Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 35/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Begriff des Unfalls ist bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls in drei Schritte zu unterteilen. Es ist zu prüfen, ob
1. ein Ereignis, als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorgelegen hat (äußeres/einwirkendes Ereignis),
2. ein Gesundheits-erst-schaden (zeitnah) eingetreten ist und
3. dieser Erstschaden durch das einwirkende Ereignis nach der Theorie der we-sentlichen Bedingung wesentlich verursacht worden ist (haftungsbegründende Kausalität).
2. Für die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung - als Folge eines Arbeitsunfalles - muss das „A2“-Kriterium im Vollbeweis gesichert werden. Nur dann liegt der den seelischen Traumaprozess auslösende Gesundheitserstscha-den vor, der in der Folge eine unfallbedingte posttraumatische Belastungsstörung verursachen kann.
3. Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächlich immer ein „Dritter“ bei dem belastenden Ereignis anwesend sein muss, um die subjektiven A2-Voraussetzungen - Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen – als Zeuge bestätigen zu können. Diese psychovegetativen körperlichen Reaktionen auf ein erheblich belastendes erlebtes Ereignis können auch (im Vollbeweis) durch schlüssiges eigenes „Schildern“ des Weiteren zeitnahen Verlaufes bzw. im Rahmen der ersten zeitnahen medizinischen Behandlungen bewiesen werden. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung, die anhand der feststellbaren Tatsachen zu erfolgen hat.
1. ein Ereignis, als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorgelegen hat (äußeres/einwirkendes Ereignis),
2. ein Gesundheits-erst-schaden (zeitnah) eingetreten ist und
3. dieser Erstschaden durch das einwirkende Ereignis nach der Theorie der we-sentlichen Bedingung wesentlich verursacht worden ist (haftungsbegründende Kausalität).
2. Für die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung - als Folge eines Arbeitsunfalles - muss das „A2“-Kriterium im Vollbeweis gesichert werden. Nur dann liegt der den seelischen Traumaprozess auslösende Gesundheitserstscha-den vor, der in der Folge eine unfallbedingte posttraumatische Belastungsstörung verursachen kann.
3. Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächlich immer ein „Dritter“ bei dem belastenden Ereignis anwesend sein muss, um die subjektiven A2-Voraussetzungen - Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen – als Zeuge bestätigen zu können. Diese psychovegetativen körperlichen Reaktionen auf ein erheblich belastendes erlebtes Ereignis können auch (im Vollbeweis) durch schlüssiges eigenes „Schildern“ des Weiteren zeitnahen Verlaufes bzw. im Rahmen der ersten zeitnahen medizinischen Behandlungen bewiesen werden. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung, die anhand der feststellbaren Tatsachen zu erfolgen hat.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. &8195;
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 ein Arbeitsunfall ist.
Der 1963 geborene Kläger ist gelernter Kraftfahrer und war seit 1994 als Geldtrans-porterfahrer bei der H. Sparkasse beschäftigt.
Am 5. Oktober 2010 wurde der Beklagten telefonisch angezeigt, dass der Kläger möglicherweise im Jahr 1996 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Zur Zeit der telefonischen Anzeige befand sich der Kläger wegen psychosomatischer Beschwerden in einer stationären Rehabilitation. Die Beklagte leitete daraufhin umfangreiche Ermittlungen ein. Die Ermittlungen ergaben unter anderem, dass der Kläger am 19. Dezember 1996 eine Filiale der H1 mit Geld beliefern sollte, als diese Filiale gerade überfallen wurde.
Weiter ermittelte die Beklagte, dass sich der Kläger vom 27. Oktober 1999 bis 17. November 1999 aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden in der Rehbergklinik in S. zulasten der Rentenversicherung aufgehalten hatte. Dort gab er unter anderem an, dass er im November 1998 einen Arbeitsunfall (ein Verkehrsunfall) mit anschließenden Wirbelsäulenbeschwerden und im Februar 1999 einen weiteren Arbeitsunfall mit Stauchung des linken Fußgelenks, jeweils ohne Knochenverletzungen, erlitten hatte. Eine neurologisch-psychiatrische Beschwerdeangabe fand nicht statt.
Vom 25. Oktober 2005 bis zum 22. November 2005 befand sich der Kläger in der Rheumaklinik B. wiederum aufgrund orthopädischer Leiden. Auch hier wurden keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden angegeben.
Vom 15. April 2008 bis 13 Mai 2008 befand sich der Kläger wegen Lendenwirbelsäulen-beschwerden erneut in der Rheumaklinik B ... Auch bei diesem Aufenthalt wurden keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden geäußert.
