L 15 SB 23/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 SB 1292/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 23/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur rückwirkenden Feststellung des GdB
2. Zur Beurteilung des GdB bei fehlenden ärztlichen Behandlungen, die der Kläger damit begründet, dass er sich zur Vermeidung anderer Nachteile trotz vorliegender Erkrankung nicht in ärztliche Behandlung begeben habe.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2010
wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob dem Kläger rückwirkend zum 16.11.2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zusteht.

Der Kläger war im Jahr 1995 bei der D. Bank in A-Stadt Prokurist. Im September 1995 wurde er wegen des Verdachts der Beihilfe zur Konkursverschleppung verhaftet (zwei Wochen Untersuchungshaft). Sein Arbeitsverhältnis kündigte er anschließend - nach seinen Angaben - auf Veranlassung der Bank. Anschließend war er 1997 und 1998 als Niederlassungsleiter - seiner Angabe nach als einziger Mitarbeiter - einer Leasing-GmbH tätig. Seit dem 01.01.1999 war er arbeitslos und absolvierte diverse Weiterbildungen über das Arbeitsamt. Sowohl im Arbeitszeugnis als auch in den Zeugnissen über die Weiterbildungen wurden dem Kläger durchweg ein großes Engagement, Eifer und Erfolg sowie sehr gute Leistungen bescheinigt. Nach eigenen Angaben bewarb sich der Kläger während der Zeit der Arbeitslosigkeit mehrhundertfach ohne Erfolg.

Am 31.10.2003 beantragte der Kläger die Feststellung des GdB wegen einer Cervicobrachialgie rechts mit Sensibilitätsstörungen an den Fingern und der rechten Gesichtshälfte, einer Schwerhörigkeit aufgrund Tinnitus, Gallenleiterkoliken nach Gallenblasenentfernung und einer Angina pectoris.

Die in Folge eingeholten Befundberichte bestätigten mit Ausnahme der kardiologischen Auskunft im Wesentlichen die vom Kläger angegebenen Beschwerden. Aus den eingeholten Befundberichten ergab sich weiter, dass der Kläger psychiatrisch behandelt worden war. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. berichtete am 22.01.2004, dass sich der Kläger bei ihr erstmals im August 2002 vorgestellt habe. Der Kläger habe - so die Ärztin - angegeben, dass ihn das Vorgehen im Zusammenhang mit seiner Verhaftung massivst gekränkt und erschüttert habe, da er sich völlig unschuldig fühle. Der Kläger habe berichtet, dass jahrelang keine psychiatrische Behandlung aus Angst vor Stigmatisierung und Problemen bei der Jobsuche durchgeführt worden sei. Es sei von einem chronifiziertem Krankheitsverlauf auszugehen.

Nach einer Auswertung der eingeholten Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst wurde mit Bescheid vom 17.02.2004 ein GdB von 30 festgestellt; es wurden folgende Gesundheitsstörungen zugrunde gelegt: Seelische Störung, Somatisierung (Einzel-GdB 20); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom rechts (Einzel-GdB 20); Refluxkrankheit der Speiseröhre, funktionelle Reststörung nach Verlust der Gallenblase (Einzel-GdB 10); Bluthochdruck (Einzel-GdB 10); Ohrgeräusche beidseits (Tinnitus) (Einzel-GdB 10).

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und begründete dies damit, dass der GdB von 30 nicht nachvollziehbar sei. Vorgelegt wurde u.a. ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 20.02.2004, in dem von einem Beginn einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am 04.09.2003 u.a. wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und einem HWS- und LWS-Bandscheibenvorfall ausgegangen worden war.

Vom 20.07.2004 bis zum 17.08.2004 absolvierte der Kläger eine psychosomatische Rehamaßnahme in Bad K ... Im Rahmen der Anamneseerhebung gab der Kläger an, dass er "seit Sommer 2003 Schulter-Arm-Beschwerden und LWS-Schmerzen" habe und daher seit Oktober 2003 in orthopädischer Behandlung sei.

Mit Schreiben vom 14.09.2004 beantragte der Kläger im Rahmen des Widerspruchs eine rückwirkende Anerkennung der Schwerbehinderung zum 15.11.2000. Da seine Beschwerden bereits aus dem Jahre 1995 stammen würden, sei die rückwirkende Feststellung angezeigt.

Am 20.12.2004 wurde der Kläger versorgungsärztlich begutachtet. Die Chirurgin Dr. B. kam zu dem Ergebnis, dass die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 zu beurteilen sei, da ein Wirbelsäulenschaden mit mittelschweren Funktionsstörungen in zwei Abschnitten bestehe; die seelische Störung schätzte sie mit einem GdB von 30 ein. Der Gesamt-GdB betrage 50.

Mit Abhilfebescheid vom 16.02.2005 wurde der GdB für die Zeit ab 31.10.2003 auf 50 festgesetzt; für den Symptomkomplex der psychischen Störung wurde ebenso wie für den Symptomkomplex der Wirbelsäule ein Einzel-GdB von je 30 zugrunde gelegt.

Gegen den Abhilfebescheid erhob der Kläger insofern Widerspruch, als die Behinderung nicht rückwirkend zum 15.11.2000 anerkannt worden war. Zur Begründung legte er vor
- ein Attest des Orthopäden Dr. F. vom 10.03.2005. Dieser wies darauf hin, dass sich der Kläger bei ihm seit längerem in Behandlung befinde. Ab Oktober 2003 habe eine ständige Behandlung stattgefunden. Ab diesem Zeitpunkt sei eine deutliche Verschlechterung der bereits bekannten Gesundheitsstörungen eingetreten, so dass er dem Kläger geraten habe, einen Behinderungsantrag zu stellen.
- ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 30.03.2005, wonach der Kläger 1995 wegen Depressionen, 2003 wegen eines Cervicobrachialsyndroms und 2004 wieder wegen Depressionen behandelt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Ein GdB von 50 könne - so die Begründung - nicht zum 15.11.2000 festgestellt werden; damals hätten weder ein Bandscheibenvorfall noch eine so ausgeprägte seelische Störung vorgelegen.

