Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 SB 138/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 67/13 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Verfahren, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger ein Gutachten aufgrund einer in den Räumen des Gerichts stattfindenden Untersuchung des Klägers erstellt, begegnet nicht von vornherein Bedenken. Sichergestellt sein muss aber, dass die persönliche Untersuchung des Klägers nach ihrer Zeitdauer und der Möglichkeit apparativer Untersuchungsmethoden ein ausreichendes Bild über die gesundheitliche Situation des Klägers vermittelt
(Fortführung d. Rspr. v. 04.02.2013 Az. L 15 SB 8/12 B).
2. Einer Übernahme der Kosten für ein Gutachten auf die Staatskasse steht nicht entgegen, dass der Sachverständige bei der Beantwortung der Beweisfragen teilweise zu nicht überzeugenden Ergebnissen gelangt ist, wenn feststeht, dass durch die ausführliche und fundierte Begutachtung eine breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB des Klägers erreicht worden ist. Dabei kann jedoch nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung zu einer Kostenübernahme führen.
(Fortführung d. Rspr. v. 04.02.2013 Az. L 15 SB 8/12 B).
2. Einer Übernahme der Kosten für ein Gutachten auf die Staatskasse steht nicht entgegen, dass der Sachverständige bei der Beantwortung der Beweisfragen teilweise zu nicht überzeugenden Ergebnissen gelangt ist, wenn feststeht, dass durch die ausführliche und fundierte Begutachtung eine breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB des Klägers erreicht worden ist. Dabei kann jedoch nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung zu einer Kostenübernahme führen.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.11.2010 aufgehoben. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte
Gutachten des Dr. U. S. vom 11.02.2010 werden auf die Staatskasse übernommen.
II. Dem Beschwerdeführer sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache war streitig, ob für den Kläger und jetzigen Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 40 festzusetzen ist.
In dem am Sozialgericht Nürnberg (SG) unter dem Az.: S 13 SB 138/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit des Klägers gegen den Freistaat Bayern hat der Chirurg Dr. S. den Kläger am 16.09.2009 in den Räumen des SG untersucht und am selben Tag ein Gutachten erstellt. Zu diesem Gutachten, das zu einem Gesamt-GdB von 40 gekommen ist, hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Untersuchung durch Dr. S. lediglich 20 Minuten gedauert habe und dass dem Gutachten nicht zu entnehmen sei, dass etwa Röntgenbefunde ausgewertet worden seien. Es habe nur eine oberflächliche Betrachtung gegeben. Daraufhin hat das Gericht auf Antrag des Klägers den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 11.02.2010 zu einem Gesamt-GdB von 50; diesem Ergebnis sind der Beklagte und auch der daraufhin um ergänzende Stellungnahme gebetene Sachverständige Dr. S. nicht gefolgt. Dr. S. hat in einer ergänzenden Stellungnahme (28.06.2010) seine Auffassung eines Gesamt-GdB von 50 bekräftigt. Mit Urteil vom 15.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen; u.a. ist es der Bewertung von Dr. S. hinsichtlich der Knorpelschäden an den Kniegelenken des Klägers nicht gefolgt.
In dem sich anschließenden, vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG, Az.: L 15 SB 169/10) hat das LSG zur Sachverhaltsaufklärung ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.03.2012 für den Kläger einen Gesamt-GdB von 50 festgestellt. Weiter hat Prof. Dr. I. im Auftrag des Senats ein HNO-fachärztliches Gutachten erstellt. In der mündlichen Verhandlung am 18.03.2013 haben die Beteiligten nach einem Hinweis des Gerichts auf die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. H. den Rechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beendet; der Beklagte hat sich verpflichtet, ab 22.09.2010 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.
