L 13 R 1080/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 813/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1080/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1955 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war als Fabrikarbeiterin und zuletzt bis März 2002 als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt; derzeit bezieht sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Ein erster Rentenantrag vom 8. Mai 2008 wurde nach Einholung eines Gutachtens bei dem Arzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sportmedizin Dr. F. mit Bescheid vom 4. August 2008 abgelehnt. Dr. F. hatte in seinem Gutachten vom 29. Juli 2008 angegeben, die Klägerin leide unter einem chronisch rezidivierenden pseudoradikulären Lumbalsyndrom bei mäßigen degenerativen Veränderungen und polyetageren Bandscheibenschädigungen mäßiger Ausprägung, aktuell ohne Hinweis auf Nervenausfallerscheinungen oder Nervenwurzelreizerscheinungen, Schmerzzuständen verschiedener Gelenke ohne pathologisches Korrelat, Hallux rigidus rechts bei Zustand nach Hallux valgus-Operation 2002 und mäßigem Übergewicht. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt liege ein vollschichtiges Leistungsvermögen vor, wobei Einschränkungen hinsichtlich des Bewegungs- und Haltungsapparats zu berücksichtigen seien.

Am 23. Dezember 2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, zu dessen Begründung sie u.a. eine Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin B. vom 17. Dezember 2009 vorlegte. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch den Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. B., der unter dem 6. April 2010 ein Gutachten erstellte. Er gab an, die Klägerin leide unter einem chronisch-rezidivierenden Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen und rechts lateralem Bandscheibenvorfall L1/L2, chronischem Knieschmerz rechts bei Osteochondrosis dissecans der medialen Femurcondyle und dem Zustand nach Knorpel-/Knochentransplantation am rechten Kniegelenk, einem Halswirbelsäulensyndrom bei statisch-myalgischer Insuffizienz, einer Epicondylitis humeri radialis des rechten Ellenbogengelenks und einer Fehlstellung der rechten Großzehe nach Hallux-Operation bei Senk-Spreizfuß beidseits. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten ohne dauernde Arbeiten in gebückter Haltung, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, ohne stehende und gehende Arbeiten mit einer gehäuften Belastung durch Klettern und Steigen auf Leitern, Treppen und Gerüsten vollschichtig verrichten. Voraussetzung für diese Leistungsbeurteilung sei, dass die im April geplante Knieoperation gut verlaufe und die zum Zeitpunkt der Begutachtung bestehenden funktionellen Einschränkungen dadurch wieder gebessert werden könnten. Durch diese Einschränkung von Seiten des rechten Kniegelenks sei auch die Wegefähigkeit im rentenrechtlichen Sinn zur Zeit eingeschränkt, sodass eine endgültige Beurteilung des Leistungsvermögens erst nach Abheilung des rechten Kniegelenks erfolgen könne. Mit Bescheid vom 18. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Nach Würdigung aller Umstände, der vorliegenden medizinischen Unterlagen und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Widerspruchsverfahren seien der Klägerin leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen oder Stehen, ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel 12 kg zumutbar), ohne häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Knien/Hocken, ohne häufiges Klettern und Steigen und ohne häufiges Überkopfarbeiten mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Fabrikarbeiterin sei dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen; die Klägerin müsse sich deshalb auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen. Da der Klägerin derartige Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar seien, sei sie nicht berufsunfähig.