In dem sich anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) München
(Az.: S 16 SB 615/05) trug der Kläger vor, dass er bereits im Oktober 1995 unter den vom Beklagten mit einem GdB von 50 anerkannten Gesundheitsstörungen gelitten habe. Bereits im Oktober 1995 - so der Kläger - habe er unter einem Bandscheibenvorfall gelitten, der zum damaligen Zeitpunkt nicht diagnostiziert worden sei, jedoch bei späteren Röntgenbildern habe nachgewiesen werden können. Dies werde auch durch die medikamentöse Behandlung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) N. im September 1995 anlässlich der 14-tägigen Untersuchungshaft belegt. Bereits im Oktober 1995 habe er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie unter einer anhaltenden depressiven Reaktion gelitten. Er sei daher bei Dr. B. in Behandlung gewesen. Dass er jahrelang nicht in entsprechender Behandlung gewesen sei, sei damit zu erklären, dass er sich intensiv um eine neue Arbeitsstelle bemüht habe und die Angabe einer psychologischen Behandlung Bewerbungsgespräche von vornherein hätte scheitern lassen.

Dem vom SG eingeholten Befundbericht der Psychiaterin Dr. H. ist eine erstmalige Behandlung des Klägers am 08.08 2002 zu entnehmen, dem Attest des Internisten Dr. K. vom 19.05.1995 eine Behandlung wegen eines protrahierten Überforderungssyndroms mit Zustand nach depressiver Reaktion und dem Attest des Dr. B. vom 06.10.2005, dass dieser den Kläger am 29.09.1995 untersucht und dabei eine reaktive Depression festgestellt habe, der Kläger danach aber erst 2003 wieder zu ihm gekommen sei. Weiter legte der Kläger den Bericht über eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 06.10.2003 vor, bei der ein Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 5/6 und Bandscheibenvorwölbung mit knöcherner Unterbauung in Höhe von HWK 2/3 und HWK 6/7 diagnostiziert worden waren.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 17.11.2005 nahm der Kläger die Klage zurück.

Nach dem erfolglosen Versuch der Rücknahme der von ihm erklärten Klagerücknahme stellte der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 02.03.2006 einen Überprüfungsantrag. Zur Begründung wurden vorgelegt
- ein Attest des Dr. B. vom 31.01.2006, in dem dieser ausführte, dass der Gesundheitszustand des Klägers aus einem massiven und dramatisch erlebten Konflikt am Arbeitsplatz im Jahr 1995 resultiere. Die Befunde seien seitdem in Schwere und Ausmaß objektivierbar. Sie seien damit auch am 16.11.2000 voll vorhanden gewesen. Der Kläger sei wegen der genannten Beschwerden bereits im Jahr 1995 in Behandlung gewesen.
- ein Attest des Orthopäden Dr. F. vom 08.02.2006, in dem dieser bescheinigte, dass er den Kläger seit längerem wegen Wirbelsäulenbeschwerden behandle. Insbesondere der kernspintomographische Befund der Halswirbelsäule mit fortgeschrittenen, knöchern umbauten degenerativen Veränderungen der Bandscheiben lasse darauf schließen, dass der Befund schon vor November 2000 vorgelegen habe.

Eine versorgungsärztliche Auswertung am 12.06.2006 ergab, dass eine behandlungsbedürftige seelische Störung erst ab 2002 belegt sei. Damals habe sich der Kläger erstmals fachärztlich behandeln lassen. Die Wirbelsäulenbeschwerden hätten sich nach den eigenen Angaben des Klägers im Sommer 2003 verschlechtert, so dass er im Oktober 2003 Dr. F. aufgesucht habe.

Mit Bescheid vom 26.06.2006 lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 16.02.2005 ab. Nach dem Ergebnis der Überprüfung sei der Bescheid nicht rechtswidrig. Eine behandlungsbedürftige seelische Störung sei frühestens ab 2002 belegt. Eine Verschlimmerung der Wirbelsäulenbeschwerden, welche einen Einzel-GdB von 30 begründen würde, sei laut Reha-Entlassungsbericht erst im Sommer 2003 belegt.

Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Widerspruch und begründeten diesen wie folgt: Tatsache sei, dass der Kläger bereits 1995 wegen psychischer Beschwerden in Behandlung gewesen sei. Um die Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz nicht zu gefährden, habe sich der Kläger erst 2002 wieder in psychiatrische Behandlung begeben, obwohl der Befund von 1995 bis 2002 unverändert bestanden habe. Die Verschlimmerung der Wirbelsäulenbeschwerden sei nicht erst seit Sommer 2003 anzunehmen, sondern habe bereits zum streitbefangenen Stichtag vorgelegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers zum SG München Klage erhoben.

Ins Verfahren eingeführt worden ist ein Schreiben des Anstaltsarztes der JVA zur medikamentösen Behandlung des Klägers im Jahr 1995. Danach habe der Kläger bei der Aufnahmeuntersuchung über psychische Beschwerden geklagt. Es sei ihm daher Diazepan verabreicht worden.

Im Auftrag des Gerichts hat der Neurologe und Psychiater Dr. K. am 13.01.2009 ein Gutachten erstellt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ab August 2002 eine regelmäßige psychiatrische Behandlung bei Dr. H. erfolgt sein dürfte, nachvollziehbar erscheine, ab diesem Zeitpunkt eine seelische Störung als Behinderung anzuerkennen, wobei der GdB bei etwa 20 bis 30 liegen dürfte. Diese Einschätzung werde auch durch den Entlassungsbericht aus Bad K. bestätigt, wo der Kläger im Jahr 2004 eine psychosomatische Rehamaßnahme absolviert habe. Dass bereits am 16.11.2000 eine seelische Störung als anerkennungsfähige Behinderung vorgelegen habe, sei aus gutachterlicher Sicht zwar möglich, aber rein spekulativ.