Am 17.11.2010 hat der Kläger beim SG beantragt, die Kosten für das Gutachten von Dr. S. auf die Staatskasse zu übernehmen, da das Gutachten für die Entscheidungsfindung des SG von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Der Antrag ist mit streitgegenständlichem Beschluss vom 18.11.2010 abgelehnt worden. Das SG hat ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S. (und Gleiches gelte für die ergänzende Stellungnahme) weder einen objektiven Beitrag zur ergänzenden Aufklärung des medizinischen Sachverhalts geleistet noch in sonstiger Weise den Fortgang des Rechtsstreits gefördert oder gar zu seiner Erledigung beigetragen habe.
Hiergegen hat der Kläger am 13.12.2010 Beschwerde erhoben. Diese ist damit begründet worden, dass das ausführliche, sorgfältig begründete und schlüssige Gutachten von Dr. S. bei richtiger Auslegung sehr wohl zur Sachaufklärung beigetragen habe.
Mit Beschluss vom 10.01.2011 ist das Ruhen des Beschwerdeverfahrens (zunächst unter dem Az.: L 15 SB 195/10 B) angeordnet worden. Am 22.04.2013 ist das Verfahren auf Antrag des Klägers unter dem verfahrensgegenständlichen Aktenzeichen fortgesetzt worden.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte des SG im oben genannten Verfahren und der Akten des LSG (Berufungs- und streitgegenständliches Verfahren) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist sowohl zulässig als auch begründet.
Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind vollständig auf die Staatskasse zu übernehmen.
Auf Antrag des behinderten Menschen muss nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat der Kläger beim SG beantragt.
Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 109, Rdnr. 16) des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. a.a.O., Rdnr. 18). Bei der Ermessensentscheidung über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (a.a.O., Rdnr. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung des Senats (BayLSG vom 28.09.2012 - L 15 SB 293/11 B) nicht, dass ein Gutachten "die Aufklärung des Sachverhalts in objektiv sinnvoller Weise gefördert" hat oder dass durch das Gutachten "entscheidungserhebliche Punkte des Sachverhalts weiter aufgeklärt werden", wie manchmal formuliert wird (Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Aufl., § 109, Rdnr. 11, mit Verweis auf BayLSG vom 29.04.1964 - L 18/Ko 60/63; Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 1992, 50, 55). Denn diese Voraussetzungen sind bei medizinischen Gutachten so gut wie immer gegeben. Nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung kann zu einer Kostenübernahme führen (vgl. Keller, a.a.O.).
Von einer solchen Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. BayLSG vom 19.08.1999 - L 18 B 303/96 V). Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt (Udsching, a.a.O.). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen des anschließend von Amts wegen eingeholten Gutachtens und damit im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden (vgl. hierzu näher BayLSG vom 12.03.2012 - L 15 SB 22/12 B).
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinne beeinflusst hat (a.a.O.). Kein maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung zu Gunsten eines Antragstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung der Ergebnisse, wie sie der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, durch den gemäß § 109 SGG benannten Gutachter die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (BayLSG, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.06.2006 - L 5 B 3/05 SB SF).
Eine teilweise Kostenübernahme ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a) und wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen werden können.
Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist die erstinstanzliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar (BayLSG vom 19.12.2012 - L 15 SB 123/12 B). Eine andere Auslegung, die von einer nur eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht dahingehend ausgeht, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind, ist nicht überzeugend begründbar (im Einzelnen siehe a.a.O.).
Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung ist die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2009 - L 10 U 1056/09 KO-B); durch den Senat hat eine eigene Ausübung des Ermessens zu erfolgen.
Diese ergibt im vorliegenden Fall, dass die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG voll auf die Staatskasse zu übernehmen sind. Das Gutachten von Dr. S. hat die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert, indem es die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt hat. Damit hat es den Rechtsstreit wesentlich gefördert (vgl. Hintz/Lowe, SGG, 1. Aufl., § 109, Rdnr. 25).