Am 28. März 2011 hat die Klägerin hiergegen Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch Befragung der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin B. als sachverständige Zeugin sowie Einholung eines Gutachtens bei dem Orthopäden und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H ... Die Allgemeinmedizinerin B. hat unter dem 10. Juni 2011 angegeben, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen mit weiteren qualitativen Einschränkungen seien drei Stunden täglich möglich. In seinem Gutachten vom 4. Dezember 2011 hat Dr. H. ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine schmerzhafte Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Begleiterscheinungen bei mäßiggradigen diffusen Bandscheibendegenerationen, eine schmerzhafte Funktionsstörung des rechten Kniegelenks nach Untergang von Knorpelknochengewebe im Belastungsbereich der inneren Oberschenkelrolle und nach Knorpelknochentransplantation, eine schmerzhafte Funktionsstörung sämtlicher Langfinger bei mäßiggradigen arthrotischen Veränderungen in den Langfingermittelgelenken 2 und 3 beidseits, eine schmerzhafte Funktionsstörung beider Großzehengrundgelenke nach dauerhafter Fehlstellung der rechten Großzehe postoperativ; außerhalb des orthopädischen Fachgebiets lägen wohl eine Neigung zu chronischen Bronchitiden nach langjährigem Nikotinkonsum und Oberbauchbeschwerden bei Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre vor. Leichte bis gelegentlich kurzfristig mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in unterschiedlichen Körperhaltungen mit gelegentlichem kurzfristigen Heben und Tragen von Lasten bis 15 kg in stabilisierter aufrechter Rumpfhaltung oder bis fünf kg in Rumpfvor- oder -seitneigung, mit gelegentlichem Treppensteigen in einer Größenordnung von ein bis zwei Stockwerken, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne besondere Belastungen für die Knie durch Arbeiten in der Hockstellung oder im Knien sowie Arbeiten, die mit Sprungbelastungen einhergingen, ohne Arbeiten auf sehr unebenem oder rutschigem Untergrund, ohne grob- oder feinmechanisch besonders anspruchsvolle Arbeiten, ohne Arbeiten in sehr nasskalter Umgebung (Eiswasser), bei Arbeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft mit geeigneter Schutzkleidung, aber ohne ständigen Wechsel zwischen Wärme- und Kältezonen, wegen des Erfordernisses von regelmäßigem Wechsel der Körperhaltung ohne Arbeiten unter Akkord- und Fließbandbedingungen und ohne Arbeiten im Schichtdienst seien vollschichtig zumutbar. Aus orthopädisch-gutachterlicher Sicht gebe es keine überzeugende Begründung dafür, dass die Klägerin unzumutbare Schmerzen entwickeln würde. Trotz der unstreitigen Strukturschäden im rechten Knie gehe er davon aus, dass die Klägerin in der Lage wäre, arbeitstäglich vierfach eine Gehstrecke von über 500 m in 20 Minuten zurückzulegen. Für eine Wegstrecke von 500 m sollte sie gegebenenfalls mit Hilfe von einer oder zwei Gehstützen deutlich weniger als 20 Minuten benötigen.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Sie könne noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit einigen qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich verrichten. Das SG stützt sich insoweit im Wesentlichen auf das im Wege des Urkundenbeweises verwertete Gutachten von Dr. B. sowie das Gerichtsgutachten von Dr. H ... Die bei der Klägerin vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen führten zwar dazu, dass nur noch leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen möglich seien, diese aber mindestens sechs Stunden arbeitstäglich. Da die Klägerin zuletzt als Fabrikarbeiterin, somit als ungelernte Arbeiterin bzw. angelernte Arbeiterin des unteren Bereichs im Sinne des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts beschäftigt gewesen sei, sei sie breit verweisbar mit der Folge, dass auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Die Klägerin sei auch wegefähig. Das folge aus dem Gutachten von Dr. H.; den von Dr. B. geäußerten Bedenken sei angesichts der aktuellen Beurteilung durch Dr. H. nicht zu folgen.

