schiene des Einsatzes von Vermögen (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 115 Abs. 3 ZPO - auf die Nennung von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG wird im Folgenden verzichtet) zu lösen ist. Von daher besteht keine Veranlassung, den Fall unter der Prämisse durchzudenken, dass gerade kein verwertbares Vermögen vorliegt, sondern die Kosten der Prozessführung im Sinn von § 115 Abs. 4 ZPO von vornherein auf die Selbstbeteiligung beschränkt sind.
b) Allerdings vollziehen sich die Leistungserbringung und der Einsatz von Vermögen prinzipiell anders, als es hier geschehen ist. Liegt einsetzbares Vermögen vor, wird PKH aber nach Prüfung von § 115 Abs. 4 ZPO gleichwohl bewilligt, erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen eigenständigen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Unabhängig davon entstehen aber auch Gebühren aufgrund des Anwaltsvertrages mit dem Mandanten; nach Maßgabe von § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO tritt insoweit allerdings eine Forderungssperre ein. Die Forderungssperre umfasst alle (auch schon vor der Beiordnung entstandenen) Gebühren, die auch gegen die Staatskasse entstehen. Die infolge der Beiordnung gegen sie entstandene Vergütung muss die Staatskasse ohne Kürzungen an den Rechtsanwalt auszahlen. Das bedeutet, dass sie nicht befugt ist, irgendwelche Ansprüche gegen den Kläger auf Zahlungen aus dessen Vermögen zu verrechnen. Die Staatskasse kann ihre Ausgaben nur dadurch ausgleichen, dass sie Zahlungen aus dem Vermögen vom Kläger einzieht, die allerdings das Prozessgericht im PKH-Bewilligungsbeschluss ausdrücklich angeordnet haben muss. Sind solche Zahlungen nicht angeordnet, ist die Staatskasse nicht befugt, von sich aus Beträge unter Rekurs auf die Pflicht, Vermögen einzusetzen, einzubehalten. Überhaupt ist das PKH-Leistungsrecht nicht für das Prozessgericht, geschweige denn für die Staatskasse, frei disponibel. Vielmehr werden die "Leistungen" in § 122 ZPO und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Nach dem Gesetz sieht allein § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit individueller Anordnungen seitens des Gerichts vor; dieser Fall ist hier nicht einschlägig. Im Übrigen aber stehen keine Variationsmöglichkeiten je nach Einzelfall zur Verfügung. Entgegen dem ersten Anschein ermöglicht § 48 Abs. 1 RVG nicht die freie Ausgestaltung der Leistungen durch das Gericht; die Vorschrift regelt vielmehr nur die gegenständliche Reichweite des Vergütungsanspruchs (vgl. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 48 Rn. 3).
Würde man diese grundsätzlich nicht abdingbaren Vorgaben des Leistungsrechts im vorliegenden Fall eins zu eins umsetzen, hätte das Prozessgericht an sich PKH uneingeschränkt bewilligen, daneben aber gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO Zahlungen aus dem Vermögen durch den Kläger anordnen müssen, die dem von der Rechtsschutzversicherung zu erlösenden Betrag entsprächen. Hätte das Prozessgericht dies getan, bestünde für die Staatskasse in der Tat eventuell die Möglichkeit, sich "schadlos" zu halten. Denn sie würde womöglich die von ihr errechneten 547,40 EUR an den Beschwerdeführer auszahlen, andererseits aber einen entsprechenden Zahlungsanspruch gegen den Kläger (aus dessen Vermögen) haben. Zu einer eigenmächtigen Verrechnung des gegen den Kläger bestehenden Anspruchs gegen den Vergütungsanspruch des Anwalts wäre die Staatskasse aber keinesfalls befugt; sie dürfte nicht die Vergütung an den Anwalt zurückhalten, weil ihr ein entsprechender Gegenanspruch gegen den Kläger zusteht.