Am 22.09.2009 hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. auf Antrag des Klägers ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellt. Sie ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht nur die Möglichkeit bestehe, dass die im Bescheid vom 16.02.2005 festgestellte Behinderung zeitlich zu spät festgestellt worden sei. Die bereits 1995 beschriebenen und fachärztlich dokumentierten Befunde würden sämtliche Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllen. Es sei per definitionem davon auszugehen, dass die 1995 und dann wieder 2002 beschriebene Erkrankung durchgängig vorgelegen habe.

Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 16.11.2009 dahingehend eingelassen, dass er in der JVA wegen der Rückenbeschwerden Medikamente erbeten habe. Aus welchem anderen Grund, so der Kläger, hätte er sonst um Medikamente bitten sollen.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2010 ist die Klage abgewiesen worden. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe nach der Überzeugung des Gerichts fest, dass die Schwerbehinderteneigenschaft ab dem 16.11.2000 beim Kläger nicht vorgelegen habe.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat sich auf das Gutachten der Dr. M. gestützt und vorgelegt
- ein Attest des Orthopäden Dr. F. vom 06.05.2010, wonach der Kläger seit 1994 in orthopädischer Behandlung sei. Dass sich der Kläger zwischen 1994 und 2000 nicht ständig in ambulanter Behandlung befunden habe, dürfe nicht als Besserung der Beschwerdesymptomatik gedeutet werden. Ein GdB von 50 habe bereits vor dem Stichtag 11.10.2000 vorgelegen.
- ein Attest des Dr. B. vom 25.03.2010, wonach der Kläger seit 1995 und dann wieder ab 2003 in nervenärztlicher Behandlung gewesen sei. Aus den Angaben des Klägers und den vorliegenden Unterlagen werde ersichtlich, dass der Kläger schon seit Ende der 90-er Jahre eine ausgeprägte psychische Behinderung mit einem GdB von 30 bis 50 aufzuweisen habe.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben eine von ihnen selbst eingeholte ergänzende Stellungnahme der Gutachterin Dr. M. vom 04.11.2010 vorgelegt. Darin hat diese ihre Ausführungen wiederholt und darauf hingewiesen, dass per definitionem "seit 1995 eine posttraumatische Belastungsstörung" gegeben sei, die mit einem GdB in Höhe von 50 zu bewerten sei.

Der Kläger hat nochmals angegeben, dass er sich nicht in ärztliche Behandlung begeben habe, um nicht seine Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt zu gefährden. Erst nachdem er die Einsicht gewonnen habe, dass für ihn keine Chance auf dem Arbeitsmarkt bestehe, habe er sich im August 2002 in Behandlung begeben. Auch hat er Versicherungsgründe dafür angeführt, dass er sich nicht in psychiatrische Behandlung begeben habe. Durch die Nichtbehandlung habe er sich den Wegfall eines Risikozuschlags von 30 % und ein Krankenhaustagegeld im Versicherungsvertrag erwartet. Weiter hat er einen Auszug aus den Behandlungsdaten seines Orthopäden Dr. R. für die Zeit 1995 vorgelegt. Danach war er am 04.01.1995 wegen relativ akuter heftiger Rückenschmerzen behandelt worden. Den Behandlungsunterlagen ist zu entnehmen, dass es funktionell keine auffällige Einschränkung gegeben habe. Stärker ausgeprägte radiologische Veränderungen waren nicht beschrieben worden.

Auf konkrete Nachfrage des Gerichts hat Dr. R. am 18.04.2011 berichtet, dass der Kläger sich im Jahr 1995 wegen akuter LWS-Probleme in regelmäßiger Behandlung befunden habe; es sei ein Bandscheibenschaden L3/4 und L5/S1 festgestellt worden.

Der versorgungsärztliche Dienst hat in seiner nervenärztlichen Stellungnahme vom 18.03./31.05.2011 darauf hingewiesen, dass der Kläger in den Jahren 1997 und 1998 beruflich in leitender Position tätig gewesen sei und weitere Trainingsprogramme und Seminare in Vollzeit durchgeführt habe. Dies spreche gegen eine durchgehende erhebliche Ausprägung der psychischen Symptomatik nach der Haft. Die Zeugnisse würden übereinstimmend gegen eine erhebliche psychische Symptomatik des Klägers im Jahr 2000 sprechen.

Nachdem der Kläger vom Berichterstatter darauf hingewiesen worden war, dass die vorliegenden Erkenntnisse die Berufung nicht stützen würden, hat sich der Kläger dahingehend eingelassen, dass der Sachverständige Dr. K. keine eindeutigen Angaben mache, so dass sein Gutachten wertlos sei und vom Gericht nicht verwertet werden dürfe. Die Angaben der JVA seien insgesamt unglaubwürdig. Sinngemäß hat er zudem angegeben, dass die vorliegenden Zeugnisse aus der Zeit nach der Entlassung aus der Bank allesamt geschönt seien.

Am 21.01.2013 haben die Bevollmächtigten des Klägers ein Schreiben des Klägers vom 30.12.2012 vorgelegt. Darin hat der Kläger mitgeteilt, dass er im Mai und Juni 1999 sowie in den Jahren 2000, 2001 und 2005 beim Hausarzt Dr. E. in Behandlung gewesen sei. Am 29.01.2013 hat der Kläger Unterlagen zur Behandlung bei Dr. E. in der Zeit von 1998 bis 2005 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 11.01.2010 und den Bescheid des Beklagten vom 26.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2006 aufzuheben und die Schwerbehinderteneigenschaft unter Rücknahme des Bescheids vom 16.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2005 rückwirkend zum 16.11.2000 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München, auch zum Verfahren aus dem Jahr 2005, Az.: S 16 SB 615/05, beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte es abgelehnt hat, im Wege einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch den Bescheid vom 16.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2005 insofern aufzuheben, als rückwirkend zum 16.11.2000 ein GdB von 50 festzustellen wäre.