Aus der Unfallanzeige vom 9. Dezember 2010 ergibt sich, dass der Kläger seine Arbeit ab dem 28. Januar 2010 eingestellt hatte und seitdem durchgehend arbeitsunfähig ist. Als Grund wurde hier das Überfallgeschehen vom 19. Dezember 1996 genannt. In der polizeilichen Vernehmung des Klägers vom Tage des Ereignisses gab dieser wörtlich an: "Heute, 19.12.1996, gegen 12:45 Uhr, kam ich aus R. von der Filiale x1 und wollte Geld in die Filiale x2, S.-Straße, bringen. Ich wendete vor der Bank und stellte mich auf den Gehweg, da kein Parkplatz frei war. Dabei bemerkte ich, dass eine Angestellte innen an der Eingangstür stand. Das ist ungewöhnlich. Mehrere Leute standen im Lottogeschäft nebenan und guckten aus dem Fenster. Ein Mann trat heraus und sagte zu mir "da ist gerade ein Überfall". Ich packte sofort meine Geldkassette wieder in den Wagen, setzte mich hinters Steuer, ließ den Motor an und wollte wegfahren, damit ich nicht auch noch überfallen werde. Schließlich hatte ich viel Geld und Werte im Wagen. Außerdem wollte ich die Zentrale über Funk verständigen. Ein Angestellter der H1 kam mir entgegen. Ich sah ihn, wartete und er setzte sich auf den Beifahrersitz. Er sagte "ich habe sie verfolgt, ich habe gesehen, dass sie in einen Wagen gestiegen sind". Er zeigt auf den Parkplatz der Nebenfahrbahn zur S.-Straße stadtauswärts. Ich fuhr den Gehweg herunter auf die Straße, und das einzige Fahrzeug, das in diesem Moment los fuhr, war ein weißer Opel Kadett. Darin saßen zwei Personen, und wir waren sicher, dass es das Täterfahrzeug war. Wir verfolgten das Fahrzeug, und ich gab über Funk das Kennzeichen an die Zentrale durch und auch den Überfall, ganz allgemein. Wir hielten jetzt etwas Abstand, so dass die Verfolgung nicht weiter auffiel, aber so, dass wir das Fahrzeug nicht verloren. Das Fahrzeug fuhr auf das Krankenhausgelände des Krankenhauses R., wir hinterher. Da ich mittlerweile wusste, dass die Personen mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, konnten wir nicht allzu nah heran. Auf dem Gelände haben wir die Personen verloren, wir konnten sie nirgends entdecken, also fragten wir den Pförtner, ob ein weißer Kadett gerade vom Krankenhausgelände gefahren ist. Er sagte "Ja, die sind geradeaus gefahren". Wir fuhren ebenfalls von Gelände Richtung stadtauswärts. Dann kam eine Einmündung, und wir mussten uns für rechts oder links entscheiden. Ich fuhr rechts, aber den weißen Kadett entdeckten wir nicht mehr. Wir haben noch Passanten (Kinder) danach befragt, aber niemand hatte das Fahrzeug gesehen. Wir brachen die Suche schließlich ab und fuhren zurück zur überfallenen Filiale. Die Täter kann ich nicht beschreiben. Ich hatte mich voll auf das Kennzeichen konzentriert. Auf Nachfrage erkläre ich, dass ich keine Waffen in dem Fahrzeug gesehen habe. So nahe waren wir auch nicht dran. Ich bin auch nicht bewaffnet, so dass ich lieber genau beobachten wollte, um auf diese Art und Weise zu helfen, die Täter zu stellen". (Siehe Blatt 230-231 der Verwaltungsakte). Die Zeugenaussage des Klägers entspricht den Schilderungen, die der Zeuge M., der sich am Ereignistage zu dem Kläger ins Fahrzeug setzte und an der Verfolgung der Täter teilgenommen hatte, ebenfalls am 19. Dezember 1996 gegenüber der Polizei machte (vgl. Blatt 221 - 228 der Verwaltungsakte).
Seit dem 28. Januar 2010 ist der Kläger unter anderem beim Facharzt für Allgemeinmedizin S1 in Behandlung und arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Bescheid vom 15. August 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 19. Dezember 1996 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass der Kläger nach dem Ereignis vom 19. Dezember 1996 weiter arbeitsfähig geblieben sei. Am 28. Januar 2010 habe er sich in ärztliche Behandlung begeben und sei unter der Diagnose schwere depressive Krise arbeitsunfähig krank geworden. Bei dieser Behandlung sei es im Wesentlichen um seit Längerem bestehende innerbetriebliche Konflikte mit Vorgesetzten im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen gegangen, welche zu einem angespannten, durch Hierarchie und Kontrolle geprägten Betriebsklima geführt hätten. Später, ab 8. März 2010, habe sich der Kläger in psychologische Behandlung bei Frau Diplom-Psychologin C. begeben, die zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung, gemischt mit Angst und depressiver Störung, gemischt mit suizidaler Grundverfassung diagnostizierte und den Kläger stationär eingewiesen habe. Da ein ereignisbezogener psychischer Gesundheitsschaden nicht nachgewiesen werden könne, sei der Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII) nicht erfüllt.