c) Die Regelung, die das Prozessgericht hier im Rahmen der PKH-Bewilligung tatsächlich getroffen hat, weicht in mehrfacher Weise von diesen allgemeinen Prinzipien ab: Zum einen wird der aus dem Vermögen zu zahlende Betrag entgegen der üblichen Praxis nicht positiv beziffert, sondern quasi negativ über die verbleibende Deckungslücke definiert. Zum anderen hat das Prozessgericht im Beschluss vom 12.07.2010 eine Art Verrechnung vorgenommen; auf die dem Beschwerdeführer an sich zustehende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG hat das Prozessgericht das, was der Kläger an sich als Zahlung nach § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO leisten müsste, angerechnet. Auch wenn es sich vom Grundsatz her um die Anrechnung von Vermögen handelt, so hat das Prozessgericht diese bei der Bemessung des Leistungsanspruchs realisiert. Denn die Vergütung für den Beschwerdeführer wird entgegen den gesetzlichen Vorgaben "gedeckelt". Das Prozessgericht hat festgelegt, dass die Staatskasse auf jeden Fall für die Deckungslücke aufzukommen hat. Eine Abweichung zur allgemeinen Praxis der Vermögensberücksichtigung liegt auch darin, dass das Prozessgericht den Freibetrag zum Schutz kleiner Barbeträge gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 SGG i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII nicht angewandt hat.
Zusammenfassend hat die Entscheidung des Prozessgerichts bewirkt, dass sich die Vermögensanrechnung (im weiteren Sinn) im Leistungsbereich manifestiert. Vor allem aber hat das Prozessgericht auch § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO modifiziert. Denn der Beschwerdeführer soll, soweit die Rechtsschutzversicherung zahlt, keiner Forderungssperre unterliegen. Man hat ihm gerade erlaubt, seine gegen den Kläger entstandenen Ansprüche zu realisieren. Davon profitiert die Staatskasse. Sie kann sich von vornherein auf eine Lückenschließung beschränken und muss nicht dem Beschwerdeführer die vollen Gebühren zahlen. Bei der Quantifizierung dieser Lücke darf die Staatskasse aber nicht ihre eigenen Maßstäbe anwenden. Denn maßgebend dafür ist das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Mandanten; dieses muss vom Rechtsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und der Staatskasse streng unterschieden werden.
d) Die Staatskasse ist an diese besonderen Regelungen des Prozessgerichts, die das Problem der Vermögensanrechnung auf die Leistungsschiene verlagern, gebunden. Die Bindungswirkung ergibt sich allein schon daraus, dass die besonderen Bestimmungen des Prozessgerichts nicht nichtig sind (trotz der Abweichungen vom Grundkonzept des PKH-Rechts hält der Senat sie angesichts der engen Zweckbindung der Versicherungsleistungen auch für noch gesetzeskonform). Im Kostenfestsetzungsverfahren darf die Entscheidung des Prozessgerichts nicht "auf kaltem Weg" abgeändert oder auch nur angetastet werden. Während die Bestimmung der Vergütungshöhe ansonsten dem Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG überlassen bleibt, besteht im vorliegenden Fall keine Dispositionsbefugnis insoweit; denn das Prozessgericht hat dies in seiner Entscheidung bindend vorweggenommen. Die Staatskasse hat die Regelungen des Prozessgerichts auszuführen. Dazu gehört auch die Bestimmung des Prozessgerichts, dass dem Kläger auf jeden Fall die Selbstbeteiligung in Höhe von 300 EUR auszugleichen ist. Dies kann nur in der Form geschehen, dass die 300 EUR dem Beschwerdeführer als "Restvergütung" überwiesen werden.
Das Defizit in Höhe von 300 EUR besteht im Übrigen nicht nur rechnerisch, sondern real. Denn die Rechtsschutzversicherung hat 300 EUR weniger gezahlt, als der Beschwerdeführer an Vergütung beansprucht. Insoweit steht der Staatskasse nicht die Befugnis zu, die Deckungslücke unter Hinweis auf ihre eigene Vergütungsberechnung zu negieren. Wenn sich der Dissens bezüglich der Höhe der Vergütung - mit welchem Ergebnis auch immer - auflöst, verbleiben dem Kläger stets 300 EUR, die er selbst tragen muss. Gegebenenfalls hat der Beschwerdeführer Überzahlungen der Rechtsschutzversicherung zurückzuerstatten. Wie er in seiner Begründung zutreffend bemerkt hat, dürfen just aus diesem Grund keine von der Rechtsschutzversicherung erbrachten Überzahlungen zur Deckung der 300 EUR verwendet werden.