Der Kläger kann zwar ein besonderes Interesse an einer rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Ein GdB von 50 lässt sich aber zu dem vom Kläger beanspruchten Stichtag (16.11.2000) nicht nachweisen.

1. Besonderes Interesse an der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft

Bei der Feststellung des GdB handelt es sich um eine Statusfeststellung. Statusfeststellungen sollen in einer Vielzahl von durch bundes-, landes-, kommunalrechtliche und andere Bestimmungen geregelten Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 24.04.2008, Az.: B 9/9a SB 8/06 R). Da eine solche Inanspruchnahme regelmäßig nicht - jedenfalls für längere Zeit - rückwirkend möglich ist, ist es grundsätzlich ausreichend, wenn die Feststellung des GdB für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.1991, Az.: 9a/9 RVs 11/89). Erst mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011, Az.: B 9 SB 3/10 R).

Der Kläger hat geltend gemacht, dass er bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft schon zum 16.11.2000 die Möglichkeit hätte, abschlagsfrei in Altersrente gehen zu können. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rente für schwerbehinderte Menschen mit Vollendung des 60. Lebensjahres ohne gesetzliche Abschläge reicht nach der Rechtsprechung des BSG aus, um ein besonderes Interesse zu begründen (vgl. Urteil vom 16.02.2012, Az.: B 9 SB 1/11 R).

2. Keine Schwerbehinderteneigenschaft zum 16.11.2000

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass ein GdB von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft zum 16.11.2000 nicht in dem dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind. Nach der Überzeugung des Senats, die dieser aus der Beweisaufnahme gewonnen hat, bestehen an der Schwerbehinderteneigenschaft zum 16.11.2000 nicht nur Zweifel, sondern ihr Nichtvorliegen ist sogar zweifelsfrei erwiesen.

2.1. Allgemeines zum GdB

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die VG haben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) abgelöst, die für die Zeit vor 01.01.2009 weiterhin als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (vgl. BSG, Urteile vom 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R; und vom 24.04.2008, Az.: B 9/9a SB 10/06 R; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.03.1995, Az.: BvR 60/95). Die AHP und nunmehr die VG sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient. VG und AHP sind - jedenfalls soweit hier relevant - weitgehend inhaltsgleich, sodass im Folgenden nur auf die VG Bezug genommen wird.

2.2. Allgemeines zu den Beweisanforderungen

Nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren sind die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.

2.3. Zu den Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers und seinem GdB zum geltend gemachten Stichtag am 16.11.2000

Unstreitig zwischen den Beteiligten ist, dass, wie im Abhilfebescheid vom 16.02.2005 festgestellt, zum Antragszeitpunkt am 31.10.2003 und danach der GdB des Klägers 50 beträgt und dabei folgende Gesundheitsstörungen den GdB maßgeblich - unberücksichtigt bleiben hier gemäß VG Teil A Nr. 3 Buchst. d) ee) grundsätzlich die mit einem GdB von 10 oder weniger bewerteten Gesundheitsstörungen - bestimmen:
- Seelische Störung, Somatisierung - Einzel-GdB 30.
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom rechts - Einzel-GdB 30.

Die im Abhilfebescheid vom 16.02.2005 getroffene Entscheidung des Beklagten wird vom Kläger insofern angezweifelt, als er die Ansicht vertritt, dass die Feststellung eines GdB von 50 schon am 16.11.2000 gelten müsse.

Diese Ansicht des Klägers hat sich im Lauf der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Das Gericht stützt sich bei dieser Annahme insbesondere auf das überzeugende Gutachten des Dr. K., der sich mit allen Gesichtspunkten umfassend und sorgfältig beschäftigt hat, auf die vorliegenden Arztberichte und auch auf die eigenen Angaben des Klägers.

2.3.1. Seelische Störung, Somatisierung

Der Sachverständige Dr. K. ist unter Hinweis darauf, dass erst ab August 2002 eine regelmäßige psychiatrische Behandlung des Klägers erfolgt ist, wie sich aus den Angaben der behandelnden Psychiaterin ergibt, zu dem überzeugenden und schlüssigen Ergebnis gekommen, dass erst ab diesem Zeitpunkt eine seelische Störung als Behinderung mit einem GdB von etwa 20 bis 30 anzuerkennen ist. Die Einschätzung zur Höhe des GdB steht in Einklang mit den VG (vgl. dort Teil B Nr. 3.7). Wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, ist es zwar nicht mit letzter Gewissheit auszuschließen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere ab dem 16.11.2000, eine seelische Störung als Behinderung mit einem GdB von 30 vorgelegen hat. Jegliche weitergehenden Festlegungen wären aber rein spekulativer Art. Allein die Möglichkeit des Vorliegens einer Gesundheitsstörung in einem bestimmten Umfang reicht nach den Beweisvorgaben nicht aus, um den für eine Berücksichtigung erforderlichen Vollbeweis zu führen.