Der Widerspruch des Klägers vom 9. September 2011 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2012 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend aus, dass allen psychoreaktiven Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit Unfällen nach geltendem Standard der medizinischen Forschung zu eigen sei, dass sie mit einer akuten und unmittelbaren Bedrohung von Leib und Leben des Betroffenen oder einem Trauma katastrophenartigen Ausmaßes verbunden seien und unmittelbar oder zumindest in angemessenem zeitlichen Abstand zum Ereignis auftreten würden. Diese Voraussetzungen erfülle das Ereignis vom 19. Dezember 1996 nicht. Bei diesem Ereignis habe es sich daher nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2012 hat der Kläger Klage erhoben und macht zusammengefasst insbesondere geltend, durch das Ereignis vom 19. Dezember 1996 sei eine erhebliche psychische Belastung bei ihm eingetreten, so dass die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles vorliegen würden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 15. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakten.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akte des Versorgungsamtes H. und diverse medizinische Unterlagen und Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen.
Weiter hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. F. vom 22. April 2013, welches der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 31. Mai 2013 erläutert hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Erörterung und Entscheidungsfindung der Kammer.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Die Klage ist aber unbegründet. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat am 19. Dezember 1996 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Feststellung eines Arbeitsunfalles sind die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil das als Arbeitsunfall geltend gemachte Ereignis am 19. Dezember 1996 und damit vor dem Inkrafttreten des Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 stattfand (vgl. §§ 212, 214 SGB VII). Obwohl die Beklagte insoweit die "falsche" Rechtsgrundlage (§ 8 Abs. 1 SGB VII) angewendet hat, führt dies nicht zur Aufhebung der Bescheide, denn ein Arbeitsunfall hat nach beiden Vorschriften nicht vorgelegen.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Unfälle sind nach der ständigen sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu § 548 Abs. 1 RVO zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen. Diese Definition ist ab 1. Januar 1997 als Legaldefinition des Unfallbegriffes gesetzlich in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII normiert worden.
Der Kläger hat keinen Unfall erlitten, denn es fehlt an einem Gesundheits(erst)schaden sowie an einer kausalen Verknüpfung zum geltend gemachten Gesundheitsschaden.
Der Begriff des Unfalls ist bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls in drei Schritte zu unterteilen. Es ist zu prüfen, ob 1. ein Ereignis, als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorgelegen hat (äußeres/einwirkendes Ereignis), 2. ein Gesundheits-erst-schaden (zeitnah) eingetreten ist und 3. dieser Erstschaden durch das einwirkende Ereignis nach der Theorie der wesentlichen Bedingung wesentlich verursacht worden ist (haftungs-begründende Kausalität).
Das einwirkende Ereignis und der Gesundheitserstschaden sind im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Nachweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit festgestellt werden, d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur denkbare Möglichkeit ausschließt (vgl. BSG Urteil vom 2. Februar 1978 – Az.: 8 RU 66/77 in BSGE 45, 285, 287). Vielmehr ist ein der Gewissheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig. Das Gericht muss vom Vorliegen der entscheidungs-erheblichen Tatsachen überzeugt sein.
Das Miterleben der Verfolgungsfahrt, konkret das Sehen der Täter bzw. des Täterfahrzeuges stellt ein auf den Körper des Klägers am 19. Dezember 1996 einwirkendes Ereignis dar.
Ein Gesundheitserstschaden ist nicht feststellbar. Ein körperlicher Gesundheitsschaden wurde durch den Kläger weder behauptet, noch ist ein solcher ersichtlich. Auch ein vom Kläger geltend gemachter seelischer Gesundheitserstschaden, der einen traumatischen Prozess in Gang gesetzt hat, kann vorliegend nicht festgestellt werden. Insbesondere liegt beim Kläger auch keine "unfallbedingte" posttraumatische Belastungsstörung vor.
Die Kammer geht bei der Würdigung des Sachverhaltes von einem tatsächlichen Geschehensablauf am 19. Dezember 1996 in der Weise aus, wie der Kläger dies am Ereignistage in seiner Aussage vor der Polizei am 19. Dezember 1996 angegeben hat. Diese Ereignisschilderungen decken sich inhaltlich mit den Angaben des Zeugen Müller vom selben Tage. Der Kläger war in der Folgezeit, sogar in den folgenden 13 Jahren, weder psychisch auffällig, noch arbeitsunfähig erkrank oder hat bei seinen diversen stationären Reha-Aufenthalten diesbezügliche Beschwerden geschildert. Ein Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung beim Kläger und dem Ereignis vom 19. Dezember 1996 kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
Eine posttraumatische Belastungsstörung ist durch das erlebte Ereignis vom 19. Dezember 1996 beim Kläger nicht verursacht worden, denn es mangelt, wie bereits festgestellt, an einem traumatisch gesetzten seelischen Erstschaden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es erforderlich, dass die gestellten Diagnosen anhand der aktuellen Diagnosemanuale (ICD-10 oder DSM-IV-TR) exakt medizinisch begründet und anhand der genannten Kriterien dargelegt werden. Die beim Kläger von vielen Ärzten gestellte Diagnose einer ereignisbezogenen posttraumatischen Belastungsstörung ist nicht nachgewiesen. Nach beiden Diagnosesystemen fehlt es insoweit an einem seelischen Erstschaden, der den so genannten Traumaprozess in Gang setzen kann.