Zwar ist vorliegend von einer solchen Förderung der Sachaufklärung durch das Gutachten von Dr. S. nicht unter dem Gesichtspunkt auszugehen, dass es weitere Ermittlungen von Amts wegen - wie an der Beauftragung von Dr. S. (ergänzende Stellungnahme), Dr. H. und Prof. Dr. I. ersichtlich - erforderlich gemacht hätte. Denn hinsichtlich der auf das streitgegenständliche Gutachten hin vorgelegten Stellungnahme von Dr. S. vom 29.03.2010 ist festzustellen, dass hierdurch - wovon das SG, wie aus den Urteilsgründen und der Begründung des streitgegenständlichen Beschlusses ersichtlich, zutreffend ausgegangen ist - im Hinblick auf die orthopädischen/chirurgischen Gesundheitsstörungen lediglich die Unrichtigkeit des gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens bestätigt worden ist; dies ergibt sich aus dem plausiblen Vortrag von Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme. Die Beauftragungen von Dr. H. und Prof. Dr. I. sind nicht auf das Gutachten von Dr. S. hin erfolgt, sondern erst, nachdem der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine seelische Störung geltend gemacht hat, bzw. zur Abklärung der Gesundheitsstörungen auf dem - für Dr. S. fachfremden - HNO-ärztlichem Gebiet.
Das Gutachten von Dr. S. hat den Rechtsstreit jedoch deshalb wesentlich gefördert, weil es zum einen auf orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet eine wesentlich breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB ermöglicht und zum anderen eine wichtige Feststellung zur Bildung des Gesamt-GdB getroffen hat.
Vorliegend hat der gemäß § 106 SGG beauftragte Sachverständige Dr. S. ein Gutachten aufgrund einer Untersuchung in den Räumen des SG erstellt. Wie der Senat bereits entschieden hat (LSG vom 04.02.2013, Az.: L 15 SB 8/12 B), begegnet eine solche Verfahrensweise nicht von vornherein Bedenken. Sichergestellt muss jedoch werden, dass die persönliche Untersuchung des Klägers nach ihrer Zeitdauer und der Möglichkeit apparativer Untersuchungsmethoden ein ausreichendes Bild über den Gesundheitszustand zur Beantwortung der Beweisfragen vermitteln kann (a.a.O.; Keller, a.a.O., § 118 Rdnr. 12a; kritisch Krasney/Udsching, Handbuch des Soziagerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage, III 73). Vorliegend kann offen bleiben, ob das Gutachten von Dr. S. ein solches ausreichendes Bild vermitteln hat können. Denn maßgeblich ist hier, dass das gemäß § 109 SGG erstellte Gutachten von Dr. S. auf jeden Fall eine wesentlich breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB ermöglicht hat. Denn trotz der Erhebung zahlreicher (orthopädisch/chirurgisch) relevanter klinischer Befunde - wie die Messung der Bewegungsausmaße nach der Neutral-Null-Methode etc. - fehlt im Gutachten von Dr. S. doch die apparative Diagnostik. Es ist, wie der Kläger zu Recht darauf hingewiesen hat, auch nicht ersichtlich, dass Dr. S. die ihm vorliegenden (älteren) Befunde näher berücksichtigt hätte. Hingegen sind im Rahmen der Begutachtung durch Dr. S. u.a. Röntgenbilder angefertigt bzw. ausgewertet worden. Die radiologische Diagnostik ist aber bei orthopädischen/chirurgischen Begutachtungen von zentraler Bedeutung, wenn auch keineswegs in allen Fällen unabdingbar (vgl. näher hierzu die Entscheidung des Senats v. 04.02.2013, a.a.O.).
Daran, dass durch die ausführliche Begutachtachtung durch Dr. S. eine breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des streitgegenständlichen GdB erreicht worden ist, ändert auch die Tatsache nichts, dass Dr. S. vor allem hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke des Klägers zu nicht überzeugenden Ergebnissen gelangt ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass aufgrund der (erst) von ihm erhobenen Befunde eine umfassendere Beurteilung ermöglicht worden ist.