Zweifel an der Richtigkeit der sachverständigen Einschätzung hat der Senat nicht. Dabei stützt er sich im Wesentlichen auf die vorliegenden Befunde und Arztberichte, die keine durchgängige oder auch nur nicht ganz singuläre Behandlung wegen psychischer Beschwerden bis 2002 belegen.
Dr. K. hat den Kläger einmalig im Mai 1995 und damit noch vor der Untersuchungshaft wegen eines Überforderungssyndroms behandelt. Während der Untersuchungshaft im September 1995 wurde dem Kläger wegen psychischer Beschwerden, die der Sachverständige rückblickend plausibel als Erregungszustand gedeutet hat, das Beruhigungsmittel Diazepan verabreicht. Dr. B. suchte der Kläger nur einmalig am 29.09.1995 und dann erst wieder am 23.08.2003 wegen psychischer Beschwerden auf. Dr. E. therapierte den Kläger an zwei Tagen im Oktober 1998 wegen psychischer Beschwerden und dann erst wieder im Jahr 2003. Dr. H. behandelte den Kläger erstmals am 08.08.2002. Aus diesen Behandlungsdaten ergibt sich zum einen eine nur ganz vereinzelte Behandlung wegen psychischer Probleme bis 1998 und danach eine Lücke bezüglich der Behandlung psychischer Beschwerden bis August 2002. Dies weckt allergrößte Zweifel daran, dass bis August 2002 die vom Kläger angegebenen Beschwerden tatsächlich so groß gewesen sind, wie er es später behauptet hat, und dass sie dazu geeignet wären, einen GdB von 20 bis 30 zu begründen. Diese Zweifel werden noch dadurch verstärkt, dass der Kläger zunächst ab 1997 bis 1998 eine Arbeitsstelle als Niederlassungsleiter einer Leasinggesellschaft innegehabt, anschließend diverse Fortbildungsmaßnahmen mit Erfolg absolviert hat und sich dabei, wie den Zeugnissen zu entnehmen ist, durchweg als sehr engagiert, eifrig und motiviert gezeigt und alle Erwartungen weit übertroffen hat. Diese beruflichen Erfolgsbelege sind nicht zu vereinbaren mit einem psychisch erheblich angeschlagenen Zustand, wie ihn der Kläger später im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren glauben machen will. Auch die Tatsache, dass der Kläger erhebliche Energie in - seiner Auskunft nach - mehrhundertfache Bewerbungen bis 2002 investiert hat, macht seine Angaben zu einem schlechten Gesundheitszustand unglaubwürdig. Wenn der Kläger die ihm entgegen gehaltenen Widersprüche damit erklären will, dass er insbesondere aus Verantwortung gegenüber seiner Familie alles versucht habe, um im Berufsleben wieder Fuß zu fassen, kann dies den Senat nicht überzeugen. Genauso wie die vom Kläger gegebene Erklärung, er habe sich nicht psychiatrisch behandeln lassen, um einerseits seine Bewerbungen nicht zu konterkarieren, andererseits sich damit Vorteile für seinen Krankenversicherungsvertrag (Wegfall des Risikozuschlags, Erlangung einer Regelung zum Krankentagegeld) zu verschaffen, ist der Erklärungsversuch zum beruflichen Auftreten dadurch geprägt, dass der Kläger nach dem Eindruck des Senats, der sich auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, seine Angaben immer sehr ziel- und zweckgerichtet ausgestaltet. Je nachdem, wer die Angaben erhält und was für den Kläger gerade nützlich ist, werden die Angaben einmal so und einmal anders ausgestaltet. Dies weckt grundlegende Zweifel an der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers.

Zweifel an der Richtigkeit der sachverständigen Einschätzung lassen sich auch nicht mit den im Lauf des Verfahrens vom Kläger vorgelegten Attesten seines behandelnden Psychiaters Dr. B. begründen. Vielmehr hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dieser Arzt durch seine im Lauf des Verfahrens immer günstiger für den Kläger ausgestalteten Atteste diesem eine unzulässige und in der Sache unbegründete Hilfestellung bei der Durchsetzung seiner schwerbehinderten- und damit auch rentenrechtlichen Interessen geben wollte. So ist die Annahme des Dr. B. im Attest vom 06.10.2005, aufgrund des Berichts der Psychiaterin Dr. H. sei davon auszugehen, dass der Kläger schon seit Mitte der 90-iger Jahre an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder reaktiven Depression erheblich gelitten habe, mehr als spekulativ. Wie ein Arzt aufgrund einer einmaligen eigenen Behandlung im Jahr 1995 und der Tatsache, dass der Kläger ab dem August 2002, also rund sieben Jahre später, wieder wegen einer ähnlichen Diagnose therapiert worden ist, zu dem Schluss kommen kann, dass der Kläger seit der ersten Behandlung durchweg an einer erheblichen psychischen Störung gelitten habe, ist rational nicht nachvollziehbar. Wenn der Arzt Dr. B. dann in seinem weiteren für den Kläger am 31.01.2006 ausgestellten Attest zu der Einschätzung kommt, dass die Befunde seit 1995 in ihrer Schwere und Ausmaß objektivierbar und damit auch am 16.11.2000 voll vorhanden gewesen seien, spricht für den Senat alles dafür, dass es sich hierbei um ein Gefälligkeitsattest handelt. Denn die vom Arzt aufgestellte Behauptung einer Objektivierbarkeit der psychischen Beschwerden zum Stichtag 16.11.2000 entbehrt jeder sachlichen Grundlage, da Dr. B. keine medizinischen Befunde - weder von ihm selbst noch von anderen Ärzten erhobene - für diesen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Genauso wenig nachvollziehbar ist das von Dr. B. zuletzt am 25.03.2010 für den Kläger ausgestellte Attest, wenn er darin glauben machen will, dass aus den Angaben des Klägers und den vorliegenden Unterlagen ersichtlich werde, dass der Kläger schon seit Ende der 90-er Jahre eine ausgeprägte psychische Behinderung mit einem GdB von 30 bis 50 aufzuweisen habe. Aus seinen Unterlagen kann der Arzt diesen Schluss nicht seriös gezogen haben, da darin nur eine eigene Behandlung im Jahr 1995 dokumentiert und möglicherweise Angaben zu der Behandlung durch Dr. H. ab August 2002 enthalten sein können. Der Arzt kann sich daher bei seiner Behauptung nur auf die ihm von Kläger gemachten Angaben stützen. Dass sich ein Arzt diese Angaben ungeprüft und nicht nachvollziehbar zu eigen macht, stimmt mehr als bedenklich.