Nach dem Diagnosemanual DSM-IV-TR setzt die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem voraus:
A. Es war eine Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis gegeben und zwar: 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv) und 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv).
Nach dem Diagnosemanual ICD-10 setzt die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem voraus:
• Der Betroffene war (kurz oder lang anhaltend) einem belastendem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. •. • Die Symptome müssen innerhalb von sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis (oder der Belastungsperiode) aufgetreten sein.
Die Kammer geht mit Dr. F. davon aus, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 weder die Kriterien nach dem DSM-IV-TR noch nach der ICD-10 erfüllt. Eine richtige Diagnosestellung nach ICD-10 scheitert bereits daran, dass das geschilderte und erlebte Ereignis am 19. Dezember 1996 keine so erhebliche Bedrohung von katastrophalem Ausmaß darstellt, wie dies medizinisch gefordert wird. Außerdem haben sich innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Ereignis keine entsprechenden Symptome gezeigt.
Nach dem DSM-IV ist bereits sehr fraglich, ob das Ereignis das Traumakriterium "A1" erfüllt. Es mangelt vorliegend aber am "A2"-Kriterium. Nach Auffassung der Kammer muss für die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung - als Folge eines Arbeitsunfalles - auch das "A2"-Kriterium im Vollbeweis gesichert werden. Nur dann liegt der den seelischen Traumaprozess auslösende Gesundheitserstschaden vor, der in der Folge eine posttraumatische Belastungsstörung verursachen kann (vgl. u.a. zur aktuellen medizinischen und juristischen Diskussion Foerster/Widder, MedSach 2012, 242f). Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächlich immer ein "Dritter" bei dem belastenden Ereignis anwesend sein muss, um die subjektiven A2-Voraussetzungen - Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen – als Zeuge bestätigen zu können. Diese psychovegetativen körperlichen Reaktionen auf ein erheblich belastendes erlebtes Ereignis können auch (im Vollbeweis) durch schlüssiges eigenes "Schildern" des Weiteren zeitnahen Verlaufes bzw. im Rahmen der ersten zeitnahen medizinischen Behandlungen bewiesen werden. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung, die anhand der feststellbaren Tatsachen zu erfolgen hat.
Ein solcher seelischer Erstschaden kann beim Kläger zur vollen Überzeugung der Kammer nicht festgestellt werden. Ein seelischer Erstschaden ist weder unmittelbar bzw. zeitnah zum belastenden Ereignis hinreichend dokumentiert, noch ergibt er sich aus dem weiteren Verhalten bzw. aus dem gesamten weiteren Verlauf. Der Kläger hat einige stationäre Reha-Verfahren auf orthopädischem Fachgebiet absolviert, ohne hierbei in irgendeiner Weise über psychische Probleme oder Beschwerden zu klagen oder das Ereignis vom 19. Dezember 1996 auch nur zu erwähnen.
Der Kläger hat weiter im November 1999 beim Versorgungsamt H. die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) beantragt, ohne auf neurologisch-psychiatrische Beschwerden hinzuweisen. Bei ihm wurde im Jahre 2002 ein GdB von 20 aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden festgestellt.
Im November 2005 beantragte der Kläger eine Erhöhung des GdB und gab erstmals "Depression und Schlafstörungen" an, ohne hierzu weitere Ausführungen zu machen oder ärztliche Behandlungen zu benennen (Bl. 70 der Akte des Versorgungsamtes). Selbst im folgenden Klageverfahren wurden vom Kläger keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden angegeben, die beim Vorliegen zu einer Erhöhung des GdB hätten führen können. Gerade bei Personen, die die Erhöhung des GdB "begehren", wäre es zu erwarten, dass sämtliche Beschwerden benannt werden. Dass der Kläger "nur" im Antragsformular angegeben hatte, er leide unter anderem auch unter "Depression und Schlafstörungen" zeigt, dass hier keine erheblichen Beschwerden vorlagen, denn ansonsten wäre es nicht schlüssig, wenn er dies im Klageverfahren nicht weiter verfolgt hätte. Damit steht für die Kammer fest, dass eine erhebliche psychische Beeindruckung, die einen Krankheitswert hätten haben können, nicht vorlag.
Die Ereignisschilderungen, die der Kläger mehr als 13 Jahre nach dem Ereignis mehrfach gemacht hat, legt die Kammer der Würdigung nicht zu Grunde. Z.B. wurde im Bericht der Diplom-Psychologin B1 vom 17. März 2011 niedergelegt (Bl. 38 der Prozessakte):
"1996 habe der Patient den Überfall auf eine Bank miterlebt. Dabei habe er vor dem Gebäude gestanden. Als die Täter geflohen sein, habe er mit einem Kollegen die Verfolgung aufgenommen, habe dabei mit der Disposition in Funkkontakt gestanden (diese wiederum mit der Polizei). Als er das Fluchtfahrzeug auf einem Parkplatz entdeckt habe, sei ihm bewusst geworden in welcher Gefahr er sich befindet. Insgesamt ist die Schilderung zu dem Überfall sehr lückenhaft. Ab dem Zeitpunkt auf dem Parkplatz habe er Todesangst gehabt, was erst seit seinem Klinikaufenthalt im letzten Jahr aussprechen könne."