Die Abänderungsbefugnis nach § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO rechtfertigt die Regelungen der Urkundsbeamtin und der Kostenrichterin nicht. Denn die Abänderung kann ohnehin nur durch das Prozessgericht erfolgen. Zum anderen läge eine relevante Änderung der Verhältnisse nur dann vor, wenn die Deckungslücke als solche geringer ausfiele als 300 EUR (dass die Rechtsschutzversicherung einen höheren Betrag als erwartet ausgezahlt hat, reicht dafür nicht). Somit hat sich im vorliegenden Fall keinerlei Veränderung der Verhältnisse im Sinn von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO ergeben.
e) Obwohl das Prozessgericht selbst im Beschluss vom 12.07.2010 dafür gesorgt hat, dass Zahlungen der Rechtsschutzversicherung nicht in irgendeiner Weise auf die von der Staatskasse zu erbringende Restleistung angerechnet werden, weist der Senat der Vollständigkeit halber darauf hin, dass dies im Einklang mit dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 RVG steht. Danach werden Zahlungen, die der Rechtsanwalt erhält, zunächst auf den Anspruch auf die Wahlanwaltsvergütung angerechnet.
f) Da die Selbstbeteiligung des Klägers auch anteilige Umsatzsteuer umfasst, muss es sich auch bei den 300 EUR, die dem Beschwerdeführer noch zuzusprechen sind, um einen Bruttobetrag handeln.
2. Zinsen
Der geltend gemachte Zinsanspruch steht dem Beschwerdeführer dagegen nicht zu. Eine Verzinsung kann nur erfolgen, wenn hierfür eine besondere Rechtsgrundlage existiert. Das ist nicht der Fall. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist nicht, auch nicht analog anzuwenden; gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG gilt nur § 104 Abs. 2 ZPO entsprechend.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu leistende Vergütung wird auf 300 EUR (Umsatzsteuer eingeschlossen) festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdeführer vertrat den damaligen Kläger in einem rentenversicherungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth (S 16/17 R 639/09), wobei er diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet worden war. Der Kläger war rechtsschutzversichert, musste aber nach den Versicherungsbedingungen eine Selbstbeteiligung von 300 EUR leisten. Im PKH-Bewilligungsbeschluss vom 12.07.2010 beschränkte das Prozessgericht die PKH auf die Übernahme der Selbstbeteiligung sowie auf die Übernahme der Terminsauslagen gemäß Nr. 7003 ff. VV RVG.
Nach Erledigung des Klageverfahrens zahlte die Rechtsschutzversicherung dem Beschwerdeführer 892,50 EUR (u.a. Verfahrensgebühr 250 EUR, Terminsgebühr 200 EUR, Einigungsgebühr 280 EUR) abzüglich der Selbstbeteiligung von 300 EUR, insgesamt also 592,50 EUR. Die Urkundsbeamtin errechnete demgegenüber einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse von nur 547,40 EUR; dabei setzte sie keine Terminsgebühr und die Einigungsgebühr nur in Höhe von 190 EUR an. Die Zahlung der Selbstbeteiligung lehnte die Urkundsbeamtin mit der Begründung ab, die Rechtsschutzversicherung habe ohnehin mehr gezahlt, als dem Beschwerdeführer nach ihrer Berechnung zustehe (Regelung vom 02.03.2012). Die Erinnerung des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg (Beschluss der Kostenrichterin vom 15.03.2012).