Vor allem aber hat Dr. S. in seinem Gutachten eine für das Verfahren besonders bedeutsame medizinische Feststellung getroffen, nämlich hinsichtlich der Bildung des Gesamt-GdB. Dr. S. hat die Beziehungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen auf gastroenterologischem, dermatologischem und orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet zueinander im Sinne von Teil A Ziff. 3d) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) mit der notwendigen Bestimmtheit und aus Sicht des Senats überzeugend dargestellt. Die Bedeutung dieser - wenn auch kurzen - Feststellung für den Rechtsstreit ergibt sich zum einen daraus, dass sich in den anderen eingeholten Gutachten entsprechende Feststellungen nicht finden - eine Erfahrung, die der Senat in zahlreichen vergleichbaren Verfahren nach § 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch machen muss. Zum anderen ist für die Festlegung des Gesamt-GdB medizinische Sachkunde erforderlich, das Gericht bedarf somit auch und gerade hier sachverständiger Unterstützung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BayLSG vom 09.02.2009 - L 15 SB 12/09 B).
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
Gutachten des Dr. U. S. vom 11.02.2010 werden auf die Staatskasse übernommen.
II. Dem Beschwerdeführer sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache war streitig, ob für den Kläger und jetzigen Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 40 festzusetzen ist.
In dem am Sozialgericht Nürnberg (SG) unter dem Az.: S 13 SB 138/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit des Klägers gegen den Freistaat Bayern hat der Chirurg Dr. S. den Kläger am 16.09.2009 in den Räumen des SG untersucht und am selben Tag ein Gutachten erstellt. Zu diesem Gutachten, das zu einem Gesamt-GdB von 40 gekommen ist, hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Untersuchung durch Dr. S. lediglich 20 Minuten gedauert habe und dass dem Gutachten nicht zu entnehmen sei, dass etwa Röntgenbefunde ausgewertet worden seien. Es habe nur eine oberflächliche Betrachtung gegeben. Daraufhin hat das Gericht auf Antrag des Klägers den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 11.02.2010 zu einem Gesamt-GdB von 50; diesem Ergebnis sind der Beklagte und auch der daraufhin um ergänzende Stellungnahme gebetene Sachverständige Dr. S. nicht gefolgt. Dr. S. hat in einer ergänzenden Stellungnahme (28.06.2010) seine Auffassung eines Gesamt-GdB von 50 bekräftigt. Mit Urteil vom 15.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen; u.a. ist es der Bewertung von Dr. S. hinsichtlich der Knorpelschäden an den Kniegelenken des Klägers nicht gefolgt.
In dem sich anschließenden, vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG, Az.: L 15 SB 169/10) hat das LSG zur Sachverhaltsaufklärung ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.03.2012 für den Kläger einen Gesamt-GdB von 50 festgestellt. Weiter hat Prof. Dr. I. im Auftrag des Senats ein HNO-fachärztliches Gutachten erstellt. In der mündlichen Verhandlung am 18.03.2013 haben die Beteiligten nach einem Hinweis des Gerichts auf die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. H. den Rechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beendet; der Beklagte hat sich verpflichtet, ab 22.09.2010 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.
Am 17.11.2010 hat der Kläger beim SG beantragt, die Kosten für das Gutachten von Dr. S. auf die Staatskasse zu übernehmen, da das Gutachten für die Entscheidungsfindung des SG von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Der Antrag ist mit streitgegenständlichem Beschluss vom 18.11.2010 abgelehnt worden. Das SG hat ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S. (und Gleiches gelte für die ergänzende Stellungnahme) weder einen objektiven Beitrag zur ergänzenden Aufklärung des medizinischen Sachverhalts geleistet noch in sonstiger Weise den Fortgang des Rechtsstreits gefördert oder gar zu seiner Erledigung beigetragen habe.
Hiergegen hat der Kläger am 13.12.2010 Beschwerde erhoben. Diese ist damit begründet worden, dass das ausführliche, sorgfältig begründete und schlüssige Gutachten von Dr. S. bei richtiger Auslegung sehr wohl zur Sachaufklärung beigetragen habe.