Diese Schilderung weicht so erheblich von den damals zeitnah zum Ereignis gemachten Aussagen ab und spiegeln möglicherweise die persönliche Realität des Klägers wider, entsprechen jedoch nicht den schlüssigen und übereinstimmenden Zeugenaussagen, die am 19. Dezember 1996 von der damals ermittelnden Polizei aufgenommen wurden.
Damit steht für die Kammer fest, dass tatsächlich keine so erhebliche psychische Belastung durch das Ereignis vom 19. Dezember 1996 eingetreten ist, dass ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Dekompensation Ende Januar 2010 mit diesem angeschuldigten Ereignis hinreichend wahrscheinlich ist. Vor der Dekompensation sind im Gegenteil andere erheblich belastende Ereignisse aufgetreten, die die Dekompensation insoweit aus psychiatrischer Sicht erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 ein Arbeitsunfall ist.
Der 1963 geborene Kläger ist gelernter Kraftfahrer und war seit 1994 als Geldtrans-porterfahrer bei der H. Sparkasse beschäftigt.
Am 5. Oktober 2010 wurde der Beklagten telefonisch angezeigt, dass der Kläger möglicherweise im Jahr 1996 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Zur Zeit der telefonischen Anzeige befand sich der Kläger wegen psychosomatischer Beschwerden in einer stationären Rehabilitation. Die Beklagte leitete daraufhin umfangreiche Ermittlungen ein. Die Ermittlungen ergaben unter anderem, dass der Kläger am 19. Dezember 1996 eine Filiale der H1 mit Geld beliefern sollte, als diese Filiale gerade überfallen wurde.
Weiter ermittelte die Beklagte, dass sich der Kläger vom 27. Oktober 1999 bis 17. November 1999 aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden in der Rehbergklinik in S. zulasten der Rentenversicherung aufgehalten hatte. Dort gab er unter anderem an, dass er im November 1998 einen Arbeitsunfall (ein Verkehrsunfall) mit anschließenden Wirbelsäulenbeschwerden und im Februar 1999 einen weiteren Arbeitsunfall mit Stauchung des linken Fußgelenks, jeweils ohne Knochenverletzungen, erlitten hatte. Eine neurologisch-psychiatrische Beschwerdeangabe fand nicht statt.
Vom 25. Oktober 2005 bis zum 22. November 2005 befand sich der Kläger in der Rheumaklinik B. wiederum aufgrund orthopädischer Leiden. Auch hier wurden keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden angegeben.
Vom 15. April 2008 bis 13 Mai 2008 befand sich der Kläger wegen Lendenwirbelsäulen-beschwerden erneut in der Rheumaklinik B ... Auch bei diesem Aufenthalt wurden keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden geäußert.
Aus der Unfallanzeige vom 9. Dezember 2010 ergibt sich, dass der Kläger seine Arbeit ab dem 28. Januar 2010 eingestellt hatte und seitdem durchgehend arbeitsunfähig ist. Als Grund wurde hier das Überfallgeschehen vom 19. Dezember 1996 genannt. In der polizeilichen Vernehmung des Klägers vom Tage des Ereignisses gab dieser wörtlich an: "Heute, 19.12.1996, gegen 12:45 Uhr, kam ich aus R. von der Filiale x1 und wollte Geld in die Filiale x2, S.-Straße, bringen. Ich wendete vor der Bank und stellte mich auf den Gehweg, da kein Parkplatz frei war. Dabei bemerkte ich, dass eine Angestellte innen an der Eingangstür stand. Das ist ungewöhnlich. Mehrere Leute standen im Lottogeschäft nebenan und guckten aus dem Fenster. Ein Mann trat heraus und sagte zu mir "da ist gerade ein Überfall". Ich packte sofort meine Geldkassette wieder in den Wagen, setzte mich hinters Steuer, ließ den Motor an und wollte wegfahren, damit ich nicht auch noch überfallen werde. Schließlich hatte ich viel Geld und Werte im Wagen. Außerdem wollte ich die Zentrale über Funk verständigen. Ein Angestellter der H1 kam mir entgegen. Ich sah ihn, wartete und er setzte sich auf den Beifahrersitz. Er sagte "ich habe sie verfolgt, ich habe gesehen, dass sie in einen Wagen gestiegen sind". Er zeigt auf den Parkplatz der Nebenfahrbahn zur S.-Straße stadtauswärts. Ich fuhr den Gehweg herunter auf die Straße, und das einzige Fahrzeug, das in diesem Moment los fuhr, war ein weißer Opel Kadett. Darin saßen zwei Personen, und wir waren sicher, dass es das Täterfahrzeug war. Wir verfolgten das Fahrzeug, und ich gab über Funk das Kennzeichen an die Zentrale durch und auch den Überfall, ganz allgemein. Wir hielten jetzt etwas Abstand, so dass die Verfolgung nicht weiter auffiel, aber so, dass wir das Fahrzeug nicht verloren. Das Fahrzeug fuhr auf das Krankenhausgelände des Krankenhauses R., wir hinterher. Da ich mittlerweile wusste, dass die Personen mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, konnten wir nicht allzu nah heran. Auf dem Gelände haben wir die Personen verloren, wir konnten sie nirgends entdecken, also fragten wir den Pförtner, ob ein weißer Kadett gerade vom Krankenhausgelände gefahren ist. Er sagte "Ja, die sind geradeaus gefahren". Wir fuhren ebenfalls von Gelände Richtung stadtauswärts. Dann kam eine Einmündung, und wir mussten uns für rechts oder links entscheiden. Ich