Gegen den am 24. Februar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 13. März 2012 Berufung eingelegt. Die Klägerin sei nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten sechs Stunden am Tag zu verrichten. Die Beeinträchtigungen seien keinesfalls lediglich qualitativ einschränkend, sondern beinhalteten eine vollständige Erwerbsminderung der Klägerin. Aufgrund der vorhandenen Funktionsstörung der Wirbelsäule, einer weiteren schmerzhaften Funktionsstörung des rechten Kniegelenks und einer schmerzhaften Funktionsstörung sämtlicher Langfinger und auch der Großzehen sowie einer Beeinträchtigung am Ellenbogengelenk und einer Neigung zu chronischer Bronchitis sei insgesamt davon auszugehen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einmal drei Stunden täglich zur Verfügung stehe. Ferner sei die Wegefähigkeit in erheblichem Ausmaß eingeschränkt. Da die Klägerin keinen Führerschein habe, könne sie auch nicht mit einem Kraftfahrzeug den Weg zur Arbeit zurücklegen. Dass die Klägerin im Sinne des Mehrstufenschemas in die niedrigste Gruppe als ungelernte Arbeiterin eingestuft werde, werde anerkannt. Dennoch sei die Klägerin nicht im Ansatz in der Lage, eine Wegstrecke von 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Vorgelegt wird eine ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin Dr. M. vom 15. Januar 2013, wonach bei der Klägerin aufgrund chronischer Schmerzen bei degenerativen Veränderungen der LWS, rechts lateralem Diskusprolaps Höhe L 1/2 und einer Spinalstenose sowie Schulterschmerzen zur Erleichterung der Gehfähigkeit die Benutzung eine Rollators notwendig sei. Außerdem wird ein Bericht der Klinken Landkreis S., Kreiskrankenhaus B. S., vom 14. August 2012 über einen stationären Aufenthalt vom 6. bis zum 14. August 2012 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. Februar 2012 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2011 der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab Antragstellung am 23. Dezember 2009 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat den Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin und Facharzt für Orthopädie Dr. E. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach der Untersuchung der Klägerin am 25. Juni 2012 hat dieser angegeben, die Klägerin leide auf orthopädischem Fachgebiet unter folgenden Gesundheitsstörungen: &61485; Chronische Lumbalgie bei Verschleiß der Wirbelkörper und Bandscheiben mit Bandscheibenvorfall L 1/2 &61485; Diskrete rechtskonvexe Lendenwirbelsäulenskoliose mit Hyperlordose, &61485; HWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkung mit rezidivierenden Ausstrahlungen rechts ohne Anhalt für Nervenkompression bei Steilstellung und Verschleiß der Wirbelkörper, Bandscheiben und Wirbelbogengelenke, &61485; Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit und Oberschenkelmuskelatrophie rechts bei Retropatellararthrose rechts mehr als links, Genu valgum beidseits und medialer Gonarthrose rechts, &61485; Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke beidseits bei altersentsprechendem radiologischem Befund bei Coxa valga beidseits, &61485; Digitus superductus D 1 über D 2 rechts mit Bewegungseinschränkung Grundgelenk D 1, &61485; Hallux rigidus D 1 beidseits mit Fehlstellung und Bewegungseinschränkung u.a. nach Zehenoperation rechts, &61485; Fingerendgelenksarthrose (Heberdenarthrose) D 3 rechts sowie D 2 und D 3 links, &61485; Mittelgelenksarthrose der Finger (Bouchardarthrose) D 2 rechts und D 3 links, &61485; Sensibilitätsstörung rechtes Bein ohne Anhalt für Nervenkompression, &61485; chronisches Schmerzsyndrom. Leichte grob motorische Frauenarbeiten im selbst bestimmten Wechselrhythmus zwischen Sitzen, Gehen und Stehen in geschlossenen Räumen ohne Zeitdruck seien möglich. Zwangshaltungen, Tätigkeiten im Knien und Überkopfarbeiten sowie häufiges Bücken seien zu meiden. Eine Tätigkeit entsprechend des positiven Leistungsbildes sei vollschichtig zumutbar mit einer Wegstrecke bis zu zwei Mal 500 Meter am Tag.

Der Senat hat weiter die behandelnde Neurologin der Klägerin Dr. B.-L. schriftlich als sachverständige Zeugin vernommen. Diese hat angegeben, die Klägerin am 15. Juni 2004, am 10. Februar 2005, am 8. Mai 2006 und zuletzt am 14. Dezember 2012 untersucht zu haben. Die Untersuchung am 14. Dezember 2012 habe die Verdachtsdiagnose eines chronischen Schmerzsyndroms sowie den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung und einen Schmerzmittelmissbrauch ergeben. Die Klägerin könne bei den vorliegenden Gesundheitsstörungen eine leichte, einfache und vollschichtige Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie Verpacken leichter Industrie- und Handelserzeugnisse oder Prüfen, Montieren oder Sortieren solcher Gegenstände oder eine andere leichte Tätigkeit verrichten.