Mit Beschluss vom 10.01.2011 ist das Ruhen des Beschwerdeverfahrens (zunächst unter dem Az.: L 15 SB 195/10 B) angeordnet worden. Am 22.04.2013 ist das Verfahren auf Antrag des Klägers unter dem verfahrensgegenständlichen Aktenzeichen fortgesetzt worden.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte des SG im oben genannten Verfahren und der Akten des LSG (Berufungs- und streitgegenständliches Verfahren) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist sowohl zulässig als auch begründet.
Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind vollständig auf die Staatskasse zu übernehmen.
Auf Antrag des behinderten Menschen muss nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat der Kläger beim SG beantragt.
Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 109, Rdnr. 16) des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. a.a.O., Rdnr. 18). Bei der Ermessensentscheidung über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (a.a.O., Rdnr. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung des Senats (BayLSG vom 28.09.2012 - L 15 SB 293/11 B) nicht, dass ein Gutachten "die Aufklärung des Sachverhalts in objektiv sinnvoller Weise gefördert" hat oder dass durch das Gutachten "entscheidungserhebliche Punkte des Sachverhalts weiter aufgeklärt werden", wie manchmal formuliert wird (Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Aufl., § 109, Rdnr. 11, mit Verweis auf BayLSG vom 29.04.1964 - L 18/Ko 60/63; Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 1992, 50, 55). Denn diese Voraussetzungen sind bei medizinischen Gutachten so gut wie immer gegeben. Nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung kann zu einer Kostenübernahme führen (vgl. Keller, a.a.O.).
Von einer solchen Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. BayLSG vom 19.08.1999 - L 18 B 303/96 V). Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt (Udsching, a.a.O.). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen des anschließend von Amts wegen eingeholten Gutachtens und damit im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden (vgl. hierzu näher BayLSG vom 12.03.2012 - L 15 SB 22/12 B).
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinne beeinflusst hat (a.a.O.). Kein maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung zu Gunsten eines Antragstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung der Ergebnisse, wie sie der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, durch den gemäß § 109 SGG benannten Gutachter die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (BayLSG, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.06.2006 - L 5 B 3/05 SB SF).
Eine teilweise Kostenübernahme ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a) und wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen werden können.
Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist die erstinstanzliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar (BayLSG vom 19.12.2012 - L 15 SB 123/12 B). Eine andere Auslegung, die von einer nur eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht dahingehend ausgeht, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind, ist nicht überzeugend begründbar (im Einzelnen siehe a.a.O.).
Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung ist die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2009 - L 10 U 1056/09 KO-B); durch den Senat hat eine eigene Ausübung des Ermessens zu erfolgen.
Diese ergibt im vorliegenden Fall, dass die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG voll auf die Staatskasse zu übernehmen sind. Das Gutachten von Dr. S. hat die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert, indem es die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt hat. Damit hat es den Rechtsstreit wesentlich gefördert (vgl. Hintz/Lowe, SGG, 1. Aufl., § 109, Rdnr. 25).
Zwar ist vorliegend von einer solchen Förderung der Sachaufklärung durch das Gutachten von Dr. S. nicht unter dem Gesichtspunkt auszugehen, dass es weitere Ermittlungen von Amts wegen - wie an der Beauftragung von Dr. S. (ergänzende Stellungnahme), Dr. H. und Prof. Dr. I. ersichtlich - erforderlich gemacht hätte. Denn hinsichtlich der auf das streitgegenständliche Gutachten hin vorgelegten Stellungnahme von Dr. S. vom 29.03.2010 ist festzustellen, dass hierdurch - wovon das SG, wie aus den Urteilsgründen und der Begründung des streitgegenständlichen Beschlusses ersichtlich, zutreffend ausgegangen ist - im Hinblick auf die orthopädischen/chirurgischen Gesundheitsstörungen lediglich die Unrichtigkeit des gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens bestätigt worden ist; dies ergibt sich aus dem plausiblen Vortrag von Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme. Die Beauftragungen von Dr. H. und Prof. Dr. I. sind nicht auf das Gutachten von Dr. S. hin erfolgt, sondern erst, nachdem der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine seelische Störung geltend gemacht hat, bzw. zur Abklärung der Gesundheitsstörungen auf dem - für Dr. S. fachfremden - HNO-ärztlichem Gebiet.