fuhr rechts, aber den weißen Kadett entdeckten wir nicht mehr. Wir haben noch Passanten (Kinder) danach befragt, aber niemand hatte das Fahrzeug gesehen. Wir brachen die Suche schließlich ab und fuhren zurück zur überfallenen Filiale. Die Täter kann ich nicht beschreiben. Ich hatte mich voll auf das Kennzeichen konzentriert. Auf Nachfrage erkläre ich, dass ich keine Waffen in dem Fahrzeug gesehen habe. So nahe waren wir auch nicht dran. Ich bin auch nicht bewaffnet, so dass ich lieber genau beobachten wollte, um auf diese Art und Weise zu helfen, die Täter zu stellen". (Siehe Blatt 230-231 der Verwaltungsakte). Die Zeugenaussage des Klägers entspricht den Schilderungen, die der Zeuge M., der sich am Ereignistage zu dem Kläger ins Fahrzeug setzte und an der Verfolgung der Täter teilgenommen hatte, ebenfalls am 19. Dezember 1996 gegenüber der Polizei machte (vgl. Blatt 221 - 228 der Verwaltungsakte).
Seit dem 28. Januar 2010 ist der Kläger unter anderem beim Facharzt für Allgemeinmedizin S1 in Behandlung und arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Bescheid vom 15. August 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 19. Dezember 1996 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass der Kläger nach dem Ereignis vom 19. Dezember 1996 weiter arbeitsfähig geblieben sei. Am 28. Januar 2010 habe er sich in ärztliche Behandlung begeben und sei unter der Diagnose schwere depressive Krise arbeitsunfähig krank geworden. Bei dieser Behandlung sei es im Wesentlichen um seit Längerem bestehende innerbetriebliche Konflikte mit Vorgesetzten im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen gegangen, welche zu einem angespannten, durch Hierarchie und Kontrolle geprägten Betriebsklima geführt hätten. Später, ab 8. März 2010, habe sich der Kläger in psychologische Behandlung bei Frau Diplom-Psychologin C. begeben, die zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung, gemischt mit Angst und depressiver Störung, gemischt mit suizidaler Grundverfassung diagnostizierte und den Kläger stationär eingewiesen habe. Da ein ereignisbezogener psychischer Gesundheitsschaden nicht nachgewiesen werden könne, sei der Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII) nicht erfüllt.
Der Widerspruch des Klägers vom 9. September 2011 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2012 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend aus, dass allen psychoreaktiven Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit Unfällen nach geltendem Standard der medizinischen Forschung zu eigen sei, dass sie mit einer akuten und unmittelbaren Bedrohung von Leib und Leben des Betroffenen oder einem Trauma katastrophenartigen Ausmaßes verbunden seien und unmittelbar oder zumindest in angemessenem zeitlichen Abstand zum Ereignis auftreten würden. Diese Voraussetzungen erfülle das Ereignis vom 19. Dezember 1996 nicht. Bei diesem Ereignis habe es sich daher nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2012 hat der Kläger Klage erhoben und macht zusammengefasst insbesondere geltend, durch das Ereignis vom 19. Dezember 1996 sei eine erhebliche psychische Belastung bei ihm eingetreten, so dass die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles vorliegen würden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 15. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakten.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akte des Versorgungsamtes H. und diverse medizinische Unterlagen und Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen.
Weiter hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. F. vom 22. April 2013, welches der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 31. Mai 2013 erläutert hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Erörterung und Entscheidungsfindung der Kammer.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Die Klage ist aber unbegründet. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat am 19. Dezember 1996 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Feststellung eines Arbeitsunfalles sind die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil das als Arbeitsunfall geltend gemachte Ereignis am 19. Dezember 1996 und damit vor dem Inkrafttreten des Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 stattfand (vgl. §§ 212, 214 SGB VII). Obwohl die Beklagte insoweit die "falsche" Rechtsgrundlage (§ 8 Abs. 1 SGB VII) angewendet hat, führt dies nicht zur Aufhebung der Bescheide, denn ein Arbeitsunfall hat nach beiden Vorschriften nicht vorgelegen.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Unfälle sind nach der ständigen sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu § 548 Abs. 1 RVO zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen. Diese Definition ist ab 1. Januar 1997 als Legaldefinition des Unfallbegriffes gesetzlich in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII normiert worden.