Sofern der Kläger meint, den gerichtlichen Sachverständigen Dr. K. damit diskreditieren zu können, dass er diesem absichtlich schädigende Behauptungen unterstellt und das Gutachten als jeglicher medizinischer Grundlage entbehrend und wertlos bezeichnet, weil der Gutachter keine eindeutigen Angaben gemacht habe, so dass das Gutachten vom Gericht nicht verwertet werden dürfe, irrt er. Der Gutachter zeichnet sich - im Gegensatz zu dem behandelnden Arzt Dr. B. und der vom Kläger benannten Sachverständigen Dr. M. - gerade dadurch aus, dass er die vorliegenden Unterlagen und die Angaben des Klägers sorgfältig und alle Gesichtspunkte abwägend ausgewertet hat und dabei zu dem überzeugenden Schluss gekommen ist, dass eine zuverlässige Aussage zu den am 16.11.2000 vorliegenden psychischen Beschwerden des Klägers mangels entsprechender Behandlungsdokumentationen nicht möglich ist. Alles andere, also auch die vom Kläger gewünschte Feststellung eines höheren GdB zu diesem Zeitpunkt, wäre spekulativ. Dass das Ergebnis des Dr. K. nicht den Vorstellungen des Klägers entspricht, ist nachvollziehbar. Der Kläger sollte aber gleichwohl zur Kenntnis nehmen, dass auch ihm nicht genehme, aber sorgfältig getroffene Feststellungen im Sinn der objektiven Wahrheitsfindung zu akzeptieren sind und nicht nur wegen der Unerwünschtheit des Ergebnisses von ihm als unzureichend bezeichnet werden können. Der Kläger muss auch bedenken, dass er selbst die Ursache dafür gesetzt hat, dass sich eindeutige Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand zum maßgeblichen Stichtag nicht treffen lassen. Folgt man seinen im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren gemachten Angaben, so hat er sich bis 2002 nicht in psychiatrische Behandlung begeben, um durch eine psychisch "weiße Weste" andere Vorteile, nämlich seinen Krankenversicherungsvertrag und seine Chancen am Arbeitsmarkt betreffend, zu erlangen. Dass er damit die letztlich ihm obliegende objektive Beweislast für andere Vorteile insbesondere schwerbehindertenrechtlicher Art erschwert hat, war ihm damals vermutlich nicht bewusst. Der Kläger hat sich daher die jetzt zu seinen Lasten gehenden Beweisschwierigkeiten selbst zuzuschreiben, da u.a. nicht erkennbar ist, ob die früheren oder die aktuellen Angaben des Klägers der Wahrheit entsprechen.

Auch die vom Kläger kurz vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten Behandlungsunterlagen des Dr. E. lassen keinen Rückschluss auf eine schon am 16.11.2000 bestehende psychische Gesundheitsstörung mit einem Einzel-GdB von 30 zu. Auch in diesen Behandlungsunterlagen klafft eine Lücke von 1998 bis 2003, in der keine Behandlungen wegen psychischer Beschwerden dokumentiert sind. Sofern der Kläger die in den Behandlungsunterlagen belegte "Gesundheitsuntersuchung" am 11.01.2001 dahingehend interpretieren will, dass diese nur wegen der posttraumatischen Belastungsstörung erfolgt sein könne, spricht für diese dem klägerischen Begehren zuträgliche Behauptung nichts. Vielmehr deutet aus Sicht des Senats die anschließend erfolgte Überweisung an einen Kardiologen, der den Kläger am 31.01.2001 untersucht hat, darauf hin, dass die Gesundheitsuntersuchung wegen unklarer kardialer Beschwerden erfolgt ist. Auch die im Jahr 2002 erfolgte Verordnung des Potenzmittels Viagra könnte im Hintergrund stehen. Zeitnah zu der Gesundheitsuntersuchung ist jedenfalls keine psychiatrische Diagnose vermerkt, sodass eine Gesundheitsuntersuchung wegen psychiatrischer Probleme, zumal durch den Hausarzt, wenn nicht so gut wie auszuschließen, so doch zumindest rein spekulativ ist.

Auch das Gutachten gemäß § 109 SGG trägt das klägerische Begehren nicht. Zwar kommt die Sachverständige Dr. M. zu einem für den Kläger positiven Ergebnis. Das Gutachten weist aber schwerste Mängel auf und belegt, dass der Sachverständigen elementare, für die Begutachtung im Schwerbehindertenrecht erforderliche Kenntnisse fehlen. Die Einschätzung der Gutachterin, wie sie sich aus dem Gutachten und der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten ergänzenden Stellungnahme ergeben, nämlich dass der Kläger seit 1995 und damit auch am 16.11.2000 an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe und diese mit einem GdB von 50 zu bewerten sei, ist nicht nachvollziehbar. Die Begründung der Sachverständigen fußt darauf, dass beim Kläger 1995 und dann wieder ab 2002 eine posttraumatische Belastungsstörung vorgelegen habe und daher "per definitionem" - so Dr. M. mehrfach - durchgängig ab 1995 und daher auch am Rentenstichtag diese mit einem GdB von 50 zu bewertende Erkrankung vorgelegen habe. Ganz abgesehen davon, dass aus den Ausführungen der Sachverständigen nicht überzeugend ersichtlich ist, warum in der Inhaftierung des Klägers überhaupt ein nach den Diagnosekriterien von ICD 10 bzw. DSM-IV potentiell eine posttraumatische Belastungsstörung auslösendes Ereignis liegen könnte, scheint sie mit der Annahme eines GdB von 50 auch dem Irrtum zu unterliegen, dass die Diagnose einer posttraumatische Belastungsstörung automatisch mit einem bestimmten GdB, nämlich von 50, verbunden wäre, unabhängig davon, wie die Ausprägung der Krankheit mit ihren funktionellen Auswirkungen auf den Betroffenen ist. Dass der Rückschluss von einer Diagnose auf die Höhe des GdB unzulässig ist, gehört aber zu den einfachsten Grundprinzipien der sozialmedizinischen Begutachtung. Der Sachverständigen ist offenbar nicht einmal bekannt, dass die Höhe der GdB von den vorliegenden funktionellen Einschränkungen und nicht von einer Diagnose abhängt. In ihrem Irrtum konsequent hat sie daher auch keinen aussagekräftigen psychischen Befund erhoben, mit dem die aktuelle Höhe des GdB nachvollziehbar begründet werden könnte. Wiederum konsequent in ihren Fehlvorstellungen von den Vorgaben für die Begutachtung hat sie es unterlassen, sich mit der Frage auseinander zu setzten, wie der psychische Zustand des Klägers in der Vergangenheit zu bewerten ist und wie die fehlenden ärztlichen Behandlungen und die vom Kläger im Beruf und bei Fortbildungen seit 1997 gezeigten Leistungen zu werten sind. Zusammenfassend ist daher zum Gutachten der Dr. M. nur festzustellen, dass dieses Gutachten elementare Vorgaben für die sozialmedizinische Begutachtung verkennt und daher unbrauchbar ist.