Der Klägervertreter hat sich mit Schriftsatz vom 18. April 2013, die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. April 2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Rentenantrag der Klägerin vom 23. Dezember 2009 ablehnende Bescheid vom 18. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2011. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Im Berufungsverfahren nicht mehr begehrt wird die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzen fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Dass bei der Klägerin das berufliche Leistungsvermögen jedenfalls für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von sechs Stunden täglich gegeben ist, hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise, insbesondere des gerichtlichen Sachverständigengutachtens von Dr. H. sowie des im Rahmen des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten von Dr. B. festgestellt. Der Senat schließt sich daher den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheids vom 15. Februar 2012, insbesondere auch der dort vorgenommenen Beweiswürdigung an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch die im Rahmen des Berufungsverfahrens durchgeführten Ermittlungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Durch das auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin nach § 109 SGG eingeholte Gutachten bei Dr. E. wird vielmehr das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bestätigt. Auch Dr. E. kommt zu dem Schluss, dass bei der Klägerin eine rentenberechtigende Leistungsminderung nicht gegeben ist. Die von ihm mitgeteilten Gesundheitsstörungen decken sich im Wesentlichen mit den durch Dr. H. erhobenen. Die Klägerin leidet demnach auf orthopädischem Fachgebiet unter einer chronischen Lumbalgie bei Verschleiß der Wirbelkörper und Bandscheiben mit Bandscheibenvorfall L 1/2, einer diskreten rechtskonvexen Lendenwirbelsäulenskoliose mit Hyperlordose, einem HWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkung mit rezidivierenden Ausstrahlungen rechts ohne Anhalt für Nervenkompression bei Steilstellung und Verschleiß der Wirbelkörper, Bandscheiben und Wirbelbogengelenke, einer Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit und Oberschenkelmuskelatrophie rechts bei Retropatellararthrose rechts mehr als links, Genu valgum beidseits und medialer Gonarthrose rechts, einer Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke beidseits bei altersentsprechendem radiologischem Befund bei Coxa valga beidseits, einem Digitus superductus D 1 über D 2 rechts mit Bewegungseinschränkung im Grundgelenk D 1, einem Hallux rigidus D 1 beidseits mit Fehlstellung und Bewegungseinschränkung u.a. nach Zehenoperation rechts, einer Fingerendgelenksarthrose (Heberdenarthrose) D 3 rechts sowie D 2 und D 3 links, einer Mittelgelenksarthrose der Finger (Bouchardarthrose) D 2 rechts und D 3 links, Sensibilitätsstörungen im rechten Bein ohne Anhalt für Nervenkompression und einem chronischen Schmerzsyndrom.

Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. und Dr. E., die jeweils auf einer ausführlichen Befunderhebung beruhen, steht für den Senat fest, dass die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die orthopädischen Gesundheitsstörungen für leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten nicht auf unter sechs Stunden arbeitstäglich eingeschränkt ist. Allerdings folgen aus den orthopädischen Erkrankungen qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens, so sind häufige Überkopftätigkeiten oder Tätigkeiten mit besonderer Belastung für die Knie durch Arbeiten in der Hockstellung oder im Knien sowie Arbeiten, die mit Sprungbelastungen einhergehen und Arbeiten auf sehr unebenem oder rutschigem Untergrund, Steigen auf Leitern oder Gerüsten nicht mehr leidensgerecht.

Nicht zu überzeugen vermochte sich der Senat vom Vorliegen einer das Leistungsvermögen maßgeblich einschränkenden neurologisch-psychiatrischen Erkrankung, wie sie durch die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht wird. Zwar äußert Dr. E. den dringenden Verdacht auf eine psychosomatische Erkrankung im Zusammenhang mit einer Traumatisierung und evtl. mit einer Depression, die die Leistungsfähigkeit maßgeblich einschränke. Die Klägerin befand sich nach ihren eigenen Angaben aber bislang nicht in psychiatrischer Behandlung und hat sich, nachdem die letzte Behandlung dort am 8. Mai 2006 stattfand, erstmals am 14. Dezember 2012 wieder in der Neurologischen Gemeinschaftspraxis G. R. bei Dr. B.-L. vorgestellt. Die Ärztin bestätigt die von Dr. E. geäußerte Verdachtsdiagnose eines chronischen Schmerzsyndroms sowie den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung und Schmerzmittelmissbrauch. Sie hält aber trotz der auf ihrem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen eine leichte, einfache und vollschichtige (sechs Stunden/Tag) Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts, wie Verpacken leichter Industrie- und Handelserzeugnisse oder Prüfen, Montieren oder Sortieren solcher Gegenstände oder andere leichte Hilfstätigkeiten noch für möglich und zumutbar. Auf Grundlage der Aussage der behandelnden Ärztin ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin unter einer psychiatrischen Erkrankung leidet, die das Leistungsvermögen in rentenbegründendem Ausmaß einschränkt.