Der Kläger hat keinen Unfall erlitten, denn es fehlt an einem Gesundheits(erst)schaden sowie an einer kausalen Verknüpfung zum geltend gemachten Gesundheitsschaden.
Der Begriff des Unfalls ist bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls in drei Schritte zu unterteilen. Es ist zu prüfen, ob 1. ein Ereignis, als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorgelegen hat (äußeres/einwirkendes Ereignis), 2. ein Gesundheits-erst-schaden (zeitnah) eingetreten ist und 3. dieser Erstschaden durch das einwirkende Ereignis nach der Theorie der wesentlichen Bedingung wesentlich verursacht worden ist (haftungs-begründende Kausalität).
Das einwirkende Ereignis und der Gesundheitserstschaden sind im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Nachweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit festgestellt werden, d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur denkbare Möglichkeit ausschließt (vgl. BSG Urteil vom 2. Februar 1978 – Az.: 8 RU 66/77 in BSGE 45, 285, 287). Vielmehr ist ein der Gewissheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig. Das Gericht muss vom Vorliegen der entscheidungs-erheblichen Tatsachen überzeugt sein.
Das Miterleben der Verfolgungsfahrt, konkret das Sehen der Täter bzw. des Täterfahrzeuges stellt ein auf den Körper des Klägers am 19. Dezember 1996 einwirkendes Ereignis dar.
Ein Gesundheitserstschaden ist nicht feststellbar. Ein körperlicher Gesundheitsschaden wurde durch den Kläger weder behauptet, noch ist ein solcher ersichtlich. Auch ein vom Kläger geltend gemachter seelischer Gesundheitserstschaden, der einen traumatischen Prozess in Gang gesetzt hat, kann vorliegend nicht festgestellt werden. Insbesondere liegt beim Kläger auch keine "unfallbedingte" posttraumatische Belastungsstörung vor.
Die Kammer geht bei der Würdigung des Sachverhaltes von einem tatsächlichen Geschehensablauf am 19. Dezember 1996 in der Weise aus, wie der Kläger dies am Ereignistage in seiner Aussage vor der Polizei am 19. Dezember 1996 angegeben hat. Diese Ereignisschilderungen decken sich inhaltlich mit den Angaben des Zeugen Müller vom selben Tage. Der Kläger war in der Folgezeit, sogar in den folgenden 13 Jahren, weder psychisch auffällig, noch arbeitsunfähig erkrank oder hat bei seinen diversen stationären Reha-Aufenthalten diesbezügliche Beschwerden geschildert. Ein Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung beim Kläger und dem Ereignis vom 19. Dezember 1996 kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
Eine posttraumatische Belastungsstörung ist durch das erlebte Ereignis vom 19. Dezember 1996 beim Kläger nicht verursacht worden, denn es mangelt, wie bereits festgestellt, an einem traumatisch gesetzten seelischen Erstschaden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es erforderlich, dass die gestellten Diagnosen anhand der aktuellen Diagnosemanuale (ICD-10 oder DSM-IV-TR) exakt medizinisch begründet und anhand der genannten Kriterien dargelegt werden. Die beim Kläger von vielen Ärzten gestellte Diagnose einer ereignisbezogenen posttraumatischen Belastungsstörung ist nicht nachgewiesen. Nach beiden Diagnosesystemen fehlt es insoweit an einem seelischen Erstschaden, der den so genannten Traumaprozess in Gang setzen kann.
Nach dem Diagnosemanual DSM-IV-TR setzt die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem voraus:
A. Es war eine Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis gegeben und zwar: 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv) und 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv).
Nach dem Diagnosemanual ICD-10 setzt die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem voraus:
• Der Betroffene war (kurz oder lang anhaltend) einem belastendem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. •. • Die Symptome müssen innerhalb von sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis (oder der Belastungsperiode) aufgetreten sein.
Die Kammer geht mit Dr. F. davon aus, dass das Ereignis vom 19. Dezember 1996 weder die Kriterien nach dem DSM-IV-TR noch nach der ICD-10 erfüllt. Eine richtige Diagnosestellung nach ICD-10 scheitert bereits daran, dass das geschilderte und erlebte Ereignis am 19. Dezember 1996 keine so erhebliche Bedrohung von katastrophalem Ausmaß darstellt, wie dies medizinisch gefordert wird. Außerdem haben sich innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Ereignis keine entsprechenden Symptome gezeigt.