2.3.2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom rechts

Im Gegensatz zu den psychischen Beschwerden, die für den Stichtag 16.11.2000 nur nicht in einer für den GdB von 30 erforderlichen Ausprägung im Vollbeweis nachgewiesen sind, ist es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für den Senat nicht nur nicht nachgewiesen, sondern sogar widerlegt, dass der Beschwerdekomplex "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom rechts" zum Stichtag mit einem GdB von 30 zu bewerten ist. Dabei stützt sich der Senat insbesondere auf die Bewertung der Versorgungsärztin Dr. B., die den Zustand der Klägers betreffend des hier im Raum stehenden Beschwerdekomplexes ab Oktober 2003 mit einem GdB von 30 bewertet hat, was vom Kläger für die Zeit ab Oktober 2003 auch als zutreffend anerkannt worden ist. Weiter stützt er sich auf die Atteste des Orthopäden Dr. F., soweit sie keine Gefälligkeitsatteste darstellen, und auf die eigenen Angaben des Klägers.

Unstrittig und aus Sicht des Senats in Ansehung der Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9) sicherlich nicht zu knapp bewertet ist der Beschwerdekomplex "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom rechts" mit einem GdB von 30 ab Oktober 2003.

Für die Zeit vor Oktober 2003 ist ein vergleichbar schlechter Gesundheitszustand des Klägers nicht nur nicht im Vollbeweis nachgewiesen, sondern nach der Überzeugung des Senats sogar widerlegt.

Dies ergibt sich zum einen aus den Angaben des Klägers selbst. So hat der Kläger bei der Aufnahmeuntersuchung zur psychosomatischen Reha in Bad K. im Sommer 2004 angegeben, dass er "seit Sommer 2003 Schulter-Arm-Beschwerden und LWS-Schmerzen" habe und daher seit Oktober 2003 in orthopädischer Behandlung sei. Diese zeitnahe Angabe des Klägers hält der Senat für glaubhaft. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger damals seinen Gesundheitszustand beschönigen und den Zeitpunkt der Verschlimmerung der orthopädischen Beschwerden verschleiern hätte sollen. Bei Beginn der Reha hatte der Kläger nach eigenen Angaben seine Bemühungen, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, als erfolglos aufgegeben und damit auch keinerlei Grund mehr, Beschwerden zu verschweigen oder deren Beginn nach hinten zu terminieren. Der Kläger könnte daher seine damaligen Angaben nicht damit zu erklären versuchen, dass er sich mit Beschwerdeangaben bei der Jobsuche im Weg gestanden wäre, wie er dies für die Zeit vor August 2002 behauptet hat.