Gegen den Beschluss der Kostenrichterin richtet sich die Beschwerde (eingelegt am 02.04.2012). Zur Begründung hat der Beschwerdeführer vorgetragen, die Nichtzahlung der 300 EUR würde praktisch eine Abänderung des PKH-Bewilligungsbeschlusses bedeuten; dies sei aber unzulässig. Der Kläger habe die Selbstbeteiligung ja tatsächlich zu leisten. Dem Sozialgericht stehe es nicht zu, seine Berechnung der Vergütung nach §§ 45 ff. RVG auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und ihm, dem Beschwerdeführer, zum Maßstab zu machen. Selbst wenn er keine Terminsgebühr beanspruchen könne, so der Beschwerdeführer, sei es der Staatskasse verwehrt, die Zuvielzahlung seitens der Rechtsschutzversicherung als einzusetzendes Vermögen zu behandeln; denn diese habe er der Rechtsschutzversicherung zu erstatten.
Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 16/17 R 639/09 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist größten Teils begründet. Dem Beschwerdeführer steht in der Tat die Zahlung von 300 EUR inklusive Mehrwertsteuer gegen die Staatskasse zu (vgl. dazu im Folgenden 1.). Er hat jedoch keinen Anspruch auf Verzinsung (vgl. dazu im Folgenden 2.).
1. Selbstbeteiligung
Die Staatskasse vertritt sinngemäß den Standpunkt, was die Rechtsschutzversicherung ausgezahlt habe, sei als Vermögen einzusetzen. Dabei zieht sie als prozesskostenhilferechtlichen "Bedarf" den Betrag heran, den sie selbst ermittelt hat, d.h. ohne Terminsgebühr und mit wesentlich niedrigerer Einigungsgebühr. Das einzusetzende Vermögen in Höhe von 592,50 EUR, so die Staatskasse weiter, übersteige aber den "Bedarf", den sie auf insgesamt 547,40 EUR beziffert. Da sie sich dazu berechtigt sieht, die Zahlungen der Rechtsschutzversicherung auf den auf diese Weise von ihr ermittelten Bedarf anzurechnen, kommt die Staatskasse zum Ergebnis, dem Beschwerdeführer stünde kein Zahlungsanspruch gegen sie zu.
Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
a) Er geht allerdings mit dem Sozialgericht und der ganz herrschenden Meinung insoweit konform, dass die vorliegende Problematik, dass zwar einerseits eine Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung vorliegt, dass aber andererseits der Kläger eine Selbstbeteiligung zu erbringen hat, grundsätzlich auf der Schiene des Einsatzes von Vermögen (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 115 Abs. 3 ZPO - auf die Nennung von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG wird im Folgenden verzichtet) zu lösen ist. Von daher besteht keine Veranlassung, den Fall unter der Prämisse durchzudenken, dass gerade kein verwertbares Vermögen vorliegt, sondern die Kosten der Prozessführung im Sinn von § 115 Abs. 4 ZPO von vornherein auf die Selbstbeteiligung beschränkt sind.
b) Allerdings vollziehen sich die Leistungserbringung und der Einsatz von Vermögen prinzipiell anders, als es hier geschehen ist. Liegt einsetzbares Vermögen vor, wird PKH aber nach Prüfung von § 115 Abs. 4 ZPO gleichwohl bewilligt, erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen eigenständigen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Unabhängig davon entstehen aber auch Gebühren aufgrund des Anwaltsvertrages mit dem Mandanten; nach Maßgabe von § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO tritt insoweit allerdings eine Forderungssperre ein. Die Forderungssperre umfasst alle (auch schon vor der Beiordnung entstandenen) Gebühren, die auch gegen die Staatskasse entstehen. Die infolge der Beiordnung gegen sie entstandene Vergütung muss die Staatskasse ohne Kürzungen an den Rechtsanwalt auszahlen. Das bedeutet, dass sie nicht befugt ist, irgendwelche Ansprüche gegen den Kläger auf Zahlungen aus dessen Vermögen zu verrechnen. Die Staatskasse kann ihre Ausgaben nur dadurch ausgleichen, dass sie Zahlungen aus dem Vermögen vom Kläger einzieht, die allerdings das Prozessgericht im PKH-Bewilligungsbeschluss ausdrücklich angeordnet haben muss. Sind solche Zahlungen nicht angeordnet, ist die Staatskasse nicht befugt, von sich aus Beträge unter Rekurs auf die Pflicht, Vermögen einzusetzen, einzubehalten. Überhaupt ist das PKH-Leistungsrecht nicht für das Prozessgericht, geschweige denn für die Staatskasse, frei disponibel. Vielmehr werden die "Leistungen" in § 122 ZPO und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Nach dem Gesetz sieht allein § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit individueller Anordnungen seitens des Gerichts vor; dieser Fall ist hier nicht einschlägig. Im Übrigen aber stehen keine Variationsmöglichkeiten je nach Einzelfall zur Verfügung. Entgegen dem ersten Anschein ermöglicht § 48 Abs. 1 RVG nicht die freie Ausgestaltung der Leistungen durch das Gericht; die Vorschrift regelt vielmehr nur die gegenständliche Reichweite des Vergütungsanspruchs (vgl. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 48 Rn. 3).