Das Gutachten von Dr. S. hat den Rechtsstreit jedoch deshalb wesentlich gefördert, weil es zum einen auf orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet eine wesentlich breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB ermöglicht und zum anderen eine wichtige Feststellung zur Bildung des Gesamt-GdB getroffen hat.
Vorliegend hat der gemäß § 106 SGG beauftragte Sachverständige Dr. S. ein Gutachten aufgrund einer Untersuchung in den Räumen des SG erstellt. Wie der Senat bereits entschieden hat (LSG vom 04.02.2013, Az.: L 15 SB 8/12 B), begegnet eine solche Verfahrensweise nicht von vornherein Bedenken. Sichergestellt muss jedoch werden, dass die persönliche Untersuchung des Klägers nach ihrer Zeitdauer und der Möglichkeit apparativer Untersuchungsmethoden ein ausreichendes Bild über den Gesundheitszustand zur Beantwortung der Beweisfragen vermitteln kann (a.a.O.; Keller, a.a.O., § 118 Rdnr. 12a; kritisch Krasney/Udsching, Handbuch des Soziagerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage, III 73). Vorliegend kann offen bleiben, ob das Gutachten von Dr. S. ein solches ausreichendes Bild vermitteln hat können. Denn maßgeblich ist hier, dass das gemäß § 109 SGG erstellte Gutachten von Dr. S. auf jeden Fall eine wesentlich breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB ermöglicht hat. Denn trotz der Erhebung zahlreicher (orthopädisch/chirurgisch) relevanter klinischer Befunde - wie die Messung der Bewegungsausmaße nach der Neutral-Null-Methode etc. - fehlt im Gutachten von Dr. S. doch die apparative Diagnostik. Es ist, wie der Kläger zu Recht darauf hingewiesen hat, auch nicht ersichtlich, dass Dr. S. die ihm vorliegenden (älteren) Befunde näher berücksichtigt hätte. Hingegen sind im Rahmen der Begutachtung durch Dr. S. u.a. Röntgenbilder angefertigt bzw. ausgewertet worden. Die radiologische Diagnostik ist aber bei orthopädischen/chirurgischen Begutachtungen von zentraler Bedeutung, wenn auch keineswegs in allen Fällen unabdingbar (vgl. näher hierzu die Entscheidung des Senats v. 04.02.2013, a.a.O.).
Daran, dass durch die ausführliche Begutachtachtung durch Dr. S. eine breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des streitgegenständlichen GdB erreicht worden ist, ändert auch die Tatsache nichts, dass Dr. S. vor allem hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke des Klägers zu nicht überzeugenden Ergebnissen gelangt ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass aufgrund der (erst) von ihm erhobenen Befunde eine umfassendere Beurteilung ermöglicht worden ist.
Vor allem aber hat Dr. S. in seinem Gutachten eine für das Verfahren besonders bedeutsame medizinische Feststellung getroffen, nämlich hinsichtlich der Bildung des Gesamt-GdB. Dr. S. hat die Beziehungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen auf gastroenterologischem, dermatologischem und orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet zueinander im Sinne von Teil A Ziff. 3d) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) mit der notwendigen Bestimmtheit und aus Sicht des Senats überzeugend dargestellt. Die Bedeutung dieser - wenn auch kurzen - Feststellung für den Rechtsstreit ergibt sich zum einen daraus, dass sich in den anderen eingeholten Gutachten entsprechende Feststellungen nicht finden - eine Erfahrung, die der Senat in zahlreichen vergleichbaren Verfahren nach § 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch machen muss. Zum anderen ist für die Festlegung des Gesamt-GdB medizinische Sachkunde erforderlich, das Gericht bedarf somit auch und gerade hier sachverständiger Unterstützung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BayLSG vom 09.02.2009 - L 15 SB 12/09 B).
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
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