Dass sich im Oktober 2003 der orthopädische Gesundheitszustand des Klägers maßgeblich verschlechtert hat, ergibt sich weiter aus den Angaben des Orthopäden Dr. F., soweit diese glaubhaft und nicht ersichtlich durch einen Unterstützungseifer hinsichtlich des Begehrens des Klägers geprägt sind. So hat dieser in dem vom Kläger vorgelegten Attest vom 10.03.2005 darauf hingewiesen, dass sich der Kläger bei ihm seit längerem in Behandlung befinde und ab Oktober 2003 eine ständige Behandlung stattgefunden habe. Ab diesem Zeitpunkt sei eine deutliche Verschlechterung der bereits bekannten Gesundheitsstörungen eingetreten, so dass er dem Kläger geraten habe, einen Behinderungsantrag zu stellen. Aus dieser eindeutigen und ersichtlich noch nicht von einem Unterstützungseifer getragenen Auskunft ergibt sich für den Senat ohne jeden Zweifel, dass der Kläger seinen Orthopäden wegen einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Oktober 2003 aufgesucht hat und die zeitnah zuvor eingetretene Verschlechterung vom behandelnden Arzt objektiviert worden ist. Sofern Dr. F. in dem vom Kläger vorgelegten Attest vom 08.02.2006 hingegen bescheinigt, dass er den Kläger seit längerem wegen Wirbelsäulenbeschwerden behandle und insbesondere der kernspintomographisch im Oktober 2003 erhobene Befund der Halswirbelsäule darauf schließen lasse, dass der Befund schon vor November 2000 vorgelegen habe, stellt dies nach der Überzeugung des Senats ein auffälliges Gefälligkeitsattest dar, dem keinerlei Beweiswert zukommt. Dieses Attest steht in eklatantem Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben des Klägers und zum Attest vom 10.03.2005, in dem eine deutliche Verschlechterung für Oktober 2003 berichtet worden ist. Bei dem Versuch des Dr. F. im Attest vom 08.02.2006, eine dem Kläger genehme Bescheinigung auszustellen, übersieht der Arzt zudem, dass ein radiologischer Befund nicht den Rückschluss auf einen bestimmten GdB zulässt, sondern der GdB sich aus den funktionellen Einschränkungen ergibt. Über von ihm vor 2003 erhobene funktionelle Einschränkungen des Klägers in ähnlichem Maß, wie sie im Oktober 2003 festgestellt worden sind, berichtet Dr. F. aber gerade nicht. Schließlich ist auch das - wiederum vom Kläger vorgelegte - Attest des Dr. F. vom 06.05.2010 bedenklich, wenn dieser darin angibt, dass der Kläger zwar zwischen 1994 und 2000 "nicht ständig" in ambulanter Behandlung gestanden habe, dies aber nicht als Besserung der Beschwerdesymptomatik gedeutet werden dürfe und daher ein GdB von 50 bereits vor dem Stichtag 11.10.2000 vorgelegen habe. Wenn der Arzt damit suggerieren will, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit 1994 nicht gebessert habe, lenkt er damit von der hier entscheidenden Frage ab, nämlich ob der Gesundheitszustand des Klägers am Rentenstichtag vergleichbar mit den ab Oktober 2003 vorliegenden Beeinträchtigungen gewesen ist. Diese Frage hat der Arzt im Attest vom 10.03.2005, als für ihn noch nicht ersichtlich gewesen sein dürfte, welche Auskunft dem Kläger hilfreich wäre, für den Senat glaubhaft dahingehend beantwortet, dass ab Oktober 2003 eine deutliche Verschlechterung eingetreten sei, also der Zustand zum Rentenstichtag im Vergleich zum Oktober 2003 deutlich besser gewesen ist. Damit ist für den Senat nachgewiesen, dass der orthopädische Beschwerdekomplex vor Oktober 2003 nicht mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten ist.

Wenn der weitere, den Kläger behandelnde Dr. R. dem Senat mit Schreiben vom 18.04.2011 darüber berichtet hat, dass der Kläger sich seit 1995 "wegen akuter LWS-Probleme in regelmäßiger Behandlung" befinde und ein Bandscheibenschaden L3/4 und L5/S1 festgestellt worden sei, ist diese Auskunft nicht mit dem vom Kläger selbst vorgelegtem Auszug aus den Behandlungsdaten des Dr. R. in Einklang zu bringen. Danach wurde der Kläger am 04.01.1995 wegen relativ akut heftiger Rückenschmerzen behandelt, wobei "funktionell keine auffällige Einschränkung" feststellbar war. Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls wurde damals auch nach radiologischer Diagnostik nicht gestellt, was auch der Kläger selbst dadurch bestätigt, dass er für die Haftzeit im September 1995 einen unerkannten Bandscheibenvorfall behauptet. Die für das Gericht überzeugende Angabe sowohl des Klägers als auch des Orthopäden Dr. F., der Gesundheitszustand des Klägers habe sich im Sommer/Herbst 2003 deutlich verschlechtert, wird damit nicht in Zweifel gezogen.

Zweifel an der Einschätzung des Gerichts werden auch nicht dadurch geweckt, wenn der Kläger versucht, den Senat glauben zu machen, dass er in der Untersuchungshaft im Jahr 1995 einen (unerkannten) Bandscheibenvorfall erlitten habe und er daher in der JVA Arzneimittel wegen Rückenbeschwerden erbeten habe. Denn diese im Laufe des Verfahrens vom Kläger erhobene Behauptung ist nicht nur durch die Angaben der JVA, sondern auch durch die Art des verabreichten Arzneimittels widerlegt. So hat der Anstaltsarzt der JVA berichtet, dass der Kläger bei der Aufnahme in die JVA über psychische Probleme berichtet habe und ihm daher Diazepan verabreicht worden sei. Bei diesem Arzneimittel handelt es sich, worauf auch der gerichtliche Sachverständige Dr. K. hingewiesen hat, um ein Beruhigungsmittel, das nicht zur Therapie von Schmerzen indiziert ist. Insofern ist die Angabe des Klägers zu Rückenschmerzen und einem damals unerkannten akuten Bandscheibenvorfall unglaubwürdig. Irgendwelche Gründe, warum die Angaben aus der JVA unrichtig sein sollten, sind nicht ersichtlich.

2.3.3. Ergebnis, Gesamt-GdB

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass zum 16.11.2000 weder psychische Beschwerden noch funktionelle Beeinträchtigungen aus dem Bereich der Wirbelsäule nachgewiesen sind, die in ihrer Gesamtschau einen GdB von 50 bereits zum damaligen Zeitpunkt begründen könnten.

Der Klarstellung halber weist der Senat den Kläger darauf hin, dass die getroffene Entscheidung keine ist, die im Wesentlichen auf der Nichterweislichkeit einer Tatsache und damit auf die Grundsätze der objektiven Beweislast aufbaut, sondern dass das Nichtvorliegen eines GdB von 50 zum maßgeblichen Zeitpunkt nach der Überzeugung des Senats positiv bewiesen ist. Denn jedenfalls beim orthopädischen Beschwerdekomplex hat sich erst im Sommer/Oktober 2003 eine maßgebliche Verschlechterung ergeben, die zu einem Einzel-GdB von 30 geführt hat, sodass für die Zeit davor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass ein Einzel-GdB von 30 für die orthopädischen Beschwerden nicht vorgelegen hat. Dies hat zwingend zur Folge, dass auch bei Unterstellen eines Einzel-GdB von 30 für die psychischen Beschwerden, der nicht nachgewiesen ist, ein Gesamt-GdB von 50 zum Rentenstichtag ausgeschlossen wäre.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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