Würde man diese grundsätzlich nicht abdingbaren Vorgaben des Leistungsrechts im vorliegenden Fall eins zu eins umsetzen, hätte das Prozessgericht an sich PKH uneingeschränkt bewilligen, daneben aber gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO Zahlungen aus dem Vermögen durch den Kläger anordnen müssen, die dem von der Rechtsschutzversicherung zu erlösenden Betrag entsprächen. Hätte das Prozessgericht dies getan, bestünde für die Staatskasse in der Tat eventuell die Möglichkeit, sich "schadlos" zu halten. Denn sie würde womöglich die von ihr errechneten 547,40 EUR an den Beschwerdeführer auszahlen, andererseits aber einen entsprechenden Zahlungsanspruch gegen den Kläger (aus dessen Vermögen) haben. Zu einer eigenmächtigen Verrechnung des gegen den Kläger bestehenden Anspruchs gegen den Vergütungsanspruch des Anwalts wäre die Staatskasse aber keinesfalls befugt; sie dürfte nicht die Vergütung an den Anwalt zurückhalten, weil ihr ein entsprechender Gegenanspruch gegen den Kläger zusteht.
c) Die Regelung, die das Prozessgericht hier im Rahmen der PKH-Bewilligung tatsächlich getroffen hat, weicht in mehrfacher Weise von diesen allgemeinen Prinzipien ab: Zum einen wird der aus dem Vermögen zu zahlende Betrag entgegen der üblichen Praxis nicht positiv beziffert, sondern quasi negativ über die verbleibende Deckungslücke definiert. Zum anderen hat das Prozessgericht im Beschluss vom 12.07.2010 eine Art Verrechnung vorgenommen; auf die dem Beschwerdeführer an sich zustehende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG hat das Prozessgericht das, was der Kläger an sich als Zahlung nach § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO leisten müsste, angerechnet. Auch wenn es sich vom Grundsatz her um die Anrechnung von Vermögen handelt, so hat das Prozessgericht diese bei der Bemessung des Leistungsanspruchs realisiert. Denn die Vergütung für den Beschwerdeführer wird entgegen den gesetzlichen Vorgaben "gedeckelt". Das Prozessgericht hat festgelegt, dass die Staatskasse auf jeden Fall für die Deckungslücke aufzukommen hat. Eine Abweichung zur allgemeinen Praxis der Vermögensberücksichtigung liegt auch darin, dass das Prozessgericht den Freibetrag zum Schutz kleiner Barbeträge gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 SGG i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII nicht angewandt hat.
Zusammenfassend hat die Entscheidung des Prozessgerichts bewirkt, dass sich die Vermögensanrechnung (im weiteren Sinn) im Leistungsbereich manifestiert. Vor allem aber hat das Prozessgericht auch § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO modifiziert. Denn der Beschwerdeführer soll, soweit die Rechtsschutzversicherung zahlt, keiner Forderungssperre unterliegen. Man hat ihm gerade erlaubt, seine gegen den Kläger entstandenen Ansprüche zu realisieren. Davon profitiert die Staatskasse. Sie kann sich von vornherein auf eine Lückenschließung beschränken und muss nicht dem Beschwerdeführer die vollen Gebühren zahlen. Bei der Quantifizierung dieser Lücke darf die Staatskasse aber nicht ihre eigenen Maßstäbe anwenden. Denn maßgebend dafür ist das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Mandanten; dieses muss vom Rechtsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und der Staatskasse streng unterschieden werden.