Auch die vorgetragenen Unterbauchbeschwerden führen nicht zu einer rentenbegründenden Einschränkung des Leistungsvermögens. Aus dem Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses Bad Saulgau vom 14. August 2012 geht hervor, dass die Klägerin nach einer erstmals aufgetretenen Sigmadivertikulitis mit deutlicher Besserung der subjektiven Beschwerden und gleichzeitiger Normalisierung des klinischen Abdominalbefundes nach konservativer Therapie entlassen werden konnte. Eine dauerhafte Einschränkung des Leistungsvermögens lässt sich hieraus nicht ableiten.

Unter Beachtung der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen und in deren Zusammenschau ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Dabei sind die sich aus den Gutachten ergebenden und bereits durch das SG festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen zu beachten. Nicht mehr zumutbar sind Tätigkeiten, die mit Heben und Tragen von Lasten über 15 kg in stabilisierter bzw. fünf kg in Rumpfvor- oder -seitneigung, mit mehr als gelegentlichem Treppensteigen in einer Größenordnung von ein bis zwei Stockwerken, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, mit besonderer Belastungen für die Knie durch Arbeiten in der Hockstellung oder im Knien oder mit Sprungbelastungen einhergehen. Ebenfalls nicht mehr leidensgerecht sind Arbeiten, die auf sehr unebenem oder rutschigem Untergrund auszuüben und grob- oder feinmechanisch besonders anspruchsvoll sind sowie Arbeiten unter Akkord- und Fließbandbedingungen.

Die vorliegenden Einschränkungen können damit zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden.

Aus den genannten qualitativen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit ergeben sich weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl. dazu BSG Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R - Juris, Rdnr. 18 ff.) dar.

Insbesondere konnte der Senat sich von einer Einschränkung der Wegefähigkeit nicht überzeugen. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG Großer Senat vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - Juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - Juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 12/02 R - Juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - Juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – Juris). Zwar gibt Dr. M. in ihrer ärztlichen Bescheinigung vom 15. Januar 2013 an, "zur Erleichterung der Gehfähigkeit" sei für die Klägerin die Benutzung eines Rollators notwendig. Die zwingende Notwendigkeit zur Nutzung eines Rollators wird aber weder durch das Gutachten von Dr. H. noch durch das Gutachten von Dr. E. bestätigt. Beide Gutachter geben vielmehr an, dass der Klägerin sowohl die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel als auch das Zurücklegen einer Strecke von 500 Metern in einer Zeit von weniger als 20 Minuten möglich ist. Zwar wird durch die Gutachter die Notwendigkeit der Nutzung von Gehhilfen, nicht etwa eines Rollators, angenommen, was aber der Wegefähigkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht entgegensteht, da bei der Beurteilung der erforderlichen Mobilität auch alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zu berücksichtigen sind. Nicht nachvollziehbar und im Ergebnis nicht überzeugend ist für den Senat, warum Dr. E. eine Gehstrecke von 500 Metern in 20 Minuten nur zwei Mal täglich für zumutbar erachtet. Eine Begründung hierfür nennt der Gutachter nicht, weshalb sich der Senat insoweit der Einschätzung von Dr. H. anschließt, der trotz der strukturellen Knieschädigungen eine Wegestrecke auch vier Mal täglich für zumutbar erachtet.

Die Klägerin hat demnach weder Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin im Ergebnis erfolglos geblieben ist und die Beklagte zur Klage keinen berechtigten Anlass gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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