Nach dem DSM-IV ist bereits sehr fraglich, ob das Ereignis das Traumakriterium "A1" erfüllt. Es mangelt vorliegend aber am "A2"-Kriterium. Nach Auffassung der Kammer muss für die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung - als Folge eines Arbeitsunfalles - auch das "A2"-Kriterium im Vollbeweis gesichert werden. Nur dann liegt der den seelischen Traumaprozess auslösende Gesundheitserstschaden vor, der in der Folge eine posttraumatische Belastungsstörung verursachen kann (vgl. u.a. zur aktuellen medizinischen und juristischen Diskussion Foerster/Widder, MedSach 2012, 242f). Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächlich immer ein "Dritter" bei dem belastenden Ereignis anwesend sein muss, um die subjektiven A2-Voraussetzungen - Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen – als Zeuge bestätigen zu können. Diese psychovegetativen körperlichen Reaktionen auf ein erheblich belastendes erlebtes Ereignis können auch (im Vollbeweis) durch schlüssiges eigenes "Schildern" des Weiteren zeitnahen Verlaufes bzw. im Rahmen der ersten zeitnahen medizinischen Behandlungen bewiesen werden. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung, die anhand der feststellbaren Tatsachen zu erfolgen hat.
Ein solcher seelischer Erstschaden kann beim Kläger zur vollen Überzeugung der Kammer nicht festgestellt werden. Ein seelischer Erstschaden ist weder unmittelbar bzw. zeitnah zum belastenden Ereignis hinreichend dokumentiert, noch ergibt er sich aus dem weiteren Verhalten bzw. aus dem gesamten weiteren Verlauf. Der Kläger hat einige stationäre Reha-Verfahren auf orthopädischem Fachgebiet absolviert, ohne hierbei in irgendeiner Weise über psychische Probleme oder Beschwerden zu klagen oder das Ereignis vom 19. Dezember 1996 auch nur zu erwähnen.
Der Kläger hat weiter im November 1999 beim Versorgungsamt H. die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) beantragt, ohne auf neurologisch-psychiatrische Beschwerden hinzuweisen. Bei ihm wurde im Jahre 2002 ein GdB von 20 aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden festgestellt.
Im November 2005 beantragte der Kläger eine Erhöhung des GdB und gab erstmals "Depression und Schlafstörungen" an, ohne hierzu weitere Ausführungen zu machen oder ärztliche Behandlungen zu benennen (Bl. 70 der Akte des Versorgungsamtes). Selbst im folgenden Klageverfahren wurden vom Kläger keine neurologisch-psychiatrischen Beschwerden angegeben, die beim Vorliegen zu einer Erhöhung des GdB hätten führen können. Gerade bei Personen, die die Erhöhung des GdB "begehren", wäre es zu erwarten, dass sämtliche Beschwerden benannt werden. Dass der Kläger "nur" im Antragsformular angegeben hatte, er leide unter anderem auch unter "Depression und Schlafstörungen" zeigt, dass hier keine erheblichen Beschwerden vorlagen, denn ansonsten wäre es nicht schlüssig, wenn er dies im Klageverfahren nicht weiter verfolgt hätte. Damit steht für die Kammer fest, dass eine erhebliche psychische Beeindruckung, die einen Krankheitswert hätten haben können, nicht vorlag.
Die Ereignisschilderungen, die der Kläger mehr als 13 Jahre nach dem Ereignis mehrfach gemacht hat, legt die Kammer der Würdigung nicht zu Grunde. Z.B. wurde im Bericht der Diplom-Psychologin B1 vom 17. März 2011 niedergelegt (Bl. 38 der Prozessakte):
"1996 habe der Patient den Überfall auf eine Bank miterlebt. Dabei habe er vor dem Gebäude gestanden. Als die Täter geflohen sein, habe er mit einem Kollegen die Verfolgung aufgenommen, habe dabei mit der Disposition in Funkkontakt gestanden (diese wiederum mit der Polizei). Als er das Fluchtfahrzeug auf einem Parkplatz entdeckt habe, sei ihm bewusst geworden in welcher Gefahr er sich befindet. Insgesamt ist die Schilderung zu dem Überfall sehr lückenhaft. Ab dem Zeitpunkt auf dem Parkplatz habe er Todesangst gehabt, was erst seit seinem Klinikaufenthalt im letzten Jahr aussprechen könne."
Diese Schilderung weicht so erheblich von den damals zeitnah zum Ereignis gemachten Aussagen ab und spiegeln möglicherweise die persönliche Realität des Klägers wider, entsprechen jedoch nicht den schlüssigen und übereinstimmenden Zeugenaussagen, die am 19. Dezember 1996 von der damals ermittelnden Polizei aufgenommen wurden.
Damit steht für die Kammer fest, dass tatsächlich keine so erhebliche psychische Belastung durch das Ereignis vom 19. Dezember 1996 eingetreten ist, dass ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Dekompensation Ende Januar 2010 mit diesem angeschuldigten Ereignis hinreichend wahrscheinlich ist. Vor der Dekompensation sind im Gegenteil andere erheblich belastende Ereignisse aufgetreten, die die Dekompensation insoweit aus psychiatrischer Sicht erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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