d) Die Staatskasse ist an diese besonderen Regelungen des Prozessgerichts, die das Problem der Vermögensanrechnung auf die Leistungsschiene verlagern, gebunden. Die Bindungswirkung ergibt sich allein schon daraus, dass die besonderen Bestimmungen des Prozessgerichts nicht nichtig sind (trotz der Abweichungen vom Grundkonzept des PKH-Rechts hält der Senat sie angesichts der engen Zweckbindung der Versicherungsleistungen auch für noch gesetzeskonform). Im Kostenfestsetzungsverfahren darf die Entscheidung des Prozessgerichts nicht "auf kaltem Weg" abgeändert oder auch nur angetastet werden. Während die Bestimmung der Vergütungshöhe ansonsten dem Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG überlassen bleibt, besteht im vorliegenden Fall keine Dispositionsbefugnis insoweit; denn das Prozessgericht hat dies in seiner Entscheidung bindend vorweggenommen. Die Staatskasse hat die Regelungen des Prozessgerichts auszuführen. Dazu gehört auch die Bestimmung des Prozessgerichts, dass dem Kläger auf jeden Fall die Selbstbeteiligung in Höhe von 300 EUR auszugleichen ist. Dies kann nur in der Form geschehen, dass die 300 EUR dem Beschwerdeführer als "Restvergütung" überwiesen werden.
Das Defizit in Höhe von 300 EUR besteht im Übrigen nicht nur rechnerisch, sondern real. Denn die Rechtsschutzversicherung hat 300 EUR weniger gezahlt, als der Beschwerdeführer an Vergütung beansprucht. Insoweit steht der Staatskasse nicht die Befugnis zu, die Deckungslücke unter Hinweis auf ihre eigene Vergütungsberechnung zu negieren. Wenn sich der Dissens bezüglich der Höhe der Vergütung - mit welchem Ergebnis auch immer - auflöst, verbleiben dem Kläger stets 300 EUR, die er selbst tragen muss. Gegebenenfalls hat der Beschwerdeführer Überzahlungen der Rechtsschutzversicherung zurückzuerstatten. Wie er in seiner Begründung zutreffend bemerkt hat, dürfen just aus diesem Grund keine von der Rechtsschutzversicherung erbrachten Überzahlungen zur Deckung der 300 EUR verwendet werden.
Die Abänderungsbefugnis nach § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO rechtfertigt die Regelungen der Urkundsbeamtin und der Kostenrichterin nicht. Denn die Abänderung kann ohnehin nur durch das Prozessgericht erfolgen. Zum anderen läge eine relevante Änderung der Verhältnisse nur dann vor, wenn die Deckungslücke als solche geringer ausfiele als 300 EUR (dass die Rechtsschutzversicherung einen höheren Betrag als erwartet ausgezahlt hat, reicht dafür nicht). Somit hat sich im vorliegenden Fall keinerlei Veränderung der Verhältnisse im Sinn von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO ergeben.
e) Obwohl das Prozessgericht selbst im Beschluss vom 12.07.2010 dafür gesorgt hat, dass Zahlungen der Rechtsschutzversicherung nicht in irgendeiner Weise auf die von der Staatskasse zu erbringende Restleistung angerechnet werden, weist der Senat der Vollständigkeit halber darauf hin, dass dies im Einklang mit dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 RVG steht. Danach werden Zahlungen, die der Rechtsanwalt erhält, zunächst auf den Anspruch auf die Wahlanwaltsvergütung angerechnet.
f) Da die Selbstbeteiligung des Klägers auch anteilige Umsatzsteuer umfasst, muss es sich auch bei den 300 EUR, die dem Beschwerdeführer noch zuzusprechen sind, um einen Bruttobetrag handeln.
2. Zinsen
Der geltend gemachte Zinsanspruch steht dem Beschwerdeführer dagegen nicht zu. Eine Verzinsung kann nur erfolgen, wenn hierfür eine besondere Rechtsgrundlage existiert. Das ist nicht der Fall. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist nicht, auch nicht analog anzuwenden; gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG gilt nur § 104 Abs. 2 ZPO entsprechend.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
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